Um die Form dieses Mercedes-Benz Lo3750 Stromlinienbusses und die einer ganzen Reihe von Bussen und Personenwagen aus den dreißiger Jahren des 20. Jhd. zu verstehen, muss man zuerst den historischen und technologischen Kontext verstehen.
Ende des 19. Jahrhunderts, bis zum Ersten Weltkrieg, in der Anfangszeit des Automobils, waren die Formen fast aller pferdelosen Fahrzeuge eine Ableitung oder vielmehr eine Weiterentwicklung der Kutschen und pferdegezogenen Fahrzeuge, die die Menschheit bis zu diesem Zeitpunkt kannte.
Der Einfachheit halber nennen wir es hier mal, unabhängig von ihrer Größe, eine quadratische Kiste auf Rädern. Zudem musste diese pferdelose Kutsche die gleichen Straßen benutzen, die sich im Großen und Ganzen nicht wesentlich von den seit zig- Jahrhunderten gebauten Straßen unterschieden.
Als immer mehr Menschen immer schnellere Autos kauften (bitte vergleichen Sie nicht „schnellere Geschwindigkeiten“ von damals mit denen von heute!), wurden die Rufe nach besseren Straßen und weniger herumfliegendem Staub oder, je nach Wetterlage, Schlamm, weltweit immer lauter, und zwar nicht nur von Automobilherstellern, Autofahrern und Reifenherstellern, sondern auch von den Fussgängern und Fahrradfahrern, von diesen sogar noch lauter.
Die 1904 vom Privatarzt des Fürsten von Monaco gegründete „Ligue contre la poussière de rue“ (Liga gegen Straßenstaub) setzte sich für die Teerung und Asphaltierung von Straßen ein, die der französische Staat 1919 für seine Nationalstraßen und ab 1926 für die Straßen der Départements (Regionen) übernahm, um bessere Straßen zu erreichen.
Eine erste Schnellstraße, die eigentlich mehr seinem persönlichen Komfort und dem seiner reichen Nachbarn diente als der Allgemeinheit, wurde in den USA von William K. Vanderbilt II. gebaut, Sie führte von Mineola, einer Vorstadt von New York City, zum Ronkonkoma Lake auf Long Island. Es war eine 45 km lange, bemerkenswerte und moderne Errungenschaft, die 1908 eingeweiht wurde und den Namen „Long Island Motor Parkway“ erhielt.
Soviel zu einem kurzen Überblick über den historischen Kontext.
Stromlinienförmig: ein Wort, das untrennbar mit Paul Jaray verbunden ist.
Für das Jahr 1922 heißt es im Firmenbericht stolz: „1922 setzt Ley mit dem Bau des ersten Stromlinienautos einen Meilenstein in der Automobilgeschichte.“
Paul Jaray hatte auch an der Stromlinienform von Bussen gearbeitet, insbesondere von Reisebussen, die verschiedene Städte miteinander verbanden. Einer der wichtigsten Abnehmer von Omnibussen mit Jaray-Karosserie war Daimler-Benz für Busse, die für die Nebenstrecken der Reichsbahn bestimmt waren, die die Deutsche Bahn mit Schnellbuslinien statt mit Nahverkehrszügen bedienen wollte.
Daimler-Benz lieferte seine Fahrgestelle an Vetter, der dann die Stromlinien-karosserie aufbaute. Andere Firmen, als Beispiel seien hier nur Opel, MAN, und Büssing-NAG genannt, taten das Gleiche. Einige ihrer Reisebusse wurden im aufkommenden Frontlenker-Trend gebaut, (der besonders im Ausland geschätzt wurde) andere mit den traditionell vorstehenden Motorhauben. Alle folgten jedoch den Ideen von Jaray, und trotz einiger leichter Unterschiede im Design ähnelten sich alle. Wie bereits erwähnt, übernahmen die großen Hersteller die Ideen von Jaray auch für ihre Serienfahrzeuge. In dieser Hinsicht ist es bemerkenswert, dass der 1935 von Vetter auf dem Fahrgestell des F5 der Auto-Union Stromlinienwagen, ebenso wie der Opel 2 Liter von 1936 vom Design her quasi genau wie der Mercedes-Benz Lo 3750 von 1936 aussahen.
Außer bei den „Silberpfeilen“-Rennwagen gefielen die absonderlichen stromlinienförmigen Autos nicht jedem.
Autocult hat diesen Mercedes Lo3750 Bus (in 1:43) originalgetreu verkleinert. Er ist ein Muss für jeden Bus- oder Reisebussammler, zumal er die „Stromlinien“-Periode des Automobildesigns zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg widerspiegelt, eine Periode, in der sich nicht nur die Technik, sondern auch das Design und der Kundengeschmack massiv entwickelten. Diese damaligen Entwicklungen und errungene Fortschritte hallen bis zum heutigen Tage nach.
Hier noch ein Nachtrag: ein wortwörtliches Zitat aus der „Werksgeschichte der Firma Karosserie Vetter“: […]1932 will der Rennfahrer Manfred von Brauchitsch am bekannten Avus-Rennen der ADAC in Berlin teilnehmen. Doch sein Mercedes SSKL scheint gegen die Auslandskonkurrenz hoffnungslos unterlegen, Aber mit einer von König-Fachsenfeld entworfenen und von Vetter gebauten Karosserie versehen erreicht von Brauchitsch’s SSKL eine damals sagenhafte Durchschnittsgeschwindigkeit von 194,4 km/h und siegt überlegen. Dies bringt viel Lob und Anerkennung ein. Sein Unternehmen erhält weitere Aufträge für Stromlinienkarosserien für Renn- und normale Personenwagen, die seine Angestellten auf den verschiedensten Fahrgestellen aufbauen.
Auch seinen eigenen Mercedes lässt er mit einem Stromlinienaufbau versehen…Tüftler, wie Walter Vetter ist, will er die Stromlinie noch weiter voranbringen. Mit König-Fachsenfeld entwickelt er daher einen Stromlinienaufbau für Busse, den er erstmals 1935 vorstellt. Als Basis dient ein Mercedes Lo3750, der dank Vetters Stromlinienkarosserie, angetrieben durch einen serienmäßigen OM 67/3-Diesel mit 100 PS eine Spitzengeschwindigkeit von 110 km/h erreicht. Die Vetter Karosserie zeichnet sich dabei durch eine ungleich harmonische Linienführung aus, kombiniert sie doch meisterhaft die Jaray-Tropfenform mit dem von Professor Kamm entwickelten so genannten K-Heck. Das Heck des Buses ist dadurch zwar nicht perfekt aerodynamisch, aber den Entwicklern war in diesem Fall die Optik wichtiger. Ein weiteres Charakteristikum, das alle Vetter-Stromlinienbusse auszeichnen wird, ist die dreiteilige Frontscheibe mit dem kleinen zentralen Fenster. Sie geht direkt auf eine Idee von Professor Jaray zurück. Dass Walter Vetter einmal mehr den richtigen Riecher hatte, zeigt sich schnell.
Die Kundschaft ist begeistert vom Stromlinienbus, so dass zahlreiche Bestellungen eingehen. Daneben tun die neuen Schnellbuslinien des gerade entstehenden Autobahnnetzes ein Übriges, um den Bedarf an schnellen Stromlinienbussen wachsen zu lassen…
Quellen: Mercedes-Benz AG; Archiv Firma Karosserie Vetter; „Vetter – die Geschichte eines Lebenswerkes“; Konrad Auwärter GmbH & Co. KG.; „Motor Kritik“ 1936; Archiv Adler Werke; Deutsche Reichsbahn; Archiv Ley Automobil Fabrik, Wikipedia, Andere.
Fotos: Alamy, Mercedes-Benz, Opel AG, Vetter, Kässbohrer.
Besonderen Dank an: Volkhard Stern for the Reichsbahn Schnellbus, Foto auf Seite 26.
Hinweis: Alle Modellaufnahmen stammen von einem Vorproduktionsmuster.
(*): Aufbauten meistens produziert von: Vetter, Gaubschad, Wendler, Kässbohrer, Erdmann & Rossi, Ludewig, Ürdingen, NWF, und Sindelfingen