Dossier: Mercedes-Benz 230 SL Pagode

Dachschaden?

Mercedes-Benz SL-Klasse ist eine Geschichte mit Fortsetzungen. Während der 1954 vorgestellte Mercedes-Benz 300 SL Flügeltürer von den Erfolgen des 300 SL Rennsportwagens direkt profitiert, hat es der Typ 230 SL der Baureihe W113 um einiges schwerer. Schließlich hat er gleich zwei erfolgreiche Modelle des bisherigen Verkaufsprogramms zu ersetzen, den 300 SL und den 190 SL.

Der richtige Club für dieses Modell ist der Mercedes-Benz Club Pagode benannt nach dem Spitznamen, den das neue Modell schnell nach der Einführung erhielt.
Dieser Nachfolger stand, heiß ersehnt, im Frühjahr 1963 auf dem Genfer Automobilsalon. Die ersten Meinungen über diese Sportwagen-Neuschöpfung, die so gar nichts mehr mit den kraftstrotzenden Vorgängern gemein zu haben scheint, schwanken zwischen unverhohlener Ablehnung bis zu vorsichtiger Zustimmung.

Die kompeltte Renn-„Mannschaft“ von 1963 posiert am Mercedes-Benz 230 SL Pagode

Der neue Mercedes-Benz 230 SL sollte nach dem Willen seiner Erbauer weder der harte Sportler alter Schule sein, noch sanftmütiger Zweitwagen für die Dame wie der 190 SL. Er versteht sich als Sportzweisitzer mit hohen Fahrleistungen, bestem Fahrverhalten und gepflegtem Komfort. Womit die Diskussion um den wahren Geist eines Sportwagens neue Nahrung erhält und erst verstummt, als der neue 230 SL schon in den ersten Tagen seines Daseins handfeste Sporterfolge wie den Gewinn der Rallye Spa – Sofia – Lüttich unter Eugen Böhringer/Klaus Kaiser nach Hause fährt.
Sein Äusseres ist geprägt durch klare Linien und das unverkennbare SL-Gesicht samt dem in der Mitte prangenden Mercedesstern. Die Motorhaube hat in der Mitte eine leichte, zusätzliche Wölbung, die dem aufrecht stehenden Sechszylinder Raum bietet. Der Kofferraum ist grosszügig bemessen. Das Hardtop vermittelt durch seine hohen Scheiben und das nur von schmalen Säulen getragene Dach eine Leichtigkeit, denn sein nach innen gerichteter Schwung erinnert sehr an fernöstliche Tempelbauten. Und so hat der Wagen seinen Spitznamen weg, bevor er noch richtig auf die Strasse kommt: Pagode.

Böhringer und Kaiser im Mercedes-Benz 230 SL

Lieferbar ist der 230 SL ab Sommer 1963, als Roadster mit einem spielerisch leicht zu bedienenden Faltverdeck und als Roadster mit Hardtop. Im März 1967 – der 230 SL wurde inzwischen vom 250 SL abgelöst – kommt als weitere Variante ein Hardtop-Coupé hinzu. Letzterem fehlt das Verdeck und der Verdeckkasten, dafür gibt es mehr Platz für Gepäck oder einen Notsitz im Innenraum. Diese Version wird heute gemeinhin als „California“ bezeichnet. Alle drei Versionen lassen sich offen fahren. Seinen cw-Wert von 0,52 deckt der Mantel des Schweigens.
Die Pagode ist der erste SL, bei dem sich zur Schnelligkeit die Sicherheit gesellt. Da seine Basis die Bodengruppe der berühmten Heckflossen-Baureihe W 111/112 ist, des weltweit ersten Automobils mit Sicherheitskarosserie, bietet auch der 230 SL eine steife Fahrgastzelle und Knautschzonen mit verformbaren Bug- und Hecksegmenten. Der Innenraum ist wie bei der Limousine entschärft, es gibt keine harten Ecken und Kanten; Sicherheitsgurte sind als Sonderausstattung erhältlich.
Sein Fahrwerk, übernommen aus der viertürigen Limousine des Typs 220 SE, ist auf die Belange des Roadsters abgestimmt. Er verfügt über eine Kugelumlauflenkung, ein Zweikreis-Bremssystem und Scheibenbremsen an der Vorderachse. Seine Federung ist straff, aber komfortabel. Für die Dämpfung sorgen Gasdruck-Stoßdämpfer, und erstmals fährt ein SL auf Gürtelreifen.

Seltener Anblick: Mercedes-Benz 230 SL mit Wohnwagen

Der ebenfalls aus der Limousine stammende Sechszylinder muss einige einschneidende Änderungen über sich ergehen lassen, deren wichtigste der Übergang von der Zweistempel- zur Sechsstempel-Einspritzpumpe ist. Damit ist es möglich, den Kraftstoff direkt durch den vorgewärmten Ansaugkanal und die geöffneten Einlassventile in den Brennraum zu schießen und nicht mehr nur in das Ansaugrohr. Der auf 2,3 Liter aufgebohrte Motor leistet 150 PS bei 5500/min und bietet bei 4200/min ein Drehmoment von 20 mkg. Dieser sehr sportlich angelegte Antrieb des 230 SL will fleißig gedreht werden, niedrige Drehzahlen sind nicht sein Fall.
Das Vierganggetriebe, ebenfalls aus dem Limousinen-Baukasten, ist lediglich im ersten Gang etwas kürzer ausgelegt, um eine sportlichere Beschleunigung zu erzielen. Die liegt bei 9,7 Sekunden für den Spurt auf 100 km/h. Ab Januar 1966 steht auch ein ZF-Fünfgang-Schaltgetriebe zur Verfügung, und wer seinen Komfort auf die Spitze treiben will, bedient sich der Automatik. Bei Auslauf der Pagode liegt der Automatik-Anteil sogar bei rund 77 Prozent. Ähnliches gilt für die Servolenkung. Sie ist ebenfalls nicht serienmäßig.
Ende Februar 1967 wird der 230 SL nach 19.381 gebauten Fahrzeugen vom 250 SL abgelöst. Ein Jahr später kommt diese Weisheit erneut zur Anwendung, als der 170 PS starke 280 SL die Nachfolge des 2,5 Liter-Modells antritt. Von allen drei Pagoden-SL entstanden bis März 1971 insgesamt 48.912 Exemplare.