Kleider und Liebhaber noch und noch!
Die Geschichte des Mercedes 710 Typ SS 1930, Aufbau Erdmann u. Rossi (W36348)
An den Modellen selbst gibt es nichts auszusetzen. Das ist bei EMC nun schon seit geraumer Zeit so üblich, und so werde ich mich hüten, zu schreiben, dass die Türklinken prima aussehen, der Lack schön glänzt, die Reifen rund sind und dergleichen Banalitäten mehr. Damit wäre eigentlich der Bericht über das Modell schon an sein Ende gelangt, wenn es da nicht wieder einmal die außerordentliche Geschichte des Vorbilds gäbe…
Auch wenn unser „MBMC-Journal“ eine Modellauto-Zeitschrift ist, gerade das Wissen über den Hintergrund, über das Vorleben des Vorbildes, das hier im Maßstab 1:43 vor ihm steht, das ist es, was für den wahren Sammler aus seinem Modell etwas Interessantes, etwas Außergewöhnliches macht, und nicht nur ein weiteres schönes Modell in seiner Vitrine.
Aber ich will nicht weiter auf das Thema Restaurierung eingehen. Es hat da jeder so seine ganz persönlichen Ansichten: der Historiker, der Eigentümer, der Restaurierer, der Betrachter, der oder die „Schönheitsrichter“ bei den jeweiligen „Concours d’Elégance“, usw…
Es gibt Quellen, die behaupten, dass Hans Stuck mit diesem Wagen an einige Rennen teilgenommen hätte. Nachweislich ist dies nicht der Fall. Hans Stuck benutzte seinen Armbruster Cabrio als seinen Privatwagen, seine Rennen fuhr er während seiner Zeit als Fahrer für Mercedes-Benz am Steuer eines SSKL. Allerdings nahm er seinen Armbruster zu seinen Rennen mit, so begleitete der Wagen ihn 1932 nach Südamerika (dort fuhr er ihn privat herum – es gibt Aufnahmen, die das belegen), wo er 1932 in Brasilien auf seinem SSKL Bergmeister wurde.
Als Hans Stuck Werksfahrer bei Auto-Union wurde, kam der Wagen zurück in die Mercedes-Benz Garage. Was dann genau mit dem SS mit Armbruster-Aufbau geschah, ist eher unklar. Es gibt da Stimmen, die behaupten, der damals 39-jährige Friedrich Merck aus Darmstadt, Vorstandsmitglied der E. Merck AG, auch bekannt als Sportrennfahrer und Segelflieger, wäre der nächste Eigentümer des Wagens geworden, und hätte ihn in Rennen gefahren, doch aus verschiedenen Gründen erscheint dies höchst unwahrscheinlich. Jedenfalls gibt es weder Nachweise noch Aufnahmen diesbezüglich. Auch ist es kaum vorstellbar, dass der Wagen, wie diese Quellen besagen, seinen Armbruster-Aufbau gegen eine zweisitzige SS-Rennkarosserie getauscht hätte, um dann 1934 wieder im gleichen Armbruster-Kleid wenn auch in neuer einfarbiger Lackierung zu erstrahlen.
Dann taucht in der Ausgabe vom 21. März 1939 der Zeitschrift „Motor Magazine“ eine Anzeige auf: der SS wird zum Verkauf angeboten. In der Anzeige wird darauf hingewiesen, dass der Wagen in Cannes – in welchem Jahr ist nicht angegeben, es dürfte jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach 1938 gewesen sein – beim dortigen „Concours d’ Elégance“ mit einem „Prix d’Honneur“ ausgezeichnet worden sei. Mehr erfahren wir nicht über den Wagen, nur dass er 1940 ein neues englisches Kennzeichen bekam: “FYY 24“.
Als nächster Besitzer wird 1944 ein J. Boothby aus Crawley in Sussex erwähnt, und zwar bis 1950. Irgendwann im Frühjahr 1950 ist dann anscheinend ein gewisser Mr. Barton der neue Eigentümer. Hier wird die Geschichte für kurze Zeit spannend und nimmt kriminelle Züge an: dieser Mister Barton soll sich nämlich mit Geldwäsche und diversen Devisenvergehen beschäftigt haben. Es heißt, er wäre kreuz und quer durch Frankreich gejagt worden – ich schätze mal von der französischen Polizei – und nahm sich zu guter letzt das Leben. (Nebenbei bemerkt, die Nachkriegszeit war in Europa die große Zeit der Schmuggler und des Banditentums allgemein.)
Und so steht dann unser W36348 im Juli 1950 bei Chipstead Motors, in der Fulham Road, London SW3, im Schaufenster, zum Verkauf. In einer Zeitungsanzeige von Chipstead Motors wird darauf hingewiesen, dass der Wagen „soeben“ für 350 Engl. Pfund einer Generalüberholung unterzogen wurde – was heutzutage 7000 GBP entspräche. Neuer Besitzer wird ein Herr Dennis, Eigentümer der Dennis Lorries ( Dennis Lastkraftwagen) aus Guildford, Surrey.
Noch nicht mal ganze zwei Jahre später, im Juni 1952, steht der Wagen, diesmal bei Sheen Autos, wieder einmal zum Verkauf ausgestellt, für 485£ (d.h. 9700£ bzw. 16.314,53 US Dollar oder 11.769,69 € heute). In einem Briefwechsel zwischen einem P. Gray aus East Twickenham , Middlesex, und einem Mr. R.H. Johnston – der übrigens 1952 der Gründer des MB-Club UK war, den ersten und ältesten Mercedes-Benz Club überhaupt – wird erwähnt, dass der Wagen mal grau gewesen sei.
Das hieße, dass der Wagen seinen bekannten dritten Lack, einem grün, das bei der Liebe der Briten zu dieser Farbe wohl „Englisch Racing Green“ gewesen sein mag, irgendwann nach seinem Verkauf 1950 erhielt.
Neben Rennpferden sammelt Mr. McDougald auch klassische Automobile. Seine Neuanschaffung, unser Mercedes-Benz 710 SS, Baujahr 1930, Aufbau von Erdmann und Rossi, (W36348), wird von ihm wohl noch zwischen 1953 und 1958 gefahren (der Wagen hatte noch vor seiner letzten Restaurierung ein polizeiliches Ontario-Kennzeichen das aus dem Jahr 1957 datierte, und wie damals üblich, nur für das laufende Jahr gültig war), dann aber verschwindet das Auto auf Nimmerwiedersehen in Bud McDougald’s Garage…. bis zu seinem Tode 1978. Sein Nachfolger in der Firma (ein gewisser Conrad Black) drängt McDougalds Witwe, sich von all den Wagen zu trennen, und so kommt 1994 das „Canadian Automotive Museum“, also das „Kanadische Automobilmuseum“ in Oshawa unweit Toronto, in den Genuss von 20 geschenkten beziehungsweise vererbten Oldtimers.
Einem geschenktem Gaul schaut man nicht aufs Maul, aber manchmal ist es wirklich nicht wert gewisse Geschenke zu behalten. So leider auch im vorliegenden Fall. Ich erfuhr vom Präsidenten des Museums, Mr. Jack Innes, dass der Wagen sich in einem ziemlich desolaten Zustand befand, insbesondere was die Karosserie betraf. Unter anderem fielen andauernd Lackstücke und Spachtelmasse von der Karosserie ab.
Übrigens erlaubte der Erlös vom Verkauf des 710 SS an Mr. Keller dem „Kanadischen Automobil Museum“ mehrere andere Exponate besser auszustellen, gleichzeitig wurde mit dem Geld eine Stiftung gegründet, die den weiteren Betrieb dieses privaten, auf Spenden angewiesenen Museums auf geraume Zeit sicherstellen dürfte. So ist eigentlich jeder zufrieden geworden….
Zum Schluss noch ein paar Worte zum 1:43 Modell: es soll insgesamt in den vier Farben des Vorbilds erscheinen: schwarz mit weißem Innenraum und schwarzem Schwiegermuttersitz, also so wie der Wagen heutzutage bei Arturo Keller in seinem Museum steht; aber auch im anthrazitgrauen Kleid von 1937/38 bis 1950; in grün, der mutmaßlichen Farbe des SS in den Jahren 1950 bis 1952; und in weiß, d.h. beige, von 1953 bis 1999. Alle vier Modelle sind als Rechtslenker ausgelegt. Ebenso sind alle vier Modellvarianten in den Ausführungen offen mit geschlossenem Notsitz, offen mit offenem Notsitz, und mit geschlossenem Dach und geschlossenem Notsitz vorgesehen. Die einzige Modellvariante die es nicht geben wird, ist die Originalausführung von 1930, mangels genauer Dokumente über den Innenraum.
Das Modell – ein Auftrag von Petr Babayev an EMC/Pivtorak – ist, in seinen ersten zwei Varianten in schwarz mit geschlossenem und mit offenem Notsitz, ebenso die dritte mit geschlossenem Dach, bereits vollständig vergriffen. Es tauchte allerdings neulich eins bei eBay auf, angeboten von Petr Babayev (pb_scalemodels@gmail.com) selbst, zum Preise von US$ 660,95 , bzw. 477,65 € (+ Versand). Ob und wann, in welcher Reihenfolge, und zu welchem Preis die weiteren Varianten erscheinen werden, ist zu dieser Zeit noch offen…Wer aber eine der noch zu erscheinenden Ausführungen bestellen möchte, sollte sich so bald wie möglich mit Petr Babayev per e-mail in Verbindung setzen.
Quellen und Bildernachweis: Diverse; Canadian Automotive Museum, Oshawa; Carolina Keller; Daimler A.G.