Auf zwei Rädern in die Zukunft der motorisierten Mobilität

Daimler Reitwagen von 1885

  • Vor 140 Jahren meldet Gottlieb Daimler am 29.8.1885 den Reitwagen zum Patent an
  • Ausgestattet mit dem schnelllaufenden Viertaktmotor, ist er das erste Motorrad der Welt
  • Der Technologietransfer hin zum Automobil folgt 1886
  • Am 31.8.25 ist ein Nachbau des Reitwagens beim Classics & Coffee am Museum zu erleben

„Close-up“ – der Name der Serie des Mercedes-Benz Museums ist Programm. Jede Folge erzählt Überraschendes, Spannendes, Hintergründiges zu Fahrzeugen aus der Ausstellung. Diesmal im Blick: der Daimler Reitwagen im Raum Mythos 1: Pioniere – Die Erfindung des Automobils, 1886 bis 1900.

Nr. 6/2025: Daimler Reitwagen

Das erste Motorrad der Welt feiert Jubiläum: Vor 140 Jahren läuft der Reitwagen von Gottlieb Daimler das erste Mal. Wie das Zweirad mit Einzylindermotor fährt? Dies lässt sich am 31. August 2025 am Mercedes-Benz Museum erleben – beim markenoffenen Klassikertreffen Classics & Coffee wird ein authentischer Nachbau auf dem Museumshügel gestartet. Weitere Informationen zur Event-Reihe: www.mercedes-benz.com/classics-coffee. Der Reitwagen ist selbstverständlich Teil der Dauerausstellung des Museums. In Raum Mythos 1: Pioniere – Die Erfindung des Automobils, 1886 bis 1900 ist ebenfalls eine authentische Rekonstruktion zu finden. Das Original von 1885 wird beim Großbrand des Daimler-Werks in Cannstatt am 9. und 10. Juni 1903 zerstört.

Daimler Reitwagen von 1885, gefahren von Wilhelm Maybach.

Technologieträger: Zwei schlichte Hebel liegen vor dem Fahrer des Daimler Reitwagens von 1885. Der Metallgriff links steuert die Gemischbildung, über den hölzernen Knauf kuppelt er den Antrieb ein oder verzögert über eine Klotzbremse das Hinterrad. Diese Bedienelemente stehen für die beiden grundlegenden Innovationen, die vor 140 Jahren die Individualmobilität revolutionieren: die Entwicklung des schnelllaufenden und kompakten Verbrennungsmotors zur Serienreife und dessen erfolgreiche Integration in ein Straßenfahrzeug. Dieses von Gottlieb Daimler und seinem Mitarbeiter Wilhelm Maybach entwickelte und am 29. August 1885 zum Patent angemeldete Zweirad (DRP Nr. 36 423, ausgegeben am 11. August 1886) ist das erste funktionsfähige Straßenfahrzeug mit Verbrennungsmotor – ein Meilenstein in der Geschichte der individuellen Mobilität.

Detailaufnahme des Bedienhebels zum Einkuppeln des Antriebs. Im Hintergrund der Hebel zur Regulierung der Gemischbildung. Foto: Thomas Niedermüller.

Vorsicht, Zündung: Der kleine Messingtank mit Einfülltrichter und Pumpe hinter dem Fahrer sieht nach einem Benzinbehältnis aus. Er enthält auch Treibstoff – jedoch nicht für den Antrieb des Motors. Vielmehr versorgt der kleine Tank die Flamme der Glührohrzündung des Daimler-Motors. Dieser ist das Herz des Zweirads. Am 3. April 1885 meldet Gottlieb Daimler den schnelllaufenden Motor mit stehendem Zylinder zum Patent an. Der Spitzname wegen des charakteristischen Aussehens: „Standuhr“.

Detailaufnahme des Abtriebs von der Kurbelwelle mit Transmissionsriemen aus Leder. Foto: Thomas Niedermüller.

Mit halber Pferdestärke: Zwei Jahre lang hat Daimler gemeinsam mit Wilhelm Maybach an dem wegweisenden Aggregat gearbeitet. Im Reitwagen leistet die „Standuhr“ 0,37 kW (0,5 PS) bei 600/min. Daimlers Vision: die motorisierte Mobilität zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Schon kurze Zeit später wird sie Realität, das Aggregat wird 1886 auch Daimlers Motorkutsche antreiben, außerdem Motorboote (ab 1886), Schienenfahrzeuge (ab 1887) und Luftschiffe (ab 1888).

Gesamtansicht von rechts. Foto: Thomas Niedermüller.

Erfindergeist trifft Handwerkskunst: Der Versuchsträger verbindet Handwerkskunst und Maschinenbau der damaligen Zeit. Zum Gewerk der Wagnerei gehören der Holzrahmen und die Holzräder – wie auch bei Kutschen üblich. Die robuste Bereifung aus Eisen kommt vom Schmied. Die Kraftübertragung von der Kurbelwelle bis zum Vorgelege übernehmen Lederriemen, wie sie auch Transmissionsanlagen von Dampfmaschinen verwenden. Eine Gangschaltung im modernen Sinn gibt es nicht. Der Riemen kann freilich auf zwei Scheiben mit unterschiedlichem Durchmesser aufgelegt werden – das bietet zwei verschiedene, feste Übersetzungen. Moderner Maschinenbau der Epoche ist das Vorgelege aus Ritzel und Zahnkranz. Der gerade Lenker dürfte von den im selben Jahrzehnt entwickelten, sogenannten Sicherheitsfahrrädern mit gleich großen Rädern inspiriert sein.

Detailaufnahme von Lenker und Bedienhebel zum Einkuppeln des Antriebs. Foto: Thomas Niedermüller.

Balanceakt mit Stütze: Daimler und Maybach versehen den bis zu 12 km/h schnellen Technologieträger mit Stützrädern, um die Fahrt zu stabilisieren. Diese erschweren zwar das Fahren enger Kurven, doch als Sicherheits-Feature sind sie willkommen, wie heutige Fahrten mit dem Reitwagen zeigen. Denn er ist nicht sonderlich wendig – doch seine Hauptaufgabe ist es ja auch, ein Demonstrator für den Antrieb eines Straßenfahrzeugs mit dem Verbrennungsmotor zu sein. Genau das kann man bei Classics & Coffee am 31. August 2025 erleben.

Detailaufnahme des Stützrads rechts. Foto: Thomas Niedermüller.

Wegweisend: Am 10. November 1885 bewältigt Gottlieb Daimlers Sohn Adolf mit dem Reitwagen die rund drei Kilometer lange Strecke von Cannstatt nach Untertürkheim und zurück. Die Fahrzeugidee funktioniert. Ein Jahr später erfolgt der Transfer des Motors aufs Automobil – und ein neues Zeitalter der individuellen Mobilität beginnt.

Detailaufnahme der eisernen Bereifung. Foto: Thomas Niedermüller.


Das Mercedes-Benz Museum ist täglich von Dienstag bis Sonntag von 9 bis 18 Uhr geöffnet.
Kassenschluss ist immer um 17 Uhr.
Anmeldung, Reservierung und aktuelle Informationen:
Montag bis Samstag von 9 bis 18 Uhr unter Telefon +49 711 17-30000, per E-Mail an classic@mercedes-benz.com oder online unter www.mercedes-benz-museum.com

Kolorierte technische Zeichnung