von Stefan Röhrig
Nach Teil 1 und Teil 2 geht es heute mit Teil 3 weiter mit dem W123 durch Italien:
Da wir ein umfangreiches Programm eingeplant haben, geht es am nächsten Morgen in aller Frühe weiter. Die Sonne strahlt von einem wolkenlosen Himmel („Hurra, es wird Sommer!“), und die Strecke setzt sich so schön fort, wie wir es auf dem letzten Abschnitt des Vortags erlebt haben. Als erstes steht die Hafenstadt Trani auf dem Programm, eine positive Überraschung für uns. Eine sehr attraktive, abwechslungsreiche und malerische Stadt, von der ich bisher noch nie etwas gehört habe. Vom Parkplatz im Halteverbot aus (vor einer Polizeistation, die ich erst bei der Rückkehr bemerke) durchqueren wir ein großzügig angelegtes Villenviertel mit vielen prächtigen Gebäuden, teilweise zurückreichend bis auf die venezianische Epoche im 15. und 16. Jahrhundert. Richtung Hafen geht es dann durch eine wunderschöne Altstadt mit kleinen verwinkelten Gassen und immer wieder überraschenden Plätzen.
Dieser Stadtteil wirkt sehr homogen, da eine große Zahl der Häuser aus einem rötlichen, marmorartigen Stein erbaut ist. Schließlich gelangen wir zum Hafen, eine wunderschöne halbkreisförmige Anlage, umstanden von Kirchen und palastförmigen Gebäuden und mit einer imposanten Promenade.
Diese Stadt muss einmal sehr reich gewesen sein. Wir hätten uns hier gerne noch weiter umgesehen, aber die wieder mal knappe Zeit drängt uns weiter. Von Trani ist es dann nicht mehr weit zum Castel del Monte. Die schnurgerade Straße durch Olivenhaine mit blühenden Blumen zu beiden Seiten bildet einen schönen Auftakt für das, was kommt. Das beeindruckende Bauwerk in leuchtendem hellem Stein liegt auf der einzigen Anhöhe weit und breit ist bereits bei der Anfahrt von weitem sichtbar.
Zwei Kilometer vor dem Erreichen des Schlosses werden wir auf einen riesigen Parkplatz geleitet, locker so groß wie 3 Fußballfelder. Das lässt erahnen, was hier in der Feriensaison los sein muss! Zum Glück für uns verlieren sich an diesem Tag nur 20 PKW und einige Busse auf dem Platz. Wir besteigen einen Shuttle, der die Besucher im 20-Minuten-Rhytmus durch einen Pinienwald hinauf zum Schloss transportiert. Castel del Monte mit seinem achteckigen Grundriss und den acht achteckigen Türmen ist in jeder Weise beeindruckend.
Wenn man davorsteht oder auch hineingeht, versteht man, dass sich um das Bauwerk vom Stauferkaiser Friedrich II. viele Geheimnisse und Mythen ranken, die zur Legendenbildung seines Erbauers beigetragen haben. Schweren Herzens reißen wir uns nach zwei Stunden Besichtigung von diesem faszinierenden Ort los.
Weiterhin durch eine wunderschöne Gegend auf teilweise schnurgeraden Straßen landen wir nach 80 Kilometern in Matera.
Die Basilikata ist nun bereits die neunte von 18 italienischen Festland-Regionen, welche wir bis dahin durchquert haben. Auf Matera war ich aus unserer heimischen Tageszeitung aufmerksam geworden. In einer Reisebeilage berichtete man über die Europäische Kulturhauptstadt 2019. Unter der Schlagzeile „Himmel, Hölle, Hollywood“ wurde dort die Geschichte eines früheren Schandflecks Italiens zum heutigen Aushängeschild aufgerollt, den Sassi di Matera. In einer unterhalb der Stadt liegenden Schlucht lebten bis Ende der 1950er Jahre tausende von Menschen in höhlenartigen Unterkünften, die sie in den weichen Tuffstein gegraben hatten. Ganze Sippen vegetierten zusammen mit Schafen, Ziegen und Eseln unter unsagbaren hygienischen Umständen in diesen primitiven Behausungen, bis aufgrund eines politischen Dekrets eine Umsiedlung durchgeführt wurde. Die nur über Treppen und Stiegen zu erreichenden Höhlen wurden zur Sperrzone erklärt. Einige Jahre später entdeckte die Filmindustrie diesen besonderen Ort, um ihn als Kulisse für historische Aufnahmen aus dem Mittelalter oder sogar aus biblischen Zeiten zu nutzen.
Um die Jahrtausendwende begann die touristische Erschließung dieses einmaligen Kulturdenkmals, in dem man heute wieder Wohnungen, Restaurants und sogar Hotels findet. Wir nehmen uns ausführlich Zeit, tief in die Grottenstadt hineinzuwandern und uns die diversen Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Zusammen mit uns sind an diesem Tag viele Touristen unterwegs, hauptsächlich Italiener und viele Schülergruppen. Müde von den Eindrücken (und den vielen Treppen) bleiben wir abends im Hotel und lassen den Tag bei einem einfachen Abendessen auslaufen.
Der nächste Tag beginnt mit der Etappe nach Alberobello. Die Stadt und ihre Umgebung sind bekannt für die Trulli, einfache aus Feldsteinen errichtete Rundhäuser mit einem kegelförmigen Dach.
Ursprünglich dienten sie der ärmeren Landbevölkerung als Unterkunft, heute gelten sie als Touristenattraktion und sind teilweise zu Hotels oder Restaurants umgebaut. Da wir an diesem Tag eine über 350 Kilometer lange Strecke zurücklegen wollen, machen wir uns nach der Stadtbesichtigung zügig auf den Weg.
Es geht an Taranto vorbei und dann immer weiter am gleichnamigen Golf entlang. Das Tief Axel macht sich langsam bemerkbar, und bei den gelegentlichen Stopps in einer der Hafen- oder Badeorte blicken wir auf verlassene Strände und leere Cafés, die offensichtlich auf Besucher warten.
An einer Tankstelle spricht mich der Tankwart auf den 123er an. Er war offensichtlich Rallyefahrer aus den 1970er Jahren und erinnert sich an die damalige Mercedes-Beteiligung. Überhaupt hat das Fahrzeug während der Reise immer wieder Interesse bei den Passanten gefunden. Beispiel gefällig? Bei einer Stadtdurchfahrt kreuzte ein voll besetzter Fiat unseren Weg. Aus dem offenen Fenster lehnte sich ein junger Italiener mit Daumen-Hoch-Geste raus: „Ja gibt’s denn das. Was macht ihr denn hier aus Waiblingen so weit im Süden? Und dann auch noch mit so ´ner geilen Karre“. Die weitere Fahrt an diesem Tag immer über die E90 ist wenig abwechslungsreich.
In der Zwischenzeit sind wir in Kalabrien, der südlichsten Region des italienischen Festlands, angelangt. Auf einer meist flachen Straße durch kleine Städtchen, vorbei an teilweise uralten Olivenhainen sind wir froh, als wir am Abend in Crotone ankommen. Das sehr gute Hotel, in dem wir fast die einzigen Gäste sind, liegt etwas außerhalb der Stadt. Crotone bietet laut Wikipedia wenig Touristisches, und deshalb bleiben wir im Hotel und gehen früh ins Bett.
Wie jeden Morgen in den letzten Tagen gilt ein erster Blick aus dem Fenster der aktuellen Wetterlage. Meine Frau schaut etwas konsterniert; also wieder nichts mit einem sonnigen Tag im Süden. Deswegen ändern wir unsere weitere Route ein wenig. An der Küste entlang soll es circa 100 Kilometer bis Soverato gehen.
Zum ersten Mal haben wir bei der Durchfahrt der kleinen Orte den Eindruck, dass es hier im tiefsten Mezzogiorno noch viel Armut gibt. Die 3- bis 4-stöckigen Häuser entlang der Straße im eintönigen Einheitsstil schauen nicht einladend aus, wie auch die kleinen Gewerbe- und Industriegebiete wenig belebt sind.
Sobald wir aus diesen eher tristen Orten heraus kommen, zeigt sich die Welt in bunteren Tönen. Die Landschaft präsentiert sich unerwartet grün – kein Wunder bei dem vielen Regen. Bereits seit zwei, drei Tagen begleiten uns wilde Blumen links und rechts der Straßen, Mohn, verschiedene Salbeiarten, Ginster, Fenchel, und was es sonst noch so alles gibt.
Vereinzelte alte Pinien strecken die ausladenden Kronen über die gesamte Breite der Straße, in den weitläufigen Weinfeldern und Olivenhainen stehen aus Bruchsteinen gebaute Bauernhäuser, an den Hängen der Hügel thronen prächtige Villen, kurz gesagt: das ganze Ensemble vermittelt eine mediterrane Stimmung. Es fehlt nur noch etwas Sonnenschein! Wir legen einen kurzen Stopp in Catanzaro Lido ein. Normaler Weise sicherlich ein schöner Badeort, aber an diesem Tag haben sich nur wenige Menschen in Regenkleidung auf die große Strandpromenade gewagt. Das gleiche Bild bietet sich uns in Soverato.
Ein schönes Städtchen mit tollem, großzügigem Sandstrand, dem wir aber unter diesen Umständen nichts abgewinnen können. Mit Soverato erreichen wir den Wendepunkt unserer Tour. Bis zum südlichsten Zipfel Kalabriens wären es noch weitere 100 Kilometer, aber die wollen wir uns angesichts der widrigen Umstände sparen. Und so biegen wir Richtung Landesinnere von der E90 ab, um über das Serre-Gebirge auf die westliche Seite Italiens zu wechseln. Auf teilweise sehr kleinen Nebenstraßen schleichen wir durch dichte Wälder bis in eine Höhe von über 1.000 Meter. Der Niederschlag des immer wieder einsetzenden Regens strömt in kleinen Bächen über die Straße, Bäume und Büsche haben sich unter der Last des Wassers geneigt und geben abschnittsweise nur eine kleine Spur in der Mitte der Straße frei. Der Straßenzustand ist so schlecht, wie bisher noch nicht erlebt, und manchmal, wenn es besonders wild und eng wird, fragen wir uns, ob das Navi richtig anzeigt.
Wir spüren einen Hauch von Abenteuer, auch deshalb, weil wir praktisch alleine in dieser Gegend unterwegs sind. Auf dem höchsten Punkt der Stecke angelangt, biegen wir in eine Straße im besseren Zustand ab.
Der Regen hört auf, und bei der Abfahrt an die Küste nach Pizzo haben wir immer wieder einen Blick auf das Meer. Pizzo wird im Reiseführer als die schönste Hafenstadt Kalabriens beschrieben.
Wir finden einen Parkplatz oberhalb des Städtchens und laufen die vielen Treppen zum Hafen hinab. Leider fängt es wieder an zu nieseln, und als wir endlich den zentralen Platz in der Altstadt erreichen, hat sich ein Gewitter dazugesellt. Die wenigen Touristen haben kaum einen Blick für das romantische Örtchen, sondern suchen genau wie wir Schutz vor dem starken Regen.
Auf einen Abstecher von Pizzo zum Capo Vaticano und nach Tropea verzichten wir deshalb auch, obwohl wir dazu gelesen hatten: „Zwischen dem romantischen Städtchen Pizzo im Norden und dem auf einem Felsen thronenden Nicotera im Süden befindet sich der mittelalterlich-malerische Ort Tropea – majestätisch oberhalb des Meeres. Dazwischen liegt die wildromantische Felsküste am süditalienischen Capo Vaticano mit ihren reizvollen Badebuchten und den traumhaften Ausblicken auf die Küste und die Liparischen Inseln. Die weißen Sandstrände mit ihrem karibisch anmutenden Flair gelten nicht umsonst als die schönsten Kalabriens.“ (Quelle: www.tropea-ferien.de) Wer sich also in den tiefen Süden Italiens begeben will, sollte auf diesen Küstenabschnitt nicht verzichten. Auch die Strecke Richtung Norden, die wir nun wählen, ist sehr abwechslungsreich. Die kurvenreiche SS19 geht immer der Küste entlang, mal auf Meereshöhe, mal windet sie sich an den steilen Felsen entlang und eröffnet dann den Blick auf die tiefer liegenden Buchten.
In Paola machen wir Rast. Wir wollen dort das bekannte Santuario di San Francesco, ein Kloster mit Wallfahrtskirche, besichtigen. Die Stadt befindet sich in einem mittleren Aufruhr, denn wir sind just am Vorabend zum einwöchigen Patronatsfest eingetroffen. Überall werden Bühnen, Girlanden, Heiligenbilder, Fensterschmuck etc. angebracht (IMG_3438). Die Mitglieder vieler Jugendgruppen ziehen mit lautem Getöse durch die Gassen, Musikzüge proben für die nächsten Tage. Das ist uns zu unruhig, weshalb wir nach kurzem Aufenthalt weiterfahren. 150 Kilometer liegen vor uns, bevor wir das Tagesziel in der Region Basilikata erreichen. Es geht an der eindrucksvoll auf einem Berg liegenden Stadt Scalea vorbei nach Maratea.
Von der nach wie vor abwechslungsreichen Küstenlandschaft bekommen wir immer weniger mit, denn Tief Axel zeigt sich wieder. Die letzten Kilometer folgen wir einer sehr steilen und kurvigen Straße. Immer stärker werdender Nebel hat sich zum Regen hinzugesellt, wir haben total die Orientierung verloren. Irgendwann sind wir „in the middle of nowhere“, wir müssen die Abzweigung zum Hotel verpasst haben. Da das Navi uns nicht mehr weiterhelfen will, gebe ich die Koordinaten des Hotels im Mobiltelefon ein und navigiere so die letzten Kilometer durch die dichte Suppe. Endlich erreichen wir das Hotel. Für heute reicht es uns. Nach einem guten Abendessen und einer Flasche Wein gehen wir aufs Zimmer.