MBMC: Ein Fortsetzungs-Roman mit einem 500K in der Nebenrolle – Teil 7

Die jüngste Geschichte

„Irgendwann um“ 1954, so heißt es, wird Pierres Mercedes 540K Cabriolet erneut gestohlen, dieses Mal offenbar von gewöhnlichen Autodieben. Der bittere Verlust veranlasst Pierre Franchi dazu, Suchanzeigen in den  Zeitungen aufzugeben.

Lange Zeit später trifft eine Antwort auf die Anzeige von einem Schrotthändler aus Südfrankreich ein, der auch  mit Gebrauchtwagen handelt. Bei der Inspektion des Wagens stellte sich heraus, dass einige Teile fehlten, aber der Händler verlangte dennoch eine, wie es heißt, unverschämte Entschädigungszahlung für das Cabriolet, das er angeblich gekauft hatte.

Pierre verklagt den Schrotthändler vor Gericht, und erst nach einem zweijährigen Verfahren erhält Pierre  Franchi seinen Mercedes auf dem Rechtsweg zurück.

Leider kann auch diese Geschichte nicht bestätigt werden, da wir nicht einmal erfahren, in welchen Ort in Süd-Frankreich der Wagen gefunden wurde, geschweige denn das genaue Jahr des Diebstahls, sondern nur ein
„Irgendwann um…“. Auch steht in der Broschüre zum Wagen, „eine Reihe von Bauteilen des Cabriolets war verschrottet worden“. Abgesehen von den Scheinwerfern erfährt der Leser nichts darüber, was sonst noch gefehlt hat. Der Diebstahl und die entwendeten „Bauteile“ sollen Pierre Franchi jedenfalls dazu veranlasst haben, den inzwischen zwanzig Jahre alten Wagen zu restaurieren, und „im Stil eines Mercedes 300 Sc“ zu modernisieren. Aufnahmen vom Ergebnis dieser Modernisierung konnten leider nicht gefunden werden.

In den fünfziger Jahren, so Herr Tessier vom „Atelier Automobiles Anciennes Dominique Tessier“, dem Pierre Franchi dies in den neunziger Jahren erzählte, wurde das Auto viel benutzt, auch für lange Fahrten von Paris nach Marseille, wo er, wie viele Korsen, noch Familie hatte (Pierre war eines von 8 oder 9 Geschwistern).

Nicht klar ist, ob diese vielen Reisen vor oder nach dem besagten Diebstahl stattfanden.

Ebenfalls in den fünfziger Jahren wird der Wagen wieder durch die Pariser Niederlassung von Mercedes generalüberholt und anschließend regelmäßig gewartet, jedoch sind darüber heutzutage anscheinend keine Arbeitsaufträge oder Rechnungen erhältlich, oder vorhanden.

Laut Mr. Tessier soll Pierre auch irgendwann beschlossen haben, in dem bis 1975 knapp 3000 Einwohner großem Kurort Châtel-Guyon, nahe der Stadt Clermont-Ferrand in der Auvergne, ein Casino zu eröffnen (obwohl es dort bereits seit 1902 ein – heute unter Denkmalschutz stehendes – Casino gab).

Er soll dort auch bis in die achtziger Jahre, mehrere „Concours d’Elégance“ organisiert haben, bei denen sein Mercedes Cabriolet A im Mittelpunkt stand.

Die jüngste Geschichte – Christie’s – Bonham’s

Laut der bislang überlieferten Geschichte des Wagens begutachtet der französische Automobil Experte Christian Huet den Wagen im Jahr 1990, und schreibt in seinem Bericht, dass der Wagen neu lackiert werden müsse. Kurz
danach soll Pierre Franchi „einen befreundeten Techniker beauftragt (haben), den Motor und das Getriebe in Ordnung zu bringen“. Im April 1992 schrieb ein Gutachter namens Arnaud Scene aus St. Cloud bei Paris, er habe das Projekt gesehen, und beurteilte es als: „demontiert, in Restaurierung begriffen“.

1993 kommt der Wagen zur Restaurierung in das 1985 gegründete “Atelier Automobiles Anciennes Dominique Tessier“ in Chambray-lès-Tours, eine Vorstadt von Tours im Loire Tal. Der Auftrag war, den Wagen in seinen Urzustand zu restaurieren, so wie Pierre Franchi ihn in Erinnerung hatte, so wie er von seiner Schwester Lucy bestellt worden sei.

Während der Arbeiten entwickelte sich eine Freundschaft zwischen Monsieur Tessier und Pierre Franchi, der zu diesem Zeitpunkt bereits 84 Jahre alt war. Ich hatte die Gelegenheit, mit Herrn Tessier eine längeres Gespräch zu
führen. Er bestätigte mir, dass Pierre Franchi ihn seinerzeit, nach erfolgter Restauration des Cabrios, gebeten hatte, in Erinnerung an seine Jugend und seiner längst verstorbenen Schwester Lucy, einmal im Monat bei
angemessenem Wetter eine kleine Fahrt mit ihm zu machen. Das tat Herr Tessier dann auch: „Es waren beileibe keine großen Touren, nur kleine, fast jeden Monat an einem Montag, nur so, dass er sich freuen konnte, wieder in seinem Wagen zu sitzen, und die Erinnerungen an schöne vergangene Jugendzeiten wiederkamen.

Unweigerlich endeten diese Touren auch in einem Restaurant bei einer guten Mittagsmahlzeit. Jeden Monat kam Pierre Franchi von Paris nach Tours für seinen kleinen Ausflug. Den 540K Cabrio ließ er aber in meiner Obhut.  Zu der Zeit wohnte Pierre noch immer in Pigalle, und war immer noch im „La Roulotte“ aktiv, wollte aber nicht den Wagen in Paris wissen. Zum einen meinte er, dass es:

  • Von Tours bis Paris ca. drei Stunden Fahrtzeit seien, und
  • Keine sichere Park-Möglichkeit in Pigalle vorhanden sei,
  • in seinem Alter wäre er nicht mehr für das Fahren dieses schweren Wagens geeignet,
  • Und der große Wagen auch nicht gerade Stadtverkehr-geeignet sei.

Und diese Risiken wollte er nicht eingehen, und so blieb der Wagen bei mir geparkt.

Außerdem war er auch nicht mehr sehr gesund, und hatte auch nicht mehr die Kraft die schwere Lenkung zu bedienen. Obendrein hatte er ein Problem mit seinem rechten Bein, das steif war, was beim Fahren ebenfalls hinderlich gewesen wäre.

Er starb schließlich 2007 mit 98 Jahren. Noch zwei Monate vor seinem Tod war er bei mir, und wir speisten noch wie üblich nach einer kleinen Tour zusammen.“

Als ich Mr. Tessier nach der Film-Laufbahn von Pierre Franchi fragte, antwortete er kategorisch, dass  irgendwann irgendwer in einem Artikel diesen Fehler gemacht und verbreitet hätte, und den Pierre Franchi der
„Roulotte“ mit dem Pierre Franchi, dem „Filmemacher“ verwechselte. Außer dem Namen hätten beide nichts gemeinsam gehabt, und kannten sich nicht einmal. Auf keinem Fall sei der Pierre Franchi der „Roulotte“ jemals im Filmgeschäft gewesen.

Pierre Franchi wird oft mit diesem anderen Pierre Franchi verwechselt. Pierre war stets ein geborener Franchi, und hatte nichts mit irgendeinem Pierre Franchi, ein geborener Schlissinger, zu tun, oder gemeinsam.

Der Neuanfang

Im Rahmen der jährlichen „Rétromobile“ Ausstellung 2007 wird der Wagen am 17. Februar 2007 in Paris von
Christie‘s versteigert. Der Höchstbieter war ein François Rougaignon aus Monaco, Miteigentümer des 1954 von Paul Hamel gegründeten Pharmaunternehmens „Theramex“. Er hatte den Mercedes für seinen Sohn Gregory für 1.200.000 USD ersteigert. Ob das Cabrio als Ausstellungs- oder Verkaufsobjekt für das Unternehmen seines Sohnes oder für den persönlichen Gebrauch gedacht war, bleibt offen. Jedenfalls stand der Wagen nun mit monegassischem Kennzeichen X-594 sieben Jahre lang, bis 2014, im Schaufenster von Gregory Rougaignons „Monaco Auto“-Showroom in der Rue Grimaldi 22 in Monaco, eine Verkaufsstelle für „Monaco-würdige“ Automobile aller Marken und Jahrgänge.

In der Zwischenzeit hatte Gregory im Jahr 2010 eine Servolenkung in das 540K Cabriolet einbauen lassen. Nach
Ansicht von Herrn Tessier hätte dies vermieden werden sollen. Sie nimmt dem Fahrzeug seine Authentizität, und obwohl sich ein 540K im Schritttempo nur schwer lenken lässt, ist er in Fahrt ohne Servolenkung genauso
leichtgängig wie mit.

Um zu verstehen, wieso der Wagen im Juli 2014 erneut zum Verkauf angeboten wurde, lohnt sich eine kurze Suche in das Archiv der monegassischen Zeitung „L‘Observateur de Monaco“, in deren Ausgabe vom 16. November 2012 ein Beitrag von Raphael Brun uns die Geschichte der Theramex erklärt, und die Sorge der von ursprünglich 500 übriggebliebenen 241 Angestellten, dass das „aus“ für die Firma vor der Tür stehe, zumal
erneut über ein Sparpaket verhandelt wurde. Für die erfolgreiche Pharma-Firma Theramex begann der Anfang vom langen Ende 1999, als die deutsche Merck KGaA die Theramex aufkaufte. Intern wird die Theramex an Merck-Serono weitergereicht, die wiederum Theramex 2010 an Teva Pharmaceutical Industries (Teva, Ratiopharm) verkauft. Es kommt zur  Umstrukturierung des Unternehmens, mit Personalentlassungen, die, wie von den in Monaco übriggebliebenen Mitarbeitern befürchtet, 2015 zur Schließung der Theramex führt.

Unter diesen Umständen kann man durchaus nachvollziehen, weshalb 2013 die Firma „Monaco Auto“ die Türen schloss, und das Mercedes-Benz Cabriolet A Übergangsmodell, Baujahr 1936, noch mit 500K Aufbau aber bereits mit 540K Motor geliefert, wieder zum Verkauf angeboten wird.

Diesmal versteigert das Auktionshaus Bonham‘s den Wagen 2014 in Stuttgart für € 2.200.000 Millionen an einen in der Schweiz ansässigen holländischen Geschäftsmann, Winzer und Automobil Sammler.

Dieser lässt das Cabriolet von Grund auf in den Niederlanden von der renommierten Firma “MCW Carrosserie- en Wagenbouw” restaurieren, und zwar in den Zustand, in dem der Wagen 1936 an Lucy Franchi ausgehändigt
wurde, wie mir von Mr. Van der Meij , dem Eigentümer von MCW bestätigt wurde.

Der neue, bzw. der jetzige Besitzer hat sich vergewissert, dass ein historisch richtiges typisches Mercedes-Vierspeichenlenkrad installiert wurde, und dass das Interieur so ausgeführt wurde, wie Mme. Franchi es sich beim Kauf in 1936 ursprünglich gewünscht hatte. Das Cabriolet ist bereits mehrmals mal bei „Concours d’Elégance” ausgestellt gewesen, unter anderen:
– In Holland 2019 beim Concours d‘Elégance am “Paleis Soestdijk”, wo es den “Best of Show“-Preis verliehen bekam,
– In Belgien, beim Concours d‘Elégance in Antwerp,
– In den USA, wo der Wagen beim „Concours d’Elégance of Pebble Beach“ 2018 den „1. Preis, European Classic (Mid)“ der Class Awards erhielt.
– In Italien, am 25 Mai 2019, Cernobbio, “Villa d‘Este” Concorso di Eleganza.

Quellennachweis – sources – bronnen – Forschungsliteratur :
– . « Histoire anecdotique des cafés et cabarets » (Alfred Delvau – 1860)
– . « Nouveau tableau de Paris au XIXe siècle » (Mme. Charles-Béchet – 1834-1835)
– . « Haussmann – la gloire du second Empire » (Jean des Cars – 1978)
– . « Curiosités du vieux Montmartre » (Charles Sellier – 1893)
– . « Montparnasse hier et aujourd’hui » (Emile-Jean Bayard – 1927)
– . « Bulletin de la société d’histoire » Musée de Montmartre.
– . « Les véhicules de l’occupation » (Jacques Borgé & Nicolas Viasnoff – Balland éditeur)
– . « La vie Parisienne sous l’occupation » (Hervé Le Boterf – 2014)
– . Datation des immatriculations en France (Jean-François Zuraw).
– . « La France allemande » 1933-1945 (Pascal Ory – 1995)
– . « Violette Morris – histoire d’une scandaleuse » – (Dr. Marie-Josèphe Bonnet – Carleton College [MN, USA] Paris-France – 2011).
– . „Der Deutsche Wegleiter für Paris“ – (1941/1942)
– . „Strahlungen“– Das erste Pariser Tagebuch + Das zweite Pariser Tagebuch. (Ernst Jünger – 1949)
– . „Aus unserer Zeit: Erinnerungen“ (Dr. Hans Speidel – 1977).
– . “When Paris sizzled” (Prof. Mary McAuliffe – University of Maryland – 2016).
– . “Paris on the brink” (Prof. Mary McAuliffe -University of Maryland – 2018).
– . “And the show went on” (Alan Riding – 2011)
– . “The shameful peace” (Frederic Spotts – 2009)
– . « Les manifestations de rue 1918-1968 » (Prof. Danielle Tartakowsky – Université Paris VII – Sorbonne – 1998)
– . « Histoire pour tous » (Louis Saurel – April 1967)

Presse :
. « Paris-Soir » – 1936a + 1936b
. « Police Magazine » No. 282, 19 Avr. 1936
. « Le Figaro » 1. Apr. 1937.
. « L’Intransigeant » 3 Avr. 1937
. « L’Echo de Paris » 24 Nov. 1937
. « Le Journal » 5 Apr. 1937
. « L’Auto » 27 Jul. 1940
. « L’œuvre » 18 Oct. 1940
. « Paris-Midi » 21 Feb. 1941
. « Paris-Midi » 2 Mar. 1941.
. « La Gerbe » 7 Aug. 1941.
. « Le Journal d’Alger » 1942
. « Le Populaire » 4 Sept. 1944
. « LIFE » Nov. 25th 1945
. « Les Echos Salviens » Jean-Claude Rey.
. « Le Lido » – Service de Presse
. « L’Observateur de Monaco » 16 Nov. 2012
. “Evening Public Ledger “– Philadelphia, March 21st, 1919
. “The Atlantic” (art. by: James Hughes) Washington DC, March 25th, 2013

Archives – Websites :
– BnF–Gallica
– Bundesarchiv
– Britannica.com
– BBC Radio 4
– Lettres d’histoires-de-Paris.fr
– memoiredeguerre.fr.
– « le portail Persée » ENS de Lyon/Ministère de l’Enseignement Supérieur et de la Recherche (info.persee.fr)
– Organised crime in France” (Wikipedia)
– „Wartime Flânerie” (Mary-Louise Roberts, University of Wisconsin, Madison)
– Dr. Kira Dralle (University of California – Santa Cruz)
– « De la vie du monde » – (Histochronum.com)
– toplayalong.com
– Dr. Jazz Archiv – (Graz, Österreich) –
– RATP – (Musée des Transports Urbains de France) –
– open archives SNCF (https://explore/dataset/archives-sncf-new)
– SAM40 – Stratégie, Aviation & guerre Mécanique 1914-1940 Government archives :
– Ministère de la Culture, Archives de Paris (archives.paris.fr)
– Ministère de la Culture (pop.culture.gouv.fr/notice/mémoire)
– Archives du bureau central de renseignements et d’action (BCRA)- (France Archives.gouv.fr)
– Préfecture de Police, ministère de l’intérieur, (prefecturedepolice@interieur.gouv.fr)
– Service de la Mémoire et des Affaires Culturelles – Département patrimonial, Section Archives
(archivesdelaprefecturedepolice@interieur.gouv.fr )
– Criminocorpus/archives nationales, (ministère de la Justice.gouv.fr)
– Fichier National des Immatriculations (ministère de l’intérieur et de l’aménagement du territoire).
– Service historique de la Défense (SHD), Vincennes (France)
– Office of the Historian, Foreign Service Institute United States Department of State. (history@state.gov)
– Bibliothèque Historique de la Ville de Paris

Photos / Fotos
. Photographie Atelier Nadar
. Brassaï
. BnF Gallica
. Alamy photo service
. Moulin Rouge – Service de Presse photos.
. Charles Marville – photographer of Paris
. André Zucca photographie
. Parisien Images / Roger-Viollet
. David MacMillan Photography
. Lumni / INA
. Bundesarchiv
. Wikimedia Commons
. Bridgeman Images
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Foto auf der letzten Seite: rue Pigalle nachts, in den 1930er Jahren von Brassaï