Der Weg ist das Ziel 1 – Mit dem W123 zum Nordkap

 von Stefan Röhrig aus dem W123 Magazin Ausgabe 3/2017

Angefangen haben die Überlegungen für eine Fahrt zur nördlichsten Spitze Europas bereits vor einigen Jahren, auch wenn das ursprüngliche Ziel eigentlich ganz woanders lag. Denn eigentlich wollte ich mir einen lange gehegten Traum erfüllen, mit dem Auto durch die Regionen Nordafrikas zu fahren. Im Rahmen meiner Tätigkeit für Daimler-Benz hatte ich in den 1970er und 80er Jahren einige der Maghreb-Staaten kennengelernt, damals jedoch kaum die Möglichkeit bekommen, mich abseits der Städte umzusehen. Die wenigen Gelegenheiten, die ich erhielt, waren sehr beeindruckend gewesen und hatten schon früh in mir einen Gedanken reifen lassen: Da muss ich mal wieder hin! Als ich dann vor einigen  Jahren beruflich etwas kürzer treten konnte, ging ich diesen alten Wunsch etwas konkreter an. In Fachzeitschriften las ich immer wieder von interessanten Touren durch Nordafrika, mal touristisch, mal eher sportlich geprägt. Und eines Tages kam genau das Richtige: Unter dem Titel „Cannstatt – Carthago  Classic“ sollte eine Rallye für 25 Fahrzeuge stattfinden, die laut Veranstalter ideal für Motorsportler und ihre klassischen Autos seien, die „anstatt mit Schnitttabelle bei Sonderprüfungen lieber kleine Abenteuer beim Befahren unbekannter Routen erleben“. Diese Reise von Deutschland über Italien und dann rund durch Tunesien versprach genau das, was mir vorschwebte. Da wollte ich teilnehmen.

Es galt nun, für diese Fahrt den richtigen Wagen zu finden. Er sollte zuverlässig sein, einfach zu reparieren, möglichst mit guten technischen Versorgungsmöglichkeiten auch in Nordafrika, komfortabel und vielleicht auch mit einer Rallyegeschichte. Ja, und dann durfte dieser Traumwagen auch nicht zu teuer in der Anschaffung sein. Kurz und gut, ich machte mich auf die Suche nach einem Mercedes-Benz 280 E der Serie W123. Da ich das Fahrzeug analog der Rallye-Ausführung von 1977 aufbauen wollte, kam nur ein Wagen mit mechanischem Getriebe und möglichst einer der damals vom Werk bei den Rallye-Fahrzeugen verwendeten Lackierungen in Frage. Schnell stellte ich fest, dass das Angebot für 280 E in annehmbaren Zustand sehr überschaubar war, sodass ich mich schließlich für einen weniger guten Wagen entscheiden musste, der in Rottweil stand. Der Wagen wurde nach erfolgreicher Kauf-Verhandlung in eine  kleine Oldtimer-Werkstatt in meiner Nachbarschaft gefahren, um dort für künftige Touren vorbereitet zu werden. Neben der allgemeinen Überholung vor allem der technischen Komponenten sollte ein möglichst originalgetreuer Umbau zur Rallye-Version für Gruppe 1 Fahrzeuge erfolgen. Da das Gruppe 1 Reglement Serien-Tourenwagen mit nur geringen Abänderungen vorschreibt, sollte man davon ausgehen, dass der Aufwand zur Fertigstellung des Wagens überschaubar ist. Das stellte sich jedoch als Trugschluss heraus. Während des Umbaus der technischen Komponenten kamen dann auch noch diverse Rostnester zum Vorschein, sodass zusätzlich erhebliche Reparaturarbeiten an der Karosserie notwendig wurden. Alles in allem entwickelte sich das Projekt wesentlich aufwändiger, als geplant, sodass der Wagen selbst bei einem Preisniveau von Mercedes-Benz All-Time-Stars nur mit Verlust zu verkaufen sein dürfte. Zusätzlich zogen sich die Arbeiten wesentlich länger hin, als geplant. Eine Teilnahme an der Carthago Rallye war zeitlich kaum noch zu schaffen. Im Frühjahr 2015 wurde die Veranstaltung jedoch aufgrund politischer Unruhen in der Region abgesagt; eine Entscheidung zur Teilnahme hatte sich damit erst einmal erledigt.

Diese unerwartete Wendung brachte zusätzliche Zeit, den Wagen noch weiter in Richtung Rallye-Fahrzeug zu optimieren. Ich wusste von einem ehemaligen Kollegen, dass dieser über einen originalen Werksmotor M110 aus der Zeit von 1978 verfügte. In der Hoffnung, dass er sich von diesem irgendwann trennen werde, ließ ich deswegen meinen Motor als einzige mechanische Komponente unberührt. Im Herbst 2015 konnten die ersten Probefahrten durchgeführt werden, die weitestgehend zufriedenstellend verliefen. Das Fahrwerk wurde aus Komfortgründen etwas weicher eingestellt und einige praktische Details wie Gepäcknetz, Trinkflaschenhalter, Leselampe usw. hinzugefügt. 

Schon während der letzten Arbeiten am W123 überlegte ich, welche Fahrten ich denn künftig angehen könnte. Da fiel mir eine Story ein, die ich ein paar Monate vorher hatte im Internet gelesen hatte. Ein Oldtimer-Freak war mit seinem Porsche 911 im Winter an das Nordkap gefahren. Eine echte Herausforderung. Die Geschichte hatte mich fasziniert und so ging ich erst spaßeshalber, dann ernsthafter die Planung für einen solchen Trip an. Vorher wollte ich aber noch mit einem Freund an der Histo Monte teilnehmen, praktisch zum Aufwärmen.

Im Februar 2016 ging es dann tatsächlich im Rahmen der Histo Monte vom Startort Mainz in Richtung Monte Carlo. Leider war der Winter recht mild, sodass man eher die schönen Sonnentage genießen konnten, anstatt sich für die geplante Nordkap-Tour warmzufahren. Aber Schnee und Eis sollten ja dann 14 Tage später in Skandinavien ausreichend vorhanden sein. Der 280 E lief gut, nur die Passfahrten waren teilweise – bedingt durch die weiche Abstimmung – etwas unbequem. Insgesamt fuhren wir 2.850 km ohne jedes technisches Problem. Nach der Rückkehr von Nizza wurde der Wagen komplett abgestrahlt und der Unterboden mit Sprühwachs versiegelt. Ein paar Tage später war vorgesehen, in meiner Werkstatt eine letzte Durchsicht vor der Abreise an das Nordkap vorzunehmen. Aber – trotz vielfacher Versuche bekam ich den Wagen zu meinem Entsetzen nicht gestartet. In der Werkstatt wurde alles Mögliche untersucht, um die Ursache für das Startversagen herauszufinden. U. a. wurde auch eine Kompressionsprüfung des Motors vorgenommen, mit einem desaströsen Ergebnis. Auf drei Zylindern war kaum noch Kompression vorhanden, die restlichen waren auch nicht gerade optimal. Es war wohl ein technisches Wunder, dass das Fahrzeug die Histo Monte schadlos überstanden hatte. Laut Aussagen des Werkstatt-Spezialisten musste der Motor komplett überholt werden. Damit war die Tour zum Nordkap für dieses Jahr erledigt.

Im Sommer erfolgte dann eine komplette Motorrevision. Den vorher erwähnten Original Rallyemotor hatte ich in der Zwischenzeit abgeschrieben. Das Vorhaben „Nordkap“ wurde aber nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Anfang März 2017 war es dann endlich soweit.

1. Tag

Es ist 9:00 Uhr Sonntagvormittag. Ich stehe auf Bahnsteig 8 des Kölner Hauptbahnhofs und warte auf den Thalis aus Belgien. Er soll meinen Beifahrer Rudy bringen, der in der Nähe von Brüssel wohnt. Ursprünglich wollte ich ja alleine die Skandinavien Tour angehen; aber Rudy, ein entfernter Verwandter, hatte irgendwie davon erfahren und mich gefragt, ob er mitkommen kann. Freunde und besonders die besorgten Verwandten rieten mir dazu, und innerlich fühlte ich mich auch irgendwie wohler bei dem Gedanken, die Tour zu  Zweit anzugehen.

Ich habe bereits die Anfahrt aus Weinstadt (bei Stuttgart) hinter mir, der 280 E steht fertig gepackt, vollgetankt in der Tiefgarage des Bahnhofs, jetzt soll es auch endlich losgehen. Pünktlich fährt der Zug ein, Rudy steigt mit zwei Reisetaschen und einer schwarzen Augenklappe aus dem Zug. Augenklappe? Nach der Begrüßung erzählt er mir von seinem gestrigen Missgeschick. Bei Heimarbeiten ist ihm ein Metallspan ins Auge gekommen, der dann vom Augenarzt entfernt werden musste. Die ersten zwei oder drei Tage werde ich wohl allein am Steuer sitzen, da sein Auge geschont werden soll. Eigentlich haben wir Glück, dass er überhaupt kommen konnte.

Jetzt aber los. Rudys Reisetaschen werden im Fahrzeug verstaut, und dann geht es endlich raus aus der Tiefgarage und rein in die verwinkelten Kölner Straßen.

Am Tag der Abfahrt in der Tiefgarage des Kölner HBF

Nach 10 Minuten stehen wir wieder an der Tiefgaragenausfahrt. Wir haben uns verfranzt. Hoffentlich ist das kein schlechtes Zeichen für die weitere Reise.

Dann sind wir endlich auf dem Zubringer zur Autobahn, und es kann abgehen. Wir wollen heute noch ordentlich Kilometer machen. Das Tagesziel ist der Ort Koge in der Nähe von Kopenhagen. Wir wählen die schnellste Route, und da es am Sonntag relativ wenig Verkehr gibt, geht es zügig über die A 1 bis Hamburg und weiter nach Lübeck. Das Wetter ist schön, fast frühlingshaft und der 280 E schnurrt bei Geschwindigkeiten um 140 km/h beruhigend vor sich hin. Am Nachmittag sind wir bereits in Puttgarden auf der Insel Fehmarn. Wir müssen nur kurz warten, bis die Fähre eintrifft. Diese verkehren hier im 30 Minuten Takt nach Rodby in Dänemark. 

Rudy friert am Hafen in Puttgarden

Die Überfahrt für PKW mit zwei Personen kostet rund 80,00 EUR. Die 45 Minuten auf dem Schiff sind sehr angenehm, die Sonne scheint und wir stehen an Deck, um dem dänischen Festland entgegenzusehen. In Rodby angekommen, geht es reibungslos von der Fähre runter und auf die Autobahn E47. Die restlichen 120 km bis zum Ziel sind schnell vorbei, und am frühen Abend treffen wir in Koge ein. Der verschlafene Ort liegt etwas abseits der belebten Autobahn. Wir haben eine schöne Unterkunft erwischt, ein umgebauter Bauernhof, der liebevoll eingerichtet ist. 

Unsere schöne Pension in Koge/DK

Es sind außer uns nur noch 2 weitere Gäste im Haus, es gehört somit fast uns alleine. Zum Abendessen laufen wir zu einem in der Nähe befindlichen, riesigen Gasthaus. Auch hier sind wir praktisch allein. Der Wirt erzählt uns, dass das Haus zusätzlich zum Restaurant vier separate Säle hat, die früher für alle möglichen Familienfeiern mit Musik und Tanz regelmäßig ausgebucht waren. Leider sei diese Tradition in den letzten Jahren ausgestorben.

Bisher zurückgelegte Strecke: 1.150 km

2. Tag

Heute soll es bis Nyköping gehen. Es ist etwas kälter geworden, und die Sonne lässt sich auch nicht mehr blicken. Auf der Stecke wollen wir uns das eine oder andere Interessante ansehen. Vorbei an Kopenhagen geht es über den Öresund bzw. durch den Tunnel darunter. Die Kombination der riesigen Brücke und dem Tunnel ist ein wirklich beeindruckendes architekt-onisches Ensemble. Über die E6 (E = Europastraße) geht es dann an Malmö vorbei in Richtung Helsingborg. Dort gabelt sich die Straße in E6 und E4. Um den schnellsten Weg ans Nordkap zu nehmen, hatten wir uns bereits im Vorfeld für die Schwedenroute (E4) entschieden. In Jönköping halten wir zum ersten Mal an. Wir laufen kurz durch das Stadtzentrum, in dem es erstaunlich ruhig ist. Nach der kurzen Pause geht’s weiter nach Linköping. Das gefällt uns schon besser, besonders das Freilichtmuseum Alt-Linköping ist sehenswert. 

Die Holzhäuser im Freilichtmuseum Alt-Linköping

Es geht zurück auf die Autobahn, die hier in Südschweden über hunderte Kilometer äußerst langweilig ist. Die Straße verläuft ständig geradeaus, es gibt kaum Gefälle, und die Landschaft ist wirklich eintönig. Das mag auch an der Jahreszeit liegen, denn alles ist braun. Schnee gibt es noch keinen. In Nyköping übernachten wir in einem interessanten Hotel. Es residiert in einer ehemaligen Seifenfabrik (Sunlight), und die alten Fabrikgebäude wurden komplett für den neuen Zweck restauriert.

Bisher zurückgelegte Strecke: 1.770 km

3. Tag

Nach einem ausgiebigen Frühstück geht es wieder auf die Straße. Zuerst müssen wir an Stockholm vorbei. Kurz vor der schwedischen Hauptstadt verdichtet sich der Verkehr. Zum ersten Mal auf der Tour haben wir einen kurzen Stau. Aber sobald wir die Stadtautobahn hinter uns haben, beruhigt sich der Verkehr wieder und wir können mit der vorgegebenen Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h weiter in Richtung Norden. Wir besuchen das Schloss Stenninge in der Nähe von Sigtuna. Leider sind die Gebäude sowie der dazugehörige Park geschlossen. Also wieder zurück auf die E4. Es ist mit 6 Grad immer noch recht warm, und gelegentlich scheint die Sonne. Nach einer weiteren Stunde erreichen wir Uppsala. Diese Studentenstadt mit schönem Schloss, Dom und Universitätsgebäude gefällt uns ausnehmend gut. Wir finden einen Parkplatz direkt am Dom. Nachdem wir uns mit Parkuhr vertraut gemacht haben – auch diese wird, wie eigentlich alles in Schweden, mit Kreditkarte bezahlt – starten wir einen ausgiebigen Rundgang durch die Altstadt. Wenn wir nicht so einen engen Zeitplan hätten, würde sich diese Stadt für einen längeren Aufenthalt anbieten. 

Uppsala ist eine sehenswerte Universitätsstadt

Weiter geht es Richtung Norden. Die Landschaft ist sehr eintönig. Entlang der Straße ist eigentlich nur Fichtenwald. Gelegentlich sieht man eine paar der typischen, schwedischen Holzhäuser. Die meisten sind in einer dunkelroten Farbe gestrichen. Diese wird aus einem Nebenprodukt des Kupferabbaus in dem Ort Falun gewonnen, deswegen heißt sie Falunrot. Man hat sie besonders früher gerne verwendet, weil das Rot an ein (viel teureres) Backsteinhaus erinnert. Da Falunrot auf grobem Holz besser und länger hält als Lack oder Lasur, ist es auch heute noch beliebt. Langsam wird es auch kälter, Schnee liegt neben der Straße. Die Heizung des W123 geht prima, auch wenn es immer einer gewissen Routine bedarf, die richtige Einstellung an den Drehknöpfen zu finden. Die Autobahn ist in der Zwischenzeit zweispurig; die Mittellinie ist fast durchgängig mit einer Leitplanke versehen, sodass Überholen nicht möglich ist. Da die vorgegebene Geschwindigkeit 90 km/h beträgt, stellt das auch kein Problem dar. Die wenigen Lastwagen auf der Strecke – übrigens vielfach sogenannte EuroCombis mit 8 Achsen und 25 m Länge – halten diese Geschwindigkeit ohne Probleme. 

Das Roadside Cafe hatte leider geschlossen

Es fängt an zu schneien, und langsam wird es dunkler. Schade, denn jetzt befinden wir uns nördlich von Sundvall, auf dem angeblich schönsten Küstenabschnitt entlang der Ostsee. Wir überqueren den Högakustenbron, eine riesige Hängebrücke mit den Abmessungen der Golden-Gate-Bridge. In der Dämmerung erkennen wir unten den Fluss Ångermanälven, der zugefroren ist. Die Straßen sind übrigens gesalzen und somit nass, wir brauchen deswegen kein Glatteis zu fürchten.

Die Anfahrt zum Hotel gestaltet sich schwierig. Es befindet sich auf einem Golfplatz, der kleine Zufahrtsweg ist verschneit und nur grob geräumt. Auch dieses Mal sind wir wieder die einzigen Gäste. Am Nachmittag erhielt ich vom Vermieter eine SMS mit dem Zugangscode für die Eingangstür und der Information, dass er am nächsten Morgen vorbeischaut. Nachdem wir unser Zimmer bezogen haben, fahren wir in die nahegelegene Stadt Örnsköldsvik zum Essen. Wir parken am Hafen und stellen fest, dass die Ostsee zugefroren ist, soweit das Auge reicht. Das habe ich so noch nie gesehen.

Bisher zurückgelegte Strecke: 2.430 km

4. Tag

Am Morgen sind wir um 8:30 Uhr wieder auf der Strecke. Nach wie vor folgen wir der E4, die hier abschnittsweise autobahnähnlich ausgebaut ist. Auf diesen Abschnitten ist dann eine höhere Geschwindigkeit erlaubt, meistens 110 km/h. Die Straßen sind nach wie vor schnee- und eisfrei, allerdings müssen wir ständig auf die zahlreichen Radaranlagen achten, die besonders bei den Geschwindigkeitsänderungen aufgestellt sind. Fairerweise muss man jedoch sagen, dass sie meistens mit entsprechenden Hinweisschildern angekündigt werden. Außerdem hat unser Navi-Gerät einen Radarwarner. In der Zwischenzeit haben Rudy und ich den richtigen Fahrrhythmus gefunden. Das Auge von Rudy war bereits gestern wieder in Ordnung, und seitdem lösen wie uns im 2-Stunden-Takt ab. Der 280 E hat auf der Fahrerseite einen Schalensitz von RECARO, der Beifahrersitz ist, wie auch von Daimler früher bei einigen Langstreckenrallyes verwendet, ein originaler Ruhesitz. So kann der Beifahrer bei Bedarf ein Nickerchen einlegen. In Umea, die Stadt der Lachse, legen wir eine kleine Pause ein. Es ist ziemlich kalt. Gut dass wir heute Morgen im Hotel unsere Reisetaschen umgepackt haben. Ab sofort kommen die dicken Wintersachen zum Tragen. Umea liegt an einer Flussmündung zur Ostsee. Beide Gewässer, Fluss und Meer, sind komplett zugefroren. Aus den Spuren auf dem Schnee kann man erkennen, dass sich über den Fluss einige Pfade gebildet haben, auf denen man leicht von einem Ufer zum anderen wechseln kann. Den Spuren nach wählen auch Autos diese Route. Wir wärmen uns in einem Kaufhaus auf, dann fahren wir weiter. 

In Umea ist das Meer komplett zugefroren

Da wir heute gut im Zeitplan liegen, verlassen wir die E4 und setzen die Tour auf kleinen Nebenstraßen fort. Wir sind sofort in einer anderen Welt. Die schmalen, schneebedeckten Straßen ziehen sich durch  lichte Tannen- und Fichtenwälder, oft von großen Lichtungen unterbrochen. Einzelne Holzhäuser tauchen abseits der Straße auf. Jedes Haus scheint ein eigenes Schneeräumgerät zu haben, um die teilweise langen Zufahrten freizuhalten. Gelegentlich fahren wir durch kleine Dörfer, die jedoch wenig Leben zeigen. Viele der Häuser sind verriegelt und verrammelt. Vermutlich wird hier im Sommer mehr los sein, denn wir sind in einem Urlaubsgebiet in unmittelbarerer Küstennähe. Gelegentlich kommt uns ein Fahrzeug entgegen, ansonsten herrscht absolute Einsamkeit. Die Temperaturen sind über Null gestiegen, die Sonne scheint und der Schnee auf den Straßen beginnt zu schmelzen. Auf einer Lichtung machen wir am Straßenrand eine kurze Pause. Ich möchte ein paar Fotos machen und hierzu etwas abseits der Straße Position beziehen. Ich sinke jedoch bis zur Hüfte im Schnee ein. Ohne Schneeschuhe ist hier kein Fortkommen. 

Im Erholungsgebiet in der Nähe von Burea

Wir fahren zurück auf die Europastraße. Weiter führt uns die Tour über Skelleftea, Pitea und Lulea nach Töre. Hier verlassen wir die E4, die sich weiter an der Ostsee entlang nach Finnland hin zieht. Nun werden die Straßen auch nicht mehr mit Salz oder Split gestreut, was uns und dem Wagen lieber ist. Es macht Spaß, auf der geschlossenen Schneedecke zu fahren, man muss nur aufpassen, wenn der Schnee in Eis übergeht. Bis Överkalix folgen wir nun der E10.  Nach wie vor haben wir schönstes Wetter, leicht unter dem Gefrierpunkt  und Sonnenschein. Wir erreichen den Polarkreis. Eine Skulptur am Straßenrand markiert das Überqueren dieser geografischen Linie. 

Am Polarkreis

Abseits der Straße gibt es eine Raststätte, die jedoch vollkommen eingeschneit und geschlossen ist. Es ist schon nach 16:00 Uhr und trotzdem noch hell. Die ausreichenden Licht-verhältnisse sind auch der Grund, warum wir unsere Skandinavien-Tour erst Anfang März gestartet haben. Dezember und Januar ist es nördlich von hier wochenlang dunkel bzw. dämmerig.

Wir machen uns an die letzten 110 km bis Pajala, unserer Übernachtungsstation. Obwohl wir ab hier in Lappland sind, haben wir bisher noch kein einziges Rentier gesehen. Auch einen Elch, vor welchen mit speziellen Straßen-schildern gewarnt wird, kam uns noch nicht vor die Kamera. Pajala erinnert an einen Wildwest-Ort. Es gibt eine große Kreuzung, an der sich ein Hotel, eine Schule ein paar Läden und eine Tankstelle befinden. Den restlichen Ort bilden in weitem Umfeld verstreute Häuser. Unser Hotel heißt Lapland River. Die Zimmer sind winzig klein und wohl für Fernfahrer mit wenigen Ansprüchen gedacht. Wir essen im Hotel; das Restaurant erinnert mit seinen groben Holzdielen, den einfachen Gerichten und den urigen Typen irgendwie an einen Saloon. Nach dem Essen gehe ich aus dem völlig überhitzten Raum nach draußen. An den Rändern der Straße türmt sich meterhoch der von Räumfahrzeugen beiseite-geschobene Schnee.  Auf dem Platz vor dem Hotel beobachte ich ein japanisches Pärchen. Er schaut in seine Kamera und diskutiert ganz aufgeregt mit seiner Begleiterin. Erst als ich das Ziel der Kamera verfolge, erkenne ich am Himmel Polarlichter. Sie wabern wie Nebelwolken am Himmel, verändern ihre Farbe von gelb in grün. Ich nehme mir vor, später in der Nacht zu versuchen, ein paar Fotos zu machen. Jetzt ist die Reflektion der Lichter in dem Ort noch zu stark. Als ich zwei Stunden später an denselben Platz komme, muss ich leider feststellen, dass Wolken aufgezogen sind. Vom Polarlicht ist nichts mehr zu sehen.

Bisher zurückgelegte Strecke: 3.070 km

Weiter geht es am 29.11.2017