Alfeld – Sie hatten zunächst nur ein Foto als Vorlage und wenig Zeit: Doch die Mitarbeiter von Mercedes Benz Classic in Alfeld haben es geschafft. Sie haben ein besonderes Fahrzeug restauriert, das vielen noch von früher in Erinnerung sein dürfte – und jüngst auch den Bundeskanzler beeindruckte.
von Thomas Jahns Quelle: Hildesheimer Allgemeine Zeitung - Artikel vom 12.11.2024
Wenn irgendwo in der Welt ein Oldtimer-Enthusiast eine Frage zu einem historischen Nutzfahrzeug mit dem berühmten Stern auf der Front hat, dann klingelt zumeist bei Mercedes Benz Classic an der Limmerburg in Alfeld das Telefon. Dort sitzen die Experten. Sie wissen fast alles über die Mercedes-Nutzfahrzeuge, die zwischen 1895 und 1990 auf den Markt gekommen sind. Die Nachfragen reichen von Dokumentationen über TÜV-Anfragen, technischen Unterlagen bis hin zu alten Fahrzeugprospekten. „Inzwischen erhalten wir Anfragen aus allen Erdteilen“, sagt Firmenchef Dieter Dreyer.
Die Hauptaufgabe der Fachleute ist aber eine andere: Sie bringen alte Mercedes-Nutzfahrzeuge nach Jahrzehnten wieder auf die Straße, wie jetzt einen Mercedes Benz L 319 Transporter. Und das in dringenden Fällen innerhalb nur weniger Monate – wie beim L 319.
Transporter als Aushängeschilder
Als das Wirtschaftswunder die noch junge Bundesrepublik Deutschland Mitte der 1950er-Jahre erfasste, tourten solche Transporter wie der von Liebherr Hausgeräte aus Ochsenhausen am Bodensee durch die Lande, um den Verkauf von Kühl- und Gefrierschränken zwischen Flensburg und Oberstdorf anzukurbeln. Das Unternehmen war zu diesem Zeitpunkt erst wenige Jahre alt – Liebherr, das waren zum damaligen Zeitpunkt vor allem Schwerlastkräne aller Art.
Um die Kühl- und Gefrierschränke populär zu machen, waren damals zu rollenden Schaufenstern umgebaute Transporter ganz besondere Aushängeschilder des noch jungen Unternehmens. Damit wurden den kritischen Hausfrauen in Deutschland die Vorteile von Kühl- und Gefrierschränken nahegebracht. Eine richtungsweisende Marketingidee, denn 1962/63 verfügten erst 52 Prozent der bundesdeutschen Haushalte über einen Kühlschrank.
Erst in Schwarz-Gelb, später in Blau
Waren die ersten Fahrzeuge noch im typischen Schwarz-Gelb der Liebherr-Kransparte gehalten, so wechselten sie später die Farbe zum dann typischen Blau der Hausgerätefirma. Gleiches galt auch für die Transporter vom Typ Ford Taunus Transit, die ebenfalls von Liebherr genutzt wurden.
Bis 1968 waren die markanten Fahrzeuge auf den westdeutschen Straßen unterwegs. Dann wurden sie mit vielen tausend Kilometern auf dem Tacho ausgemustert – und die Fahrzeuge sowie die Marketingidee gerieten in Vergessenheit. Das änderte sich im Jahr 2006. Damals kam ein Spielzeug-Modellauto des L 319 im Maßstab 1 zu 50 auf den Markt. Danach dauerte es aber noch einmal 18 Jahre, bis Bewegung in die ganze Marketing-Sache kam.
„Wir schaffen das“
Im April dieses Jahres ging schließlich eine Anfrage der Firma Liebherr Hausgeräte bei Mercedes Benz Classic in Alfeld ein. Der Inhalt: Die Oldtimerspezialisten in Alfeld sollten bis zur IFA im September in Berlin einen neuen L 319 Transporter aufbauen. Was zunächst wie eine „Mission Impossible“ aussah, haben die Oldtimer-Schrauber um Dieter Dreyer von Mercedes Benz in Alfeld geschafft. „Wir haben ein Fahrzeug gefunden, das sich für den Ausbau geeignet hat“, erinnert sich Werkstattleiter Volker Hitzer. Deshalb fiel die Antwort von Firmenchef Dieter Dreyer kurz und knapp aus: „Wir schaffen das.“
Beim Basisfahrzeug handelt es sich um einen Mercedes L 319 Transporter von 1963, der viele Jahre auf einem finnischen Militärflugplatz als Service-Fahrzeug für die Saab-Draken-Kampfflugzeuge seinen Dienst versehen hat. Problematischer erschien da zunächst der Zeitfaktor. Schließlich musste der Transporter komplett zerlegt werden. Dann wurden die Schaufenster auf den beiden Fahrzeugseiten eingebaut. Als Vorlage diente im Übrigen nur ein Foto. Erst später, nachdem jemand bei Liebherr das Firmenarchiv durchforstet hatte, wurden weitere Bilder gefunden. Und dabei gab es eine Überraschung: Der L 319 von Liebherr hatte nicht nur Fenster an den Längsseiten, es waren auch Fenster in den Hecktüren eingebaut worden.
Der Nachbau beeindruckte auch den Bundeskanzler
Beim Umbau mussten viele Dinge berücksichtigt werden, zum Beispiel bei den Fenstern: Dabei handelt es sich um eine ganz spezielle Kunststoffverglasung. „Das haben wir im Vorfeld alles mit dem TÜV besprochen“, so Hitzer. Im September war das Fahrzeug schließlich äußerlich fertig, sodass es auf der IFA in Berlin, der größten Technik-Messe der Welt, auf dem riesigen Liebherr-Stand ausgestellt werden konnte.
Dort gab es dann ein ganz besonderes Highlight: Willi Liebherr führte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über den Messestand, als er plötzlich den Mercedes L 319 entdeckte. Da musste der hochrangige politische Gast zunächst warten, weil sich der begeisterte Unternehmer das Fahrzeug näher anschaute und sich alles genau erklären ließ. Und anschließend erinnerte sich Liebherr auch noch an die eine oder andere Anekdote im Zusammenhang mit dem Wagen. Davon soll sich auch der Bundeskanzler anstecken lassen haben, den der Nachbau offensichtlich auch begeisterte.
Nachdem nach dem IFA-Auftritt schließlich der Motor in Gänze voll funktionsfähig war, wurde der Transporter in den zurückliegenden Tagen zur Firma Liebherr ausgeliefert. Der erste Termin für den neuen Star von Liebherr Hausgeräte steht demnächst übrigens in der Schweiz im Terminkalender. Übrigens: Bei Mercedes Benz Classic haben die Fachleute nicht nur den Wagen komplett neu aufgebaut, sondern auch die dazugehörigen Liebherr-Kühlschränke nicht nur lackiert, sondern auch technisch wieder auf Vordermann gebracht.
Anmerkung der www.mvcOldtimerTicker.de – Redaktion: Mit etwas Glück kann es evtl. sein, dass der Liebherr L319 aus Anlass des 50sten Jubiläums der Hildesheimer Firma electroplus MASCHKE auf der Technorama in Hildesheim 2025 präsentiert wird… wir sind an dem Thema dran und berichten sobald es Neuigkeiten dazu gibt!
Hier noch ein paar Bilder von der IFA in Berlin 2024, wo der Wagen erstmalig gezeigt wurde: