Um das Wirtschaftswunder des neuen Deutschlands zu unterstreichen, kam Mercedes-Benz im Jahre 1951 mit einem völlig neuen Modell auf den Markt der Luxusautomobile. Ein Wagen, der in der Tradition des „Großen Mercedes“ stehen sollte. Viele hohe Würdenträger und lndustriekapitäne scharten sich unter der Klientel dieses Topmodells. Diese erste völlig neue Kreation nach dem Krieg wurde ein großer Erfolg für das Stuttgarter Unternehmen, aber auch für die gesamte deutsche Nation.
Bereits 1946 erhielt Daimler-Benz die Zustimmung der Alliierten, den erfolgreichen 170 V wieder in Produktion zu nehmen. Drei Jahre später kam dann die größere Version, der 170 S. Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits zwei neue Modelle auf dem Zeichenbrett unter der technischen Führung von Fritz Nallinger.
Zum einen der 220, ein kleinerer Sechszylinder auf Basis des 170 S mit einem modernisierten Äußeren und dem gänzlich neuen 2,2 Liter Motor mit obenliegender Nockenwelle. Und zum anderen, mit nur ganz entfernter Anlehnung an die 170er Reihe, der neue 300 mit dem großen Sechszylindermotor mit knapp drei Litern Inhalt. Seine verhältnismäßig moderne Karosserie sitzt aber auf dem X-förmigen Ovalrohrrahmen, der konstruktiv immer noch aus dem 170 V stammt. Jedoch das Publikum schaut nicht unter‘s Blechkleid, sondern ist besonders entzückt von der Eleganz, die „der Große“ ausstrahlt.
Auf der IAA in Frankfurt 1951 wird die Öffentlichkeit fast magisch angezogen von den vielen Neuheiten. Dies leitet auch die allgemeine Mobilität der Europäer letztlich ein. Gutbrod, Fiat 500c „Topolino“, Lloyd 300 und der etwas größere Käfer sind die ersten Vorreiter. Der Unterschied zwischen diesen „Autochen“ und dem mächtigen Mercedes ist deutlich wahrnehmbar.
Das Publikum ist stark beeindruckt von der stattlichen Reiselimousine, die Kraft, unvergleichliche Qualität und Prestige ausstrahlt. Dabei darf man nicht vergessen, dass Deutschland sich gerade auch erst wieder international präsentieren kann. Deutschland ist nach dem Krieg immer noch schwer belastet; in moralischer, politischer und ökonomischer Hinsicht. In dieser Zeit wird keine Möglichkeit ausgelassen, der Welt zu zeigen: Wir sind wieder wer.
Die erste Automobilausstellung macht deutlich, daß Deutschland es ernst meint mit dem Wiederaufbau und dem Wirtschaftswunder. Für den Mittelstand bezeichnet dies der Umstieg vom Motorrad oder -roller auf das erste kleine Auto. Bei den Reichen und hochdotierten Funktionären fällt die Wahl auf Mercedes-Benz, ein Symbol des Wohlstandes. Understatement war damals noch keine Tugend.
Wie alles begann
Rudolf Uhlenhaut und Wolf-Dieter Bensinger arbeiteten mit einem kleinen Technikerteam an einem neuen Kraftbringer. Der letzte Sechszylinder, den Mercedes-Benz gebaut hatte, war der M 159 aus dem Typ 260. Dieser wurde auch im 260 M (Militärausführung mit Allradantrieb) und L 1500 A LKW in Militärausführung verbaut. Der 2,6 Liter Motor brachte den gut eineinhalb Tonnen schweren 260 auf eine Spitzengeschwindigkeit von immerhin 134 km/h, bei einer Leistung von 72 PS.
Die Zuverlässigkeit dieses Motors bewies er aber besonders in dem allradgetriebenen 260 M, dem keine Schonung zu Teil wurde. Ein Solex Fallstom–Doppelvergaser regelte hierbei die Gemischaufbereitung. Zu den interessantesten Geschehnissen um diesen Motor gehören eine Anzahl Experimente ab 1941, bei denen eine Benzineinspritzung getestet und weiterentwickelt wurde.
Dieser Motor auch soll derjenige sein, welcher das erste Nachkriegs-Spitzenmodell antreibt. Er wird umkonstruiert und erhält die neue Bezeichnung M 182. Im Mai 1949 steht die Planung: 44 Motoren werden gebaut zur definierten praktischen Entwicklung. Anfang 1950 allerdings teilt Fritz Nallinger mit, dass das Entwicklungsteam keine Möglichkeiten sieht, diese Maschine nach den modernsten Maßstäben zu bauen. Außerdem könne der Zylinderinhalt nicht von 2,6 auf 3 Liter vergrößert werden. Eine Anzahl technischer Verbesserungen, um den Wagen auf ein viel höheres Prestigeniveau zu bekommen, könnten bei dem kleinen Block ebenfalls nicht ausgeführt werden. Die Direktion zögert nicht lange und gibt grünes Licht für einen neuen Weg. Ab diesem Moment kommt ein viel moderneres Konzept auf die Zeichentafel und der nicht ganz ausgereifte M 182 (2,6 Liter) macht Platz für den Dreiliter-Motor mit der internen Bezeichnung M 186.
Diesem Vorstoß von Nallinger verdankt der 300 sein sehr modernes Aggregat mit obenliegender Nockenwelle und den zwei Solex Fallstomvergasern. Mit dem erstmals eingeführten Oktanzahlkompensators für Benzine mit abweichendem Oktanwert können unterschiedliche Kraftstoffqualitäten ohne große Krafteinbuße gefahren werden. Die Zündkerzen werden neuartig nicht mehr von oben in den Zylinderkopf geschraubt, sondern seitlich in den Rumpfblock mit seiner, an dieser Stelle schräggestellten Passfläche zum Kopf. Durch diese Neuplazierung sollte eine bessere Kühlung der Kerzen erreicht werden und außerdem ist diese Konstruktion bereits eine Vorbereitung auf eine spätere Einführung eines Einspritzsystems. Mit einem Inhalt von 2.996 cm³ entwickelt der Motor mit der siebenfach gelagerten Kurbelwelle stolze 115 PS. Der fast 1,8 Tonnen schwere Koloss vermag damit immerhin auf 160 km/h zu beschleunigen. Ein Wert, den viele Sportwagen zu dieser Zeit gerade erreichten. Der gleichzeitig eingeführte Sechszylinder 220 W 187 unterscheidet sich in einer ganzen Anzahl von Punkten. Dieser kleinere Bruder birgt ganze 35 PS weniger und seine Kurbelwelle ist nicht siebenmal, sondern nur viermal gelagert. Trotzdem gelten beide Motoren als besonders moderne Reihenmotoren mit Kipphebeln. Erwähnenswert sind hierbei auch die obenliegenden Nockenwellen deren Vorteil auch der vorbelastete Steuerkettenspanner mit hydraulischer Dämpfung ist.
Der 300 stand jedoch von Anfang an auch für die komfortable Reiselimousine, die die Konkurrenten in großem Abstand hinter sich lassen sollte. Dies resultierte hauptsächlich aus der Einzelradaufhängung mit Schraubenfedern, hydraulischen Stoßdämpfern und der bekannten Mercedes-Benz Pendelhinterachse.
Für einen noch höheren Komfort des Antriebs konstruierte man eine Hypoidverzahnung und ein dynamisch arbeitendes Differential. Anfangs noch als „Extra‘ (bis Fahrgestell # 00037/51), wurde die regelbare Torsionsstangenaufhängung noch im ersten Halbjahr zur Serie, Mittels eines elektrischen Drehschalters am Armaturenbrett konnte der Chauffeur die Federungseigenschaften der Hinterachse und damit den Fahrkomfort der jeweiligen Belastung der Hinterachse anpassen.
Als Neuheit wurden von Daimler-Benz die hydraulischen Stoßdämpfer eingeführt, die zwischen Achse und Rahmen diagonal und nicht wie bisher üblich innerhalb der Feder montiert sind. Das durch schlechte Fahrbahnuntergründe verursachte Schütteln und Stoßen in Sturzrichtung wurde hierdurch effizienter gedämpft. Diese technische Veränderung sieht man als einen großen Beitrag der Fahrsicherheit an und sie wird später von vielen Automobilfabrikanten übernommen. Das Vierganggetriebe ist natürlich bei einem so modernen Fahrzeug jetzt vollständig synchronisiert und dadurch entfällt das lästige „Zwischengas“. Lenkradschaltung ist ebenfalls obligatorisch, wodurch die sehr breiten Vordersitze schon fast eine durchgehende Sitzbank darstellen. Einzelne Fahrzeuge sollen auch als „Sechssitzer“ (vorne drei und hinten drei) zugelassen sein.
Noch einfacher wird die Fahrt, wenn man den Prospekten glauben darf, wenn man den Wagen mit dem ab September 1955 erhältlichen Automatikgetriebe bestellt.
Die Erfahrung lehrt uns nun, dass man halt nicht den Prospekten glauben darf. Nur wirklich wenige Fahrzeuge fahren mit dem Automaticgetriebe wirklich angenehm. Das Borg-Warner Getriebe, das aus einem Buick stammte, geringfügig verändert als Detroit-Gear in einem Jaguar noch recht gut seine Dienste tat, hielt die zweite Modifizierung einfach nicht mehr aus. Der 300er Motor hatte eine gänzlich andere Charakteristik als der dicke Buick-Motor. Alle Besitzer dieser Fahrzeuge können darüber klagen und haben sich letztlich mit dem ungewohnten Schaltverhalten abgefunden.
Auch große und größere Autos waren bis dahin mit 6 Volt-Anlagen ausgestattet, aber die technischen Finessen erzwangen geradezu die Umstellung auf 12 Volt-Technik. Erst einige Jahre später folgten alle Benziner-Pkw diesem guten Beispiel.
Der 300er bekommt von den Herren Gestaltern ein Styling, dass einen guten Kompromiss darstellt.
Zum Einen soll der neue Wagen den neuen Zeitgeist darstellen, und zum Anderen soll er aber auch die traditionellen Werte repräsentieren. Der Weg dahin war nicht einfach.
Nallinger ist 1949 absolut nicht begeistert von dem ersten 1:5 Modell. So erhält der vorbehaltlose Designzeichner Hermann Ahrens, der zu diesem Zeitpunkt 47 Jahre alt ist und vor knapp 20 Jahren erstmals in das Unternehmen eingetreten war, vom Vorstandsvorsitzenden Wilhelm Haspel den Auftrag, ein „echt schickes Auto“ zu zeichnen. Die Gestaltung sollte sich an bereits bestehenden Modellen orientieren. Wiederum nahm man den 230 (W 153) als Ausgangspunkt und kombinierte ihn mit vielen Elementen des 170 S. Die Karosserie soll zwar modern, aber minder progressiv sein. Die stark geschwungenen Kotflügel mit externen Lampen sollten halbintegrierten Scheinwerfern weichen. Die Welle des Kotflügels durfte gemindert, aber nicht abgeschafft werden, um die klassische Ausstrahlung zu erhalten.
Das Ergebnis war dann auch ein recht typisches „Fünfziger-Jahre-Produkt“. Die solide Menge Chrom und Blech macht auf den ersten Blick klar, dass es sich hier um eine Limousine der Spitzenklasse handelt. Auch das Interieur strahlt Klasse aus.
Ein reichhaltiges, behagliches Innenleben mit ungewöhnlich viel Platz, üppiger Ausstattung und angenehm zurückhaltender Modernität begeistert viele noch heute. Selbst der Standardstoff „Bedford-Cord“, vielmehr aber die Veloursausstattung heben die edle Verarbeitung hervor. Für den ungestörten Geschäftsbetrieb im Fond konnte eine Trennwand zum Mehrpreis von ungefähr 2.000,- DM geordert werden. Der Chauffeur saß dann vom Fahrgast absolut getrennt. Die Passagiere konnten von ihrer Seite aus die Trennscheibe allerdings auch herunterkurbeln. Für beide Räume gibt es hierbei ein eigenes Ventilations-, Zu- und Abluft-System. Es liegt auf der Hand, dass bei einem so repräsentativen Wagen natürlich mehr Wert auf die Bedürfnisse des Gastes geachtet wurde. Die hintere Sitzbank ist mit einer vornehmen, aufklappbaren Mittelarmlehne versehen. Außerdem spricht es auch für sich, dass sämtliche Holzteile echt, massiv und besonders poliert sind. Das Holzwerk wird noch schön abgewechselt durch die feinen Chromteile an den Instrumenten und als Trennung zum nächsten Material. Vom Innenraum her ist kein lackiertes Blechteil unverkleidet. Zum ersten mal in Berührung mit der Außenfarbe kommt man, wenn man durch die Fenster schaut, oder eine Türe öffnet. Eigenwillig für Mercedes-Benz ist das quer-längliche Kombiinstrument. Während bei vielen anderen Herstellern die wildesten Formen schon ausprobiert worden waren, war dies der erste Vorstoß von Mercedes, weg von den traditionellen Rundskalen. Mitten im Armaturenbrett war der Platz für ein Radio bereits von Anfang an vorgesehen. Der Kunde konnte frei wählen, ob er statt der Zierblende ein Telefunkenradio mit Drucktasten für ca. 600,- DM oder das Becker Nürburg für rund 800,- DM Zusatzkosten erstehen wollte.
Unterhalb des Armarturenbrettes kam die in Chrom gefasste Schalterleiste und darunter ein schmaler gepolsterter Streifen, der, außer bei der Lederausstattung, immer in dunkelbraun gehalten war. Dieser gepolsterte Abschluss sollte als Element der passiven Sicherheit den Fahrgast beim Aufprall schützen. Geholfen hat es wohl in den seltensten Fällen. Die Anordnung der Polsterung in feinstem Velours, die eleganten Türverkleidungen, die gepolsterten Türarmlehnen, Chrom- und Holzleisten und die notwendigen Türgriffe und Fensterkurbeln sind dem Körper nach dem goldenen Schnitt angepasst. Ein Faltschiebedach, dass sich praktisch über die gesamte Länge des Daches erstreckt, gab es gegen einen Aufpreis von rund 1.000,- DM.
Das Reserverad steht erstmals senkrecht im Kofferraum und zwar rechts neben dem Tank. Die Position, die für Jahrzehnte beibehalten weden sollte. Links daneben ist ebenfalls eine gleich geformte Mulde, die, mit einem Brett abgedeckt, einiges an Werkzeug oder anderen Utensilien bergen kann. Das Kofferset, das man zum 300 maßgenau ordern konnte, bestand aus einem Damen- und einem Herrenkoffer, sowie zwei Hutköfferchen.
Das Cabrio D schließt nur noch mit seiner Bezeichnung nahtlos an die Vorkriegsfahrzeuge an. Als Cabriolet D werden bei Daimler-Benz richtige Vollcabriolets (im Gegensatz zur Cabrio-Limousine) mit vier Türen und vier Fenstern seitlich bezeichnet. Das erste 300 Cabriolet D gab es seit März 1952 auf dem Markt. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass dieses Cabrio D eines der elegantesten und mit größter Perfektion gebauten Automobile in diesen Jahren war. Überkommt einen schon bei der Limousine einige Ehrfurcht, potenziert sich dieser Effekt enorm beim Anblick des imposanten Cabriolets. Nur die wirklich großen Industriebosse und bekannte Gesichter der Filmwelt leisteten sich diese Wagen. Durch den Cabrio-Aufbau mit Verdeckgestänge und anderen Anbauteilen hat das ohnehin schon schwere „Flaggschiff der Deutschen Industrie“ nochmals gute 50 kg zugelegt. Das Verdeck ist, durch mehrere Federn unterstützt, recht einfach in der Handhabung. Ganz perfekt saßen jedoch auch die Verdecke ab Werk nicht. Wer heute ein Dach hat, welches 100% falten- und wellenfrei sitzt, kann sich besonders glücklich schätzen. Das Öffnen des Daches ist eigentlich ein Kinderspiel, wenn man mindestens eine Körpergröße von 1 ‚75 m misst. Kleinere Menschen müssen schon mal auf die Trittbretter der geöffneten Türen treten, um das Dach zu bedienen. Zum Schließen braucht es allerdings etwas mehr Übung. Zum ersten muss man darauf achten, dass die Sonnenblenden nach unten geklappt sind. So manche Sonnenblende, die nähere Bekanntschaft mit dem Verschlußhebel gemacht hat, hat dies nicht schadlos überstanden.
Als nächstes bedarf es bei neueren und besonders faltenfrei sitzenden Verdecken einer gewissen Anstrengung die Verschlußzapfen in die dazugehörigen Knebel zu bringen. Die, auch häufig als „Kinderwagenbügel“ bezeichneten, verchromten Sturmstangen (außen seitlich im hinteren Teil des Daches) helfen hierbei unterstützend.
Bei geöffnetem Dach reicht der normale Limousinen-lnnenspiegel nicht aus, um die rückwärtige Sicht zu gewährleisten. Dafür hat das Cabriolet einen Spiegel, den man nicht nur nach oben drehen kann, sondern in sich durch eine Teleskopstange noch nach oben verlängerbar ist. Länger als die knappe Minute, die man benötigt um das Dach zu öffnen oder schließen, benötigt man für die Anbringung der Verdeckhülle. Ein geübter Fahrer hat dazu nämlich rund fünf Minuten nötig. Diese Zeit muss aber investiert werden, da man ohne Verdeckhülle wegen der Verletzungsgefahr nicht fahren darf.
Ich denke jedoch, dass ein Polizist viel zu viel an einem solchen Auto zu sehen und zu erfragen hat, als dass er auf solche Kleinigkeiten auch noch achtet. . .