SL=SportLegende 3. Teil – 230 SL

■Erfolgreich bei anspruchsvollen Rallyes

■Untrennbar verbunden mit dem Namen Eugen Böhringer

Dreimal wird der Mercedes-Benz 230 SL (W 113), die „Pagode“, bei extremen Rallyes eingesetzt. Gleich beim ersten Mal erzielt er einen durchschlagenden Erfolg. Dieser ist der Fantasie und dem Durchsetzungsvermögen eines einzigen Mannes zu verdanken: Eugen Böhringer. Eigentlich müsste man die rote Rallye-„Pagode“ „Böhringer-Coupé“ taufen, denn sie wird natürlich für den Rallyeinsatz aus Sicherheitsgründen nur als Coupé mit einem fest montierten Hardtop gefahren. Doch bis es so weit ist, hat Böhringer einen Hürdenlauf der besonderen Art durch die Entscheidungsgremien der Daimler-Benz AG zu absolvieren, bis hin zum Vorstandskollegium.

Ausgangspunkt für den Einsatz des 230 SL in Wettbewerben ist die Fahrzeug-Einsatzplanung für das Rallyejahr 1963. Karl Kling und Eugen Böhringer, Europameister des abgelaufenen Jahres, stellen Überlegungen über den auf die jeweiligen Strecken zugeschnittenen optimalen Einsatz von Fahrzeugen an. Schließlich möchte man die Europameisterschaft wieder gewinnen. Böhringer fordert aus seiner Erfahrung heraus für die anstehende Rallye Spa–Sofia–Lüttich eine Rallye, die er im Vorjahr gewonnen hat, den 230 SL als Einsatzfahrzeug. Er verspricht sich von der Wendigkeit des kurzen Fahrzeugs Vorteile in den Alpen mit den zahllosen Passüberquerungen und auf den winkligen Staubstraßen des Balkans. Das Problem ist nur: Dieses Auto gibt es noch gar nicht –offiziell wenigstens. Es wird erst anlässlich des Genfer Auto-Salons Anfang März 1963 der Öffentlichkeit präsentiert. Doch sind das keine Hindernisse, die einen Eugen Böhringer abschrecken. Er meldet sich bei Vorstandsmitglied und Chefingenieur Fritz Nallinger an, um ihm sein Anliegen vorzutragen. Nallinger, in jungen Jahren selbst erfolgreicher Teilnehmer an kleineren Rennen und Zuverlässigkeitsfahrten – er hat schließlich 1924 die Schweizer Alpenfahrt mit einem Benz 16/50 PS Sport gewonnen –, ist für Sachargumente zugänglich. Und er ist ein gewiefter Taktiker, der weiß, wie man kritische Punkte im Vorstand durchbringen kann. Er überzeugt Böhringer davon, seine Argumente persönlich dem Vorstandskollegium zu unterbreiten. Das wirkte überzeugender als ein Vorschlag von ihm, Nallinger. Böhringer, von Hause schon immer mit einer gewissen Furchtlosigkeit ausgestattet, nicht nur beim Autofahren, trägt seine Argumente schließlich anlässlich der Präsentation des 230 SL auf dem Genfer Auto-Salon den anwesenden Vorstandsmitgliedern vor. Prompt erntet er, wie von Nallinger vorausgesehen, nicht nur Zustimmung. So argumentiert Produktionsvorstand Wilhelm Langheck, es gebe schon so viele Fenster, wo man Geld hinauswerfe, da brauche man nicht noch ein weiteres. Aber nach Böhringers überzeugendem Vortrag gelingt es Nallinger, das Plazet des Kollegiums zum Rallyeinsatz des 230 SL zu bekommen.

In der Versuchsabteilung wird also unter der Leitung von Erich Waxenberger ein 230 SL für den Rallyeeinsatz aufgebaut. Da bis zum Beginn der Rallye die Homologation aufgrund zu geringer Stückzahlen als Gran Turismo noch nicht abgeschlossen ist, startet der 230 SL in der Kategorie der Sportwagen. Das Team Eugen Böhringer/Klaus Kaiser gewinnt auf Anhieb die Rallye mit dem neuen Fahrzeug. Auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt am Main im Herbst 1963 schmückt die noch mit „Rallye-Patina“ geschmückte Pagode zur Deutschland-Premiere des 230 SL den Ausstellungsstand von Daimler-Benz.

Eugen Böhringer ist mit seinem „Tänzer“, wie er den 230 SL wegen seiner Wendigkeit gerne nennt, aber auch wegen des nicht so sturen Geradeauslaufs wie bei einer großen Limousine, so zufrieden, dass für das kommende Jahr ein weiterer 230 SL für Rallyeeinsätze aufgebaut wird. Er hat auf gut Schwäbisch noch einen weiteren Spitznamen: „Des kloine Scheißerle.“

1964 fahren Böhringer/Kaiser bei der Rallye Spa–Sofia–Lüttich das neu aufgebaute Fahrzeug. Vielleicht hätten sie besser das vorjährige genommen. Ein Kabeldefekt kostet sie 25 Minuten und somit die Führungsposition. Zu allem Unglück versperrt dem heranbrausenden Team ein Schaf den Weg und führt neben kurierbarem Blechschaden zum Ausfall der linken Scheinwerfer. Ein Handikap, das bei Nachtetappen schwer wiegt. Sie erreichen als Dritte das Ziel in Lüttich. Und Eugen Böhringer erhält als Gewinner der beiden davor liegenden Veranstaltungen einen Goldpokal für den erfolgreichsten Fahrer der vergangenen Jahre.

1965 nimmt Dieter Glemser mit dem 230 SL an der Rallye Akropolis teil. In Führung liegend wird er von einem Polizisten in die falsche Richtung geschickt und erleidet einen nicht mehr aufzuholenden Zeitverlust, der ihm dann noch den fünften Platz beschert.