Stuttgart – Die Wurzeln der SL-Klasse liegen im Rennsport: Anfang der 1950er-Jahre entwickelt Mercedes-Benz den Rennsportwagen 300 SL der Baureihe W 194. Es ist eine einzigartige Symbiose der drei Zutaten Leichtbau, Aerodynamik und Zuverlässigkeit. Der Ur-SL wird der staunenden Presse am 12. März 1952 auf der Autobahn zwischen Stuttgart und Heilbronn vorgestellt – ein Überraschungscoup, der zu den nachfolgenden großen Sporterfolgen des W 194 passt. Denn die Rennsaison 1952 verläuft für Mercedes-Benz außerordentlich erfolgreich. Die Ergebnisse der Einsätze des 300 SL im Jahr 1952 lauten: Plätze zwei und vier bei der Mille Miglia, Dreifachsieg beim Preis von Bern für Sportwagen, Doppelsieg bei den 24 Stunden von Le Mans, Vierfachsieg beim Großen Jubiläumspreis vom Nürburgring und ein Doppelsieg bei der 3. Carrera Panamericana in Mexiko. Die Marke hat sich mit einem Paukenschlag im Motorsport und über die Öffentlichkeitswirkung zugleich im internationalen Marktgeschehen zurückgemeldet.
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu Beginn der 1950er-Jahre, in Deutschland stark vom Wiederaufbau geprägt, ist das ein überaus wichtiges Signal. Denn das Land liegt nach wie vor stark in Trümmern. Auch die Werksanlagen und Bürogebäude der damaligen Daimler-Benz AG sind noch nicht alle wieder vollständig errichtet. Doch das aufkeimende „Wirtschaftswunder“, wie der Aufschwung genannt werden wird, ist bereits zu spüren. Und dazu passt der Mercedes-Benz 300 SL: Sozusagen wie ein Phönix steigt er aus der Asche heraus und ist ein Wegbereiter für die Marke zurück zu ihrem alten Glanz.
Dabei hilft allein das Aussehen des Fahrzeugs. Denn mit seiner schlanken, eleganten und mattsilberfarbenen Karosserie mit großem Mercedes-Stern im Kühlergrill verkörpert es eine hohe Fahrgeschwindigkeit quasi schon im Stand. Und dann die Flügeltüren, die im Falle der ganz frühen W 194 sehr kurz sind und eher Einstiegsluken ähneln: Sie geben dem Rennwagen ein sehr charakteristisches Aussehen – und begründen nicht zuletzt den Mythos SL. Das Fahrzeug mit der Chassisnummer 2 hat diese kurzen Flügeltüren. Damit ist der SL das älteste und weltweit einzige existierende Fahrzeug mit diesem Merkmal.
Restaurierung des 300 SL mit der Chassisnummer 2
Der erste 300 SL, das Premierenfahrzeug von 1952, existiert nicht mehr, er wurde im Werksbesitz verschrottet. Aber der zweite gebaute Wagen mit der Fahrgestell-Nummer 194 010 00002/52 ist noch vorhanden und ununterbrochen im Werksbesitz, seit er 1951/52 gebaut wurde. Das eingeschlagene „/2“ auf diversen Teilen ist Zeugnis seiner Originalität. Dieser älteste existierende SL wurde für das Jubiläum „60 Jahre SL“, das 2012 gefeiert wird, aufwendig restauriert. Dabei hat das Mercedes-Benz Classic Center in Fellbach sämtliche Teile des vollständig demontierten Fahrzeugs untersucht und, wenn nötig, nach höchsten Maßstäben an Originalität und Qualität wieder instand gesetzt. Eine klare Vorgabe war, die Substanz und Patina in jeder Hinsicht zu erhalten; zugleich soll das Fahrzeug wieder möglichst so aussehen wie 1952: So erstrahlt der zweite jemals gebaute 300 SL (W 194) jetzt wieder in neuem Glanz – doch die Spuren eines langen und aufregenden Fahrzeuglebens zeigt er weiterhin mit Stolz.
Im Verlauf der Restaurierung wird zunächst der Gitterrohrrahmen, gleichsam das Rückgrat des Fahrzeugs, mit modernsten Methoden vermessen. Das Ergebnis: Die Maßabweichungen liegen auch nach 60 Jahren in vertretbarem Toleranzbereich. Hier zeigt sich der Vorteil der persönlichen Geschichte der Nummer 2. Denn das Fahrzeug wird zwar im Renngeschehen von 1952 genutzt, jedoch nie als Rennfahrzeug, sondern ausschließlich als Trainings- und Ersatzwagen, beispielsweise beim Preis von Bern für Sportwagen. Und auch Unfälle hat dieser SL nie erlebt – was für den insgesamt sehr guten Zustand heute sorgt.
Ein Fahrzeug mit Charakter
Beim W 194 mit der Chassisnummer 2 handelt es sich um eins von zwei gebauten Fahrzeugen mit besonderer Geschichte: Nummer 1 und Nummer 2 werden seinerzeit in der Rennwerkstatt in Stuttgart-Untertürkheim unter der Leitung von Rudolf Uhlenhaut in Handarbeit aufgebaut. Die nächsten acht Fahrzeuge, die dann auch hauptsächlich im Renngeschehen der Saison 1952 eingesetzt werden, entstehen zwar rationeller im Werk Sindelfingen, beispielsweise unter Verwendung von Pressteilen am Fahrgestell – wobei aber auch hier keine Großserienmethoden zum Einsatz kommen.
Es ist damals üblich, dass Rennfahrzeuge mehr oder weniger als Einzelstücke aufgebaut werden, denn sie werden gezielt für ihren Einsatzzweck hergestellt. Bei der Montage wird die Grundkonstruktion immer wieder auch modifiziert, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. So ist jeder W 194 gewissermaßen ein Unikat – wobei die ersten beiden eben noch viel stärker die Anmutung einer Einzelanfertigung haben.
Dieser besondere Charakter der Nummer 2 zeigt sich an vielen Teilen. So zeigen alle Schweißnähte, dass sie mit der Hand gezogen wurden. Beispielsweise Auspuff, Treibstofftank, Scheibenwaschbehälter und Sitzgestelle sind erkennbar Einzelanfertigungen.
Leichtbau ist ein großer Trumpf des W 194. Das zeigt die Karosserie aus Aluminium-Magnesium-Blech, das in diesem Fahrzeug zudem sehr dünn ist. Es zeigt sich an diversen Teilen, die zwecks Gewichtsersparnis über Bohrungen erleichtert sind, etwa an der Vorderachse oder auch beim Handbremshebel. Mit jedem Gramm wird gegeizt – und deshalb kommt auch der teure Werkstoff Magnesium zum Einsatz, zum Beispiel für die Getriebeglocke, das Hinterachs- und Lenkgetriebegehäuse. Andere Teile werden konsequent aus Aluminium gefertigt, beispielsweise der Treibstofftank, der Behälter für die Scheibenwaschflüssigkeit und der Hauptbremszylinder. Die Mühe lohnt: Der W 194 hat fahrfertig ein Leergewicht von nur 1060 Kilogramm.
In der Summe des Aufwands dokumentiert der W 194, dass er ein kostspieliges Projekt ist. Eben eines mit Prestigecharakter: Das Unternehmen ist damals bereit zu investieren, um über die positive Öffentlichkeitswirkung der Rennerfolge international wieder an Renommee zu gewinnen. Die Rechnung geht perfekt auf.
Restaurierung der Karosserie
Besonders aufwendig war die Restaurierung der Originalkarosserie. Sie ist aus sehr dünnem Aluminium-Magnesium-Blech gefertigt und damit schon von Haus aus empfindlich. Zudem hatte sie die Zeit an vielen Stellen stark gezeichnet, inklusive früherer Teilrestaurierungen. An einigen Stellen war sie stark deformiert. Mit dem jetzigen Ziel, dass alles wieder wie aus einem Guss wirken soll, gehen die Spezialisten ans Werk. Ihre Arbeiten hin zur restaurierten Rohkarosserie dauern rund fünf Monate, von Mai bis September 2011. Dabei bleibt der Gesamtcharakter erhalten. So sind Unregelmäßigkeiten in der Oberfläche und auch eine Asymmetrie im Seitenvergleich rechts/links nach wie vor vorhanden – die Karosserie entsteht ja seinerzeit in Handarbeit, was Teil der Fahrzeuggeschichte ist und somit jetzt wieder gezeigt wird.
Der Motor
Der Motor des W 194 ist vom Aggregat der Repräsentations-Limousine Mercedes-Benz 300 (W 186) abgeleitet. Somit trägt der Block dieses SL die eingeschlagene Nummer „186“, der modifizierte Kopf hingegen die „194“: Für den Einsatz im Rennsportwagen steigern die Ingenieure die Leistung auf rund 170 PS (125 kW), unter anderem mithilfe von drei Solex-Sportvergasern und einer Sportnockenwelle. Der Sportmotor wird, versehen mit Trockensumpfschmierung, im Winkel von 50 Grad nach links liegend eingebaut, um unter der flachen Haube überhaupt Platz zu finden.
Im Rahmen der Restaurierung wird der Originalmotor komplett überholt. Auf einem modernen Motorenprüfstand beweist er seine Standfestigkeit – er läuft knapp 10 Stunden und bestätigt bei dieser Gelegenheit zugleich die ursprüngliche Leistungsangabe. Aufwendig ist die Instandsetzung der beiden elektrischen Kraftstoffförderpumpen, für die es keine Ersatzteile mehr gibt. Jedoch stellen die Spezialisten von Mercedes-Benz Classic auch diese wieder originalgetreu her.
Auch am Motor ist der Charakter der Nummer 2 erkennbar: So ist beispielsweise das Luftfiltergehäuse aus Aluminiumblech sichtbar in Handarbeit maßangefertigt – und zwischen Gehäuse und geschlossener Motorhaube bleibt so wenig Platz, dass eine Hand nicht mehr dazwischen passen würde.
Der Zusammenbau
Das Chassis des W 194 wird im Mercedes-Benz Classic Center über mehrere Monate komplettiert. Dabei wird jedes einzelne Teil genauestens gereinigt und untersucht und, falls notwendig, instand gesetzt. So kommt der Mechaniker oft zwei Schritte voran und muss dann wieder einen zurückgehen – ein mitunter mühsames Geschäft. Doch es gelingt, und der Rennwagen von 1952 entsteht Stück für Stück wieder neu.
Ein äußerst glücklicher Umstand ist, dass er weitgehend vollständig ist. Der große Mercedes-Stern des Kühlergrills beispielsweise ist ebenfalls erkennbar handgefertigt, wie kleinere Unregelmäßigkeiten zeigen. Er wird aufpoliert und wieder angebracht, genau wie die originalen „300 SL“-Schriftzüge. Das originale Heck-Kennzeichen „W59-4029“ ist gleichfalls vorhanden – für vorne wird es detailgetreu nachgefertigt. Auch das Holzlenkrad, der Schaltknauf, die Instrumente, die Schalter: alles noch komplett. Die Vorderachse wird instand gesetzt. Sie ist komplett vernickelt – eine Methode der damaligen Zeit, um an der Rennstrecke sicherheitsrelevante Haarrisse gut erkennen zu können. Die Hinterachse zeigt insbesondere über den Zustand der dortigen Mechanik, dass die Nummer 2 keinen größeren Beanspruchungen ausgesetzt war, denn alle Zahnräder befinden sich nahezu im Neuzustand. Die originalen Alfin-Bremstrommeln werden geprüft, ausgedreht und wieder installiert und die originalen genieteten Felgen mit Reifen vom Typ Dunlop D8 versehen.
Im Interieur atmet der W 194 die Luft der damaligen Zeit. Die Sitzbezugsstoffe aus dem charakteristischen blau karierten Stoff sind neu, der Dachhimmel sowie die restlichen Bezugsstoffe sind vollständig original erhalten; sie werden gereinigt und zieren das Fahrzeug aufs Neue. Auch die darunter liegenden Aluminium-Sitzgestelle können ohne größere Arbeiten wieder verwendet werden. So entsteht der gesamte Innenraum neu – und zeigt doch die ehrwürdigen Spuren des Alters.
Ein Bravourstück ist die Karosserielackierung. Der einstige Lack auf Nitro-Basis wird als „Silberbronze“ bezeichnet. Er ist nicht mehr verfügbar und darf aufgrund von Umweltbestimmungen auch nicht mehr verwendet werden. So hat der einstige Lacklieferant von 1952 mithilfe zeitgenössischen Foto- und Filmmaterials umfangreiche Untersuchungen vorgenommen, damit die Farbe möglichst nah am Original erscheint, und zur Mischung ein exaktes Rezept auf Wasserbasis erstellt. Mit diesem mattsilbernen Lack erstrahlt der W 194 jetzt wieder wie einst.
Die Nummer 2 erhält neue Scheiben. Als Windschutzscheibe kommt eine Plexiglas-Scheibe zum Einsatz. Die Seitenscheiben mit Luftklappen und die Heckscheibe bestehen ebenfalls aus Plexiglas und werden vom gleichen Lieferanten nachgefertigt, der bereits 1952 die Kunststoffverglasung für diesen 300 SL geliefert hat.
Die Restaurierungsarbeiten am ältesten existierenden SL der Welt dauern insgesamt rund 9 Monate. Doch die Mühe lohnt: Das Fahrzeug erstrahlt wieder vollständig in seiner einstigen Schönheit. Wenn jetzt der Motor des Mercedes-Benz 300 SL mit dem originalen Nummernschild „W59-4029“ wieder angelassen wird und das Fahrzeug rasch Fahrt aufnimmt, dann glaubt man gerne, dass es gut ist für eine Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h – und damit für eine der erfolgreichsten Rennsportkarrieren der 1950er-Jahre.
Mercedes-Benz 300 SL (Baureihe W 194)
- Baujahr: 1952
- Stückzahl: 10
- Motor: Sechszylinder-Reihenmotor, oben liegende Nockenwelle, drei Solex-Doppelvergaser, Trockensumpfschmierung
- Hubraum: 2.995 cm3
- Leistung: 170 PS (125 kW) bei 5.200/min
- Leergewicht: ca. 1.060 kg
- Höchstgeschwindigkeit: 230 km/h
Motorsport als Zündfunke: Der Mercedes-Benz 300 SL Rennsportwagen (W 194, 1952-1953)
- Erstes Rennfahrzeug von Mercedes-Benz nach dem Zweiten Weltkrieg
- Kombination aus Serientechnik und innovativem Leichtbau
- Renneinsätze als Coupé und Roadster
- Rennsport-Prototyp W 194/11 von 1953 zeigt Elemente des Seriensportwagens
Mercedes-Benz 300 SL heißt das Wettbewerbsfahrzeug von Mercedes-Benz, mit dem die Marke im Jahr 1952 und damit erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder im internationalen Motorsport antritt. Und obwohl dieser Wagen nicht an Kunden verkauft wird, stellt er doch den Zündfunken dar, aus dem die Entwicklung der späteren SL-Modelle von Mercedes-Benz ihren Anfang nimmt. Die Entwicklung des 300 SL geht zurück auf das Jahr 1950. Damals denkt Mercedes-Benz über eine Rückkehr in den Rennsport nach. Der Versuch, den Grand-Prix-Wagen W 154 aus dem Jahr 1939 zu reaktivieren, scheitert jedoch 1951 in Argentinien. Stattdessen treiben die Ingenieure die Entwicklung des neuen Rennsportwagens voran, für den die Repräsentations-Limousine Mercedes-Benz 300 (der sogenannte Adenauer-Mercedes) einige Komponenten liefert.
Am 15. Juni 1951 beschließt der Vorstand, ab 1952 wieder an Sportwagenrennen teilzunehmen, und gibt endgültig den Bau des „300 Sport-Leicht“ in Auftrag, wie der neue Wagen zunächst getauft wird. Später kürzt man den Zusatz durch die Buchstaben SL ab – so entsteht die Typenbezeichnung 300 SL. Sein Motor M 194 ist vom Aggregat der Repräsentations-Limousine Mercedes-Benz 300 und dem sportlich-eleganten Zweitürer 300 S abgeleitet, dem M 186, mit schräger Trennfläche zwischen Zylinderkopf und Motorblock, oben liegender Nockenwelle, großen Einlassventilen, Verbrennungsraum in Kolben und Motorblock, 3 Liter Hubraum und 115 PS (85 kW). Für den Einsatz im Rennsportwagen steigern die Ingenieure die Leistung auf rund 170 PS (125 kW). Der Sportmotor unterscheidet sich von den Motoren der Typen 300 und 300 S aber nicht nur in der Leistung, sondern auch durch den Einbau im Winkel von 50 Grad nach links liegend sowie durch eine Trockensumpfschmierung, die aufgrund des Wegfalls einer Ölwanne einen tieferen Einbau ermöglicht.
Gewichtseinsparungen sind bei Motor und Getriebe des heranreifenden W 194 kaum möglich. Auch die ebenfalls vom Typ 300 übernommenen Achsen aus Stahl wiegen schwer. So kann nur noch im Rahmen und in der Karosserie Gewicht gespart werden. Eine weitere Option zur Wettbewerbsfähigkeit ist es, einen möglichst windschlüpfigen Aufbau zu finden. Rudolf Uhlenhaut, zu diesem Zeitpunkt Leiter des Pkw-Versuchs bei Daimler-Benz, nimmt daher seine Idee eines leichten Rohrrahmens wieder auf, mit dem er sich einige Jahre zuvor schon befasst hat. Diese Idee entwickeln die Konstrukteure bis zur Vollendung weiter. Es entsteht ein leichter, aus sehr dünnen hoch legierten Stahlrohren zu Dreiecken zusammengesetzter, extrem verwindungssteifer Gitterrohrrahmen, dessen Rohrelemente nur auf Druck und Zug beansprucht werden. Er wiegt lediglich 50 Kilogramm und wird zum Rückgrat des W 194. Von ihm leitet sich auch der Rahmen des 1954 präsentierten Seriensportwagens 300 SL (W 198) ab.
Mit dem Aluminium-Aufbau geben sich die Karosseriebauer in Untertürkheim und Sindelfingen besondere Mühe. Der Wagenkörper gerät dank des schräg eingebauten Motors und der angestrebten Windschlüpfigkeit sehr niedrig, schnörkellos bis an den Unterboden, mit flachem Bug, intuitiv strömungsgünstig geformten Rundungen, eingezogenen Scheinwerfern und voll von der Karosserie abgedeckten Rädern. Auf den klassischen Mercedes-Benz Kühler wird zugunsten eines flachen Rennwagengesichts analog zur Vorkriegszeit verzichtet. Der Mercedes-Stern dominiert unübersehbar das Gitter der Kühlluftöffnung. Das Passagierabteil fällt so schmal wie möglich aus. Die Windschutzscheibe steht deutlich schräg und ist zur A-Säule hin gerundet, lang gestreckt geht die große Heckscheibe in das strömungsgünstige Heck über. Das Ergebnis ist eine mit 1,8 Quadratmetern relativ kleine Stirnfläche. An einem Modell im Maßstab 1 : 5 wird damals der sehr gute Luftwiderstandsbeiwert von cW = 0,25 ermittelt, ohne realistische Motorraum-Durchströmung.
Die Türen sind ein Kapitel für sich: Um dem Gitterrohrrahmen höchste Stabilität zu geben, muss er im Bereich der Fahrgastzelle möglichst breit gestaltet sein. Diese Notwendigkeit führt zu den spektakulären und später so berühmten Flügeltüren. Die Türen, tief ins Dach eingeschnitten, öffnen nach oben und sind zunächst als reine Einstiegsluken nur bis zur Gürtellinie ausgeführt. Um den Einstieg über die hohe Bordwand besser meistern zu können, sehen die Karosseriebauer ursprüngleich im unteren Teil der Karosserieflanke sogar einen Einstiegstritt vor, der aber nie realisiert wird. Im FIA-Reglement findet sich seinerzeit übrigens kein Passus, wie und in welcher Richtung Türen öffnen sollen. Trotzdem erregen sie bei der Wagenabnahme zur Mille Miglia im Mai 1952 heftig die Gemüter der Sportkommissare. In den Vorbereitungen der 24 Stunden von Le Mans werden die Türausschnitte deshalb vergrößert, um eventuellen späteren Protesten zuvorzukommen, und haben damit ihre endgültige Form gefunden. Nun erinnern sie noch stärker an ausgebreitete Flügel, weshalb der Wagen von den Amerikanern „Gullwing“ (Möwenflügel) und von den Franzosen „Papillon“ (Schmetterling) getauft wird. Bei zwei Rennen kommt der 300 SL übrigens nicht als „Flügeltürer“, sondern mit einer Roadster-Karosserie zum Einsatz.
Der Innenraum ist voll verkleidet und strahlt eine für einen Rennwagen ungewöhnliche Behaglichkeit aus. Tacho und Drehzahlmesser liegen perfekt im Blickfeld des Fahrers, darunter sind die etwas kleineren Instrumente für Wassertemperatur, Benzindruck, Öltemperatur und Öldruck sowie eine Stoppuhr installiert. Die hochbordigen Schalensitze tragen eine Polsterung aus kariertem Wollstoff, und das Vierspeichen-Lenkrad ist zur Erleichterung des Einstiegs abnehmbar gestaltet.
Der Ur-SL, Fahrgestell-Nummer 194 010 00001/52, absolviert die ersten Probefahrten im November 1951 auf der Solitude-Rennstrecke vor den Toren Stuttgarts, auf dem Nürburgring und dem Hockenheimring. Am 12. März 1952 wird einer staunenden Presse der Mercedes-Benz 300 SL Rennsportwagen, der ungewohnt glatt und niedrig daherkommt – er ist nur 1225 Millimeter hoch – auf der Autobahn zwischen Stuttgart und Heilbronn vorgestellt.
Insgesamt werden für die Saison 1952 zehn Fahrzeuge des Typs W 194 gebaut. Nach dem Einsatz in Le Mans sollen sie bei einem Sportwagenrennen auf dem Nürburgring starten. Um die für dieses Rennen vorgesehenen Wagen so leicht wie möglich zu machen, erhalten sie eine Roadster-Karosserie, ein weiterer, schmalerer Wagen ist sowieso von Anfang an als Roadster aufgebaut worden. Dem Fahrer bleibt zum bequemeren Einstieg der in die Flanke hineinreichende Teil der Tür erhalten, außerdem erhält er zur besseren Ableitung von Fahrtwind und Fluginsekten eine kleine Scheibe. Der Gewichtsvorteil gegenüber den Coupés beträgt rund 100 Kilogramm.
Das Jahr 1952 ist für die Mercedes-Benz Rennabteilung außerordentlich erfolgreich: Die Ergebnisse der Einsätze des 300 SL lauten: Plätze zwei und vier bei der Mille Miglia, Dreifachsieg beim Preis von Bern für Sportwagen, Doppelsieg bei den 24 Stunden von Le Mans, Vierfachsieg beim Großen Jubiläumspreis vom Nürburgring. Das letzte große Abenteuer der Saison ist die Teilnahme an der 3. Carrera Panamericana in Mexiko, einem strapaziösen Langstreckenrennen über 3.100 Kilometer durch Mexiko, in fünf Tagen und acht Etappen. Mercedes-Benz setzt zwei Coupés und zwei Roadster ein, die Motorleistung ist mittlerweile auf 180 PS (132 kW) gestiegen. Die Wagen von Karl Kling und Hans Klenk sowie Hermann Lang und Erwin Grupp fahren im November 1952 einen legendären Doppelsieg für Mercedes-Benz ins Ziel.
Der 300 SL wird für die Rennsaison 1953 überarbeitet. Als elfter gebauter SL erhält er die Nummer W 194/11. Die Karosserie besteht nun vollständig aus Magnesiumblech, das noch leichter als Aluminium ist. Sie gewinnt im Windkanal, besonders im Bugbereich, durch eine optimierte Form nicht nur ein neues Gesicht, sondern auch eine bessere Durchströmung des Motorraums. Auch die Motorleistung steigt. Unter anderem dank Benzineinspritzung kommt der Sechszylinder auf eine Leistung von 215 PS (158 kW). Die Hinterachse ist zur Eingelenk-Pendelachse mit tief liegendem Drehpunkt weiterentwickelt. Das Getriebe ist nach dem Transaxle-Prinzip an die Hinterachse angeflanscht, was eine ausgewogene Gewichtsverteilung bringt. Der Radstand ist um 100 Millimeter gekürzt. Das Fahrzeug rollt auf 16-Zoll-Rädern, der Einsatz von Scheibenbremsen wird überlegt.
Zum Renneinsatz kommt dieser weiterentwickelte 300 SL – intern liebevoll aufgrund der Frontgestaltung als „Hobel“ bezeichnet – nicht mehr. Doch seine Karosseriegestaltung mit dem eckigen Kühlergrill, den kompakteren Maßen, den Lüftungskiemen und auch der Motor mit Benzin-Direkteinspritzung zeigen bereits 1953 jene Gene, die den 300 SL Seriensportwagen von 1954 so einzigartig machen werden. Der Seriensportwagen wird zum Traumsportwagen der 1950er-Jahre und erhält 1999 die Auszeichnung „Sportwagen des Jahrhunderts“.
QUELLE: DaimlerAG