von Aron Willers Retromotion GmbH
Wer schon einmal die Möglichkeit hatte, den Libanon, Ägypten oder Marokko zu besuchen, dem wird neben der Gastfreundschaft, der Kultur des Orients und dem guten Essen aufgefallen sein, dass sich im Straßenverkehr viele Import-Gebrauchtwagen aus Deutschland tummeln. Inmitten des dichten, chaotischen Beiruter Verkehrs mit seinem lautem Gehupe sowie waghalsigen und helmlosen Roller-Fahrern ist ein alter verbeulter Sprinter mit der verblassten Aufschrift „Malerbetrieb Müller“ keine Seltenheit. Doch wer den Libanon, Ägypten oder Marokko für ein paar Tage bereist, dem werden die alten Mercedes-Benz W123 Limousinen auffallen, die sich dort häufig als Privatwagen oder Taxi im Alltag bewegen.
Bildrecht: JalilArfaoui, Grand taxi à Chefchaouen, CC BY 3.0
Die klassischen Fahrzeuge gehören zum alltäglichen Straßenbild in vielen Ländern des Orients und Afrikas.Exportschlager Mercedes-Benz W123
Zwischen 1975 bis 1986 liefen insgesamt 2.696.915 Fahrzeuge der Baureihe 123 vom Band, von denen ca. 40%, also knapp eine Millionen Autos, direkt in den Export gingen. Ein Großteil der deutschen Gebrauchtwagen ging dann später zusätzlich in den Export nach Osteuropa, Afrika und den nahen Osten, wo viele eine neue Verwendung als Taxi oder Privatfahrzeug fanden. Weitere Gründe für die noch heute so große Verbreitung des W123 im Nahen Osten und Afrika sind darüber hinaus auch die unglaubliche Langlebigkeit des Modells sowie die Künste der marokkanischen, afrikanischen, ägyptischen und libanesischen KFZ-Mechaniker, aus allem ein passendes Ersatzteil herzustellen. Mit Kunstfertigkeit, Handwerk und geschickten Händen bekommen die Schrauber in ihren Werkstätten jeden Wagen wieder fahrtüchtig – ganz ohne Anbindung an das Ersatzteil-Netz von Mercedes-Benz und zu günstigen Preisen.
Trotz seines Guten Rufes hatte der W123 auch Schwachstellen: typisch sind Probleme mit dem Kraftstoffpumpenrelais oder der Wasserpumpe. Außerdem waren die Fahrzeuge aus den 1970er Jahren rostanfälliger als die der 1980er.
Bildrecht: Ankara, TaxiTripoli, CC BY-SA 3.0
An diesem grünen W123-Taxi in Tripoli, Libnanon, sind noch die Aufkleber des ursprünglichen Besitzers aus Deutschland zu erkennen.Wichtige Infrastruktur – Das Grand Taxi in Marokko
Die Dichte der W123 ist in Marokko am höchsten – dort, wo keine oder nur wenige öffentlichen Busse oder Straßenbahnen den Menschen als Fortbewegungsmittel zur Verfügung stehen, heißen sie “Grand Taxi” und sind als Sammeltaxi im täglichen Einsatz und fahren noch immer ihre Fahrgäste zuverlässig und sicher ans Ziel. Die Gründe für das hohe Vorkommen an W123 im Orient und Afrika sind also die hohe Anzahl an gefertigten und exportierten Wagen sowie die Robustheit des Modells. Einem Mercedes-Benz, made in Germany, vertrauen darüber hinaus auch hier die meisten der Taxifahrer mehr als einem Neuwagen.
Bildrecht: 300td.org, Taxis frontera, CC BY 2.0
„Grand Taxis“ in Ceuta, nahe der Grenze zur spanischen Exklave. Die Sammeltaxis stellen einen wichtigen Teil der Fortbewegung in Marokko dar.Trotz der langjährigen Geschichte und Existenz des W123 im Alltag dieser Länder verschwindet er auch dort zusehends von den Straßen. Grund dafür ist die Luftverschmutzung und die mangelnde Sicherheit der alten Limousinen im Vergleich zu modernen Neuwagen.
Der W123 im Fokus der Klimapolitik
Der ägyptische Staat möchte stärker gegen die zunehmende Luftverschmutzung vorgehen und subventioniert den Kauf neuer Fahrzeuge, um so die Taxifahrer und Autobesitzer zum Kauf eines klimaneutralen und sicheren Autos zu bewegen. Die neue Zulassung eines alten gebrauchten Fahrzeuges als Taxi ist mittlerweile nicht mehr möglich und so verschwinden viele Oldtimer leider zunehmend aus dem Straßenbild. Einige Taxifahrer vertrauen aber noch immer nicht den neuen „Plastik-Autos“, bei denen ihrer Meinung nach schon nach kurzer Zeit Teile erneuert werden müssen. Sie werden ihren W123 fahren bis er auseinanderfallen wird.
In Marokko ist die Situation eine andere, obwohl auch hier der Staat gegen die Luftverschmutzung vorgehen möchte und ihm die alten Mercedes-Fahrzeuge wegen ihrer Emissionen ebenfalls ein Dorn im Auge sind. Der marokkanische Staat zahlt zwar seinen Bürgern die Hälfte des Anschaffungspreises eines Neuwagens, für die meisten ist das jedoch noch immer ein unbezahlbarer Preis. Im Gegensatz zu Ägypten hat Marokko zudem die Zulassung der alten schwäbischen Limousinen als Taxi noch nicht reglementiert oder verboten.
Abgesehen von der Kaufprämie für Neuwagen wollen viele der erfahrenen Taxifahrer keinen anderen Wagen als den W123 fahren, obwohl einige der Oldtimer bereits über eine Million Kilometer auf dem Tacho haben. So wird der alte deutsche Klassiker zumindest in Marokko weiterhin zum Alltag gehören, auch wenn er dort langsam aber sicher der Modernisierung weichen wird.
Bildrecht: MustaSensei, Grand Taxi Morocco Inzgane2, CC BY-SA 4.0
Ein „Grand Taxi“ umringt von Neuwagen – trotz ihrer Zuverlässigkeit verschwinden die alten Klassiker langsam aus dem Straßenbild Marokkos.Ob Taxifahrer im nahen Osten oder deutsches Mitglied in einem W123-Club, in Bezug auf ihr Lieblings-Fahrzeug unterscheidet sie nichts – sie lieben und pflegen ihre alten Mercedes-Benz W123.
QUELLE: https://retromotion.com/de/stories/am-anderen-ende-der-welt-der-mercedes-benz-w123-im-alltag.html mit freundlicher Genehmigung von Aron Willers – Head of Marketing – Retromotion GmbH – Quellenstraße 7a – 70376 Stuttgart