Der Mann mit Kopf und Herz
Am 6. August 1898 wurde einer der erfolgreichsten Ingenieure und Vorstandsmitgliede für Forschung und Entwicklung der Daimler-Benz AG geboren.
Ein Anlass, den Lebensweg jenes bescheidenen, feinsinnigen Mannes noch einmal nachzuzeichnen, der das technische Erbe seiner Vorgänger, Paul Daimler, Ferdinand Porsche, Hans Nibel und Max Sailer nicht nur verwaltete, sondern um wesentliche Entwicklungen bereichert seinem Nachfolger, Dr.-lng. Hans Scherenberg, hinterließ.
Heute hat der Name von Fritz Nallinger seinen festen Platz in der ersten Reihe unter all jenen, die nicht nur bei Daimler-Benz, sondern auch auf internationaler Ebene an der technischen Entwicklung des Automoblls maßgeblich Anteil hatten und noch haben. Seine fundierte technische Kompetenz auf dem breitgefächerten Gebiet der Automobil- und Motorenentwicklung reichte von Personenwagen, Renn- und Rennsportwagen, Lastkraftwagen, Omnibussen, Sonderfahrzeugen und Großmotoren für Schiffe und Bahnen bis hin zu Flugmotoren und Strömungsmaschinen.
Prof. Dr.-lng. h. c. Fritz Nallinger gehörte 43 Jahre der Daimler-Benz AG an. In dieser Zeit war er 25 Jahre lang Mitglied des Vorstandes und zeichnete bis zuletzt für das Ressort Forschung und Entwicklung verantwortlich. Erst mit 67 Jahren ging der vielseitige Ingenieur und begabte Manager 1965 in den Ruhestand.
Unter seiner Führung und nach vielen seiner Ideen entstanden bei Daimler-Benz unzählige Einzelkomponenten und ganze Fahrzeugkonzepte, die sich in jenen Mittelklasse- und Komfortlimousinen vereinten, mit denen das Unternehmen ab 1945 wieder zu Weltgeltung kam.
Als viertes Kind des Baurates Dr. h. c. Friedrich Nallinger in Esslingen am Neckar geboren, kam er zwangsläufig schon im Kindesalter mit dem Automobil in intensivere Berührung: Sein Vater war zu dieser Zeit Direktor der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG). Später wechselte er zu Benz & Cie. nach Mannheim, kehrte aber im Zuge der Fusion beider Unternehmen 1926 zur Daimler-Benz AG nach Untertürkheim zurück. Damit war in gewisser Weise auch der berufliche Weg seines Sohnes vorgezeichnet.
Fritz Nallinger machte 1916 sein Abitur und ging im Oktober zum Militär. Nach dem Grunddienst verspürte er Interesse an der Fliegerei, ließ sich zur Luftwaffe versetzen und zum Piloten ausbilden. Noch 1918 wurde er nach Adlershorst zur Erprobung von Flugmotoren versetzt. Nach Kriegsende studierte er an der TH Karlsruhe Maschinenbau und diplomierte im Oktober 1922 mit „Sehr gut“.
Protegiert durch seinen Vater, aber besonders wegen seines ausgezeichneten Diploms, konnte Fritz Nallinger sofort eine Stelle im Konstruktionsbüro von Benz & Cie., Rheinische Automobil- und Gasmotorenfabrik Mannheim, antreten. Zu seinen ersten Aufgaben gehörten neben Konstruktionen die Berechnung von Motoren sowie die Untersuchung schwingungstechnischer Probleme.
Nebenher begleitete Nallinger die Werksfahrer bei Renneinsätzen und nahm selbst mit bemerkenswertem
Die Zeit bei Daimler-Benz
Nach der Fusion zwischen Benz und Daimler im Juni 1926 wechselte Fritz Nallinger als einer der ersten Konstrukteure nach Untertürkheim. Dort übernahm er die Leitung des ganzen Versuchswesens und baute es weitgehend neu auf. Er unterstand direkt dem damaligen Chefkonstrukteur Ferdinand Porsche, der zur Jahreswende 1923 die Nachfolge des vergraulten Paul Daimler, des Sohnes von Gottlieb Daimler, angetreten hatte.
Obwohl angesichts der inflationsgeschwächten Zwanziger Jahre die Prioritäten der Fahrzeugentwicklung mehr bei den später sehr populären Gebrauchswagen-Typen „Stuttgart“ und „Mannheim“ lagen, schloss dies jedoch die Premiere der ersten Pkw mit serienmäßigen Kompressor-Motoren ebenso wenig aus, wie den Einsatz neuer Rennwagen-Konstruktionen. Zu jener Zeit lieferte Nallinger unter anderem auch entscheidende Beiträge zur Einführung der Batteriezündung und des elektrischen Anlassers im Auto.
Als Ferdinand Porsche 1928 wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Vorstand über zukünftige Entwicklungsziele seinen Stuhl räumte, übernahm Hans Nibel die Position des Chefkonstrukteurs. Er war ursprünglich in gleicher Funktion schon bei Benz in Mannheim tätig gewesen. Von daher kannten sich Nibel und Nallinger bereits. Als sein fortan engster Mitarbeiter hatte Nallinger jetzt auch eher die Möglichkeit, verstärkt mit eigenen Ideen Einfluss auf zukünftige Fahrzeug- und Motorkonzepte, insbesondere auf die Entwicklungsarbeiten und den Versuchsbetrieb zu nehmen.
Der technische Direktor
Im Mai 1935 übernahm Fritz Nallinger als technischer Direktor die Gesamtleitung des Großmotorenbaus mit Konstruktions- und Versuchsabteilung für Flug-, Marine-, Triebwagen- und Heeres-Motoren. Gleichzeitig begann die grandiose Ära der legendären Mercedes-Benz Silberpfeile bei den internationalen Grand Prix-Rennen. Nallinger betrieb auch mit großem Engagement die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Entwicklungs-, Forschungs- und Produktionsstätten und den Technischen Hochschulen. Was damals unter seiner Leitung von seinen Mitarbeitern auf konstruktivem, technisch-wissenschaftlichem und produktionstechnischem Gebiet geleistet wurde, zeigten seine Einflüsse noch weit über die Sechziger Jahre hinaus.
Im April 1940 erfolgte seine Berufung zum stellvertretenden, 1941 zum ordentlichen Mitglied des Vorstandes. Von 1945 bis Anfang 1948 ruhte sein Mandat wegen eines Sonderauftrages der französischen Regierung. Im Mai 1948 nahm er seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied und Technischer Direktor der Daimler-Benz AG wieder auf.
In den Fünfziger Jahren kehrte Daimler-Benz auch wieder in den Grand Prix-Sport zurück. Unter Führung von Fritz Nallinger entwikkelten seine engsten technischen Mitarbeiter Hans Scherenberg, später sein Nachfolger, und Rudolf Uhlenhaut einen neuen Rennwagen, der als W 196 mit Fangio am Steuer und zwei Weltmeistertiteln hintereinander zu einem der erfolgreichsten der Nachkriegsepoche wurde.
Fritz Nallinger ging zum Jahresende 1965 in den Ruhestand. Bis dahin lauteten nicht nur über 300 Patente auf seinen Namen, sondern er hatte auch vielbeachtete Konzepte für die Lösung damals anstehender Probleme des Straßenbaus in Deutschland entwickelt und vorgelegt. In Anerkennung der Bedeutung seines Lebenswerkes für die Allgemeinheit ernannte ihn 1951 die TH Karlsruhe zum Dr.-lng. E. h., und die Landesregierung von Baden-Württemberg verlieh ihm 1957 den Ehrentitel Professor.
Er verstarb am 4. Juni 1984 im Alter von 86 Jahren.