Wenn Volker Hitzer das Gaspedal durchtritt ist es, als ob der Sound des Wirtschaftswunders herüberweht aus dem Jahr 1953: Satt und erdig und grundsolide. Nur ein Jahr später wird Deutschland Fußballweltmeister und wer weiß, vielleicht sind Sepp Herberger und seine Männer danach in solch einem Mercedes-Benz-Bus LO 3500 durch die jubelnde Republik gefahren. Das Exemplar, das Volker Hitzer über das Firmengelände des Mercedes-Benz Classic Nutzfahrzeug Services in Alfeld steuert, hat aber nicht nur 1953 als Baujahr: Seit 2003 hat Hitzer mit seinen Kollegen den Technik-Veteranen bis auf die letzte Schraube zerlegt und wieder aufgebaut. Auf dem Kilometerzähler steht „00002“. Noch im August wird das in rot, schwarz und Chrom funkelnde Schmuckstück ausgeliefert: Der Auftraggeber sitzt in den Vereinigten Arabischen Emiraten und zahlt den Gegenwert eines gut ausgestatteten Einfamilienhauses für seinen Traum.Denn genau so einen Bus, ein Symbol deutscher Wertarbeit wollte der Mann aus der Wüste, als er vor zwei Jahren bei Mercedes in Stuttgart nach einem LO 3500 anfragte. Die Schwaben gaben den Wunsch weiter an die Alfelder Spezialisten, die zur DaimlerChrysler-Vetragswerkstatt Werner Dreyer gehören. Der Service für alle Mercedes-Nutzfahrzeuge, die älter als 25 Jahre sind, läuft in Alfeld zusammen, und zwar aus aller Welt. Nach langer Suche stießen die Alfelder in Luxemburg auf ein Exemplar in erbarmungswürdigem Zustand: Die Karosserie war nach Jahren im Freien bis auf die Motorhauben völlig verrottet, die Ledersitze verschlissen, das einst prachtvolle Schiebedach mit Blech zugeflickt, der Fußboden morsch und die sechs Kolben hatten sich im 100-PS-Motor schon lange nicht mehr bewegt. Als Matthias Quintel, der im Team unter anderem für die Recherche zuständig ist, eine Menge vergessen geglaubter Informationen über nötige Ausstattungsdetails ausgegraben hatte, konnte es losgehen. Das verrottete Blech kam herunter, Motor und Lkw-Fahrwerk wurden in monatelanger Arbeit in den Neuzustand versetzt: „Alles was wir in die Hand nehmen, wird komplett repariert oder ersetzt“, beschreibt Werkstattleiter Volker Hitzer die Arbeit der fünf Spezialisten. Für ihn ist sein Job „der absolute Traumberuf“. Seit 1994 hat der Service 15 historische Fahrzeuge komplett neu aufgearbeitet, doch der Langschnauzer LO 3500 war das aufwändigste Projekt. Die Blechkarosserie wurde von einer Spezialfirma nach alter Manier von Hand gefertigt, ebenso die Sitze wieder mit Leder bezogen. Dieses Material verbindet nun auch ganz wie im Original die Motorverkleidung mit der Karosserie. Als einer der letzten Schritte folgte in den letzten Wochen ein nagelneuer Kabelbaum, der nun auch eine Warnblinkanlage ansteuert – die hatte der Bus früher nicht. Trotz vieler Informationen war bei der Arbeit Improvisationstalent gefragt: Die Maße der Leiterbrücke, die am Heck auf den Dachgepäckträger des Reisebusses führt, wurden von einem kleinen 1:43-Modell abgenommen und übertragen. Obwohl der Veteran bald in einer Wüstenlandschaft fährt – eine Klimaanlage als Extra für den solventen Kunden gibt es wie im Original nicht. Stattdessen haben Hitzer und seine Kollegen aus zwei Autoschiebdächern eines für den Bus zusammengefügt. Bevor sich darin die Scheichs den Wind um die Nase wehen lassen, konnten alle Technik-Begeisterten ihn am 7.August von 11 bis 17 Uhr beim Tag der offenen Tür besichtigen. Leider wurde dieser Termin recht kurzfristig ausschließlich über die lokale Zeitung bekannt gemacht, aber bei starkem Interesse lohnt ein kurzfristiger Anruf in Alfeld sicherlich noch, bis der Wagen endgültig in die Wüste geschickt wird. QUELLE kehrwieder am Sonntag