Vorwort von Jörg Maschke: Im Nachgang zu dem MVC Depeschen-Artikel über das Göttinger Ei von Hanspeter Bröhl (der leider vor kurzem verstorben ist – an dieser Stelle unsere aufrichtige Anteilnahme) erhielten wir den Hinweis UND die Erlaubnis den folgenden Artikel von Martin Schröder aus der MotorKlassik 04/2011 in der Textform wiederzugeben. Wir danken Martin Schröder sehr für Text und Bilder.
RAUMSCHIFF
Der amerikanische Architekt, Erfinder und Zukunfstforscher Buckmister Fuller (1895 – 1983) baute 1934 drei Versionen seines aerodynamischen Dreirads DYMAXION CAR. Nummer vier wurde jetzt fertig gestellt.
In seiner Form an einen Zeppelin erinnernd, das einzelne Hinterrad gelenkt, angetrieben die beiden Vorderräder – aber von einem hinten liegenden Ford-V8, Raum für bis zu neun Personen, dabei eine Höchstgeschwindigkeit von 192 km/h, grün wie eine riesige Freiland-Gurke aus Leichtmetall.
Als Buckminster Fuller 1933 sein Konzept des DYMAXION CAR zu Papier brachte, überraschte er die Welt des Automobils mit einem in der Tat höchst unkonventionellen Entwurf. Zum besseren Verständnis hier die Vorgeschichte: Richard Buckminster „Bucky Fuller, 1885 bis 1983, war ein amerikanischer Architekt, Ingenieur, Erfinder, Designer, Futurist und Autor von mehr als 30 Büchern, der sich bereits seit den zwanziger Jahren mit Leichtbau in der Architektur befasste.
1929 stellte er im Chicagoer Kaufhaus „Marchall Field´s“ eine vollkommen neue Art von vorfabriziertem Wohnhaus vor: ein Fertighaus, gewissermaßen wie das Ergebnis einer Kreuzung aus winziger Erdkugel und Atommodell. Dafür erfand die PR-Abteilung des Kaufhauses den Begriff „DYMAXION“, den Fuller dann für viele seiner weiteren Entwürfe verwendete.
DYMAXION enthält die drei Begriffe „Dynamik“, „Maximum“ und „Tension“ (Spannung). Das Fertighaus stelle letztlich einen geodätischen Dom dar, ein Gebäude großer Spannweite bei geringstem Gewicht. Schon sehr früh war Fuller an einem Ressourcen schonenden Energiebedarf sowohl beim Bauen als auch beim Auto fahren interessiert.
Stets in die Zukunft hineindenkend, prägte Fuller bereits 1951 den Terminus „Spaceship Earth“ – Raumschiff Erde. Damit gilt er als einer der Vorreiter der Umweltbewegung.
Umweltschutz in den 20er Jahren
Dass sich ein Architekt Ende der Zwanziger Jahre dem Thema Automobil widmet, nimmt nicht Wunder. Auch Bauhaus-Meister Walter Gropius etwa arbeitete für Adler. Wie Buckminster Fuller gehört er zu den bedeutendsten Architekten des vergangenen Jahrhunderts.
Hatten die Entwürfe Gropius ihre Stärken in den Details, zum Beispiel in den nach beiden Seiten öffnenden Türen und den in den frühen Liegesitzen, so zielen die drei tatsächlich gebauten DYMAXION CARS auf geringen Benzinverbrauch durch eine aerodynamisch geformte Karosserie; dazu auf das Befördern einer großen Anzahl von Personen und auf die Lösung des bereits damals bestehenden Parkproblems in den Zentren der großen Städte.
Auslöser für Fullers Überlegungen war der damals sehr populäre Ford V8, ein konventionelles Automobil mit kastenförmiger Karosserie und einem Verbrauch von 13 bis 15 Litern auf 100 km. Schon die Tatsache, dass sich Fuller in einer Zeit mit dem Verbrauch auseinandersetzte, als Benzin nur wenige Cent je Gallone (3,78 l) kostete, zeigt die Denkrichtung. Für das DYMAXION CAR wird ein Verbrauch von lediglich 6,5 Litern auf 100 km angegeben.
Die weitere Überlegung entstand aus der schon damals großen Parkplatznot in den Ballungsräumen und führte zu dem für alle drei ausgeführten Versionen des DYMAXION CAR typischen gelenkten Hinterrad. Dadurch konnte sich das Auto fast um die eigene Achse drehen – Fuller führe dies zu verschiedenen Gelegenheiten gern selbst persönlich vor.
Selbstverständlich bediente er sich dabei des damals wichtigsten Kommunikationsmittels schlechthin, nämlich des Films und der Wochenschau. Einen Eindruck davon gibt es im Internet bei youtube unter dem Suchwort DYMAXION.
Zwischen 1933 und 1935 werden in der Werkstatt in Bridgeport, USA, drei DYMAXION CARS gefertigt. Wie einst üblich, wird auch während der Bauphase noch nach Details und Änderungen gefragt; diese belegen etwa die Schreiben der Karosseriefirma Waterhouse Company zu Fensterrahmen und Fensterscheiben.
Fuller war mit Henry Ford bekannt, und es ist überliefert, dass die Ford Motor Company ein Chassis nebst Motor ihres V8-Modells zur Verfügung stellte.
Das DYMAXION CAR 1 besaß ein kompliziertes Chassis. Am Ford-Rahmen setzte auf halber Länge die Gabel für das gelenkte Hinterrad an. Der Motor musste ebenfalls nach hinten verlagert werden. Der Antrieb erfolgte über eine Kardanwelle, welche die nach vorn verlegte Ford-Hinterachse antrieb. Diese Grundkonfiguaration behielten alle drei ausgeführten Fahrzeuge bei.
CAR Nummer 1 hatte ein voll verglastes Cockpit mit gebogenen Plexiglasscheiben im Frontbereich sowie eine relativ schmale Spurweite, die sich am Chassis und der Spurweite der ursprünglichen Ford-V8-Hinterachse orientierte.
Die Fahrzeuge Nummer zwei und Nummer drei wurden im Chassis und an der Vorderachse verbreitet, um mehr Komfort und vor allem mehr Fahrstabilität zu erreichen. Ihre Seitenfenster nahmen an Größe zu, die Frontverglasung wird nun mittels planer Glasscheiben, dafür durch Konstruktion mittels geodätischer Dreiecke realisiert. Der Lufteinlass für die Motorraumbelüftung ist fast baugleich mit Hans Ledwinkas Tatra 77, nämlich ein Luftschlitz über die volle Dachbreite im hinteren Bereich.
Zwischen mutiger Vision und Holzweg des Autobaus
DYMAXION CAR 2 und 3 sollen Geschwindigkeiten von bis zu 120 mph (192 km/h) erreicht haben, weshalb sich auch der Reifenhersteller Goodyear für den Wagen als Testfahrzeug interessierte. Ein schönes Beispiel für Fullers ökonomisches Denken ist die Tatsache, dass er für jedes Fahrzeug eine penible Abrechnung anfertigen ließ. Daraus ergibt sich für CAR 2 ein Herstellungspreis von 7.668,852 US-Dollar und für CAR 3 von 8.360,95. Letzteren rüstete man dann noch mit Extras wie Teppichen, Stoßstangen und so weiter für insgesamt 569,11 Dollar aus.
In diesem Zustand kam das Projekt „Dymaxion Car“ bei Crosthwaite & Gardiner an und bedurfte auch für einen Kenner wie Martin Schröder der Nachfrage, was das wohl mal war. Foto Martin Schröder
Selbstverständlich war das gelenkte Hinterrad keine brauchbare Lösung für ein Massenautomobil. Die Seitenwind-Empfindlichkeit war erheblich, die Belüftung schwierig, die Seitenfenster ließen sich nicht herunterkurbeln, sondern nur nach oben aufklappen. Vor allem aber war die Zeit noch nicht reif für die ungewöhnliche Formgebung. Selbst der heute recht konventionell wirkende Chrysler Airflow war wirtschaftlich kein Erfolg und wurde 1937 eingestellt.
Ein weiteres Foto zeigt den Zustand bei der Wiederentdeckung des Fahrzeugs. Foto: Martin Schröder
Buckminster Fuller wandte sich nach der Fertigstellung von CAR 3 anderen Projekten zu. Nummer drei also endete schließlich als Reklamefahrzeug, verschwand im mittleren Westen, wurde dort als Wrack entdeckt und für das Whitney Museum gerettet.
Nun kommt ein weiterer Architekt ins Spiel: Norman Foster war von 1971 bis 1983 mit Bucky Fuller befreundet und arbeitete auch mit ihm zusammen. Foster hörte von den Resten des DYMAXION CAR 3 im Whitney Musuem, lieh den Wagen aus – und ließ die von Fuller nicht mehr realisierte Version 4 des Wagens bauen: bei Crostwaite & Gardiner in England, Keith Roach schuf die Karosserie.
Das Ergebnis war im Sommer 2001 in einer von Foster initiierten Fuller-Ausstellung im Designmuseum in London zu sehen.