Aus der Clubzeitung: Größe Doppel-D

aus der >DEPESCHE 04/2004< des Mercedes-Benz Veteranen Club von Deutschland e.V.

Eine Rarität ersten Ranges ist das 300 d Cabrio D immer. Da wäre zunächst die Ausnahmestellung des 300 d im allgemeinen, als letztes X-Rohr Rahmenfahrzeug von Daimler-Benz; als zweites sein Status als große deutsche Staatslimousine mit dem Beinahmen des damals scheidenden Deutschen Kanzlers. Drittens ist der 300 d auch als Limousine schon ungewöhnlich, weil die B-Säulen nicht bis oben durchgehen und man so etwas als Hardtop-Limousine bezeichnet. Der nächste Punkt ist der Einspritzmotor, den es bis dahin nur in Renn– und  Sportwagen gab; dann die serienmäßige Ausstattung mit dem Automatic-Getriebe.

1951 mit Vergasermotor und bescheidenen 115 PS vorgestellt, ist der repräsentative 300, den es als Limousine  und viersitziges Cabriolet gab, der „große Mercedes“ der ersten Wirtschaftswunderjahre und angemessenes Gefährt für die Staatsspitze.

Wenngleich er im weltweiten Vergleich weder der Größte noch der Stärkste war, stellte er in der Nachkriegszeit einen Meilenstein der deutschen Automobilbauer dar. Stärker und besonders im Innenraum war aus deutscher Produktion nichts größeres zu haben. Die Vorliebe des ersten Bundeskanzlers für seinen Dienstwagen führte zur inoffiziellen Bezeichnung „Adenauer-Mercedes“. Die dritte Version, 1955 als 300 c präsentiert, war als erster Mercedes wahlweise mit automatischem Getriebe zu haben. Im 1957 eingeführten 300 d war das Automatikgetriebe serienmäßig und das Schaltgetriebe war ein bestellbares Extra (gegen Minderpreis – Anm.d.Red.).

Ab 1957 bestimmte auch eine neue Technik das Geschehen im Motor. Die indirekte Benzineinspritzung, genauer, die „Intermittierende Saugrohr-Einspritzung“, bei der der Kraftstoffnebel nicht mehr direkt in den Brennraum, sondern in das Saugrohr eingespritzt wird. Seinen ersten Einsatz hatte das neue Verfahren im nämlich eben in diesem Mercedes-Benz 300 d, der letzten der vier Versionen der bis 1962 gebauten 300er Modellreihe.

Benzin-Direkteinspritzung

Technische Innovationen liegen manchmal buchstäblich in der Luft. Wie die Kompressortechnologie und einige andere innovative Konstruktionsprinzipien, die im Fahrzeugbau zu allgemeiner Bekanntheit gelangten, ist auch die Benzineinspritzung ein Produkt der Flugmotorenentwicklung. Nur zwei Jahre, nachdem der junge Daimler-Benz-Ingenieur Hans Scherenberg die Leitung des 1934 begonnenen Projekts übernommen hatte, ging im November 1937 der 12-Zylinder-Flugmotor DB 601 A als erster Motor mit Benzineinspritzung in die
Serienproduktion. Gegenüber der Vergaserausführung entwickelte er deutlich mehr Leistung bei geringerem Verbrauch.

Scherenberg, der mittlerweile über das Thema promoviert hatte, entwickelte die Benzineinspritzung auch im Fahrzeugbereich zur Serienreife. Der 300 SL, 1954 präsentiert, hatte als weltweit erster Serien-Pkw einen Viertaktmotor mit Benzineinspritzung. Der wortwörtlich prachtvolle 300 Sc, 1955 vorgestellt, hat ebenfalls Benzindirekteinspritzung, allerdings in zahmerer Fassung.

Doch erst der 300 d erhielt die indirekte Einspritzung und die hat entscheidende Vorteile. Besondere Betriebszustände wie Kaltlauf, Warmlaufphase, Ansauglufttemperatur und Höhenlage wurden der Einspritzpumpe – mangels der noch nicht verfügbaren Elektronik – auf mechanischem Wege mitgeteilt. Trotzdem gewann der Einspritzer gegenüber dem Vergasermodell an Laufkultur, Leistung, Elastizität und Durchzugsvermögen. Dazu kommt eine vereinfachte Wartung. Außer – ja außer heutzutage, da die Fahrzeuge ja nicht mehr normal gewartet werden, sondern Restauriert werden wollen.

Dabei wären drei Doppelvergaser von den Überholungskosten immer noch deutlich billiger als eine Einspritzpumpe. Doch immerhin 160-PS (118-kW) leistete der Einspritzmotor, eine Spitzengeschwindigkeit von 170 km/h und eine Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 17 Sekunden. Keine schlechten Werte für eine solch große Limousine. Andererseits auch kein Wunder, hatte er doch das leicht modifizierte Triebwerk aus dem 300 SL erhalten. Trotzdem fährt sich der 300 d alles andere als sportlich. Gerade im Vergleich zum 300 b konnte jeder leicht ausmachen, welchen Unterschied die zwei Fahrzeuge boten. Sogar im Vergleich zum 300 c hatte er nochmals 90 Kilogramm zugelegt. Aber das lag weniger an dem hardtopartigen Dach sondern dem mehr rechteckig denn rund ausladenden Heck. Die durchgreifend geänderte Karosserie mit den wuchtigeren Stoßfängern, der um 100 auf 3150 Millimeter angewachsene Radstand, die wie bei einem Coupé voll versenkbaren Fenster, mehr Platz im Fond und eine nochmals gesteigerten Ausstattung ließen keine Verwechslung mit seinem Stammesvater mehr zu.

Wenngleich der 300 d der letzte Mercedes-Benz der „klassischen“ Bauweise ist und seine Karosserie auf einem stabilen X-Ovalrohrrahmen liegt, fuhr er sich doch amerikanischer als mancher Amerikaner. Das Automatic-Getriebe nahm dabei dem Motor die sportliche Note und ließ einen mehr ins „cruisen“ geraten. Eine forsche Fahrweise  unterband dieses Getriebe ebenso wie die Fahrt mit hohen Geschwindigkeiten. Manchmal gar lästig erscheint einem noch heute, dass das Getriebe von Borg-Warner genau in dem Geschwindigkeitsbereich seinen Schaltpunkt vom 2. in den 3. Gang hat, den man innerorts am meisten fährt: Zwischen 50 und 60 km/h. Das lag hauptsächlich daran, da das Getriebe nicht für diesen Motor und dessen Charakteristik konstruiert war, sondern aus einem Buick kommend in ein Modell von Jaguar wechselte und  dann einfach zum 300er adaptiert wurde. Gerade diesem Umstand ist es auch zu verdanken, dass man sich bei ca. 120 km/h wünschte, der vierte Gang möge doch endlich eingelegt werden – doch der kommt erst mit Godot – nämlich nie!

Eine Besonderheit die ebenfalls ganz typisch amerikanisch ist, war das Starten des Boliden: Schlüssel herum
drehen und wer dann schlau genug ist, bricht zumindest denselben nicht ab bei dem Versuch. Einen sichtbaren
Starterknopf gibt es nicht und auch keinen versteckten wie beim 220 W187. Nein , über den  Schalt-beziehungsweise den Gangwahlhebel in der Stellung 0 wird dann der Anlasser betätigt. Citroën verfolgte ein ähnliches Prinzip in den „D“ Modellen, aber auch sehr viele amerikanischen Automobile wurden so gestartet.

Anders als diese war der 300 d selbstverständlich ein Vorbild an Verarbeitungsqualität. Unvergleichlich solide und sauber wurde der „Adenauer“ in Schwaben gefertigt. Die Straßenlage bei dieser Länge und Breite war natürlich gut, trotzdem konnte er mit einem Spielraum glänzen, der die Leistungsgrenze rechtzeitig ankündigte.
Die „Vollumsichtkarosserie“ wurde nur durch zierliche A– und D-Säulen unterbrochen. Der große Innenraum
bot sogar sechs Personen ausreichend Platz, wenn man nicht gerade ein Modell mit Trennscheibe besaß. Auch
ein Stahlschiebedach von WeBaSto war nicht ungewöhnlich.

Obwohl die anderen Versionen immer auch als Cabrio D angeboten wurden, hatte man das beim 300 d direkt abgelehnt. „Die gesamte formgestalterische Linie würde darunter leiden“ hieß es lapidar. Da es aber immer sehr gut betuchte Menschen gab, die es eben etwas anders haben wollten, wurden ein Jahr nach erscheinen die ersten drei Cabriolets gebaut. Eine Serienfertigung war zu keinem Zeitpunkt vorgesehen. Und um diese „Mode“ auch nicht einreißen zu lassen, verteuerte dieser Sonderwunsch das Fahrzeug um ein Drittel. In keinem der verbleibenden Produktionsjahre wurden dementsprechend mehr als 23 Exemplare hergestellt. Von 1957 bis 1962 wurden also insgesamt 3142 Mercedes-Benz 300 d gebaut, davon aber nur 65 Cabriolet D!

Das Cabriolet war nochmal etwas schwerer als die Limousine (50 kg) und der so gepriesene „Rundumblick“
entfiel dementsprechend. Wenngleich der 300 d als Cabriolet eine vergleichsweise große Heckscheibe aus
dem jetzt bewährten flexiblen Kunststoff „Astraglas“ besaß und damit mehr „Rücksicht“ bot als die Vorgänger mit ihren „Schießscharten“ musste der rückwärtige Verkehr doch uninteressant bleiben. Selbst bei geöffnetem Verdeck bietet das Cabriolet aufgrund des Verdeckwulstes nicht so viel Sicht nach hinten wie die Limousine. Dass durch das Verdeck jedoch die Formgestalterische Linie leiden würde, kann heute eindeutig widerlegt werden.

Geliefert wurde dieser 300 d D mit der Fahrgestellnummer 189033-12-001921 übrigens am 8. Februar 1960 an das Rockefeller Centre in New York. „Ah, das Auto von Rockefeller also – na der hatte damals schon genug Geld“, hör ich schon einige sagen, aber das ist etwas anders. Im Grund-Büro des Rockefeller-Plaza auf der Fifth Avenue war der Sitz der Daimler-Benz of North-Amerika vertreten. Wer den laut Auslieferungspapieren hellblauen  300er damals bestellt hatte, war leider nicht zu ermitteln. Auffällig ist jedoch, das nicht der separat und lose mitgelieferte linke Außenspiegel montiert wurde, sondern einer aus dortiger Produktion und dies auch noch mit der Präzision eines illegalen Einwanderers. Trotzdem, genau so etwas gehört zur Geschichte dieses Wagens.

Heute erstahlt der offene 300 dD in einem dezenten grau mit schwarzem Dach. Original ist hingegen die rote Lederausstattung, die ihm einen intensiven Farbklecks verabreicht. Das dies tatsächlich ein echtes 60er Baujahr ist erkennt man daran, dass die Ganganzeige nicht mehr wie vorher auf der Lenksäule sondern links in der Instrumententafel zu Hause ist.

„Ist a fun to drive!“ verrät ein Werbeplakat aus dem gleichen Jahr und wir können nur zustimmen. 1960 wurden auf Basis des 300 d außerdem noch drei ungewöhnliche Wagen in extra langer Ausführung und mit extra hohem Dachaufsatz gebaut, eine Limousine und zwei Landaulets, von denen eines Papst Johannes XXIII erhielt. Dieses Auto gehört heute zur Sammlung des Mercedes-Benz Museums in Stuttgart. Die beiden anderen Wagen behielt Daimler-Benz im firmeneigenen Fuhrpark. Sie wurden, mit Chauffeur, tageweise für Repräsentationszwecke an die Regierung oder andere Interessenten vermietet. Aber das nur nebenbei.

JE mit freundlicher Unterstützung von
www.PS-Classic.com und
www.DerOldtimerservice.de