Leserbrief von Herrn Michael Watzke (aus dem Landkreis Esslingen) zum MBMC–Newsletter Nr. 19:
Der Modellautohersteller >Autocult< hat für Ende diesen Monats (Mai 2016) die Auslieferung des Mercedes-Benz C111 Sacco (1969) angekündigt. Meiner Meinung nach ist die Bezeichnung für diese in den 60er Jahren entwickelte Studie nicht korrekt, der Fehler liegt aber nicht bei Autocult, sondern bei Mercedes-Benz selbst. Aber dazu unten mehr.
Das erste Mal habe ich das Original im Jahre 2010 anlässlich einer Supersportwagen-Ausstellung im Mercedes-Museum gesehen. Die Studie stand aber nicht im Museum selbst, sondern war als Hinweis auf diese Ausstellung in einer der großen Glasvitrinen in der Ebene 0 des Museums-Parkhauses geparkt. Seinerzeit habe ich leider keine Fotos davon gemacht und leider weis ich auch nicht, was auf dem zu der Studie gehörenden Hinweisschild an der Vitrine stand.
(anbei das Hinweisschild, die Red.)
Im Frühjahr 2012 ist die Studie dann wieder aufgetaucht, dieses Mal bei einer erneuten „Supersportwagen“-Ausstellung in der Mercedes-Benz Niederlassung München. Diese Ausstellung war wesentlich kleiner als zuvor im Mercedes-Museum, es waren nur 3 Autos ausgestellt. In München war die Studie als „969 Mercedes-Benz C111 Sacco Studie“ betitelt.
Letztes Jahr war die Studie bekanntermaßen Bestandteil der großen C111-Ausstellung im Mercedes-Museum: Hier wurde der silberne Flügeltürer dann als „965 Designstudie „L X““ bezeichnet.
Interessant ist aber der Text von der Infotafel: „Diese Designstudie aus dem Jahr 1965 stammt von den Stilisten Giorgio Battistella und Paul Bracq, die Mitte der 1960er an einem Supersportwagen gearbeitet haben. Die Studie, hier als Holzmodell im Maßstab 1:1 realisiert, versprüht den klassischen Design-Esprit der 1960er Jahre. Der Entwurf veranschaulicht, wie groß der Entwicklungsschritt zum C111 war und wie die Designer um Bruno Sacco und Josef Gallitzendorfer mit dem aufsehenerregenden Wankel-Sportwagen die Formensprache von Mercedes-Benz entscheidend erneuert haben.“
- Soweit die Fakten.
- Eigentlich alles klar, oder?
- Supersportwagen-Studie von Battistella und Bracq, der C111 von Sacco und Gallitzendorfer?
Ich habe selten so wenig über ein Mercedes-Modell in den bekannten Publikationen gefunden, wie über diese Studie, nämlich eigentlich gar nichts.
Im richtig gut gemachten C111-Buch von Paul Frere (ISBN 978-2880010973) ist die Studie mit keinem Wort erwähnt, hier liegt die Vermutung nahe, dass die Studie abgesehen vom ähnlichen Konzept (Klappscheinwerfer, Flügeltüren, Mittelmotor) nichts mit dem C111 zu tun hat.
Ansonsten findet sich nur im relativ neuen Buch „Mercedes-Benz Raritäten“ von Christof Vieweg (ISBN 978-3862457229) aus dem Jahr 2014 auf Seite 113 ein kleiner Hinweis, der die Studie als SLX der 70er Jahre von Bruno Sacco bezeichnet. Das Buch ist an sich nicht schlecht, nur aufgrund der Vielfalt der gezeigten Autos und der Seitenzahl des Buches viel zu oberflächlich und eben auch falsch recherchiert.
Im Band 4 der Serie „Mercedes-Benz Automobile“ (ISBN 978-3893657049) findet sich auf Seite 19 eine Skizze von Paul Bracq zu einer Studie eines möglichen 190SL-Nachfolgers, die der C111/SL X-Studie nicht unähnlich ist.
Google half auch erst mal nicht weiter, Suchbegriffe wie „C111 Sacco Studie“ oder „L X“ brachten keine wirklichen Erkenntnisse, bei der Bildersuche gibt es dann fast nur Bildmaterial von der C111-Ausstellung.
Eine Anfrage im Mercedes-Exotenforum ergab viel Falsches; unbekanntes Bildmaterial und den Hinweis auf ein mir bis dahin unbekanntes Buch. Das Buch „Faszination der Form – Automobildesign in Baden-Wurttemberg“ von Kieselbach und Lessing (ISBN 978-3476018250).
„Das Buch beschäftigt sich mit dem Automobildesign im Süden Deutschlands, also mit Benz und Daimler, NSU, Porsche, Veritas aber auch Magirus, Kassbohrer, Auwarter, Vetter, usw. Außerdem mit den „kleinen Designern“, den Karosseriebauern, die schone Einzelstucke und Kleinserien geschaffen haben. Dabei wird die Brücke über die verschiedenen Jahrzehnte geschlagen, vom plüschigen Pomp der 1920er Jahre, zur Sachlichkeit der Moderne in den 1960er Jahren. Schon sind dabei die alten Fotos aus den Design-Ateliers und Designer-Büros. Bilder die so selten in Autobüchern auftauchen.“ So der Text einer Rezension, der nichts hinzuzufügen ist.
Ganz klar auch ein Buch für Avus, ist doch auch etliches „stromlinienförmiges“ dabei. Das Buch habe ich für sagenhafte €1,27 plus Versand bei Amazon geschossen. Hier wird zwar nicht explizit auf die Studie eingegangen, aber es werden viele Bilder, häufig im Zusammenhang mit Paul Bracq gezeigt. Ein Bild seines Büros mit einem Modell der fraglichen Studie, mit Zeichnungen der Studie auch als Roadster. Skizzen verschiedener Entwurfe, die der Studie vielfach sehr ähnlich sind.
Letztendlich komme ich zu dem Schluss, und das ist leider nur meine persönliche Vermutung, dass die Studie, ganz klar von Paul Bracq entworfen wurde, einen damals möglichen Nachfolger entweder des W121 BII (190SL) oder des W198 (300SL) zeigt, die dann später verworfen wurde. Jedenfalls gibt es keinen wirklichen Nachfolger weder des 190SL, noch des Flügeltürers 300SL. Die SL-Reihe wurde dann ab 1963 vom W113 (230/250/280SL) fortgeführt.
Zeitlich passt das für mich auch, wenn man sich die doch recht barocke, mit einem amerikanisch-italienischem Touch entworfene Form der Karosserie ansieht. Ich denke, dass die Studie Ende der 50er entworfen wurde, danach das 1:1-Holzmodell gebaut wurde und das Projekt 1965 in der Schublade verschwand. Später habe ich noch nach Paul Bracq gegoogelt. Ergebnisse vielfach französisch. Bracq war übrigens von 1957 bis 1967 in Mercedes-Diensten.
Und das Autocult-Modell? Ich habe die Bracq-SL-Studie bestellt, ich freue mich schon drauf.
Kommentar des Redakteurs:
Tja, liebe Newsletter-Leser, da staunt der Laie, und bei Mercedes sieht es so aus als ob die rechte Hand nicht weiss, was die linke tut, zumindest nicht, wenn es um die Identifizierung von Ausstellungsstucken geht… Wie sonst konnte ein Wagen, egal ob Prototyp oder nicht, zweimal dem Publikum so völlig verschieden vorgestellt werden. Hier kann man über die Ungereimtheiten nur den Kopf schütteln.
Um so mehr so, weil der Museums- bzw. Ausstellungsbesucher die Beschreibungen, und grundsätzlich alles was er in einer (egal welcher) Ausstellung über die Ausstellungsstücke liest, für das letzte Wort halt…und wieder werden dann weitere Falschheiten in die Welt gesetzt!!!
Irgendwo im Firmen-Archiv durften die genauen Antworten doch vorhanden und auffindbar sein. Ist die jetzige junge Generation Angestellter an historischer und faktischer Genauigkeit interessiert, oder ist es ihnen völlig gleichgültig? Wie kann es zu zwei grundverschiedenen historischen Darstellungen kommen? Sollten neue Erkenntnisse vorliegen, warum wird dann nicht darauf hingewiesen? Oder kennt man im Konzern das Wort „Kommunikation“ (wenigstens intern, zwischen den Abteilungen) nicht??? Ich fürchte nicht…Wo soll das letztendlich hinführen??
Oder handelt es sich hierbei vielleicht gar um Geschichtsaufbereitung? Bracq und Sacco arbeiteten beide zwischen 1958 und 1967 zeitgleich bei Daimler-Benz. Kann es möglich sein, dass der eine „stilisierte“, und der andere hier die Lorbeeren erntete?
Gern wurde ich mal zu all diesen Punkten den offiziellen Standpunkt von Mercedes hören bzw. lesen. Hier meine e-mail: loosen.b@bell.net (Allerdings befürchte ich, dass man in Stuttgart über solche Lappalien nur die Nase rümpft).