30 Jahre PROMETHEUS – Vorreiter für das autonome Fahren

Selbstfahrende Autos sind heute keine Fiktion mehr, aktuelle Serienfahrzeuge wie etwa die Mercedes-Benz E-Klasse nehmen bereits Teilfunktionen vorweg. Wichtige Grundlagen für die vernetzte Mobilität von morgen legt bereits vor 30 Jahren das europäische Verbundprojekt PROMETHEUS. Die gewonnenen Erkenntnisse sind längst in zahlreiche Alltagstechnologien umgesetzt, etwa der Abstandregeltempomat DISTRONIC PLUS oder das Konzept PRE-SAFE®. Sie und viele andere Entwicklungen münden ins vollautomatisierte Auto – das fast schon greifbar ist.

Als am 1. Oktober 1986 der Startschuss für PROMETHEUS gegeben wird, wissen nur Experten, welche Tragweite das Projekt hat: Das „Programm für ein europäisches Transportwesen mit höchster Effizienz und unerreichter Sicherheit“ (Programme for European Traffic with Highest Efficiency and Unprecedented Safety“). Ausgangspunkt sind konkrete Fragen: Was tun, damit das Auto auch in Zukunft höchste Mobilität ermöglicht? Wie die Sicherheit trotz einer zunehmenden Anzahl von Fahrzeugen erhöhen und damit die Unfallzahlen senken? Wie die Wirtschaftlichkeit steigern? Wie den Verkehrsfluss harmonisieren, ohne neue Straßen zu bauen? Und wie all diese Ziele bei größtmöglicher Schonung der Umwelt erreichen? Diesen und weiteren Fragen soll das Forschungsprogramm nachgehen. Die damalige Daimler-Benz AG bringt es als europäisches Verbundprojekt auf den Weg. Es läuft über acht Jahre als Kooperation mehrerer europäischer Autohersteller, Elektronik- und Zulieferfirmen, Universitäten und Institute.

„Schnell war uns klar geworden, dass es nur eine Lösung für die steigenden Verkehrsprobleme geben konnte“, sagt bei früherer Gelegenheit Walter Ziegler, PROMETHEUS-Projektleiter bei Mercedes-Benz. „Wir mussten neue Technologien – vor allem Mikroelektronik, Sensorik, Telekommunikation und Informationsverarbeitung – möglichst umfassend in den Straßenverkehr integrieren.“ Damals ist das eine epochale Entwicklung. Dass Elektronik im Alltag einen solchen Siegeszug vollziehen wird, ahnt damals niemand. Ebenfalls nicht vorauszusehen ist, dass nahezu alle in PROMETHEUS entwickelten Technologien heute Serienstand sind – oder bald sein werden.

VITA fährt autonom

Das höchste Niveau eines intelligenten Autos realisiert Mercedes-Benz bei PROMETHEUS mit dem VITA-Fahrzeug. Hinter der Front- und Heckscheibe einer S-Klasse sind kleine Videokameras untergebracht, die eine Fahrzeugführung durch automatische Bildverarbeitung ermöglichen. Mit diesen elektronischen Augen behält der Bordcomputer stets den Überblick über das Geschehen rund um das Fahrzeug. VITA – die Abkürzung steht für „Vision Information Technology Application“ – ist ein echter Autopilot, der bremsen, beschleunigen und lenken kann. Der Computer erkennt den Straßenverlauf, zugleich registriert er, ob sich das Fahrzeug auf Kollisionskurs mit anderen Objekten befindet. Das primäre Ziel ist die automatische Kollisionsverhinderung: man will nachweisen, dass sich mit „Rechnersehen“, wie die Methode seinerzeit genannt wird, Unfälle vermeiden lassen.

Doch letztendlich klingt schon das autonome Fahren an. Denn im Oktober 1994 legt das Forschungsfahrzeug auf einer dreispurigen Autobahn im normalen Verkehr mit Geschwindigkeiten von bis zu 130 km/h mehr als 1.000 Kilometer zurück und demonstriert dabei Spurwechsel in beiden Richtungen sowie – nach Freigabe des Sicherheitsfahrers – sogar das autonome Überholen.

Eine Vorgängerversion des VITA-Fahrzeugs entsteht zunächst auf Basis eines Mercedes-Benz Transporters, dessen geräumiger Laderaum gefüllt ist mit Computertechnik. Die S-Klasse als spätere Evolutionsstufe stellt so schon einen wichtigen Schritt in Richtung Miniaturisierung und damit Serienreife dar.

DISTRONIC, PRE-SAFE® Bremse, Navigationssystem und Car-2-X

Ein VITA-Teilprojekt ist der intelligente Tempomat, der immer den notwendigen Sicherheitsabstand einhält. Sobald der Infrarotsensor ein langsameres Objekt voraus entdeckt, wird das Fahrzeug automatisch bis zu einem sicheren Abstand verzögert. Die Regelung kann vom Fahrer jederzeit überspielt werden. Unter dem Namen Traffonic setzt Daimler-Benz das Projekt fort und nutzt dabei Radarsensoren. Ein solches System ist mit der Bezeichnung DISTRONIC beziehungsweise DISTRONIC PLUS schon lange Serienstand bei Mercedes-Benz. Auch die automatische PRE-SAFE® Bremse ist längst Serienstand.

Kommunikation wird in weiteren PROMETHEUS-Teilprojekten großgeschrieben. Die Forscher arbeiten hier an der „dualen Zielführung“, um den Fahrer zu entlasten. Es ist die Vorstufe des Navigationssystems. Damals muss es noch ohne Satellitenhilfe auskommen, denn diese Technik ist noch nicht für zivile Anwendungen freigegeben. Zum Teilprojekt gehört auch die Kommunikation der Fahrzeuge untereinander, um beispielsweise einen Zusammenstoß zu vermeiden oder sich gegenseitig vor einer Glatteiskurve zu warnen – heute bekannt unter „Car-to-X“-Technologie.

Flottenmanagement ist heute Standard

Grenzüberschreitende Kommunikation ist das Schlüsselwort eines weiteren PROMETHEUS-Teilprojekts der Daimler-Benz Forscher: das Fracht- und Flottenmanagement. Mit ihm sollen Spediteure die verfügbaren Transportkapazitäten effizient ausnutzen und zudem flexibel auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren können. Erprobt wird eine mobile Online-Verbindung zwischen einer Spedition und ihren Fahrzeugen. Der Disponent erkennt die Position seiner Fahrzeuge mit Hilfe terrestrischer und satellitengestützter Funksysteme. Er kann einem seiner Wagen über einen Zentralrechner eine Mitteilung schicken, die dem Fahrer angezeigt wird. Unter dem Namen FleetBoard® ist ein erweitertes System heute Alltag im Straßengüterverkehr.

In einem weiteren Teilprojekt namens STORM (Stuttgart Transport Operation by Regional Management) wird ein regionales Verkehrsmanagement unter Verwendung einer Reihe von Ideen und Ergebnissen aus PROMETHEUS erprobt. Dabei wird die im Raum Stuttgart vorhandene Verkehrsinfrastruktur durch die Vernetzung und den Ausbau bestehender Verkehrsleiteinrichtungen besser genutzt: mit dem Ziel, die Umweltbelastungen zu verringern und die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit des Verkehrs in der Region zu erhöhen. Im Vordergrund steht der Anspruch, dem Verkehrsteilnehmer zur richtigen Zeit und am richtigen Ort alle Informationen und Hilfestellungen zu geben, die er für eine verantwortungsbewusste Verkehrsmittelwahl benötigt.

Weitere Innovationen, ob Spurwechsel-Assistent oder Einparkhilfe, gehen ebenfalls zurück auf das Forschungsprogramm PROMETHEUS. „Es war der Zeit weit voraus“, beurteilt Werner Breitschwerdt rückblickend, von 1977 bis 1983 als Vorstandsmitglied der Daimler-Benz AG zuständig für die Entwicklung und Forschung und schließlich von 1983 bis 1987 Vorstandsvorsitzender des Unternehmens. In aktuellen Fahrzeugen und in künftigen voll automatisierten Automobilen lebt PROMETHEUS fort.