Aus der Clubzeitung: Mittel? Klasse?

Typ 200 W21

aus der MVC Depesche 04/2005 
Clubzeitung des Mercedes-Benz Veteranen Club von Deutschland e.V.

Ein kleines Automobil bei Mercedes-Benz war mindestens in der Mittelklasse zu suchen Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Der 1933 präsentierte Typ 200 war technisch innovativ, zum Hausgebrauch mehr als genügend und stattlich. Für den professionellen Einsatz reichte es allerdings an einigen Stellen nicht.

Trotzdem ist der 200 W21 doch eindeutig Mittelklasse statt Mittelmaß und das macht ihn auch heute noch zu einem der erstrebenswerten Klassiker . . .

Er sollte der Nachfolger des Stuttgart mit 2 Liter Motor sein, doch diese Schuhe waren etwas zu groß für ihn. Seit Dezember 1932 im Bau war der neue Typ 200 mehr der große Bruder des 170 Sechszylinders W15. Er glich ihm nämlich bis aufs Haar. Lediglich der Motor mit dem neuen Doppelvergaser und dem etwas größeren Zylinderdurchmesser (70 statt 65 mm) gaben dem 200 des Quäntchen mehr Feuer, das die Motortester beim 170 bereits von Anfang an vermissten.

Das große Sterben der kleinen Automarken begann bereits im Jahre 1927. Aber noch hatten einige kleine überlebt und bildeten mit solider Technik, allerdings mit billigen Materialien (und daraus resultierenden preisgünstigen kleineren Wagen) einen eigenen Marktbereich, nämlich den der Kleinwagen. Andere Kleinmarken hatten die Absicht, sich mit den Fahrzeugen der „Mittelklasse“ (2 bis 4 Liter-Motoren) zu messen. Und so plätscherte 1928 dahin. Das Jahr mit noch mehr einschneidenden Ereignissen folgte nach einer kleinen Erholung 1929.

Zu Jahresbeginn sind erstmals mehr als eine Million Kraftfahrzeuge in Deutschland gemeldet. Im krassen Gegensatz dazu wurden in den ersten sechs Wochen rund eine Million Deutsche neu arbeitslos. Etwas, das man in kaum einem Geschichtsbuch findet ist die Tatsache, dass es Anfang der 30er Jahre die erste große Welle der Autodiebstähle gab. Und auch sonst gab es nicht nur in Amerika die viel beschriebene Unterwelt, sondern auch in Deutschland gab es immer mehr Ganoven und Glücksritter. Arbeiterdemonstrationen, Krisen in vielen auch gar nicht so fernen Teilen der Welt schütteln den Planeten. Alles ist in Auf- und Umbruchstimmung. Viele investieren in die Zukunft, so auch Daimler Benz. Aber die Weltwirtschaftskrise brach allmählich über sie herein. Wiederum mussten einige kleine und auch größere Firmen aufgeben. Am 25. Oktober 1929 crasht die Börse in New York endgültig als eine Folge des unkontrollierten und unkoordinierten Wachstums. Ging es der breiten Bevölkerung vorher schon nicht besonders gut, war die Verschlechterung jetzt auch für die gehobene Mittelschicht spürbar.

Nur mit unglaublichem Mut und Vertrauen in die Zukunft kann man die Entscheidung des DB Vorstandes erklären, Hans Nibel den Auftrag zur Konstruktion eines neuen kleineren Mercedes zu erteilen. Nibel machte sich ans Werk. Betriebssicherheit, Wartungskostensenkung, niedriger Preis und trotzdem ein Qualitätsprodukt aus dem Hause Daimler-Benz waren seine Vorgaben. Ein sehr ehrgeiziges Ziel, das es zu erreichen galt. Kleiner als der bisherige 200 Typ Stuttgart, aber mindestens so kraftvoll, elegant wie ein Großer, wendig und grundsolide, alles Attribute, die der Typ 200 W21 auf sich vereinen sollte. Und genau das wurde als Ergebnis nach zwei Jahren, 1933, auf dem Autosalon in Paris präsentiert. Mit einem Radstand von 2700 Millimetern aber nur einer Gesamtlänge von 4060 Millimetern ist das Resultat eine bereits gestreckte Karosserieform.

Das ganze Fahrgestell beruht auf dem Prinzip des Leiterrahmens, der das linke und rechte Kastenprofil mit
mehreren Querstreben gegen Verdrehen vesteift. Um den Fahrzeugschwerpunkt möglichst tief zu halten ist
das Triebwerk hinter der Vorderachse in den Rahmen eingesenkt. Das ist ja alles gut und schön, aber wie  fährt sich der 200 denn jetzt eigentlich? Na, auf modernen Straßen kann man seine Fahreigenschaften nicht wirklich beurteilen. Viel interessanter ist es, wenn die Straße schlecht ist oder aus Kopfsteinpflaster besteht. Hier zeigen sich seine wahren Qualitäten. Während man selbst mit Luxuslimousienen neuerer Bauart doch arg durchgeschüttelt wird, schluckt das Fahrwerk des 200 doch fast alles.

Sogar die Türkeile sind beim 200 aufwendiger als bei allen anderen Modellen. Sehr schön, wenn noch alles intakt ist, elend, wenn die  Gummis ihren Geist aufgeben. Benötigt man für 170 bis 540 K nur ein kurzes Telefonat um neue Türschließkeile für eine geringe Gebühr zu bestellen, wird man hier bei den Merzackengummis viele schöne Gespräche führen. Deren Ergebnis wird dann sein: Das kann man sich nur selber machen.

Leichte bis mittlere Steigungen steckt er bei beherzter Fahrweise weg, als gäbe es sie nicht. Lange Autobahnfahrten sind selbstverständlich nicht sein bevorzugtes Einsatzgebiet, aber wenn es denn sein muss, kann er auch das gut verkraften. Im alltäglichen Verkehr schwimmt der Vorkriegsklassiker sehr bequem mit und durch seine stufenlose Klimaanlage (die Frontscheibe kann man schließlich öffnen) wird es auch in der Limousine bei unseren typischen Sommern nicht zu heiß. Die Fahrgeräusche im Innenraum der viertürigen Variante halten sich erstaunlich in Grenzen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass alles in Gummi gelagert ist. Der hohe Kühler und die daraus resultierende hohe Motorhaube könnte man als „Vortäuschung falscher Tatsachen“ auslegen, denn der Motor ist durch seine Anordnung nicht so platzbeanspruchend, wie es die Karosserieform suggeriert. Zwischen Oberkante Zylinderkopf und Unterkante Haubenscharnier hat man noch eine Ellenlänge Platz. Wenn jedoch der kleine Sechszylinder fröhlich im Leerlauf vor sich hin summt, hat man das Gefühl, den Lüfterflügel könne man mit einer leichten Fingerbewegung noch beschleunigen. Aber dieser Eindruck verfliegt sofort, wenn man, die kleine Limousine besteigt und den Schleifpunkt der Kupplung leise rutschend findet. Selbst bei dieser geringen  Drehzahl bewegt sich der Kleine schon vorwärts. Tippt man nun das Gaspedal nur leicht an, entwickelt sich aus dem sanft schnurrenden Kätzchen zwar kein Löwe, aber ein kräftiger Kater setzt augenblicklich zum Sprung an.

Auch der 200 W21 verfügte, wie bereits der 170 W15 über die neuartige Pendelachse mit den zwei
Schraubenfedern hinten. Die vorderen Querblattfedern mit den Öldruck-Hebelstoßdämpfern machten den Wagen höchst geschmeidig im Fahrverhalten. Die ersten Modelle bis Mitte 1933 hatten auch noch den ganz flachen Kühler, der auch beim 170 bis dahin obligatorisch war. Dann trennte man sich von der doch noch sehr eckigen Bauweise und kam zu etwas weicheren Formen. Damit einher ging der Wechsel zur leichten Keilform des Kühlers. Eine Sicke von Motorhaube über Windlauf und Türen brachte etwas Auflockerung ins Design und Stabilität ins Material. Diese Sicke wurde bei den Limousinen zumeist noch durch einen farbigen Zierstreifen unterstützt. Chrom-Aplikationen waren den Cabriolets vorbehalten, die aber häufig genug auch nur mit Farben und Linien koketierten.

Also alles in Allem ein sehr schönes Automobil mit recht guten Fahreigenschaften, hervorragendem Fahrwerk und
angenehmen, wenngleich konservativem Äußeren. Warum er trotzdem nicht die Verkaufszahlen erreichte wie der 170 W15, ist nicht ganz nach zu vollziehen. Oder sollte es doch an dem immerhin 10 Prozent höheren Preis gelegen haben, der sich ansonsten nirgendwo in der Ausstattung, der Verarbeitung oder der Qualität und dem Status wiederfindet? Zwar steigerte man die Höchstgeschwindigkeit um fast 10 Kilometer in der Stunde und mit seiner Beschleunigung konnte er sich mit einem Großen Mercedes Typ 770 messen, aber das war es dann auch.

Schließlich war der 170 auch hervorragend ausgestattet. Serienmäßig gab es bei beiden eine Siebentage-Uhr,
Instrumente mit Öldruck– und Kraftstoffanzeige, Zigarrenanzünder mit Aschenbecher, ausstellbare  Windschutzscheibe und das sind nur die Annehmlichkeiten. Nützlich und für den Fahrer sehr angenehm war dagegen das neuartige Getriebe, welches mit halbautomatischer Synchron-Schaltung in jedem Gang den
Schnellgang zuschalten konnte.

Ein für damalige Verhältnisse unglaubliches Sicherheits-Merkmal waren die Scheiben aus Sicherheitsglas, das
Schnittwunden beim Unfall vermeiden sollte. Damit es gar nicht erst zum Unfall kommt hatte der 200 W21 an allen vier Rädern eine Trommelbremse, die, im Gegensatz zu manchem Rennwagen jener Zeit, hydraulisch und nicht über Seilzüge und Stangen betätigt wurde. Auch die Zentralschmierung war bei Fahrzeugen anderer Hersteller in diesem Marktsegment nicht üblich. Beim Starten musste man zwar die Luftklappe im Vergaser mittels Chokezug betätigen, damit dies aber möglichst schnell zurück gestellt werden konnte, hatte man eine sogenannte automatische Startvorrichtung mit eingebaut. Mittels einer Bi-Metallfeder wurde hier eine Luftklappe in der Auslassbrücke des Motors so betätigt, dass der Kraftstoff schnell in ein vorgewärmtes Vergasergehäuse einströmen konnte. Dieser Kraftstoff kam aus dem runden Tank, der sich zwischen Motorraumspritzwand und Instrumententafel verbarg und immerhin knapp 40 Liter Fassungsvermögen bereithalten konnte. Damit war dem Umstand Rechnung getragen, dass der 200 für seine Mehrleistung auch zwei Liter mehr Sprit auf 100 Kilometern benötigte, als der 170. Stoßstangen waren indes Aufpreispflichtig und wenn man eine andere als eine der drei Standartfarben haben wollte, war das für einen Aufpreis von 170 Reichsmark auch kein Problem.

Da der 200 W21 aber in seinen Abmessungen (besonders denen des Innenraums) bedeutend kleiner war als der 200 Stuttgart taugte er nicht für mehr als vier Personen und gleich gar nicht als Droschke. Gerade das  Taxigewerbe hatte an dem Stuttgart seine Freude gehabt und sah diese durch den W21 arg getrübt. Die Rufe nach einem größeren 200 wurden laut und in der Konzernzentrale reagierte man darauf. Bereits 1934 kam der Typ 200 Lang auf den Markt. Mit immerhin 35 Zentimetern mehr Länge könnte die Kabine nun tüchtig wachsen. Dies wurde allerdings erkauft mit einem höheren Spritverbrauch und verringerter Spitzengeschwindigkeit und Antrittvermögen. Damit war der neue lange 200 wieder den Fahrleistungen des 170 gleich zu setzen. Dies wohl mit mehr Platz, aber auch mit erheblich mehr Durst. So waren die gewerblichen Kunden also auch nicht zufrieden zu stellen. Die Entwicklung des Typs 230 W21 und die daraus resultierende neue Baureihe W143, werden wir jedoch später einmal behandeln.

Fakt ist also, dass der 200 in seiner normalen Version die Produktionszahlen des 170 nur zu etwa 70 % erreichte. Erst wenn man die Verkaufszahlen des Langen mit dazu nimmt, werden sie übertroffen. Im Vergleich zum  Stuttgart 200 wurde der Absatz allerdings um fast 50 Prozent gesteigert.

JE mit freundlicher Unterstützung von www.PS-Classic.com