Sternenstaub am Polarkreis

von Dr. Guido Urfei / aus der Zeitschrift CURBS Oktober 2020

In der Zeit, als das Wunder von Bern geschah, unternahmen zwei ldole der Motorsportwelt eine ungewöhnliche Reise. In einem Mercedes 300 SL über Schotterpisten in Richtung Nordpolarstern. Für diese Reise sind wir die Nachfahren im wörtlichen Sinn. Wir sind ihren Spuren von Schweden in Richtung Norwegen gefolgt.

Der Trips am Polarkreis

„Der Trip zum Polarkreis“ – Tippfehler schon in der ersten Überschrift? Warum das genau so korrekt ist, werden wir erklären. Und es wird einiges an dieser Story anders sein, als gewohnt. Wir werden zwei Ikonen des Motorsports zu Wort kommen lassen, obwohl beide schon lange Geschichte sind.

Redaktion: Graf v. Trips, die Idee nach dem Rennen im schwedischen Karlskoga zum Polarkreis aufzubrechen, kam ihnen spontan?

Wolfgang Berghe v. Trips: Ja, ich wollte mit „dem von Mercedes übernommenen SL gen Norden“ fahren.

Redaktion: Jenkinson hatte ja nur drei Monate zuvor die Mille Miglia gemeinsam mit Sterling Moss gewonnen. Auf einem 300 SLR und in legendärer Rekordzeit. Einen so bekannten Journalisten wie Jenkinson, der als der Erfinder des Rallye-Roadbooks gilt, zur Fahrt durch Schweden zu bewegen, war doch sicher nicht einfach?

Wolfgang Berghe v. Trips: „Ich frug ihn, ob er einige Tage Zeit hätte, ich hätte einen Wagen zur Verfügung und würde eine Reise durch Schweden machen wollen und er hat sofort zugesagt und wir sind dann ohne viel zu überlegen… haben wir uns einen riesen Käse gekauft, etwas Proviant und dann sind wir mit diesem Wagen, noch mit der Rennnummer drauf, einfach über diese Sandstraßen und Tundren gen Norden gefahren, mit einer Landkarte versehen und mit sehr viel Mut und gutem Willen, etwas Lustiges zu erleben.“

Redaktion: Mr. Jenkinson, war das wirklich so einfach, Sie von dieser verrückten Idee zu überzeugen?

Denis Jenkinson: „Nach dem Grand Prix gab es ein kleines Renntreffen mitten in Schweden in Karlskoga. Da ich nichts anderes zu tun hatte, ging ich dorthin, um mir den Spaß anzusehen. Es war eigentlich nichts anderes als ein Clubtreffen auf einer winzigen kleinen Strecke außerhalb der Stadt, und als ich mich während des Trainings im Fahrerlager umsah, stieß ich auf Wolfgang von Trips, der in einem Werks 300 SL Flügeltürer Mercedes-Benz saß. Er war am Wochenende zuvor mit einem dieser Autos gefahren und eher für einen Urlaub nach Karlskoga gekommen. Er sagte mir, er müsse nach diesem Renntreffen eines der 300 SL-Coupés nach Stockholm zurückbringen, habe es aber eine Woche lang zu seiner Verfügung und plane damit nach Nordschweden zu fahren. Dann meinte er: „Kennen Sie jemanden, der mit mir kommen möchte?“ Nun, ich frage Sie, was hätten Sie gesagt? Es dauerte nur ein paar Minuten, um wenige Vorkehrungen zu treffen und dann konnte ich ihm antworten: „Wann fahren wir los?“

Redaktion: Das kann man spontan nennen! Wie ging es weiter?

Denis Jenkinson: „Am nächsten Morgen machten wir uns ohne Ziel auf den Weg, aber mit einer vagen Vorstellung, weiter nach Norden zu fahren, in der Hoffnung, Rentiere, Eskimos, Eisbären oder sogar Eisberge zu sehen. Wir nahmen ein Minimum an Gepäck und den Höchstbetrag an Geld, den wir von verschiedenen Freunden ausleihen konnten und machten uns auf den Weg.“

Redaktion: Dann starteten Sie in Richtung Norden, auf Schotterpisten und nicht asphaltierten Straßen mit einem Werks-Rennsportwagen. Komfortabel war das doch ganz bestimmt nicht, eigentlich sogar etwas riskant oder?

Denis Jenkinson: „Mit einem normalen Fahrer wäre ich beunruhigt gewesen, als das Auto auf Staub und losen Steinen hin und her taumelte, aber von Trips war kein gewöhnlicher Fahrer. Die Staubwolken hinter dem Mercedes waren unfassbar und auch die Staubwolken im Auto, denn da es sich um ein Rennmodell handelte, war die Abdichtung minimal. Da der Wagen voller Staub war, fuhren wir mit beiden Flügeltüren geöffnet. Für die schwedische Landbevölkerung, die SL-Autos nicht kannte, war der Anblick nicht nur rätselhaft, sondern wahrscheinlich sogar eher verstörend.“

Wolfgang Berghe v. Trips: „Nachts haben wir auf Bauernhöfen geschlafen. Manchmal mussten wir die Straße erst vom Viehzeug räumen, um überhaupt weiter zu kommen. …der gute Jenkinson ist also manchmal mit einem Knüppel bewaffnet hinter diesen Viechern hergelaufen, wenn er sich zu sehr geärgert hat. … Und dann hatten wir diese Staubfahne hinter uns her… So haben wir da auf Steinen gesessen und uns aus Büchsen ernährt – es war herrlich!“

Redaktion: Was erwartete Sie da oben am Polarkreis, wo die Sonne im Sommer nicht untergeht? Da muss es doch sehr kalt sein?

Wolfgang Berghe v. Trips: „…Ganz oben im Norden, wo der Baumbestand schon fast aufhört, landschaftlich wunderbar einsam. Wie in einer Mond- und Kraterlandschaft sieht es da oben aus. …dann kommen wir an den Polarzirkel. …Es war so warm, dass wir also wirklich …schwitzend und prustend, …ich hab da so´n bisschen Ulk gemacht, mir den Schweiß abgewischt und das am Polarzirkel!“

Denis Jenkinson: „Staub, Steine und Schutt bildeten nicht nur die Straße, sondern auch die Umgebung… Wir hielten an der Begrenzungslinie an, um nicht nur zu genießen, vor dem Schild mit der Aufschrift „Polarkreis“ fotografiert zu werden, sondern auch mit Bewunderung den schmutzigen, staubigen 300 SL zu betrachten, der uns den ganzen Weg aus der Zivilisation gebracht hatte. …Es gibt immer noch Leute, die den Sinn des Motorsports nicht erkennen können, aber gerade in diesem Moment gab es zwei, die es wirklich schätzten.“

Redaktion: Irgendwo ganz weit im Norden haben Sie dann Pech mit der Technik gehabt.

Wolfgang Berghe v. Trips: Auf „… dem Rückweg dann passierte es eben, dass wir diesen Platten hatten, dass wir zwei Mal hintereinander platt gefahren hatten… so sind wir auf der Felge 30 km glaube ich in fünf Stunden abgefahren. Dann haben wir einen Norweger gefunden, der irgendeine Radpumpe hatte und ein paar Eisenteile. So haben wir diesen Reifen wieder hingekriegt.“

Redaktion: Abenteuerlich, in einer Woche haben Sie einige tausend km in diesem besonderen Mercedes zurückgelegt!

Denis Jenkinson: „Nach mehr als 3.000 Kilometern in diesem Auto, das direkt von der Rennstrecke kam, gaben wir es mit einer gewissen Bewunderung für das Daimler-Benz-Werk und dem Wissen zurück, dass der 300 SL, obwohl er kein perfektes Auto ist, aber sicher eines der großen Autos der Zeit.“

Wolfgang Berghe v. Trips: „Nach acht wundervollen Tagen, wo wir täglich viele hunderte Kilometer zurückgelegt haben, ging diese Fahrt in Stockholm zu Ende… Es war warm, es war wirklich richtig sommerlich wunderwunderschön! Und es war eine der schönsten Reisen, die ich ins Blaue gemacht habe!“

Die Zeit der Wunder

Neben dem Wunder von Bern steht das Deutschland der 50er Jahre für ein weiteres Wunder. Die enormen Wachstumsraten der Wirtschaft, ganz besonders der Automobilindustrie, lassen Nachkriegs-Deutschland als Wirtschaftswunderland erscheinen. Gleichzeitig nimmt der motorisierte Individualverkehr stark zu. 1954 waren zum ersten Mal mehr PKWs angemeldet als Motorräder, Mopeds und Roller (Quelle: Axel Schildt (1995): Moderne Zeiten) und die „Bundesrepublik übertraf mit dieser Motorisierungswelle alle anderen vergleichbaren Industriegesellschaften“.

Am 5. August 1955, exakt in der Woche, als Berghe von Trips beim Schwedischen Grand Prix antritt, feiert VW in Wolfsburg den millionsten Käfer. Und der Volks-Porsche beflügelte die Reiselust der Deutschen. Als in den Städten weiterhin Trümmer und Ruinen an das gerade überstandene Trauma erinnerten, war das Traum-Reiseziel der Deutschen Italien. In dieser Zeit bricht der junge Graf in die entgegengesetzte Richtung auf. In Richtung Norden zum Polarkreis.

Ein Zeichen?

Gegen den Strom, nicht konform mit Althergebrachtem, mit traditionellen Pfaden, mit solchen, die von einem jungen Adeligen erwartet werden. In Zeiten von Hawai-Toast, gefüllten Eiern und Käseigeln, als Spaghetti und Pizza für die Deutschen ebenso exotisch sind wie Basilikum, entscheidet sich der Graf für schwedischen Kaviar aus der Tube und Knäckebrot.

„Abgenutzte Reifen – deutsche Spione“

…so die Schlagzeile in einer schwedischen Motorsportzeitschrift am 17.8.1955, in der ausführlich vom „Kanonloppet“ in Karlskoga berichtet wurde. Das Mercedes Team unter Alfred Neubauer nahm an diesem
Rennen mit mehreren Fahrzeugen teil, Berghe von Trips auf einem 300 SL. Dass die Zeit noch nicht sämtliche Kriegs-Wunden hatte heilen können, lassen diese Schlagzeilen ahnen. Selbst der Besuch Konrad Adenauers in Skandinavien soll damals nicht erwünscht gewesen sein. Als der Kanzler der jungen Republik 1957 nach Kalmar in Südschweden reiste, um dort die Hochzeit seines jüngsten Sohnes mit einer schwedischen Fabrikantentochter zu feiern, reiste er als Privatmann an, ohne offizielles Willkommen durch die schwedische Regierung (Raimund Wolfert (2005): Die Geschichte der deutsch – skandinavischen Beziehungen / Essay).

Redaktion: Graf von Trips, wie gefiel es Ihnen in Schweden und wie sind sie mit dieser besonderen Strecke in Karlskoga zurechtgekommen?

Wolfgang Berghe v. Trips: „Mir …[ging] es fantastisch gut in Schweden. Nette Fahrer, nette Begrüßung und ein begeistertes Publikum, was kann man mehr verlangen? …Dieser Kurs ist einzigartig in seiner Art. Zugegeben, ich selbst würde gerne sehen, dass es etwas länger und mit nicht ganz so engen Kurven ginge, aber es sind nur ein paar Kleinigkeiten, die sich leicht ändern lassen…“

Redaktion: Mr. Jenkinson, das Rennen war nicht für alle erfolgreich, Trips schied vorzeitig aus und doch war die Stimmung ausgelassen, auch auf der Feier danach im Hotel?

Denis Jenkinson: „Das Festbankett nach dem Rennen war eines der guten. Das Trinken und Tanzen dauerte bis drei Uhr morgens. Irgendwann schritt Ken Tyrell, der damals einen Formel-3-Cooper-Norton fuhr, zu einem Flügel und schlug mit großem Schwung die ersten Takte eines Rachmaninoff Klavierkonzerts an. Wir lehnten uns alle zurück und dachten: „Das kann nett werden.“ Als Ken aufstand, sich vom Klavier entfernte und sagte: „Das ist alles, was ich kann.“ …Es war Mittag, bevor Wolfgang und ich bereit waren aufzubrechen…“

„Trotz Pole-Position schlecht weg gekommen“ würde man wohl beim Rennen sagen. So starteten die Beiden etwas verzögert mit ihrem Werks-Mercedes, aber wie geplant in Richtung Norden. Von Karlskoga über Karlstad am Vänern-See (mehr als zehn mal so groß wie der Bodensee), nach Mora in der Region Dalarna (zum Streckenverlauf siehe auch Olav Helge: „I hjulsporene etter von Trips og Jenks“, in Norsk Motor Veteran Nr. 6/2020, S. 28 – 34).

Blaubeer-Meere und Preiselbeer-Ozeane

Wir genießen die Weite auf der schwedischen Hochebene bei Funäsdalen, die auch Trips und Jenkinson wählten, mit 975 Metern Schwedens höchstgelegene Passstraße. Unterwegs zu sein in Skandinavien muss in allen Zeiten Gefühle von Freiheit ausgelöst haben. Die Weite der Landschaft, die Schönheit der Natur lassen uns Großstadt-Mitteleuropäer innehalten und Demut verspüren. Meere von Blaubeer- und Preiselbeerfeldern, der Duft von Kiefernharz in der Luft, die angenehme Kühle im Schatten der Birken und auch der kalte Schauer, wenn du einem
der Seen entsteigst und der kalte Nordwind dich frösteln lässt. Landschaften mit Gänsehaut-Garantie. Skandinavien erlebt man unausweichlich, ungefiltert, mit dem ganzen Körper, mit allen Sinnen.

Redaktion: Mr. Jenkinson, Sie sind viel unterwegs gewesen auf den Straßen der Welt. Wie haben Sie die Natur in Schweden und die Berge in Norwegen erlebt?

Denis Jenkinson: „Während das Fahren durch Schweden eine Aussicht auf grenzenlose Wälder und Seen bot, die so groß wie Ozeane waren, wobei der größte Teil des Geländes sanfte Hügel waren, befanden wir uns jetzt in einem rauen Bergland, malerisch und mit einem Gefühl heftiger Kämpfe gegen die Natur. Schweden hat einen ständigen Eindruck von Frieden und Ruhe vermittelt.“

Grenzerfahrung

Der Weg nach Norden führte Trips und Jenkinson vorbei an Östersund, auch heute noch einer der letzten Zivilisations-Posten, bevor es richtig einsam wird. An der Grenze zu Norwegen erwartete die Beiden dann eine besondere Erfahrung. Bis in die 60er Jahre fuhren auch die Schweden wie die Briten links. Erst am 3. September 1967, dem sogenannten Dagen H (H für höger/rechts) wurde der Verkehr in Schweden mal kurzerhand wie ein Gummihandschuh von links auf rechts gedreht. Vielleicht ist dieses einschneidende Umgewöhnungs-Ereignis, das mit einigem Verkehrschaos verbunden war, der Grund dafür, dass die Schweden noch heute sehr vorsichtig im Straßenverkehr unterwegs sind und harte Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeführt wurden. Die englische Höflichkeit ist hier jedenfalls eher an der Tagesordnung als auf der Insel. Trips und Jenkinson erlebten an der norwegischen Grenze den Seitenwechsel.

Redaktion: Mr. Jenkinson, als Engländer müssen Sie sich doch in Schweden im Linksverkehr sehr wohl gefühlt haben, wie haben Sie den Grenzübertritt nach Norwegen empfunden?

Denis Jenkinson: „Wir stiegen in die Berge, die die Grenze zwischen Schweden und Norwegen bilden, und als wir dort ankamen, hatten wir einen Schock. Fast zwei Wochen waren wir beide in Schweden und fuhren auf der linken Straßenseite herum, für die die gleichen Regeln gelten wie in England. Aber als wir an der Grenze ankamen, wurden wir auf die rechte Seite der Straße geleitet, die Regel in Norwegen ist normaler kontinentaler Stil. Wenn Sie den Ärmelkanal zwischen dem Wechsel von links nach rechts überqueren, erscheint es nie seltsam, aber plötzlich auf einer geraden Straße zu fahren, schien absurd. Da es wenig Verkehr gab und wir nicht von der Korrektheit der Schilder überzeugt waren, machten wir Kompromisse und fuhren auf der Mitte der Straße!“

Ähnlich unwohl fühlen wir uns 65 Jahre später an eben dieser Grenze zwischen Schweden und Norwegen, mitten in der Einsamkeit. Heute eine Grenze zwischen der Europäischen Union und Norwegen, die jahrzehntelang kaum wahrnehmbar war. Aber im Moment, in Zeiten von Covid-19 intensiv unangenehm daran erinnert, dass gewohnte
(Reise-)Freiheit gerade neu definiert wird. Sogar für die Skandinavier, die sich politisch wie kulturell grenzübergreifend eng miteinander verbunden fühlen, brechen ungewohnte Grenzerfahrungen an. Covid-19 stellt das skandinavische Gemeinschaftsgefühl auf eine harte Probe. „Schweden müssen draußen bleiben“ heißt es seit einiger Zeit am Schlagbaum.
Und so müssen auch wir auf den Spuren von Trips und Jenkinson abrupt umdrehen.

Sonnenwende

Nach dem Grenzübertritt bei Hemavan erreichten von Trips und Jenkinson den Polarkreis. Wenn man am Nordpol einen Zirkel einsticht und ungefähr 2.600 km entfernt einen Kreis zieht, – dann ist das der Polarkreis, den es am Südpol noch einmal gibt. Der Nord-Polarkreis macht an keiner Landesgrenze halt. Er kommt in Norwegen, Schweden, Finnland, Rußland, Grönland, Island, Kanada und den USA vorbei. Doch unabhängig von  Ländergrenzen ist dieser gedachten Linie eines gemeinsam. Die Sonnenwende ist hier nicht nur ein Eintrag im Kalender wie wir ihn kennen. Zwei Mal im Jahr ist hier zu spüren, was es damit auf sich hat. Am Tag der Sommer-Sonnenwende geht hier zwei Tage lang die Sonne nicht unter, im Winter geht sie genau so lange nicht auf. Und je weiter man sich Richtung Nordpol bewegt, desto länger dauert diese Auszeit. Da muss der Tag ohne Nacht auskommen, so als hätte der große Bruder – das Jahr – keine Jahreszeiten.

Redaktion: Mr. Jenkinson, coronabedingt durften wir nicht in Norwegen einreisen, konnten den Polarkreis daher nicht erreichen wie Sie. Wie haben Sie das damals erlebt?

Denis Jenkinson: „Wir fuhren wie geplant nach Norwegen, fuhren weiter zum Polarkreis und hielten 200 Meilen weiter nördlich für die Nacht im Küstendorf Bodö an… Hier erlebten wir das Novum und das Wunder der Mitternachtssonne, es wurde nie wirklich dunkel. Um 23:30 Uhr, Wolken bedeckten den Himmel, war es hell genug nur mit Standlicht, und um Mitternacht wurde es wieder heller, und um 00:30 Uhr war es taghell. Abgesehen von all den anderen fantastischen Szenen, die wir auf unserem Weg nach Norden gesehen hatten, war dies allein die Reise wert!“

Nachdem v. Trips und Jenkinson den nördlichsten Punkt ihrer Reise in Bodö erreicht hatten, blieben ihnen 3 Tage für den 1.500 km langen Rückweg durch Norwegen über Mo i Rana und Mosjöen und anschließend quer durch Schweden. Und tatsächlich gelang es ihnen, den exklusiven Leihwagen pünktlich wie vereinbart am Montagmorgen um 8:00 Uhr in der Stockholmer Mercedes Niederlassung abzugeben.

Viele Kilometer zusammen unterwegs, wie ein Beichtstuhl auf Rädern muss es auch für Trips und Jenkinson gewesen sein, auf den langen, einsamen, eintönigen Strecken. Kein Wunder, dass sich diese beiden so unterschiedlichen Typen, die vor ihrer Reise kaum Kontakt hatten, hier schätzen lernten. Ein Deutscher, gemeinsam mit einem Engländer, gerade einmal 10 Jahre nach dem Krieg in Skandinavien unterwegs. Sicher auch eine Art gelebter Diplomatie mit anderen Mitteln. Die Reise war jedenfalls die Initialzündung für eine besondere Freundschaft. Und obwohl sie wegen v. Trips´ tragischen Unfalls in Monza nur 6 Jahre später plötzlich zu Ende ging, schreibt Jenkinson 1983: „…wir wurden sehr gute Freunde und sollten gemeinsam noch viel Spaß beim „Motoring“ haben. …Sein Spirit und sein Enthusiasmus waren grenzenlos und er strahlte gute Laune aus, wohin er auch ging und was auch immer er tat. …von Trips war ein junger Mann, der das Leben in vollen Zügen genoss und einen abenteuerlichen Geist hatte.“

Sterne sind zum Leuchten da

Sternenstaub haben wir im Sommer 2020 auf den Spuren unserer Motorsport-Vorfahren kaum produziert. Obwohl auch wir die Reise mit einem Mercedes Benz unternahmen. Der Stern an der Motorhaube war auch unser Nordpolarstern, dem wir folgten. Doch die großen Verbindungs-Straßen in Schweden und Norwegen, 1955 noch überwiegend staubige Schotterpisten, sind inzwischen ausnahmslos asphaltiert. Dennoch fasziniert uns diese ungewöhnliche Reise der beiden Motorsportidole zum Polarkreis bis heute und zieht uns in ihren Bann. Sie macht uns auch 65 Jahre später nachdenklich. Wir spüren, dass es um mehr geht als ein exotisches Reiseziel. Es geht um Freiheit. Wir wurden daran erinnert, wie wichtig uns die inzwischen selbstverständliche Reisefreiheit in Europa ist. Und dieser ungewöhnliche Trip in den 50ern erinnert uns auch daran, wie wertvoll es ist, im Leben „anders“ unterwegs zu sein. Auf der Straße und auch abseits davon.

FOTOS: Guido Urfei, Jacob Wikner, Ralf Klinkhammer, Tim Ulama, Mercedes-Benz Classic, Berghe v. Trips Sportstiftung, Karlskoga Motorklubb Archiv, Lindebilder.se, versch. Quellen