Aus der Clubzeitung: Der Luftreifen

von Dieter Ritter 
aus der MVC-Depesche 4/2013

Verursacher war auch hier ein Dreirad, allerdings für Kinder

Nachbau des ersten Dunlop Reifens

Mit einer kleinen Erfindung wurde bereits vor 125 Jahren der Grundstein für die moderne Mobilität gelegt. Am 28. Februar 1888 erfand John Boyd Dunlop den Luftreifen, nach dessen Grundprinzip Reifen auch heute noch funktionieren. Dabei hatte der gelernte Tierarzt aus Belfast nicht etwa die Revolutionierung einer ganzen Industrie vor Augen. Vielmehr beschwerte sich sein Sohn Johnny über das schwerfällige Vorankommen mit seinem neuen Dreirad. Der Vater klebte kurzerhand aus einer dünnen Gummiplatte einen Schlauch, zog ihn auf eine Holzscheibe, bedeckte ihn mit einem Leinenstreifen, nahm als Ventil einen Schnuller und pumpte ihn mit einer Fußballpumpe auf. Am 28. Februar war das neue Dreirad fertig und Sohn Johnny testete das neue Gefährt bis spät in die Nacht. Am nächsten Morgen untersuchten beide die Reifen auf Schäden von den überall herumliegenden Steinen. Aber die neuen luftgefüllten Reifen sahen tadellos aus. Die begeisterten Berichte des Sohnes und 60 Meilen ohne Panne bestätigten den Vater, an den Erfolg zu glauben und am 23. Juli desselben Jahres reichte er seine Erfindung zum Patent ein.

So banal die Erfindung heute ist, dass Luft unsere Fahrzeuge trägt, so bahnbrechend war sie Ende des 19. Jahrhunderts. Damit begann eine Erfolgsstory, die bis heute die weltweite Reifenindustrie prägt. Bereits ein Jahr nach der Erfindung feierte der irische Radrennfahrer William Hume vier Siege auf seinem Fahrrad mit Dunlop-

Reifen bei den Queens College Sportspielen. Auch beim Fahrradreifen kam wieder Segeltuch als Abdeckung zum Einsatz, das durch die Speichen hindurch gezogen wurde. Die eigenartige Optik verhalf dem Reifen zum Spitznahmen „Mummy Tyre“ (Mumienreifen). Hume, der eher als durchschnittlicher Radfahrer galt, startete mit der Neuentwicklung und gewann alle seine Rennen, auch wenn die Konkurrenz auf dem Papier klar überlegen schien.

John Boyd Dunlop ein Name, der für Reifen steht

Zusammen mit Harvey du Cros, Vizepräsident des irischen Radrennfahrer-Verbandes, gründete John Boyd Dunlop 1889 die „The Pneumatic Tyre and Booth Cycle Agency Ltd.“. In den ersten Jahren konzentrierte man sich
auf das Geschäft mit Fahrradreifen und schnell florierte und expandierte das Geschäft. Bereits 1893 wurde die
„The Dunlop Pneumatic and Tyre Co.” in Hanau gegründet und mit dem Bau des ersten Reifenwerkes auf dem
europäischen Festland begonnen. Seit 1902 bis heute werden im Hanauer Werk Pkw-Reifen – heute unter dem Firmennamen Goodyear Dunlop Tires Germany – hergestellt. Der Grundstein für die Motorsport-Geschichte von Dunlop wurde bereits 1902 beim Rennen Paris-Wien gelegt, das Marcel Renault gewann. Den ersten Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans feierte man 1924 und 1969 wurde Jackie Stewart einer der vielen Formel 1-Weltmeister.

Robert William Thomson und Charles Goodyear

Erfunden hat die luftgefüllten Reifen aber eigentlich der schottische Tüftler Robert William Thomson. Aus aufgeblasenen Tierdärmen fertigte er die ersten Pneumatics und erhielt dafür am 10. Dezember 1845 das Patent auf Luftreifen. Verwerten konnte der Erfinder sein Patent allerdings nicht, denn es fehlte noch an geeigneten Fahrzeugen für Luftreifen. Die Tragkraft bei Kutschen ließ einen Einsatz nicht zu, das Fahrrad war noch nicht so weit.

Auch der Amerikaner Charles Goodyear war seiner Zeit zu weit voraus als er 1839 die Vulkanisation des Kautschuks entdeckte und das Hartgummi erfand. Geld verdiente er kaum mit seinen Entdeckungen. Zu weltweitem Ruhm gelangte Goodyear erst posthum, als der Amerikaner Frank Seiberling eine 1898 gegründete Kautschukfabrik nach dem Erfinder benannte.

Edouard Michelin

Bei der Serienproduktion von Autoreifen hatten dann die Franzosen die Nase vorn. Edouard Michelin erkannte
1889 das Marktpotential für die komfortablen und schnell laufenden Luftreifen. Diese hatten aber ein entscheidendes Manko: schlechte Straßen und abgefallene Pferdehufnägel verursachten regelmäßig die berühmten Plattfüsse. Eine Reparatur dauerte knapp zehn Stunden. Kein Wunder, dass sich Michelin daher zunächst mit einer Verkürzung dieser Zeit beschäftigte. Folgerichtig meldete er 1891 ein Patent für demontierbare Luftreifen an. Der Durchbruch kam 1894, als die ersten Pariser Taxis auf Luftreifen umstiegen. Aus Marketingsicht kam dann 1895 auch im Rennsport die Bestätigung: Ein Peugeot mit Michelin Luftreifen kam beim Langstreckenrennen Paris-Bordeaux innerhalb des vorgegebenen Zeitlimits ins Ziel. In Anbetracht, dass alle 150 Kilometer die Reifen gewechselt werden mussten eine wahre Meisterleistung.

Continental

1898 startete auch bei Continental in Hannover die Serienproduktion von profillosen Autoreifen. Spätestens jetzt
konnte kein namhafter Automobilbauer auf das Angebot von Luftreifen verzichten. 1901 gewann ein Mercedes benannter Daimler-Wagen auf Pneumatics das Rennen von Nizza. Fast nebenbei demonstrierte der dank kompakter Luftreifen elegante gezeichnete Mercedes den optischen Unterschied zu unförmigen Stahlrad- oder Vollgummiwagen. Der Übergang zum modernen Auto war bewältigt als Continental 1904 den weltweiten ersten Profilreifen einführte und 1905 sogar einen rutschhemmenden Nietengleitschutzketten-Reifen für den Wintereinsatz.

Dunlop Tires

Schon 1922 überlegten Dunlop-Entwickler, wie eine höhere Belastbarkeit von Autoreifen erreicht werden könnte.
Vor allem die Nutzungsdauer sollte dadurch deutlich verlängert werden. Die Antwort war ein Produkt mit Stahlwulst und Cordgewebe in der Reifendecke, das von der Felge abgenommen werden konnte. Die Bauweise des nun deutlich widerstandsfähigeren Reifens wurde im Anschluss zum Industriestandard.

Mit zunehmendem technologischem Fortschritt gewann auch der Sicherheitsaspekt bei der Entwicklung immer
mehr an Bedeutung. So konnte Dunlop mit der Erforschung des damals noch unerklärlichen Aquaplaning-
Phänomens in den 1960er-Jahren einen weiteren Maßstab für die gesamte Reifenindustrie setzen. Ein damals
völlig neuer Reifentyp mit von Mikrokanälen durchzogenem Profil sorgt bis heute dafür, dass bei nasser Fahrbahn
Wasser aus der Aufstandsfläche des Reifens abgeleitet wird. So kann das Risiko des Aufschwimmens deutlich
verringert werden.

Fotos Continental, Dunlop, Michelin