Ein Wochenende zwischen Drehmomentschlüssel und Kochlöffel
Ein Bericht aus der Perspektive eines HK-Engineering Mechanikers
Die Reise beginnt, wie so oft, im bayerischen Polling. Unser 300 SL „Rennflügel“ wird auf Herz und Nieren geprüft: Jeder Schlauch, jede Schraube, jedes Gummi. Eigentlich war der Plan, das Fahrzeug auf dem Anhänger nach England zu bringen – sicher, bequem, logisch. Doch kurz vor der Abfahrt entscheiden wir uns um: Wenig Ersatzteile im Gepäck, das Auto straßenzugelassen – warum also nicht auf eigener Achse bis nach Dünkirchen? Ab dort geht’s dann doch auf den Anhänger, denn spätestens ab der Fähre wird’s zolltechnisch etwas komplex. Non-EU-Formalitäten und Logistik lassen grüßen.
Das Event ist größer als das Rennen
Wer glaubt, Goodwood sei einfach nur ein weiteres Oldtimerrennen, der irrt. Hier geht es nicht primär um Rundenzeiten, nicht um Podiumsplätze oder Pokale. Es geht um Stil, Authentizität und Atmosphäre. Der „Revival-Spirit“ ist das wahre Ziel – und das spürt man in jeder Ecke des Geländes.
Unser ‚Rennflügel‘ ist ein echter Blickfang – chromblitzend, kraftvoll, wunderschön, einzigartig. Im direkten Wettbewerb ist er jedoch chancenlos gegenüber den englischen Fahrzeugen: zu schwer, zu sanft abgestimmt. Doch genau das macht ihn besonders – er verkörpert nicht den Sieg, sondern die Geschichte. Für uns ist klar: Wir sind nicht nur wegen des Motors hier, sondern wegen der Menschen, der Gespräche, der Erinnerungen, die zwischen den Boxen entstehen.
Zwischen Drehmomentschlüssel und Gulaschtopf
Goodwood ist für uns nicht nur ein Rennen, sondern ein riesiges Familientreffen – und das im besten Sinne. Neben der technischen Checkliste für den ‚Rennflügel‘ haben wir auch eine Einkaufsliste für das Wochenende erstellt: Essen und Getränke für rund 15 Leute. Am Ende sitzen natürlich wieder über 20 am Tisch.
Doch Tiefkühlpizza oder Dosenravioli? Nicht mit uns. Wir wollen Wärme – nicht nur im Motorraum, sondern auch in der Küche. Wenn ich also nicht gerade unter dem Auto liege, findet man mich am Herd, zwischen Knoblauchduft und Bratpfanne. Jeder hilft mit, keiner steht daneben. Dieses Zusammenspiel macht das Wochenende so besonders – man fühlt sich nicht wie ein Dienstleister, sondern wie Teil einer großen Familie.
Technische Abnahme und erste Runden
Donnerstag: Technische Abnahme. Keine Mängel, keine Überraschungen. Unser ‚Rennflügel‘ meistert das souverän – fast schon Routine.
Freitag: Training. Ich stehe mit verschränkten Armen in der Boxengasse und bete innerlich, dass alles gutgeht. Der Himmel ist grau, typisch britisch. Unser Reifendruckziel liegt bei 2,3 bar kalt. Kein Spielraum für Fehler – Ersatzteile sind knapp. Aber der SL läuft wie ein Uhrwerk, das Wetter hält, der Druck stimmt. Erleichterung.
Samstag: Renntag. Für mich gibt’s eine Premiere: der Fahrerwechsel. Klingt simpel – ist es aber nicht. Die Boxengasse in Goodwood ist eng, unübersichtlich, fast schon chaotisch. Nur ein Mechaniker pro Fahrzeug ist erlaubt – und das bei laufendem Renngeschehen. Ein kleines Wunder, dass wir das ohne Blessuren oder verbogene Bleche überstanden haben.
Platz 18 am Ende – klingt unspektakulär, ist für uns aber ein voller Erfolg. Angefangen in Position 26, geendet Platz 18. Auto heil, Kunden glücklich, kein Drama. Mehr wollten wir nicht.
Zwei Welten prallen aufeinander
Was mich jedes Jahr aufs Neue fasziniert, ist der kulturelle Unterschied. Während wir Deutschen mit technischer Präzision, Ruhe und viel Gelassenheit an die Sache herangehen, brennen die Engländer förmlich für den Wettbewerb in Goodwood. Da wird geschraubt, gestritten, gefeiert – oft alles gleichzeitig. Für viele ist es mehr als ein Hobby. Es ist ein Kampfgeist, den man fast greifen kann: ölverschmiert, laut, emotional.
Und gerade deshalb ist Goodwood Revival für mich das Highlight des Jahres. Weil es nicht perfekt ist. Weil es rau ist, lebendig – und voller Seele.
Fazit: Mehr als nur ein Rennen
Am Ende des Wochenendes ist der Gullwing wieder auf dem Hänger, das Team müde, aber zufrieden. Die Kunden schwärmen noch immer vom Essen, der Fahrt und der Stimmung. Und ich? Ich bin einfach nur dankbar, Teil davon gewesen zu sein.
Goodwood ist kein Rennen. Es ist ein Gefühl. Ein Ort, an dem Vergangenheit und Gegenwart miteinander tanzen – zwischen Lederjacken, Motoröl und liebevoll zubereiteten Mahlzeiten.