Wolfram Riedel kommentiert die derzeitigen Ereignisse um Saab und Opel und vergleicht sie mit Borgward in den 1960er Jahren:
“ Geschichte wiederholt sich, sagt man. Wenn das stimmt, wäre vorstellbar, dass die beiden traditionellen europäischen Automarken Opel und Saab ein ähnliches Schicksal erleiden wie die Bremer Automarke Borgward Anfang der Sechzigerjahre. Der eine oder andere kann sich noch gut an Borgwards Ende erinnern. Vor fast 50 Jahren folgte der finanziellen Pleite des Unternehmens die ultimative Aufforderung des Bremer Senats an Carl F. W. Borgward, seine GmbH dem Land Bremen zur Weiterführung als Borgward-Werke AG zu übereignen- oder Insolvenz anzumelden. Bekanntlich kam es zur Übernahme, die wenige Jahre danach mit dem Konkurs der Borgward-Gruppe endete. Zu ihr gehörten auch Lloyd und Goliath.
Damals – man schrieb den 23. Dezember 1960 – hatte die Bremer Landesbank interessanterweise in einem Vermerk festgehalten: „Der bei der Borgward-Gruppe eingetretene Finanzengpass beruht allein auf dem augenblicklichen Mangel an flüssigen Mitteln, hervorgerufen durch das im Inlandsgeschäft bestehende Saisontief bei gleichzeitiger Rückläufigkeit der Auslandsumsätze, die früher eine Brücke für das stillere Inlandsgeschäft im Winter bildeten … Der Liquiditätsengpass ist also eine Folge von zurzeit zu geringem Erlöszufluss, er ist keine Überschuldungserscheinung.“
Dennoch, der Bremer Senat zog die Bürgschaft über eine Kreditzusage wieder zurück. Es ging um zehn Millionen D-Mark. Ein geradezu lächerlicher Betrag aus heutiger Sicht. In aktuellen Rettungsplänen für kriselnde Automobilhersteller ist inzwischen von Stützungen in Milliardenhöhe die Rede. Wie sich die Zeiten ändern! Oder lässt sich vom Umfang erwarteter Hilfen die Größe der Schwierigkeiten ableiten, in der ein Unternehmen steckt?
Zurück zu Borgward: Die ins Gespräch gebrachte Geldspitze bliebt dem Unternehmen versagt. Damit war das Todesurteil gefällt. Im Februar 1961 wurden alle Werke der Borgward-Gruppe verstaatlicht. Nachdem alle anschließenden Versuche scheiterten, die Werke zu verkaufen, folgte einem eingeleiteten Vergleichsverfahren schon im Herbst 1961 das Konkursverfahren. Überliefert ist, dass die Konkursverwalter binnen einiger Jahre alle Verbindlichkeiten haben begleichen können, was schon damals den Schluss nahelegte, dass der Konkurs offenbar voreilig betrieben worden war.
1962, kurz vor Weihnachten, wurden die letzten 19 Exemplare von Borgwards Isabella gebaut. Begreifen wollten das viele nicht. Für damalige Begriffe war der Mittelklassewagen ein automobiles Schmuckstück, eine ausgesprochen elegante Erscheinung mit selbsttragender Ponton-Karosserie. Für das Auto warb 1959 ein Anzeigentext, indem er „erhöhte Sicherheit und letzte modische Akzente“ hervorhob.
Die Liste erwähnter Ausstattungsdetails war lang: Sicherheitslenkrad, vollsynchronisiertes Vierganggetriebe, Ein-Schlüssel-System, schlauchlose Reifen, selbsttätige Blinker-Rückstellung, asymmetrisches Abblendlicht, eine Klimaanlage mit Stufenregelung und auf Wunsch sogar – zum Mehrpreis – eine Standheizung.
Motorisierungsstandard war ein 44 kW / 60 PS leistender 1,5-Liter-Vierzylinder. Die anspruchvollere TS-Limousine, die Isabella de Luxe und das Coupé profitierten von einer auf 75 PS angehobenen Leistung. Höchstgeschwindigkeit: 150 km/h, Verbrauch: 9,2 Liter. Und – heute durchaus nicht uninteressant – die Isabella-Preise bewegten sich zwischen 7165 D-Mark (Basismodell) und 11 725 D-Mark (Coupé).
Borgwards Mittelklasseentwurf zollte man angesichts des harmonischen Designs und der vorbildlichen Ausstattung allgemeine Anerkennung. Das Auto hatte das gewisse Etwas. Überraschen musste nicht, dass die Isabella ab 1967 in Mexiko nachgebaut wurde. Immerhin drei Jahre lang. Pfiffige Investoren hatten die Fertigungsrechte und auch Maschinen erworben.
Die Situation, in der sich derzeit Saab und Opel sehen, erinnert an das Kapitel Borgward, auch wenn die Zeiten andere geworden sind. Was kommt für Trollhättan und Rüsselsheim? – Vieles ist denkbar, und jede Voraussage kann falsch sein. Für wahrscheinlich hält mancher, dass ein Investor die Chance nutzt, eine erfolgreiche namhafte Marke zu erwerben und die Produktion weiterzuführen – gegebenenfalls an einem anderen Ort. In China?
Ein unwiderrufliches Ende einer namhaften ideenreichen Marken wie Saab oder Opel ist eigentlich überhaupt nicht vorstellbar. Im Fall Borgward war das aber nicht anders. Und doch schlossen sich die Werkstore in Bremen für immer. Überliefert wird, dass sich das Bedauern der Konkurrenz in Grenzen hielt.“