von Roland M. Müller / mb-youngclassics.de
ich danke Ihnen für das freundliche Gespräch heute Vormittag. Ich werde nun versuchen, Ihnen die mündlich geschilderte Problematik hier noch einmal zu verdeutlichen.
Meine Firma mb-youngclassics vertreibt Alufelgen für Mercedes Fahrzeuge der 70er bis 90er Jahre, also der Bereich an Fahrzeugen, die jetzt bereits ein H-Kennzeichen haben oder in nächster Zeit erlangen können. Der Anfang meines Unternehmens bestand im Handel mit originalen Alufelgen aus dieser Ära. Mittlerweile werden solche Felgen aber selten und die verbliebenen Exemplare sind oftmals nicht mehr in einem für die Zulassung akzeptablen Zustand aufzufinden. Daher vertreibe ich zusätzlich seit einigen Jahren Nachbauten der Firma Maxilite aus der Schweiz und plane die Fertigung eigener Nachbauten klassischer Alufelgen. Alle diese Felgen haben ein TÜV-Gutachten und werden vom TÜV problemlos eingetragen, bis – ja, bis das Auto ein H-Kennzeichen hat oder der Besitzer es zu erlangen versucht. Dann weigern sich viele Prüfer aus Unwissenheit oder mangels der Fähigkeit, den Sinn der Vorschriften richtig zu deuten, diese Felgen einzutragen.
Da Hauptproblem dabei ist die 10-Jahres-Regelung, hier als Auszug aus einem PDF des TÜV Sued
● Änderungen, die nachweislich innerhalb der ersten 10 Jahre nach Erstzulassung oder gegebenenfalls Herstellungsdatum erfolgt sind oder hätten erfolgen können, sowie Änderungen innerhalb der Fahrzeugbaureihe, sind zulässig. Nicht zeitgenössische Änderungen, die nachweislich vor mindestens 30 Jahren durchgeführt wurden, sind auch zulässig.
Laut dieser Regelung wird bei den Abnahmen das Alter der Alufelge anhand des eingestempelten Produktionsdatums als H-fähig eingestuft oder auch nicht. Liegt eine Felge 12 Jahre über dem EZ-Datum des begutachteten Fahrzeugs, muss der Antragsteller nachweisen, dass die Felgen bereits vorher (also innerhalb der 10 Jahre) erhältlich waren, um trotz des Produktionsdatums eine Eintragung zu erhalten. Als extremes Beispiel mag hier die ATS Classic Felge gelten, die seit den 70ern unverändert immer noch neu hergestellt wird. Sofern der Felgenhersteller noch existiert, ist das ein eher kleines Problem und die Eintragung erfolgt. In den Fällen, mit denen ich nun zu kämpfen habe, weigern sich die Prüfer, die Felgen einzutragen, weil sie ein recht aktuelles Produktionsdatum haben, nämlich 2018/2019/usw. und das obwohl sie präzise Nachbauten originaler Felgen sind!
Also warum stellen sich die Prüfer ständig bei der Eintragung von zeitgenössisch gestalteten Rädern aus aktueller Produktion an wie die Jungfrau vor dem ersten Mal? Ganz einfach deshalb, weil das BMVI (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur) keine vernünftige, für jeden Dorf-TÜVler verständliche Regelung herausgegeben hat! Eine Alufelge ist genauso ein Ersatzteil wie ein Kotflügel, eine Windschutzscheibe, eine Zündkerze oder ein Ölfilter. Ein zeitgenössischer Nachbau muss bei der Begutachtung eines Fahrzeugs zum H-Kennzeichen dieselbe „Existenzberechtigung“ haben wie ein altes Originalteil, denn sonst müssten alle Restauratoren ihre Pforten schließen und niemand würde mehr Bodenbleche für einen VW Käfer nachfertigen! Die Firma Lorinser hat bei der aktuellen Neuauflage ihrer aus den 80ern stammenden Lorinser LO Felgen von einer Prüforganisation ein Beiblatt anfertigen lassen müssen, in dem die Zeitgenössigkeit der Felgen betont wird, um ihren Kunden diese weit verbreitete Unbill bei der H-Abnahme zu ersparen. Bei Lorinser war es eine Felge, für die sie dieses Schreiben anfertigen ließ – Maxilite hat aber über 100 verschiedene Felgen für die diversen Fahrzeughersteller! Der Aufwand, für jedes Rad eine solche Begutachtung und Dokumentation zu erstellen, ist absolut unangemessen und wäre mit einer Weisung aus ihrem Hause völlig unnötig.
Eine weitere Problematik ist der Fortschritt in der KFZ-Technik und damit einhergehend die Probleme beim Eintragen von nachgefertigten Teilen mit notwendigen oder sinnvollen Änderungen. Es ist z.B. gestattet, einen Katalysator nachzurüsten, die Ausbeute der Lichtanlage zu verbessern, wenn das Erscheinungsbild nicht beeinträchtig wird oder Gurte nachzurüsten – alles Aspekte, die der Umweltfreundlichkeit und der Sicherheit dienen.
Besonders die 80er Jahre, deren Fahrzeuge nun in das H-fähige Alter kommen, waren eine Ära der Fahrzeugverändungen und Umbauten. Heute noch wirkende Firmen wie AMG, Brabus oder Lorinser haben damals einen neuen Zeitgeist geschaffen und die Individualisierung des Fahrzeugs vorangetrieben, wie sie heute von vielen Fahrzeugherstellern selbst betrieben wird. Diese Vielfalt an Gestaltungsvarianten tritt nun in den Fokus der „Oldtimerei“ und sollte vom BMVI mit entsprechend klaren Regelungen, aber auch mit gewissen Toleranzen berücksichtigt werden, solange sie technisch verantwortbar sind und dem originalen Erscheinungsbild des Fahrzeugs nicht schaden.
Ein gutes Beispiel für die Einräumung einer „gewissen Toleranz“ ist die Entwicklung auf dem Reifenmarkt. Manche Reifengrößen sind je nach Fahrzeug für originale wie auch nachgefertigte Felgen gar nicht oder nur unter großen Aufwand noch erhältlich. Die Frage der Zulassung und Sicherheit von „irgendwo besorgten“ Reifen steht dabei noch auf einem anderen Blatt. Besonders zu beachten ist hierbei, dass es sich bei den erwähnten Fahrzeugen nicht um Millionen Euro teure Museumstücke, sondern um Fahrzeuge „aus dem Leben“ handelt. Kann man noch einsehen, dass der wohlhabende Besitzer eines einzigartigen Oldtimers einige tausend Euros ausgeben muss, um einen Satz Reifen herstellen zu lassen, ist dies für die Masse der Besitzer H-fähiger Butter&Brot Fahrzeuge unzumutbar. Die Anpassung der Größen von nachgefertigten Felgen in originalem Design mit aktuellen Dimensionen sollten kein Hinderungsgrund für eine Eintragung bei der H-Abnahme sein. Diese wenigen Quadratzentimeter Gummi sind die einzige Verbindung des Fahrzeugs zu Straße und man sollte nicht gezwungen sein, auf uralten oder dubiosen Reifen unterwegs zu sein, weil es keine adäquaten Angebote für die originalen Felgengrößen mehr gibt.
Dabei gab es für alle die Fahrzeuge, auf denen diese neue Felge laut Gutachten zulassungsfähig ist, auch damals immer Alufelgen in 17“, sei es ab Werk oder von anderen Anbietern. Neu ist hier nur die Kombination von einer schon immer zulassungsfähigen Größe mit dem Design einer klassischen Felge. Viele Prüfer haben ein Einsehen und tragen diese Felgen mit H ein, da das Erscheinungsbild stimmt und sie verstehen, dass die Reifenauswahl ein Sicherheitsaspekt ist. Andere Prüfer beharren auf die festgeschriebenen Doktrinen aus der Schnauferlzeit, die der Entwicklung in der Oldtimerszene und dem Wandel im Handel und der fortschreitenden Lagerbestandsverkleinerung durch die Hersteller nicht mehr gerecht werden. Hier wären sinnvolle Regelungen des BMVI angesagt, die den Prüforganisationen einen auch für den Fahrzeugbesitzer nachvollziehbaren Ermessensspielraum einräumen und eine Eintragung mit H-Kennzeichen ermöglichen, wenn die Verändungen in einem erträglichen Rahmen bleiben.
In diesem Anschreiben habe ich die Situation aus der Sicht eines Mercedes-Spezialisten beschrieben, da ich mich damit täglich beschäftige und mich mit den unangenehmen Konsequenzen wie Kaufabbrüche und Widerrufe im Onlinehandel befassen muss. Selbstverständlich gibt es diese Problematik auch bei den Liebhabern aller anderen Fahrzeug- und Felgenhersteller.
Ich hoffe, dass Ihnen das Dilemma unseres Gewerbes ein wenig näherbringen konnte und diese unnötigen Schwierigkeiten bei H-Eintragungen mit einer Weisung aus Ihrem Hause zeitnah ausgeräumt werden können.
Mönchengladbach, den 20.01.2020
Mit freundlichen Grüßen
Roland Müller
www.mb-youngclassics.de
* = STV21 ist das Referat im BMVI (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur) für das H-Kennzeichen.