aus der MVC Depesche 2013 / 03 von Willy Krieg
Die Autobahn-Gangster
Diese gab es etwa zwischen 1951 und 1956 in der damaligen britischen Besatzungszone, also im heutigen
Nordrhein-Westfalen, sie raubten LKWs aus.
Dazu muss man wissen, dass die damaligen LKWs eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h maximal 60 km/h hatten. Bedingt durch geringe Motorleistung und schlechte Reifen. Dazu waren meist auch noch zwei Anhänger hinten angehangen. Bei der geringsten Steigung ging die Geschwindigkeit runter auf 20 bis 30 km/h. Ein 105 PS Büssing spürt die geringste Steigung, dazu noch 2 Anhänger mit Ladung hinten dran.
Auf der Autobahn war meistens an den Flussüberquerungen von den Fahrbahnen nur eine Spur von den Kriegsschäden beseitigt. Standstreifen und Leitplanken die gab es noch nicht. Oft war neben der eigentlichen Fahrbahn noch eine Behelfsspur, um bei gesprengten oder im Bau befindlichen Fluss-Brücken diese über die Landstraße zu umfahren, um dann wieder auf die Autobahn zurückzukehren. Also ein Verkehr mit erheblichen Hindernissen. Da noch nicht alle Leute vom langsam aufkommenden Wirtschaftswunder profitierten, suchte man Möglichkeiten, um das zu ändern, auch ohne einer festen Arbeit nachzugehen.
Das Leichteste war damals wie heute, einfach stehlen. Man raubte LKW aus, und das ging so: Da die Produktionsstätten meist nah an den Städten oder am Rande dieser waren, gab es meistens auch eine Gaststätte/Kneipe. Da verkehrten sowohl die Arbeiter als auch die Fahrer von LKWs und natürlich auch die
Gangster, die hier die Möglichkeiten hatten, Fahrten mit interessanter Ladung und die Fahrtrouten zu erkunden.
In der Regel fuhr immer der gleiche Spediteur für die Herstellerfirma. Eine Vernetzung so wie heute gab es nicht.
Eine andere Möglichkeit ergab sich an den Raststätten. Dort wurden LKW-Fahrer ausgespäht. Oft auch durch „Damen“, die meist auch als Anhalter mitgenommen werden wollten. Meist Frauen von der Gang. Hier kamen Frauen der Gang zum Einsatz, die meist körperlich etwas üppiger ausgestattet waren. Während der Fahrt hatten diese „Damen“ auch die Aufgabe, den Fahrer an den bekannten Abwurfstellen etwas abzulenken. An den vorgegebenen Abwurfstellen, wo die LKWs langsamer fahren, sprangen die Gangster von einer Brücke von oben auf die LKW oder Hänger und raubten diese aus. Sie schnitten die Verdeckplane auf und warfen die Ladung einfach seitlich in die Böschung, die aus Sträuchern und Büschen bestand. Da das alles bei geringer Geschwindigkeit stattfand war die Möglichkeit des daneben Springens gering. Der Fahrer des LKW hatte keine Chance, das Aufspringen und Abwerfen zu erkennen.
Der 2. Weltkrieg war noch nicht lange vorbei und einige Soldaten waren ja entsprechend ausgebildet, z. B. Fallschirmjäger. Die Einsammler der abgeworfenen Ware wurden von PKW in die Abwurfstellen verbracht oder
befanden sich bereits an verabredeter Stelle. Sie wurden aufgesammelt, mitsamt der abgeworfenen Ware oder die Aufsammler legten ein Depot an, meist noch getarnt. Ein Anhalten auf der Autobahn war damals nicht ungewöhnlich, sondern üblich. Für die Fahrten der Gang stand ein 51/53 Opel Kapitän zur Verfügung in schwarzer Farbe. Die Polizei fuhr zu der Zeit VW Käfer und hatte beim verfolgen wenig Chancen.
Mit der Zeit wurden doch einige Einzelheiten über die Bande und deren Handlungsweise bekannt. Weil der Verkehr geringer war und der Opel Kapitän 51/53 nicht so häufig war, musste die Bande umdenken. Auf der Autobahn gab es Polizeiwachen. Auch wurden die Polizeifahrzeuge vermehrt mit Funk ausgestattet. Das stellte für die Autobahngangster zunehmend die Gefahr dar, entdeckt zu werden. Deshalb ging man dazu über, den Opel Kapitän verschwinden zu lassen. Dazu wurde ein Möbelwagen auf dem nächsten Parkplatz oder in der Nähe einer Ausfahrt platziert. Da wurde dann der Opel Kapitän mittels Auffahrschienen verladen und war verschwunden.
Die Autobahngangster wurden nie gefasst. Fortan hieß der 51/53 Opel Kapitän „Gangster-Kapitän“.
Über die Tätigkeiten der Autobahngangster wurde auch ein Film gedreht. Mich persönlich hat die Sache auch am Rande berührt. Und das war so: Als Jugendlicher habe ich Radsport betrieben und das war teuer. Ein Rennreifen von Pirelli kostete damals 27,– Mark. Da man von zu Hause aus nichts bekam, arbeitete man neben dem Schulbesuch in den Ferien auf dem Bau. Bei uns in der Nähe gab es ein Bergungs- und Abschleppunternehmen. Dort gab es die Möglichkeit zu arbeiten und damit Geld zu verdienen. An Wochenenden und vor allem im Herbst
und Winter ging man dahin. Ein Teil der Arbeit war Bereitschaftsdienst, also nichts tun. Dafür gab es meistens auch kein Geld. Um die Zeit besser rumzukriegen wurde dann Polizeifunk abgehört und auf größere Einsätze gewartet, die dann auch das große Geld brachten. Durch das Abhören des Polizeifunks wusste man, wenn auch mit einiger Verzögerung, wo die Autobahngangster wieder zugeschlagen hatten.
Da man die Überfall- und Abwurfstellen mit der Zeit kannte, ließ man sich selber auch was einfallen. Ein Kumpel hatte ein robustes Fahrrad mit 3-Gang-Hinterrad-Nabenschaltung und einem leicht laufenden Einachsfahrradanhänger. Dieser wurde benachrichtigt und fuhr die vermeintliche Abwurfstelle in unserem Bereich ab und suchte nach den von den Gangstern abgeworfenen Waren. Nicht immer wurden die Waren sofort weggeschafft sondern in Büschen und Erdverstecken gelagert. Mindestens zwei Mal hat das auch geklappt. Einmal gab es drei Kisten Mumm Sekt, wobei nur einige wenige Flaschen zerbrochen waren. Die Flaschen waren in Strohtaschen verpackt. Dann gab es Werkzeug, Maulschlüssel der Firma Gedore. Das aufgelesene Diebesgut wurde immer redlich aufgeteilt. In dem Film „Die Autobahngangster“ war von unserer Tätigkeit natürlich keine Rede.
Neuerdings soll es so etwas wieder geben und zwar der heutigen Situation angepasst. Auf dem Balkan, speziell
in Rumänien und Bulgarien, wird einem ausgespähten LKW mit lohnender Ladung hinterhergefahren. Ein PKW Cabrio mit vorstehender Motorhaube wird dazu benutzt. Auf der Motorhaube soll dann einer stehen, der mit Bolzenschneider oder Batterietrennschneider die Schlösser der vorausfahrenden LKW-Container knackt und übersteigt in den Laderaum und die Ware, wie Handys oder IPhones etc. in den Cabrio-PKW hineinwirft. So wird berichtet.