von Carlo Freischem und Gert Meyer-Jüres
Nach der auch für uns völlig überraschenden und fast unkomplizierten “Mitfahrt” bei der letzten Tagesetappe der “Mille Miglia 2025” (siehe https://mvcoldtimerticker.de/mille-miglia-2025-etappe-parma-brescia/) hatten wir bis zum nächsten Event, der Jubiläumsfeier anlässlich des 200-jährigen Bestehens der Stilfser Jochstraße am 4. Juli 2025 knapp zwei Wochen Zeit. Dafür lohnte es sich nicht, nach Hause zu fahren. Also unternahmen wir schöne Touren an die vier oberitalienische Seen: Lago d’Iseo, Lago di Como, Lago di Lugano und Lago Maggiore.
Peppi Stecher, der Hotelier vom „Hirschen“ in Mals im Vinschgau, bei dem wir auf dem Weg nach Oberitalien schon häufig übernachtet hatten, hat uns im April auf eine Jubiläumsfahrt aufmerksam gemacht. Diese sollte zum 200-jährigen Bestehen der Passstraße über das Stilfser Joch durchgeführt werden. Sie ist mit dem Gipfelpunkt auf 2.757 m ü.M. die höchste Europas. Ab 1820 war sie im Auftrag des österreichischen Kaisers Franz I. gebaut worden. Der Kaiser wollte die damals noch zu Österreich gehörende Lombardei und Mailand mit den übrigen Landesteilen verbinden und schneller erreichbar machen. Dafür musste eine für Esel- und Pferdekutschen geeignete Passüberquerung ohne zu große Steigungen geschaffen werden. Mit rund 2.000 Arbeitern wurde sie über fünf Jahre lang gebaut und im Sommer 1825 von Fürst Metternich feierlich eröffnet.
Am 05. Juli 2025 sollten zum 200-jährigen Jubiläum die Auffahrten zum Stilfser Joch mit 82 Haarnadelkurven sowohl von Trafoi als auch von Bormio aus gesperrt werden. Hierdurch sollte gewährleistet werden, dass die 200 angemeldeten, klassischen Rennwagen und Oldtimer ausnahmsweise keinen Gegenverkehr hätten. Insbesondere sollten zeitgleich keine Motorrad- oder Radfahrer auf der Strecke unterwegs sein.
Das klang spannend! Man musste sich anmelden, und wir hatten das Glück, zugelassen zu werden: unser Mercedes 220 Cabriolet A von Bj. 1952 wurde akzeptiert! Also konnten wir uns wie ca. 100 andere Fahrzeuge mit Startpunkt Trafoi (48 Kehren, 28 km) anmelden. Weitere ca. 100 Autos sollten von Bormio aus (34 Kehren, 22 km) starten. Oben am Stilfser Joch war der gemeinsame Treffpunkt geplant!
Am Freitagnachmittag, dem 4. Juli 2025 fand in Glurns der Empfang der Teilnehmer statt. Auf dem Festplatz sammelten sich bei herrlichem Sonnenschein die angemeldeten Fahrzeuge. Die Fahrer bekamen ihre Startnummern, ihre Teilnehmerunterlagen und vor allem jeweils zwei Kanister mit insgesamt 10 Liter umweltverträglichem „Biobenzin“. Unter den Teilnehmern war auch Hans-Joachim „Strietzel“ oder „Stucki“ Stuck, der im AUDI-Rennwagen C8 „Silberpfeil“ mit 16 Zylindern teilnahm. Mit diesem Modell hatte sein Vater Hans Stuck 1932 das Stilfser-Joch-Rennen gewonnen.
Mit von der Partie waren nur vier Fahrzeuge von Mercedes: ein 710 SSK aus dem Technik-Museum in Speyer, unser 220 Cabriolet A, ein weiterer des gleichen Typs und ein 220 S Ponton Cabriolet. Ferner u.a. einige alte (Renn-)Wagen von AUDI-Tradition, zwei Horch Cabriolets, drei Frazer Nashs, mehrere Bugattis, Rileys, ein Moretti, ein Delahaye und natürlich viele Maseratis, Lancias, Alfa Romeos und Fiats.
In Gedenken daran, dass auch Ferdinand Porsche das Stilfser Joch oft für Testfahrten (1936 und 1937 mit dem VW-Käfer-Vorgänger „KdF“-Wagen und nach dem Zweiten Weltkrieg mit 356er-Porsches) genutzt hatte, waren mindestens 50 (auch moderne) Porsche zugelassen – darunter einer der seltenen 917 Spyder.
Carabinieri und „Polizia Stradale“ waren u.a. mit einem Lamborghini und einer Giulia von Alfa Romeo vertreten.
Am Samstagmorgen, dem 5. Juli 2025 wurden in Trafoi ab 08:00 h nur noch die angemeldeten Fahrzeuge durchgelassen – andere Autos, Motorrad- und Radfahrer mussten umkehren oder bis zum Nachmittag warten. Der Start erfolgte im Minutentakt, wobei zunächst die ältesten Fahrzeuge an der Reihe waren. Teils wählten sie – wie der Mercedes SSK aus dem Technik-Museum Speyer und der Bugatti von Thomas Feierabend aus Würzburg – den sog. „fliegenden Start“ aus der Einfahrt des Hotels „Bella Vista“ heraus. Nur „Stucki“ musste warten und durfte eigenartigerweise erst als letzter starten.
Wir hatten die Startnummer 55 – und die Auffahrt war herrlich! Endlich konnte man die 46 Haarnadel-Kurven ab Trafoi mal wie auf einer Rennstrecke nehmen. Ein Radfahrer, der sich wohl an den Kontrollen vorbeigeschummelt hatte, kam uns dann aber plötzlich doch in einer Kurve entgegen. Ob dem bewusst war, wie gefährlich er lebt, weil niemand mit ihm rechnete?
In jeder Kurve standen Streckenposten und überwachten das Geschehen. Unser 220er machte brav und flott mit, so dass wir gelegentlich sogar überholen konnten. Ab der Baumgrenze bei etwa 1.800 Höhenmetern verlor der Motor jedoch – wie erwartet . .wegen der dünneren Luft an Kraft: physikalisch bedingt sank die Leistung etwas.
Damit hatten Conny Frömsdorf und ihr BMW 328 (mit wesentlich mehr Leistung als die ursprünglichen 80 PS) aus der Werkstatt von Thomas Feierabend in Würzburg keine Probleme: sie ließen wir dann (wie danach auch einen Riley) auf einer Geraden gerne an uns vorbei!
Oben auf rund 2.757 m ü.M. angekommen überraschte uns mitten im Sommer das Wetter mit Schneeregen: das Cabrio-Verdeck musste geschlossen werden, und wir waren froh, uns nach der Begrüßung zum Mittagessen in den geheizten Räumen des Passhotels aufwärmen zu können.
Exkurs: Dass das Wetter am Stilfser Joch auch schön sein kann, erlebten wir eine Woche später. Im Rahmen der tollen „Südtirol Classic Schenna“, an der wir ab dem 6. Juli 2025 teilnahmen, kamen wir am 10. Juli noch einmal zum Stilfser Joch. Wieder war die Auffahrt von Trafoi bis zur Passhöhe für den normalen Verkehr komplett gesperrt. Nur unsere Oldtimer durften durch – und jetzt herrschten selbst auf 2.757 m ü.M. schönstes Sommerwetter und herrlicher Sonnenschein. Das Mittagessen wurde allerdings dieses Mal nicht oben, sondern in Trafoi im schönen Hotel “Bella Vista” von Gustav Thöni (mit 4-Gletscher-Blick!) eingenommen. Bei der Talfahrt hatten wir Teilnehmer leider sehr starken Gegenverkehr von Autos, Motorrädern und Fahrrädern: nachdem sie längere Zeit warten mussten, bis die zuvor exklusiv für uns erfolgte Sperrung aufgehoben worden war, fuhren sie nämlich leicht genervt, pulkweise, und relativ schnell nach oben. Das war für alle nicht ungefährlich – weder für die Berg-, noch für die Talfahrer! Vor allem die langen Bentleys und Rileys kamen bei Gegenverkehr kaum durch Haarnadekurven nach rechts, ohne zurücksetzen zu müssen!
Zurück zur 200-Jahre Jubiläumsfahrt: Nach dem Essen hatte sich die Sonne durchgekämpft, so dass wir nicht nach Trafoi, sondern mit wieder geöffnetem Cabrio-Verdeck nach Bormio hinunterfuhren. Diese Strecke kannten wir nämlich noch nicht!
Dadurch verlängerte sich jedoch unsere Rückfahrt in den Vinschgau nach Mals wesentlich: wir hatten uns nämlich mit dieser spontanen Entscheidung noch weitere Passfahrten zugemutet: über die SEHR engen Sträßchen des Gaviapasses sowie über den Tonale-, Mendola- und Ultenpass! So kamen wir dann nach weiteren 5 (also insgesamt 14!) Stunden ziemlich erschöpft, aber hoch begeistert erst gegen 22 Uhr wieder im Hotel „Hirschen“ in Mals an. Dort ging dann ein langer und erlebnisreicher Tag feucht-fröhlich zu Ende!
Peppi Stecher sei an dieser Stelle nochmals für den tollen Tipp sehr herzlich gedankt!
Hier noch eine Mitfahrt von der Strecke und bewegte Bilder vom Wegesrand:
Und die Bildergalerie mit allen weiteren Bildern: