Ein Hauch von Nerz
Der Mercedes-Benz 320 besticht durch seine „optische“ Sportlichkeit. Dabei ist das genau nicht das Attribut, was ihm zusteht. Kraftvoll und zuverlässig, gediegen und komfortabel trifft es viel eher.
Unser Fotomodell hat eine bewegte Geschichte als Botschaftsfahrzeug bis ihn sein jetziger Besitzer wieder zur vollen ehemaligen Blüte restauriert hat.
Die Besonderheiten, die nicht nur diesen, sondern alle 320 auszeichnen, wollen wir hier einmal beleuchten und mit dem verbreiteten Vorurteil aufräumen, der 320 sei nur ein vergrößerter 290.
Das stimmt so nämlich nicht . . .
Über wenige Fahrzeuge gibt es so wenig in der Literatur wie über den Typ 320. Die Tester in Motor und Sport widmen sich diesem Typ in seiner Zeit so, wie es einer Neuerscheinung gebührt hätte, sind aber schwer zu finden.
Er wird hauptsächlich als Nachfolger des Typ 290 beschrieben, und das ist auch richtig – aber nur die halbe Wahrheit. Das Auto mit den 78 PS ist nämlich mehr als nur ein aufgebohrtes Ungetüm.
Aber beginnen wir bei dem Vorgänger um die Geschichte richtig zu verstehen. Der Typ 290 wurde nämlich bereits 1933 präsentiert und erhielt nur die allerbesten Noten für Fahrwerk, Fahrgestell und Lenkung. Besonders wichtig war für die Wagenklasse (heute sagt man das Marktsegment) die besonders hohe Transportkapazität, die die Fahrzeuge im ca. 3 Liter-Bereich darstellten.
Ein Auto, dass von seinen Ausmaßen durchaus an die Groß-Wagen heranreicht. Mit Leistungen und Verbräuchen hielt er sich aber doch im Rahmen des Erträglichen, obwohl die Konstruktion bereits aus dem 8/38, also den 1920er Jahren stammte.
Anders als die starke Konkurrenz aus den USA, die den Hubraum an den Radstand koppelte, wurden in Deutschland die Haltungskosten mehr im Blick gehalten. Das heißt, dass man hierzulande eher die Möglichkeiten erhöhte, auch mit relativ kleinen Maschinen sich durch die Lande zu bewegen. Ein Umstand, der vielen wohlhabenden, jedoch nicht Reichen hervorragend in ihre Lebenssituation passte. Der werkintern genannte W 18 legte dazu also nicht den Grundstein (wie oft behauptet wird) sondern entwickelte sich als Typ 290 fort und wurde in seiner vierjährigen Bauzeit auch immerhin über 7500 mal produziert.
Dass der W142 in seinen Versionen I, II und IV nicht an diese Zahl heranreichte, lag hauptsächlich daran, dass der 2. Weltkrieg ausgebrochen war.
Im März 1937 begann die Produktion des 320 W142 mit dem neuen Motor M142, den das Werk bereits seit dem 20. Februar auf der IAMA dem Publikum in Aussicht stellte. Während die ersten 320 produziert und ausgeliefert wurden, verkaufte man noch monatelang weiterhin den Typ 290, um anhand der auslaufenden Produktion auch endlich sein Ende zu besiegeln. Die Unterschiede waren rein äußerlich zwischen 290 und 320 auch eher gering. Lediglich der gebogene Querbügel zwischen den beiden Scheinwerfern, an dem gelegentlich eine zusätzliche Nebellampe montiert wurde, entfiel bei dem Neuen. Dafür wurden ab 1938 jetzt Stoßstangenhörner eingeführt, die den alten Blattfederstoßstangen von 37 aber nicht standen.
Da das Chassis, einem Niederrahmen bestehend aus einem Kasten-Pressstahlprofil, bereits beim Typ 290 großen Anklang gefunden hatte und es sich trotz der Leistungssteigerung um rund 10 PS immer noch als absolut tauglich erwiesen hatte, sah man keinen Grund, auf dieses massive Bauteil zu verzichten.
Die ZF-Roß-Lenkung hatte sich bewährt und wurde nur in der Größe ein wenig verändert. Genauso verhielt es sich mit den Achsen, die lediglich um rund 30 Millimeter verbreitert wurde, um ein noch sichereres Kurvenverhalten zu realisieren. Dass dies gelang, ist von jedem zu erfahren, der beide Fahrzeuge einmal im Vergleich bewegt hat. Außerdem hatte man nun mehr Platz und somit konnte eine breitere Bremse verbauen, was sich auch nicht als Nachteil auswirkte.
Somit waren die Karosserievarianten ebenfalls weitgehend gleich geblieben. Und davon gab es reichlich. Ab Fabrik waren es immerhin 11 verschiedene Varianten und selbstverständlich das nackte Fahrgestell, dass vom Typ 320 beim Daimler-Benz Werk Mannheim geordert werden konnte. Das kurze Fahrgestell mit einem Radstand von 2,88 Metern glänzte mit einem Cabriolet A und einem besonderen so genannten Kombinations-Coupé. Diese Kombination bestand jedoch nicht aus Limousine und Transportfahrzeug, wie man heute üblicherweise diesen Terminus einordnet, sondern es war ein Coupé mit einem abnehmbaren Dach, ähnlich einem Hardtop. Stattdessen konnte sich dann ein besonders üppiges Verdeck, welches einen Roadster hätte im besten Licht dar stehen lassen, montiert werden.
Wer auf diesem Fahrgestell noch einen anderen Körper hätte haben wollen, musste sich bei einem anderen Karossier anmelden, der den als Typ 320 n (W142 I) verkauften kurzen Radstand entsprechend einkleidete.
Auf dem immerhin 42 Zentimeter längeren Fahrgestell des 320 mit der internen Bezeichnung W 142 II gab es demnach 9 Varianten, von denen nur ein Drittel geschlossen waren. Offen blieben dabei kaum irgendwelche Wünsche. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass nur die Cabriolet-Varianten B und D sowie besagter Kombinationswagen über eine geteilte Windschutzscheibe verfügten. Alle anderen hatten, wie alle 290, ein gerades Frontglas, welches durch seine Ausstellbarkeit in das Ventilations– und Lüftungssystem mit eingebunden war. Während alle „Großen“ ihre Reserveräder in den Vorderkotflügel trugen, waren es die Zwei– bis Dreisitzer, die ihre Ersatzpneus auf dem Heck trugen. Diese Anordnung, die in den Fünfziger Jahren in Amerika nochmals als so genanntes „Continental-Kit“ populär wurde, gab den Cabriolet A und Roadstern ein besonders sportliches Aussehen. Die Verwandtschaft mit dem 500 K lässt sich angesichts dieser Formen einfach nicht leugnen. Fließende Linien und recht üppiger Kotflügelausbau haben tatsächlich mehr mit dem Spitzenwagen zu tun als mit dem eigenen Vorgänger. Lediglich die Ansicht der rechten Seite zieht einen auf den Boden der Tatsachen zurück, fehlen hier doch die typischen verchromten Auspuffblenden.
Freie Auswahl bestand bei solchen Anbauteilen wie Felgen. Zwar wurden immer 17″ Stahlräder mit kleinen Radkappen verbaut, jedoch gegen den geringen Aufpreis von 280 Reichsmark konnte man sich der Spitzenklasse optisch nähern und sechs verchromte oder lackierte Speichenräder mit den großen Zentralverschlüssen ordern, auf denen die Reifengröße 6.50 montiert wurde. Diese Größe wurde nur beim Cabriolet E und F auf 7.00 erweitert.
Der Rest der Ausstattung war so üppig, dass dem verwöhnten Kunden nicht viel zu seinem Glück fehlen konnte. Neben so nützlichen Dingen wie Suchscheinwerfer, Sonnenschutzvorhang sowie Koffersatz und Rückspiegel stehen trotzdem noch viele andere Details auf der aufpreispflichtigen Zubehörliste.
Eine Sieben-Tage-Uhr, ein Öldruck-Manometer mit Tankanzeige sowie ein Tachometer mit Gesamt– und Tageskilometer-Zähler gehören als Informationsquelle für den Fahrer ebenso zur Serie wie die Winker, die nur auf Sonderwunsch (jedoch ohne Aufpreis) in die Karosserie der Cabriolet und Roadster eingelassen wurden. Bei allen anderen Modellen hatte man die Wahl zwischen lackierten und verchromten Winkergehäusen.
Bei dem, was sich unter dem Blechkleid, welches in allen Fällen als Gemischtbauweise (Holz und Blech) ausgeführt war, befand, hielt man sich jedoch wie bereits erwähnt, an den Typ 290. Aus dessen Motor wurde mit einigen Modifikationen der neue M 142 I der bei gleichem Hub wie der 290 (100 mm) eine Bohrung von 82,5 mm besaß und damit 3208 ccm erreichte. Diese Aufbohrung in Verbindung mit dem neuen Fallstrom-Doppelvergaser von Solex (32 JFF) brachte, auch durch seine neuartige Beschleunigerpumpe, die beschriebene Leistungssteigerung im Vergleich zum 290 von immerhin 10 PS. Dass dieses Aggregat solide arbeiten würde, war keine Spekulation der Konstrukteure, sondern bereits gelebte Praxis. Seit rund einem Jahr gab es dieses Triebwerk nämlich schon im LKW-Bereich. Für den L 2000, also einen Zweitonner, wurde der M 142 (mit dem Grauguß-Zylinderkopf) als Alternative zur Dieselmaschine angeboten. Mit dem alten Steigstromvergaser brachte es das Nutzfahrzeug zwar nur auf 60 bis 65 PS, hatte aber seine Zuverlässigkeit bereits unter Beweis gestellt.
Für den Pkw erhielt er allerdings, neben dem anderen Vergaser, einen Aluminiumzylinderkopf, der dann die entstehende Wärme besser ableiten konnte und dadurch eine höhere Kompression ermöglichte. Und der Tankinhalt erlaubte mit 72 Litern auch einen annehmbaren Aktionsradius.
Sprit ist nicht gleich Sprit – und schon gar nicht in dieser Zeit. Um überall die gleichen, oder zumindest ähnliche Leistungen zu erzielen, konnte die Verdichtung von 1:5,6 über 6,6 bis 7,25 angeglichen werden. Eine automatische Startvorrichtung half dabei, die Beständigkeit dieser Einheit zu gewährleisten. Aber die „Kraftstoff“ – Qualitäten sanken immer weiter ab. Es gipfelte darin, dass von staatlicher Seite Vorschriften eingeführt wurden, die die Klopffestigkeit für Benzinmotoren bei 74 Oktan festgesetzt hatten und fortan eingehalten werden mussten.
Um weiterhin die Leistung von 78 PS zu gewährleisten, wurde der Motor abermals aufgebohrt und erneut mit einem anderen Vergaser, dem Solex 32 JFF-PN, versehen. Der nun zum M 142 IV mutierte Motor behielt also seine Leistungsausbeute durch einen Hubraum von nunmehr 3405 ccm. Die Verkaufsbezeichnung für den Wagen blieb bei 320, obwohl er eigentlich nun 340 hätte heißen müssen.
Weiterhin unangetastet blieb das Fahrwerk, nicht aber die Lenkung, die nun nicht mehr in einem Aluminiumgehäuse steckte und daher bei Wärme Probleme machte. Die Pendelhinterachse mit den doppelten Schraubenfedern taten ihren Dienst sehr zuverlässig. Auch die „achslose“ Vorderradaufhängung bestand alle Prüfungen und wurde daher unverändert beibehalten. Diese Vorderachse ist eine recht interessante Konstruktion. Unten hängt eine Blattfeder quer und an deren Ende ist der Achsschenkel unten aufgehängt. Oben dagegen ist nicht, wie beispielsweise beim 170, ebenfalls eine Blattfeder, sondern eine Art Querlenker, der auf dem Rahmen gelagert und zur Mitte hin nach oben mit je Seite einer Spiralfeder versehen worden war.
Der Hauch von Nerz bestätigt sich hauptsächlich in der Optik, Material und in der Verarbeitung dessen. Auch das ZF-Getriebe mit Schnellgang, was zuletzt verbaut wurde, trug dazu bei. Dauergeschwindigkeiten von bis zu 120 km/h wurden damit sogar deutlich erreichbar, obwohl dieser Wert fast der Spitzengeschwindigkeit entsprach.
Sicherlich ist der Typ 320 besser für eine große Reise geeignet als beispielsweise ein 170 V oder gar 170 H. Andererseits liefert er nicht die Fahrleistungen wie die größeren Fahrzeuge aus gleichem Hause. Logisch, denn sonst hätten die ja selbstverständlich ihre Daseinsberechtigung verloren.
Nichtsdestotrotz sind die 320 selten und allesamt hochinteressante Fahrzeuge.