Jeder zweite in Deutschland zugelassene Lkw ist ein Mercedes-Benz aus Wörth. Von hier aus werden rund 150 Länder auf der ganzen Welt mit Lastkraftwagen beliefert. Etwa 12 000 Mitarbeiter arbeiten im größten Lkw-Werk der Welt und produzieren im Jahr rund 100 000 Trucks. Ursprünglich als Motorenwerk gedacht, sind im Werk Wörth tatsächlich niemals Aggregate gefertigt worden. Dafür aber am 1. Oktober 1963 das erste Lkw-Fahrerhaus und seit 1965 mehr als 3,6 Millionen Lkw.
1960: Daimler-Benz erwirbt ein Areal für ein Motorenwerk
Hätte sich alles so entwickelt wie ursprünglich geplant, wäre das Werk Wörth heute Großmotorenwerk und überdies das zentrale Motorenwerk der beiden Lkw-Werke von Mercedes-Benz in Mannheim und Gaggenau. Doch die Geschichte nimmt manchmal einen ungewöhnlichen Lauf.
Ende der fünfziger Jahre sind die Lkw-Werke der damaligen Daimler-Benz AG in Mannheim (leichte Fahrzeuge zwischen sechs und zwölf Tonnen Gesamtgewicht) und Gaggenau (schwere Lkw über zwölf Tonnen) voll ausgelastet. Es ist die Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders: Die Nachfrage wächst, lange Lieferzeiten sind üblich. Die beiden Traditionsstandorte aber können zusammen nicht mehr als 150 Lkw am Tag und 40 000 Lkw im Jahr produzieren. Sie liegen aufgrund ihrer Historie beide innerstädtisch, was eine weitere Ausdehnung kaum zulässt.
Trotzdem agiert Daimler-Benz vorsichtig: Das Risiko für ein völlig neu zu errichtendes Lkw-Werk scheint zu hoch, denn das Unternehmen kalkuliert für die Zukunft mit maximal 50 000 Lkw pro Jahr. Stattdessen soll ein zentrales Motorenwerk beide Standorte beliefern sowie entlasten und gleichzeitig die Fertigung der Großmotoren aus Stuttgart übernehmen.
Die Entscheidung fällt auf das südpfälzische Wörth, wenige Kilometer westlich von Karlsruhe gelegen und fast in der Mitte zwischen Mannheim und Gaggenau. In Wörth findet sich auf einer ehemaligen Rheininsel ein Areal von 1,5 Millionen m². Bundesstraßen mit Anschluss zur nahen Autobahn, ein geplanter Rheinhafen, eine Bahnstrecke – die Anbindung des Geländes ist ausgezeichnet. Darüber hinaus bemühen sich sowohl das Fischerstädtchen Wörth als auch das Bundesland Rheinland-Pfalz engagiert um den potenziellen Investor und attraktiven Arbeitgeber Daimler-Benz.
1963 fällt Entscheidung für ein Lkw-Werk in Wörth
Im Sommer 1960 genehmigt der Aufsichtsrat der Daimler-Benz AG den Kauf des Geländes, im Herbst wird der Erwerb beurkundet. Zwei Jahre später ist der Baubeginn für das geplante Motorenwerk. Das gesamte Gelände wird zum Schutz vor Hochwasser um einen halben Meter erhöht. Die erste Halle steht bereits, sie hat für die Produktion von Großmotoren eine Deckentragfähigkeit von zehn Tonnen, doppelt so stark wie üblich.
1963 aber organisiert der Konzern seine Fertigung komplett neu. Innerhalb des Konzepts sollen Gaggenau und Mannheim von der Lkw-Fertigung entlastet werden, Sindelfingen die bisherige Fahrerhaus-Fertigung zugunsten der Pkw-Produktion abgeben und Wörth zum zentralen Lkw-Werk der Marke heranwachsen. Ein Schritt, der zugleich Parallelfertigungen vermeidet. Geplant ist eine Kapazität von etwa 200 bis 220 Lkw am Tag und damit rund 50 000 Lkw im Jahr. Es ist die Hälfte dessen, was Wörth Jahrzehnte später in Jahren mit Top-Konjunktur ausstoßen wird.
Herbst 1963: Beginn der Fahrerhausfertigung in Wörth
Inzwischen zählt die Belegschaft in Wörth mehr als 1000 Beschäftigte. Ein großer Teil kommt aus Sindelfingen, Mannheim und Gaggenau. Mitarbeiter aus der Umgebung des Werks sind zunächst nur schwer zu finden: mit „Bauern, Winzern und Tabakpflanzern“ fassen noch heute Kenner die damalige Situation zusammen. Die Südpfalz ist landwirtschaftlich und handwerklich geprägt, deshalb muss das Werk Wörth seine Industriearbeiter selbst ausbilden und anlernen. Bereits 1964 nimmt die Ausbildungsabteilung mit 20 angehenden Betriebsschlossern ihre Arbeit auf. Bald folgen Ausbildungen zum Feinblechner, Maschinenschlosser, Werkzeugmacher, Starkstromelektriker und Kfz-Schlosser.
Das ungewöhnliche Werben um neue Mitarbeiter
Neue Mitarbeiter gewinnt das Werk auf ungewöhnliche Weise: Zunächst baut man Kontakte zu den Bürgermeistern der Orte in der Umgebung auf. Mitarbeiter stellen sich an die wichtigsten Straßen, notieren Autokennzeichen und zählen sie, um die Pendlerströme zu ermitteln. An den Wochenenden schwärmen Mitarbeiter der Personalabteilung aus und werben bei Volksfesten und Veranstaltungen in persönlichen Gesprächen um Beschäftigte. Die Personalknappheit ist anhaltend: 1969 veranstaltet das Werk erstmals einen Tag der offenen Tür für die breite Öffentlichkeit. Das wesentliche Ziel ist auch hier, neue Mitarbeiter zu gewinnen. Dabei wirbt Mercedes-Benz auch jenseits der nahen französischen Grenze im Elsass. Von Beginn an bis heute stellen Elsässer einen großen Teil der Belegschaft. Ebenfalls 1969 nehmen die ersten weiblichen Auszubildenden die Arbeit auf – das Berufsbild nennt sich damals „Bürogehilfin“.
1965: Der erste komplette Lkw aus Wörth ist ein LP 608
Derweil wird die Produktion im neuen Werk weiter ausgebaut: Dem ersten vollständigen Fahrerhaus einschließlich Innenausbau im Frühjahr 1965 folgt bereits am 14. Juli 1965 der Bandablauf des ersten kompletten Lkw aus Wörth. Eine Panne bei der Premiere entpuppt sich als gutes Omen für das Werk: Der erste Lkw rollte nicht wie geplant, er schrammt stattdessen an einem Pfeiler in der Halle entlang. Dieser LP 608 gehört zu einer neuen Baureihe von leichten Lkw. Die mittelschweren und schweren Lkw folgen in jährlichen Schritten bis 1967, gleichzeitig mit Modellwechseln.
Die Trucks mit Stern tragen zu dieser Zeit noch keine Namen, man bezeichnet die Baureihen intern deshalb nach ihrer Herkunft als „leichte Wörther“ und „schwere Wörther“.
Schnell erweitert Mercedes-Benz seinen Service: Bereits 1968 werden Lkw-Selbstabholer erstmals im Rahmen einer Fahrerschulung gründlich in ihr neues Fahrzeug eingewiesen. Das ist der Kern des heutigen Fahrertrainings mit vielen tausend Teilnehmern im Jahr.
Eine der größten Hallen weltweit im Automobilbau
Die Entscheidung für das zentrale Lkw-Montagewerk in Wörth erweist sich schnell als goldrichtig: Bereits 1969 fertigt das Werk über 42 000 Komplettfahrzeuge und zusätzlich mehr als 11 000 Teilesätze für die Montage im Ausland, so genannte CKD-Bausätze (CKD = Completely Knocked Down). Nach den ursprünglichen Planungen ist das Werk damit voll ausgelastet. Es ist eine Zeit der wirtschaftlichen Konzentration: Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre übernimmt Daimler-Benz zunächst die Lkw-Verkaufsorganisation von Krupp und dann den Nutzfahrzeug-Hersteller Hanomag-Henschel mit seinem Lkw-Werk Kassel. Mit diesen Schritten avanciert Daimler-Benz sukessive zum größten Lkw-Hersteller der Welt.
Die Werkleitung in Wörth sucht trotzdem nach weiterer Beschäftigung. Da das Werk auf seinem weitläufigen Gelände zum damaligen Zeitpunkt viel Platz bietet, wird 1972 das neue zentrale Ersatzteillager für alle Nutzfahrzeuge in Wörth eingerichtet. Bisher waren mehrere Lager dezentral auf die einzelnen Werke verteilt.
1975 entstehen erstmals mehr als 100 000 Lkw im Jahr
Gleichzeitig wächst die Produktion in unerwartete Höhen. 1975 durchbricht die Fertigung von Komplettfahrzeugen und CKD-Bausätzen erstmals die Marke von 100 000 Lkw. Die Wirtschaft hat sich von der ersten Ölpreiskrise erholt, die Nachfrage steigt. Auch aus dem Nahen Osten: Bis in die frühen achtziger Jahre liefert das Werk enorme Stückzahlen in die arabischen Staaten, zeitweilig die Hälfte der Jahresproduktion.
Parallel dazu wächst die Zahl der Mitarbeiter: Beläuft sie sich 1965 auf 2600 Köpfe, so überschreitet sie 1981 erstmals die Marke von 10 000 Arbeitern, Angestellten und Auszubildenden. Unter den angehenden Mitarbeitern sind seit 1978 erstmals weibliche Auszubildende in technischen Berufen. Im gleichen Jahr weiht das Werk ein neues Ausbildungsgebäude ein. 1978 wird in Wörth eine neue CKD-Verpackungshalle einschließlich Container-Verladung errichtet. Die weltweite Nachfrage nach den Bausätzen, die im Zielland montiert werden, steigt. 1981 wird der 10 000ste CKD-Container verschifft.
Die Jahresmarke von 100 000 Lkw ist auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer wieder ein Ziel. Die Rekordzahlen fallen zusammen mit einem Modellwechsel: 1973/74 tritt die „Neue Generation“ (NG) schwerer Lkw an. Die Fahrerhäuser der neuen Lkw sind nach dem Baukastenprinzip aufgebaut, sämtliche Ausführungen basieren auf einem einzigen Grundmodell. Die Zahl der Bauteile sinkt, mehr als die Hälfte der bisher notwendigen Montageschritte entfällt. Das bietet die Chance für neue Fertigungsverfahren, beispielsweise die Mechanisierung der Fertigungsstraße für den Fahrerhaus-Rohbau.
1980: Eine Million Lkw aus dem Werk Wörth
Ende 1980 feiert das Werk ein großes Jubiläum: Der millionste Lkw läuft vom Band. Es ist eine Zeit der Rekorde: 1981 klettert die Fertigung auf 110 125 Lkw – ein Rekord auf lange Jahre. Die Infrastruktur des Werks wächst mit: 1980 wird ein neues Betriebsrestaurant eingeweiht, denn das erste Gebäude von 1967 wurde der großen Nachfrage der steigenden Mitarbeiteranzahl nicht mehr gerecht. Ab Ende 1981 weicht das klassische Menü der Selbstbedienung mit freier Auswahl. Das Werk ist damit Vorreiter im ganzen Unternehmen.
Doch es gibt nicht nur goldene Jahre: Mitte der achtziger Jahre sackt die Nachfrage ab, 1986 fertigt das Werk nur noch knapp 70 000 Lkw. In dieser Zeit bewährt sich die Flexibilität des Unternehmensverbunds. Mehrere Jahre pendeln Wörther Mitarbeiter in die Fertigung nach Sindelfingen und unterstützen die dortige Pkw-Fertigung. Betriebsbedingte Entlassungen werden so vermieden. Doch es geht nicht nur um Arbeit: 1986 gründen 72 Mitarbeiter die „Sportgruppe Stern Wörth“, kurz SG Stern. Im Jubiläumsjahr 2013 zählt die Sportgruppe 3400 Mitglieder und 40 Sportarten.
1988 wird das neue Kundencenter eingeweiht
Auch in schweren Zeiten investiert das Werk: 1985 nimmt ein neues zentrales Teilelager den Betrieb auf. 1988 startet das neu errichtete Kundencenter, Nachfolger der sogenannten Selbstabholerhalle. Zur Eröffnung feiert das Werk Geburtstag. 25 Jahre nach der Eröffnung zählt es exakt 11 586 Beschäftigte. Mit genau 82 422 Lkw steigen auch wieder die Stückzahlen. Das Werk Wörth richtet zudem eine neue Lackieranlage ein, die umweltschonender und effektiver arbeitet und zusätzlich die Qualität steigert. Spritzautomaten ersetzen – von einigen Komponenten abgesehen – das herkömmliche Auftragen des Decklacks von Hand mit der Spritzpistole.
Die neunziger Jahre: Große Schwankungen, große Flexibilität
Bald darauf profitiert das Werk von einer Sonderkonjunktur: Ein Jahr nach der deutschen Wiedervereinigung steigt die Produktionszahl 1991 mit mehr als 102 000 Lkw erstmals seit langem wieder auf einen sechsstelligen Wert. Die Infrastruktur ändert sich: Das neue zentrale Ersatzteillager im nahegelegenen Germersheim übernimmt die weltweite Versorgung mit Teilen.
Die große Nachfrage um 1990 ist nur eine kurze Blüte, in der folgenden Wirtschaftskrise bricht die Nachfrage ein. 1993 baut das Werk nur 57 093 Lkw, die niedrigste Zahl seit Ende der sechziger Jahre. Erneut können Entlassungen vermieden werden, die Zahl der Mitarbeiter geht jedoch durch Ausscheidungsvereinbarungen deutlich zurück.
Um das Werk trotz schwankender Konjunktur sicher in die Zukunft zu führen, werden alle Arbeitsabläufe überprüft, die Zahl der Führungsebenen deutlich vermindert und die Arbeitsorganisation gestrafft. Das Werk Wörth wird schlanker und wappnet sich für raue Zeiten. Dazu gehört die Ausgliederung der Kunststoffteile-Fertigung ebenso wie die neue Zuordnung des Werks zum Geschäftsbereich Lkw. Man rückt näher zusammen, verkürzt Entscheidungswege, hebt Trennungen auf. Flexible Arbeitszeitregelungen werden eingeführt, um auf die für die Nutzfahrzeugbranche typischen, heftigen Ausschläge besser reagieren zu können.
Einen neuen Lkw gibt es ebenfalls: Bei den leichten Lkw folgt die sogenannte „Leichte Klasse“ auf den knorrigen und bereits legendären LP aus dem Jahre 1965, dem Urvater aller Lkw aus dem Werk Wörth.
Rohbau 2000 und eine neue Montagelinie
Auch die Infrastruktur verändert sich. Das werkseigene Heizwerk wird von Heizöl auf Erdgas umgestellt. Das spart nicht nur Brennstoff, sondern senkt gleichzeitig die Emissionen. 1992 entsteht unter der Überschrift „Rohbau 2000“ eine komplett neue Fahrerhausfertigung mit hochflexiblen Fertigungsinseln und fahrerlosen Transportsystemen – jetzt können alle Kabinen in nur einer Vorrichtung entstehen.
Es ist ein Vorgriff auf neue Fahrzeugmodelle, ebenso wie Ende 1995 eine neue Montage mit U-förmiger Fertigungslinie. Jetzt wird erstmals das komplette, bis zu 120 kg schwere Cockpit vormontiert und montagefertig ins Fahrerhaus gesetzt. Dessen Türen montieren die Werker zuvor ab, sie werden separat in der Vormontage bestückt. Das schafft Platz zum Einbau des Interieurs und mehr Raum rund um das Fertigungsband und schützt den Lack. Die Fahrerhäuser bewegen sich in der Montage auf einer Schubplatte mit einem Hubtisch. Somit können die Mitarbeiter nahezu alle Arbeiten in ergonomisch angenehmer Arbeitshöhe erledigen.
Großer Start und große Feier: Der neue Actros, 100 Jahre Lkw
Die neue Montage kündigt Modellwechsel an: In einem Kraftakt erneuert Mercedes-Benz binnen kurzem sein komplettes Lkw-Programm. Im Mittelpunkt steht der neue schwere Lkw Actros. Zwei Tage vor Weihnachten startet am 22. Dezember 1995 in Wörth die Pilotserie des rundum neuen Lkw, seine Publikumspremiere erlebt er im September 1996 auf der IAA.
1996 ist gleichzeitig ein Jubiläumsjahr: Vor 100 Jahren hatte Gottlieb Daimler den ersten Lkw der Welt gebaut. Das Werk Wörth begeht den Lkw-Geburtstag mit einer Großveranstaltung: 55 000 Besucher sind am Festwochenende zu Gast, sie besichtigen das Werk und ein großes Lkw-Oldtimertreffen.
Auf den Actros folgt nur weniger Monate später der neue leichte Lkw Atego. Und es kommen wieder sonnigere Zeiten: 1998 produziert das Werk erstmals seit dem Boomjahr 1991 wieder mehr als 90 000 Lkw. Die Belegschaftszahl pendelt sich bei rund 11 500 Mitarbeitern ein.
Das neue Jahrtausend: Zuwachs durch BIC, Axor, Unimog, Econic
Kundenservice wird in Wörth großgeschrieben: Am 1. Juni 2000 öffnet in Wörth das Branchen-Informations-Center (BIC) seine Tore. Besucher können hier 21 Branchenlösungen von 14 Aufbauherstellern begutachten und Probe fahren. Heute bietet das BIC den Fachbesuchern mit etwa 175 Komplett-fahrzeugen von 70 Aufbauern ein Vielfaches des Angebots. Das BIC hat längst den Charakter einer Branchenmesse und ist in dieser Größe und Vielfalt weltweit einmalig. Bereits zwei Jahre nach der Einweihung des BIC kommt im 25 km entfernten Ötigheim eine Teststrecke speziell für Baufahrzeuge hinzu – heute genießt die Kiesgrube Ötigheim in Fachkreisen einen legendären Ruf.
Zuwachs gibt es auch an ganz anderer Stelle: Im Jahr 2002 integriert das Werk Wörth die Fertigung des Unimog, bisher traditionell in Gaggenau angesiedelt. Daraufhin zogen ebenfalls aus Gaggenau die für das Fahrzeug zuständigen Entwicklungs- und Vertiebsbereiche hinzu. Ein Jahr später wechselt der Econic aus Zwickau und Arbon (CH) nach Wörth; später wird der allradgetriebene Hauben-Lkw Zetros folgen. Diese Lkw werden zu Mercedes-Benz Special Trucks zusammengefasst und im Werk in einer separaten Produktionshalle gefertigt. Auch die Lkw-Linien bekommen Zuwachs, denn Mercedes-Benz führt 2002 den Axor ein, einen Truck an der Nahtstelle zwischen mittleren und schweren Lkw, zwischen Verteiler- und Fernverkehrsfahrzeug.
Den Anforderungen an eine gleichermaßen rationelle und umweltgerechte Fertigung bei den Lkw wird seit dem Jahr 2005 in der Lackieranlage eine neue Vorbehandlung gerecht. Eine neue Decklackstraße folgt. Im Juli 2006 feiert das Werk ein großes Jubiläum: der dreimillionste Lkw aus Wörth wird an eine französische Spedition ausgeliefert. Es sind glanzvolle Zeiten, die Fertigung läuft auf vollen Touren. Das Werk Wörth produziert jährlich wieder rund 100 000 Lkw.
Entwicklungs- und Versuchszentrum EVZ: entwickeln und testen
Entwicklung und Produktion in enger Zusammenarbeit – diese Verzahnung wird im Jahr 2008 mit dem Entwicklungs- und Versuchszentrum für Lkw (EVZ) noch besser. Das Areal liegt in unmittelbarer Nähe des Werks und umfasst eine Fläche von 550 000 m². Es ist für Tests aller Art geeignet, von Schlechtwegprüfungen bis zum Dauerlauf und dient als hochpräzises Messinstrument. Die innere Fläche besteht aus zahlreichen Schlechtwegstrecken mit 14 verschiedenen Fahrbahnprofilen. Hier sind zum Teil Originalfahrbahnen aus aller Welt exakt und reproduzierbar nachgebildet worden um das länderspezifische Fahrverhalten zu simulieren. Die äußeren Fahrbahnen in Form eines Ovals sind knapp zwei km lang. Die überhöhten Kurven haben Neigungswinkel bis zu 49 % und 26 Grad für Schnellfahrversuche. Kreisbahnen, eine Kreisplatte und Steigungshügel sowie eine Kiesverladestation und ein Baustellengelände ergänzen die Versuchsstrecke. Hinzu kommen Werkstatt- und Bürogebäude.
Harte Zeiten 2009: Finanzkrise ohne Entlassungen gemeistert
Das Jahr 2008 wird sogar zu einem Superlativ in der Werksgeschichte: Mit 113 370 Lkw erreicht Wörth einen Allzeitrekord. Der Schock setzt aber bereits im Herbst 2008 ein: Die weltweite Finanzkrise führt zu einem enormen Wirtschaftseinbruch. Zunächst profitieren Werk und Mitarbeiter noch von den gut gefüllten Zeitkonten aus der Phase der Hochkonjunktur und Überzeiten werden abgebaut. Ab Frühjahr 2009 ist in der Lkw-Produktion Kurzarbeit aber nicht zu vermeiden, denn die weltweite Nachfrage nach Lkw ist um rund 50% eingebrochen. Im Jahr 2009 verlassen nur 44 438 Lkw das Werk. Das Werk nutzt nutzt die Phase zu einem breit angelegten Weiterbildungsprogramm. Erneut können betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden. Ausgenommen von den Einschnitten sind die Beschäftigten von Mercedes-Benz Special Trucks in der Montage von Unimog und Econic, denn hier liegen genügend Aufträge vor.
5000 Auszubildende in knapp 50 Jahren
Im Spätsommer 2010 begrüßt das Werk auch 118 neue Auszubildende, darunter den 5000. Azubi seit Beginn der Berufsausbildung in Wörth im Jahr 1964. Das Werk bildet inzwischen in sechs technischen und drei kaufmännischen Berufen aus und bietet darüber hinaus fünf Studiengänge an der Dualen Hochschule an. Ausbildung hat Zukunft in Wörth: Ab 2012 wird die Zahl der Ausbildungsplätze auf jährlich 150 vergrößert.
Das Werk profitiert vom Ideenreichtum seiner Mitarbeiter: Die Wörther Mannschaft reichte im Jahr 2011 fast 11 000 Verbesserungsvorschläge ein, von denen knapp die Hälfte umgesetzt wurden. Die Mitarbeiter profitieren ihrerseits durch verschiedenste Prämien.
Der Modellwechsel zum neuen Schwer-Lkw Actros im Jahr 2011 läutet die größte Produktoffensive in der Geschichte von Mercedes-Benz Lkw ein. Auf den neuen Actros folgen innerhalb von nur zwei Jahren im Vorgriff auf die kommende Abgasstufe Euro VI ebenfalls Antos, Arocs, Atego, Unimog und Econic. Damit ist Mercedes-Benz der erste Hersteller der sein komplettes Produktportfolio auf Euro VI umgestellt hat – ein halbes Jahr vor in Kraft treten der neuen Abgasnorm. Der komplette Modellwechsel, verbunden mit einer Parallelfertigung der neuen und der bewährten Modelle und der gleichzeitigen Erneuerung der Special Trucks ist zudem Anlass, Werk und Produktion zu optimieren.
Nachhaltigkeit in der Produktion
Die Umstellung auf die neue Produktgeneration ist Anlass für zahlreiche Investitionen. Ein automatisiertes Kleinteilelager, das erste in der Nutzfahrzeugbranche, wird errichtet, als Basis für ein neues Logistikkonzept. Eines von vielen Beispielen neuer Produktionstechniken findet sich im Rahmenbau. Hier werden Anbauteile an unterschiedlichen Positionen befestigt, es gibt dafür eine Vielzahl von Möglichkeiten. Deshalb wird bei den neuen Modellen die CAD-Dokumentation aus der Entwicklung übernommen und für den Werker als lesbare Montage-Information per Laser direkt auf dem Rahmenlängsträger angezeigt. Somit weiß er, wo Bauteile positioniert werden müssen, welches Verbindungselement – etwa eine Schraube – zu verwenden ist und welches Anzugsdrehmoment für diese Schraube vorgegeben ist. Nicht weniger faszinierend ist eine neue wasserlackbasierte Decklacklinie, sind Robotergärten im Rohbau, in denen sich Roboter Teile zur Weiterverarbeitung übergeben, ist das automatisierte Einkleben der Windschutzscheibe durch Roboter.
Parallel zum eingeleiteten Modellwechsel beim Actros produziert das Werk Wörth im Jahr 2011 knapp 108 000 Lkw – die Finanzkrise scheint schon vergessen. Trotz Steigerung der Produktion um rund ein Drittel sinken in diesem Jahr die Emissionen von Schwefeldioxid und NOx deutlich. Der Verbrauch an Erdgas und Heizöl sinkt, der Stromverbrauch steigt nur um zehn Prozent. Die Abfallmengen bleiben unverändert – ein Zeichen höherer Effizienz. Und sie steigt weiter: Ab Jahresende 2012 senkt ein neues Blockheizkraftwerk den Energieverbrauch um rund ein Viertel und die CO2-Emissionen um etwa 15 Prozent – das entspricht 22 000 Tonnen weniger CO2-Ausstoß.
2013: Das Lkw-Werk Wörth ist größtes Lkw-Werk der Welt
50 Jahre nach dem Bandablauf der ersten Lkw-Fahrerhäuser ist das Werk Wörth nicht nur das Kopfwerk innerhalb des weltweiten Produktions-netzwerks von Mercedes-Benz, es ist mit einer Kapazität von mehr als 100 000 Lkw im Jahr und rund 12 000 Mitarbeitern auch das größte Lkw-Werk der Welt. Das größte Werk ist auch das flexibelste: Heute entstehen auf dem Werksgelände in bunter Reihenfolge die Baureihen Atego, Antos, Actros und Arocs. Für eine Übergangszeit laufen außerdem die bisherigen Lkw-Baureihen parallel, für die auf Jahre hinaus auch Ersatzteile gefertigt werden. Hinzu kommt die separate Fertigung von Mercedes-Benz Special Trucks auf dem Werksgelände mit Unimog, Econic und Zetros. Alles zusammen eine beispiellose Variantenvielfalt und unbegrenzte Einsatzmöglichkeiten.
Das Werk Wörth ist der zweitgrößte Arbeitgeber des Bundeslandes Rheinland-Pfalz und von großer wirtschaftlicher Bedeutung weit über die Region hinaus. Es liefert Komplettfahrzeuge und CKD-Bausätze in mehr als 150 Länder. Jeden Tag treffen rund 500 Lkw-Ladungen mit Material ein. Umgekehrt verlassen an täglich bis zu 470 neue Lkw exakt nach Kundenwunsch das Werk. Die meisten werden von ihren Fahrern oder Besitzern selbst abgeholt.
Erhalten geblieben ist über alle Jahrzehnte hin das, was man seit turbulenten Anfangszeiten Mitte der sechziger als den „Wörther Geist“ bezeichnet: ein unglaubliches Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Mitarbeitern in guten und vor allem auch in weniger guten Zeiten, die gerade im zyklischen Nutzfahrzeuggeschäft sehr schnell aufeinanderfolgen. Ein Geist, der das größte Lkw-Werk der Welt zu einer ganz besonderen Produktionsstätte macht.
QUELLE: DaimlerAG