MBMC: Ein Fortsetzungs-Roman mit einem 500K in der Nebenrolle – Teil 3

Eugene Bullard, der erste schwarze Kampfpilot in Frankreich 1917

Die Geschichte von Eugene Bullard ist bemerkenswert. Er wurde am 9. Oktober 1895 in Columbus, Georgia,  USA, geboren. Im Alter von ca. 10 Jahren rannte er von zuhause weg, um nach Frankreich, seinem Traumland der Freiheit, Gleichheit, und Brüderlichkeit zu gelangen. Die nächsten Jahre schlug er sich von Ort zu Ort durch, bis er in Norfolk, Virginia, den Hafen erreichte.

Er ging 1912 als blinder Passagier auf einen deutschen Frachter, wurde natürlich entdeckt, und wurde auf dem Weg nach Hamburg im ersten erreichbaren Hafen, in Aberdeen, an Land gesetzt. Von dort arbeitete er sich bis nach London durch, wo er als Boxer überlebte, dann als Slapstick-Komiker Teil einer Variéténummer wurde, die quer durch Europa (u.a. auch nach Paris) reiste.

1914 war er wieder in Paris, diesmal wieder als Boxer, und als der Krieg ausbrach, meldete er sich freiwillig bei der französischen Fremdenlegion. Er hatte zwar keinerlei Papiere, aber schneller Lerner der er war, sprach er bereits Französisch, und leidlich Deutsch, das er sich auf der Überfahrt angeeignet hatte. Das war für die Legion gut genug, um ihn im Alter von 19 Jahren als „bon pour le service“, auf Deutsch: “kv“ zu akzeptieren..

Er wurde zweimal verwundet, und trat schließlich in die Elite der neuen französischen Luftwaffe ein. Er wurde der erste schwarze Kampfpilot in Frankreich. Seinen ersten Luftsieg errang er, zweiundzwanzigjährig, am 17. November 1917 in der Gegend um Metz, wo er mit seinem ‚Spad VII‘ einen deutschen ‚Fokker‘ abschoss, und selbst mehr schlecht als recht landete. Sein Flugzeug wies 97 Einschüsse auf, diesmal war Oberstabsgefreite Bullard aber unverletzt davongekommen. Er wurde mit dem “Croix de Guerre“ ausgezeichnet, einer der höchsten militärischen Auszeichnungen Frankreichs. Bullard sagte einmal, dass er in Frankreich die Freiheit habe,  „einfach ein Mann zu sein“, und nicht nach seiner Hautfarbe beurteilt zu werden.

James Reese Europe, Eugene Bullard, und der Jazz

1917 traten die Amerikaner in den Ersten Weltkrieg ein. Die New Yorker Nationalgarde, die in Harlem  rekrutierte, stellte in kürzester Zeit das 15. Regiment der New Yorker Nationalgarde (auch bekannt als das 369.
Infanterieregiment, ebenfalls bekannt als die „Harlem Hellfighters“) auf. Während das amerikanische Oberkommando darüber stritt, ob schwarze Truppen bewaffnet werden sollten, damit sie auf feindliche weiße Soldaten schießen konnten, machte sich James Reese Europe, ein bereits bekannter Dirigent und Komponist (1881-1919), daran, die musikalischen Talente seines Regiments zu organisieren. Als General Pershing, der Kommandeur der ‘American Expeditionary Force‘, die „Harlem Hellfighters Regimental Jazz Band“ hörte, wollte er sie für sich im Hauptquartier behalten.

Die „Harlem Hellfighters Regimental Jazz Band” in Frankreich

Die Band war so gut, dass Pershing sie schließlich auf eine ausgedehnte Tournee durch Frankreich schickte, um “die müden französischen Füße zum Wippen zu bringen“. Der Klang des Jazz war für französische Ohren so neu und fremd, daß andere französische Militärmusiker die Instrumente von Reese Europe‘s Band überprüften, um zu sehen, ob sie nicht manipuliert worden waren.

Während sich alle einig waren, dass die Band großartig spielte, konnte sich nicht jeder im amerikanischen Militär mit dem Gedanken anfreunden, dass ein schwarzes amerikanisches Regiment tatsächlich bewaffnet auf das
Schlachtfeld ziehen würde. Pershings Lösung bestand darin, das Regiment an die französische Armee abzutreten. Das französische Kommando seinerseits hatte keinerlei Vorbehalte, die ‚Hellfighters‘ auf den Feind loszulassen. Auch im Kampf erwies sich James Reese Europe als unerschrockener Anführer seiner Truppe!

Für viele afroamerikanische Soldaten war die Erfahrung, in einem anderen Land zu sein, in dem andere soziale und kulturelle Erwartungen herrschten als in Amerika, zweifellos sehr ermutigend. Einige entschieden sich, in
Frankreich zu bleiben, um ihr Glück in einem Land und einer Kultur zu versuchen, in dem es offenbar weniger Rassenvorurteile gab. Natürlich gingen die allermeisten nach Paris.

Der Jazz erobert Paris

Auf jeden Fall waren die Franzosen von dieser neuen Musik aus Amerika begeistert. Wie die Tageszeitung „Public Evening Ledger“ aus Philadelphia, in Ihrer Ausgabe vom 21 März 1919, in einem Interview mit dem Dirigenten
Leutnant James Reese Europe berichtet: „An einem Tag im vergangenen Sommer (1918) fand in den Tuilerien Gärten in Paris ein großes Musikkonzert zugunsten der von „Big Bertha“ [Kanone] geschädigten Familien statt.

Dreißigtausend Menschen zahlten 5 Dollar Eintritt.

Die Elite der Militärmusiker der Welt war anwesend – die französische Garde Républicaine mit mehr als hundert Mitgliedern, die britischen Grenadiere mit fast ebenso vielen, die Royal Italian Band mit neunzig. Zu diesen berühmten Organisationen gesellte sich eine weitere – eine Band amerikanischer farbiger Jungen, die erst ein Jahr zuvor in Camp Dix zusammengekommen war.
Und wie Leutnant Jim Europe mit breitem Grinsen in seinem strahlenden braunen Gesicht sagt: „Ich weiß nicht, warum die Leute diese wunderbaren Bands stehen ließen und zu uns rüberkamen, um uns zuzuhören! Ich war zu
Tode erschrocken. Ich dachte, jetzt haben sie mich erwischt: sie werden mich von meinem Sockel stoßen.
Ich sagte zu meinen Jungs: „Hört zu, ihr könnt nicht so viel Lärm machen wie diese Bands, also versucht es um Himmels willen nicht. Seid einfach eine kleine, süße, sanfte Wiegenlied-Band.“ Jim Europe lachte leise.
„Wir haben mit ‚Plantation Echoes‘ eröffnet“, sagte er. Das endete mit ‚Dixie‘. Du hättest mal die Menge sehen sollen. Sie warfen ihre Hüte in die Luft und machten weiter wie die Verrückten. Wir schauten zu den anderen Bands hinüber. Das Einzige, was man dort sehen konnte, waren Instrumente. Die Menge war ganz wild darauf, unser Jazzzeug zu hören.
Nein, ich wüsste nicht, warum jemand diese tollen Bands verlassen sollte, nur um uns zuzuhören.“

Wenn Sie jemals Jim Europe’s „Hell Fighters“ spielen gehört haben, oder wenn Sie Jim Europe lächelnd und
auf seinen gelenkigen Beinen schwankend gesehen haben, während er diesen stürmischen Rausch von lauter, funkelnder Melodie leitet, dann wissen Sie, warum die Luft in den Tuilerien schwarz von fliegenden Hüten war. Von diesem Tag an wurde die 369th United States Infantry zur berühmtesten Band der Welt.“

Und so hatte der Jazz Paris erobert.

Paris in den Zwanziger Jahren

Am 9. Mai 1919 wurde Herbert Wright, der Schlagzeuger in Europas Band, während der Pause eines Konzerts der Band äußerst unruhig, und warf in einem scheinbar ungerechtfertigten Wutausbruch seine Schlagzeugstöcke auf den Boden. Er behauptete, dass Europe ihn nicht gut behandelt habe, und dass er es leid sei, stets für die Fehler anderer verantwortlich gemacht zu werden. Er  griff Europe mit einem Taschenmesser an und schaffte es, ihm in den Hals zu stechen. Obwohl die Wunde nur oberflächlich zu sein schien, starb Europe noch am selben Abend. Zum Zeitpunkt seines Todes war Europe der berühmteste schwarze amerikanische Bandleader in den  Vereinigten Staaten. Sein Leichnam wurde zurück in die USA überführt und auf dem Arlington National  Cemetery in Arlington, Virginia, beigesetzt.

So begeistert Frankreich von der „neuen Musik“ war, so sehr prägte sie die Pariser Kultur der 1920er Jahre und der Jazz wurde zum festen Bestandteil sämtlicher Pariser Kabarettprogramme. Da Eugene Bullard (der bereits
erwähnte Kampfpilot) über Verbindungen zur wachsenden schwarzen Musikergemeinde am Montmartre und zu seinen Freunden aus der Oberschicht der französischen Luftwaffe verfügte, wird er zum Impresario, und
organisiert bald Auftritte von Jazzbands auf gesellschaftlichen Festen und Hochzeiten. Gleichzeitig nimmt er Schlagzeug-Unterricht von Louis Mitchell.

Der 1885 in Philadelphia geborene Schlagzeuger Louis Mitchell hatte bereits in den 1910er Jahren mit verschiedenen Orchestern in Europa – hauptsächlich in England und in Frankreich gespielt, und wurde 1919 vom Manager des „Casino de Paris“ beauftragt, amerikanische Jazz-Musiker zu finden, die in Paris spielen wollten. Kurz danach gründet Louis Mitchell seine Band „Mitchell’s Jazz Kings“, die im „Casino de Paris“ auftritt. Allerdings interessiert sich Mitchell ab Ende 1923 weniger für seine Band und mehr dafür, Club-Besitzer zu werden, und öffnet 1924 am Ende der rue Pigalle, Nummer 12, „Le Grand Duc“, einen kleinen Jazz-Klub mit Eugene Bullard als Manager, in dem auch Josephine Baker auftritt.

Das „Moulin-Rouge“ wird ab 1929 mehr und mehr zu einem einem ultramodernem Music-Hall, mit einem entsprechenden Jazz-Angebot, und bietet Shows mit dem „Cotton Club“ an, und Musikern wie Louis Armstrong, Count Basie, Cab Callaway, die Sängerin Dorothy Dandridge und das Duke Ellington Orchester an.

Nichtsdestotrotz verdreht der French Cancan, der sich mittlerweile einen Ehrenplatz erobert hat, trotz allem weiterhin die Köpfe im „Salle du Bal“ im Untergeschoss des „Moulin Rouge“.

Lucy Franchi, « le Monocle », « La Roulotte »

Soweit sich nachvollziehen lässt, kauft irgendwann zwischen 1925 und 1929 eine gewisse Lucy Franchi, auch “Lulu de Montmartre“ genannt, das 1886 geöffnete „La Roulotte“, gegründet vom damals in Montmartre bekannten und geschätzten Komponisten und Chansonnier Georges Charton (1862–1929). Dieses Cabaret war in den ersten Jahren unter Führung seines Gründers in der „rue de Douai“ beheimatet, bis es, 1933, praktisch um die Ecke herum in die „rue Pigalle“ (heute in „rue Jean-Baptiste Pigalle“ umbenannt) umzog. Ursprünglich zw. 1866 und 1869 hatte der Fotograf Etienne Carjat dort sein Atelier.

Allerdings ist nicht ganz klar, was hier an Frau Franchi verkauft wurde, das Gebäude, der Pachtvertrag, der Name, oder anders ausgedrückt, wer was an wen verkauft hat. Zu dem Zeitpunkt, als Mme. Franchi das Lokal in der rue Pigalle übernahm, das die neue Anschrift von „La Roulotte“ werden sollte, stand das Lokal leer. Zuletzt wurde dort zwischen 1905 und 1920 das bürgerliche „Le Royal“ Restaurant betrieben.

Wie dem auch sei, jetzt ist „Lulu de Montmartre“, die Madam, die Chefin der rue Pigalle. Lucy Franchi hatte sich bereits vor ihrem Umzug von der rue de Douai einen Namen im  Viertel gemacht. Sie galt sozusagen als die Oberin aller Gunstgewerblerinnen der rue Pigalle.

Ihr erstes Unternehmen war „Le Monocle“, ein Cabaret, das sie unter dem Namen „Lulu de Montparnasse” zwischen 1920 und 1925 in dem Künstler- und Bohème-Viertel Montparnasse auf dem linken Seine-Ufer eröffnete und dessen Zutritt ausnahmslos, ganz dem neuen Freiheitsbewusstsein der Zwanziger Jahre entsprechend, ausschließlich weiblichen Kunden gestattet war. Erkennungszeichen der Damen war das Tragen eines schwarzen Smokings, kurze schwarze Haare, die nach hinten gekämmt wurden, und vor allem das Tragen eines Monokels. Tatsächlich durfte nur ein einziger Mann ein einziges Mal das Haus betreten, es war der Fotograf Brassaï (eigentlich Guyla Halász), berühmt für seine Aufnahmen des nächtlichen Paris, den Madam Lucy beauftragt hatte, ein paar Aufnahmen zu machen.

Lucy Franchi hatte mit dem Kauf des ‚La Roulotte‘ eine unternehmerische Ausweitung unternommen. Das ursprüngliche ‚La Roulotte‘ war ein vergleichsweise kleines Cabaret gewesen, das sich unter Georges Charton
mehr des Vortrags von Gedichten und typischer französischen „Chansons“, d.h. lyrisch geprägter Lieder gewidmet hatte, die beide oft vom Besitzer selbst komponiert und vorgetragen wurden. Dem sollte nicht so bleiben. „La Roulotte“ wurde zu einem Cabaret, wie jedes andere der 102 Cabarets, Revues, Nachtklubs in Paris (Allein in Montmartre gab es davon zu der Zeit bereits 49!), mit Darbietungen, Tanz, Musik, Gesang, Bar, und was sonst noch an der Bar so angeboten wurde. Schreibt der Autor Hervé le Boterf: „Nachtclubs blühten wie Gänseblümchen im Frühling.“, und die Zeitschrift “L’Illustration“ fügt hinzu: „Nie gab es so viele“.

„Les Folies-Bergère“, „Le Moulin-Rouge“, „Le Casino de Paris“, „le Lido“ und „le Tabarin“ waren die stilvollsten, renommiertesten und erstklassigsten dieser Häuser, mit den besten und den spektakulärsten Shows. Eine kleine
Stufe darunter, aber immer noch sehr gut, fand man u.a. „l’A.B.C.“, „Shéhérazade“, „l’Alhambra“, „Le Bobino“.

„La Roulotte“ jedenfalls zählte bei Weitem nicht zu den besten, noch zu den zweitbesten, eher zu den niederwertigen, auch wenn die Geschichte dieses Cabarets und seiner ersten Besitzerin im Zusammenhang mit dem Mercedes 540K Cabriolet A von 1936 aus Werbegründen fast bis zum Äußersten geläutert und beschönigt wurde. Kommentar eines Mr.Teddy Dupont aus Paris, der die Zeit noch kannte: „Lucy Franchi alias Lulu de Montmartre war eine stadtbekannte Pariser Puffmutter und „La Roulotte“ ein ziemlich schäbiger Nachtclub.“

Es heißt heute, Lucy Franchi “eröffnete Nachtclubs, die zu einem obligatorischen Treffpunkt für alle wurden, die das Nachtleben der französischen Hauptstadt genossen“. Es wäre schön gewesen, wenn man genau angegeben hätte, welche Art von Nachtleben hier gemeint war.

Es heißt auch, Lucy Franchi sei eine erfolgreiche Unternehmerin gewesen. Das mag durchaus stimmen, in ihrem Gewerbe war sie sicherlich erfolgreich.

Dass sie im wirtschaftlichen und politischen Durcheinander der Dreissiger Jahre in Frankreich am 6. Juni 1936 den Ausstellungsraum der Pariser Mercedes-Benz Niederlassung auf den Champs-Elysées betrat, und einen im
Deutschen Reich immerhin schon 26.000 RM teuren Mercedes 500K/540K kaufte – auch noch mit Sonderwünschen betreffs der Farbe und der Innenausstattung – einen Wagen, den sie wahrscheinlich bar oder per Scheck bezahlen musste, bezeugt, dass sie Geld hatte – auch wenn sie wie alle Madams in und um Montmartre ihr „Schutzgeld“ an Joseph Marini, den örtlichen Boss der Korsikanischen Mafia abzurichten hatte.

Heute hält sich noch immer die Behauptung, dass „la Roulotte“ auch das einzige Cabaret in Paris war, das während der deutschen Besatzung vom 16. Juni 1940 bis zum 25. August 1944 eine Sondergenehmigung erhalten hatte, bis zum Morgengrauen geöffnet bleiben zu können.

Das ist Unsinn, und entspricht nicht im Geringsten den Tatsachen.

Mit wenigen Ausnahmen öffneten alle Cabarets in Pigalle, allen voran das „Eve“ und „Le Paradise“, sogar auf Wunsch der Deutschen Kommandantur ihre Türen nacheinander bereits am dritten bzw. vierten Tag der Besetzung von Paris, und waren schon einen Monat später wieder so voll belegt, dass man nicht einmal einen Stehplatz an der Theke finden konnte.

Auf Antrag wurden bald Genehmigungen ausgestellt, die den Cabarets erlaubten, bis Mitternacht, später bis 5 Uhr morgens, geöffnet zu bleiben. Die letzten noch geschlossenen Cabarets öffneten rechtzeitig zu Weihnachten.

Die Cabarets, die ihre Genehmigung hatten, bis Mitternacht, zum Morgengrauen, oder 5 Uhr-Morgens geöffnet
bleiben zu können, erwähnten dies auch ausdrücklich in Ihrer Werbung. Dank der deutschen Soldaten lief das Geschäft, in den Cafés, Bars, Bistrots Cabarets, und auch in den Restaurants von Paris so gut wie seit den
Zwanziger Jahren nicht mehr, da wollte niemand auf Einnahmen verzichten.