von Camillus Schwalbach
Als 2020 ein Ehepaar in seinem Zuhause von drei Osteuropäern überfallen wurde, erbeuteten diese neben Schmuck und Bargeld auch Uhren. Eine davon ein Unikat: 18 Karat-Gold mit Lorbeerkranz und Mercedes-Benz Schriftzug auf der Lünette als Einzelanfertigung mit graviertem Rotor. Auf diesem ist zu lesen:
„Bela Barényi für Dr. Harry Niemann.“
Barényi war der Konstrukteur bei Daimler-Benz, der die Grundlagenarbeiten zur passiven Sicherheit erdachte.
Zu den wichtigsten Innovationen Béla Barényis gehörte ohne Zweifel das 1951 angemeldete Patent mit der Nummer 854 157. Hinter dem unscheinbaren Namen „Kraftfahrzeug, insbesondere zur Beförderung von Personen“ verbarg sich eine Idee, die geradezu eine kopernikanische Wende im Automobilbau darstelle. Vor diesem Patent galt die Maxime, ein sicheres Automobil müsse möglichst stabil sein, um den Passagieren ein Maximum an Sicherheit zu garantieren. Es war Barényi, der als erster die eigentlich triviale Erkenntnis machte, dass die Energie, die auf die Insassen eines Personenwagens wirkt, umso größer ist, je stabiler das Auto ist.
Folglich müsse es Zonen geben, welche die Energie, die im Falle von Kollisionen freigesetzt wird, absorbieren. Die sogenannten Knautschzonen waren erfunden. Diese sollten sich im Front- und Heckbereich des Fahrzeuges befinden, während die Fahrgastzelle an sich möglichst stabil sein sollte. In Serie ging die gestaltfeste Fahrgastzelle mit Knautschzonen in der Heckflossen-Baureihe W 111. Auf das Konto von Barényi in Sachen Passive Sicherheit gehen freilich eine Vielzahl weiterer Innovationen – wie etwa der Flankenschutz, das Sicherheitsdach, die Sicherheitstüren oder der Überrollbügel.
Herauszustreichen ist in diesem Kontext die Sicherheitslenkung, zu der sich Barényi bereits im Rahmen seiner Grundsatzüberlegungen zu einem Volkswagen Gedanken gemacht hatte. Gerade die Lenksäulen waren in jenen Jahren durch den sogenannten Lanzeneffekt eine Gefahr für das Leben des Autolenkers. Im Jahre 1947 konzipierte Barényi daher ein Sicherheitslenkrad mit großflächiger, muldenförmiger und elastischer Prallplatte sowie der Einschaltung eines ungeführten, plastisch geformten Zwischengliedes zwischen der Aufprallfläche und dem weit nach vorne gesetzten oberen Lenksäulenelement. Auch in den folgenden Jahren arbeitete Barényi weiter engagiert auf dem Gebiet der Lenksäule, das 1963 in einem wichtigen Patent mündete. Dieses Patent sah eine Zweiteilung der Lenksäule vor, deren gegeneinander gekehrten Enden durch ein Kupplungsglied verbunden sind, das als knickschwacher Deformationskörper ausgebildet ist. Erstmalig kam diese Lenkung 1976 in der Baureihe 123 zum Einsatz.
Im Jahre 1973 trat Béla Barényi in den Ruhestand.
Alles in allem erhielt Barényi über 2.500 Patente, mehr als die meisten anderen Erfinder. Oft musste Barényi sich sein Recht erstreiten. Wer sich in der komplizierten Materie des Patentrechts nur im Ansatz auskennt, weiß, dass dies nicht ausbleibt. Elf Prozesse hat er im Lauf seines Lebens geführt, was für sich genommen bei einem Erfinder noch nichts Besonderes ist. Außergewöhnlich aber ist der Umstand – darauf war er stets besonders stolz – dass er alle elf Prozesse gewonnen hat.
Obwohl in der breiteren Öffentlichkeit wenig bekannt, hat sein Lebenswerk aber inzwischen durchaus einige Würdigungen erfahren. Im Jahre 1989 verlieh im der Bundespräsident der Republik Österreich den Titel „Professor“. Im Jahre 1995 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Ein Jahr zuvor war Barényi in die Automotive Hall of Fame im US-amerikanischen Dearborn, Michigan, aufgenommen worden. Aus diesem Anlass hatte der Historiker und Chefarchivar der Mercedes-Benz AG eine umfangreiche Biographie zu Bela Barényi in deutsch und englisch publiziert. Dr. Harry Niemann hatte zudem schon einen engen Kontakt zu Barény und Teile seines Archivs übernommen.
Eine Biographie hatte sich Barényi schon lange gewünscht. Als Zeichen seiner Dankbarkeit gab er für seinen Biographen eine Uhr in Auftrag.1996 wurde via eines Mittelmannes eine Golduhr mit Widmung bei der Pforzheimer Firma pe timedesign GmbH in Auftrag gegeben. Der Inhaber Peter Eichner hatte schon zu Beginn der 90er-Jahre für den Classic-Bereich der Mercedes-Benz AG Uhren produziert. So zwei Chronographen: einer mit dem Automatik Kaliber 7750, dessen Lünette ebenfalls den Mercedes-Benz Schriftzug mit Lorbeerkranz erhielt, der andere ein Handaufzug mit dem Lemania Kaliber 1882. Auch die Mercedes-Benz Museumsuhr aus dem Jahr 2006, die anläßlich der Museumseröffnung in einer limitierten Serie von 333 Uhren angeboten wurde stammte von pe timedesign.
Allerdings waren dies preisgünstige Uhren mit einem Verkaufspreis um die 1.800.- DM. Die Golduhr sollte mit
einem Preis von 15.000.- DM deutlich teurer ausfallen und erhielt firmenintern den Spitznahmen „blaue Mauritius“. Angetrieben wurde die Uhr von einem ETA Kaliber 2824-2 das mit einem Chronographenmodul der Firma Dubois Dépraz versehen wurde. Das komplettierte Werk erhielt die Kaliberbezeichnung 2025. Als die Uhr schließlich fertig war, missfiel Barényi die Widmung. Er wollte als Schenkender nicht an erster Stelle stehen und wünschte folgende Umkehrung: „Dr. Harry Niemann von Bela Barény“. Daher wurde eine zweite Uhr produziert, diesmal mit der geänderten Gravur. So existieren von der Uhr nun zwei Exemplare, die sich lediglich in der Widmung auf dem Rotor unterscheiden.
Den Adressaten aber erreichte die Uhr nicht. Barény, der 1996 in ein Seniorenstift gezogen war, wurde immer
schwächer, was der Mittelsmann dazu nutzte, die Uhr zu unterschlagen. Bis heute ist unklar, wo sie sich befindet.
Die zweite Uhr gab Peter Eichner, nachdem er sein Geschäft verkauft hatte und sich zur Ruhe zu setzte, an das
renommierte Schweizer Auktionshaus VAN HAM, das die Uhr im Dezember 2020 versteigerte und zwar an den
beraubten Geschäftsmann. Somit sind jetzt beide Uhren verschollen und man kann gespannt sein, wo und wie
diese wieder auftauchen.