Aus der Clubzeitung: Alle Acht(ung)

Typ 460 K Nürburg Roadster W 08 K

aus der MVC Depesche 04/2006
Clubzeitung des Mercedes-Benz Veteranen Club von Deutschland e.V.

Stuttgart war der Firmensitz der Daimler Motoren Gesellschaft und so war es nicht verwunderlich, dass man ein neues Modell 1928 danach benannte. Mannheim war der ursprüngliche Firmensitz von Benz und mit dieser Bezeichnung wurde ab 1929 das nächst größere Modell benannt. Doch dann gab es noch die Oberklasse und die hieß „Nürburg“.

Warum, wieso, und weshalb diese Autos heute so rar sind will ich mit diesem Artikel ein wenig erläutern. Allgemeingültige Aussagen sind im Vorkriegsbereich immer schwierig. Und je weiter man in der Zeit zurück geht, entstehen immer mehr Probleme. Einerseits ist die zeitliche Distanz zu groß und man findet kaum noch „Zeugen“, andererseits wurde damals noch nicht in dem Maße kontrolliert, reglementiert und dokumentiert.

Einen sportlichen Erfolg nach dem anderen errangen die Daimler-Benz Typen K, S, SS, und SSK seit Mitte der Zwanziger Jahre. Für sportliche Herrenfahrer war dies immer Kaufanreiz genug. Doch – die Konkurrenz schläft nicht. Als Hansa im Frühjahr 1926 sein Modell Achtzylinder vorstellte, war eine neue Klasse in Deutschland erschlossen. In USA gehörte es bereits zu guten Ton mindestens acht, besser aber noch zwölf oder sechzehn Kolben werkeln zu lassen. In Europa sah man diese Notwendigkeit noch nicht. Hier baute man immer größere
Sechszylinder, die immer größere Kräfte aufbringen konnten.

Diese größeren Kräfte wollen aber nicht nur erbracht, sondern auch gebändigt werden. Und genau da  erschöpften sich die Möglichkeiten der Konstrukteure und der Materialqualitäten. Um längere Standzeiten zu erhalten und einen komfortableren lauf zu gewährleisten ging man damals den Weg, die Zylinderzahl zu erhöhen. Viele Hersteller sprangen auf diesen Zug auf und bei Daimler-Benz erkannte man (wie so oft in der Geschichte) erst recht spät, wie dynamisch sich dieser bewegt. Obwohl Ferdinand Porsche schon gute Erfahrungen mit der Konstruktion seines 2-Liter Rennmotors mit acht Zylindern gemacht hatte, wurde sein Begehren, einen Pkw mit einem solchen Triebwerk auszustatten, seit 1924 immer wieder abgelehnt. Erst Ende 1926, als die anderen Hersteller vorpreschten, nahm man bei Daimler-Benz die Bedrohung ernst und gab nun endlich den Auftrag zum 18/80 PS Wagen. Nach etwas über einem Jahr wurde er präsentiert – doch zu spät.

Führend in Produktion und Absatz war nämlich der schärfste damalige Konkurrent im Binnenmarkt: Horch.

Ausgerechnet Paul Daimler, ein Sohn Gottlieb Daimlers der das „heimische“ Werk verlassen hatte, war für Horch verantwortlich. Bereits direkt nach seinem Wechsel verfolgte er sein Lieblingsziel mit dem er bei der DMG (Daimler Motoren Gesellschaft) gescheitert war: Größer – schneller – mehr!

Kurz nach Hansa brachte man in Zwickau den Typ 303 auf den Markt zum Preis von 12.500 Reichsmark. Aus guten drei Litern holte man für diese Zeit deutliche 60 PS und die Evolution schritt so schnell fort, dass Horch bis zum Ende der Dreißiger Jahre die Nase vorn hatte. Dies lag nur zum Teil an der moderaten Preisgestaltung, die zu jeder Zeit rund 1.000 Reichsmark unter den Vergleichsmodellen aus Schwaben lag. Auch die Karosseriegestaltung war im Wesentlichen moderner. Dennoch wollte sich Daimler-Benz, wie die kürzlich zusammengeführten Firmen DMG und Benz & Cie. jetzt hießen, nicht kampflos geschlagen geben. Neben der Fortführung der sportlichen Klasse und der Absenkung der Schwelle auf 200er und später 170er wurde also auch die große Klasse voran getrieben.

Man mußte aber die „Ringträger“ aus dem Osten unbedingt überbieten. Und so kam es, dass der neue Typ W08, der im Werk Mannheim produziert wurde, über immerhin 80 PS verfügte, die aus einem Hubraum von 4622 ccm resultierte. Da die Namen der Produktionsstätten Stuttgart und Mannheim bereits für andere Modelle „verbraten“ wurden suchte man jetzt nach einer Bezeichnung, die für jeden Autointeressierten die Leistung klar machen sollte. Das Fahrgestell wurde ausgiebig getestet und für gut befunden.

Die Teststrecke war eine der härtesten der Welt und genau hiernach benannte man den neuen Typ: Der noch junge Nürburg-Ring gab dem Typ Nürburg seinen Namen! In immerhin 13 Tagen und Nächten hatte der W08 (mit dem Motor M08) rund 20.000 Kilometer auf diesem Rundkurs bewältigt. Dieser Dauerlauf, bei dem sich fünf Fahrer abwechselten, bietet selbstverständlich keinen wirklichen Beweis für Langlebigkeit, weiß doch jeder der Beteiligten, dass ein Abstellen, Abkühlen und erneut Starten einem Motor viel mehr zusetzt, als mit Drehzahlen und annähernd konstanter Temperatur eine große Strecke zurück zu legen.

Dennoch, der Nürburgring als Synonym für Qualität und Leistungsfähigkeit. Eine Argumentation, der man sich schlecht verschließen kann, auch wenn es sich um Luxusautomobil und nicht um einen Rennwagen handelte. Die 460, die dem Namen angehängt wurde, Stellte dabei den Hubraum dar, der gerundet und um die letzte Stelle verkürzt wurde. Eine Methode, die mit dem Zusammenschluß Einzug gehalten hatte und sich bis heute fortsetzt.
Doch wie bereits gesagt die Konkurrenz schläft nicht. Horch kam im gleichen Jahr mit über einem halben Liter Motorvolumen weniger zum gleichen 80 PS Ergebnis. Doch Porsche schwörte auf die Konstruktion, die er für
Daimler-Benz als technischer Direktor zu verantworten hatte. Langlebigkeit und Qualität waren seine Argumente. Dennoch schaffte es Daimler-Benz nicht die Oberhand zu gewinnen.

Daran änderten auch die von Fachzeitschriften attestierten besseren Fahreigenschaften nichts. Der U-Profil Preßstahlrahmen hatte sich bewährt in Verbindung mit Halbfedern und hydraulischen Stoßdämpfern. Was jedoch alle zugeben mußten, die ersten Nürburg waren von der optischen Erscheinung doch ein wenig antiquiert. Der hohe Kastenrahmen erlaubte halt nur eine gewisse Bauweise. Und schon mußte Hans Nibel einen neuen Rahmen entwickeln, der als Niederrahmen ausgebildet auch moderne Karosserieformen zuließ. Nach nur knapp einem halben Jahr erschien dann der Nürburg 460 mit Niederrahmen. Die Fahreigenschaften waren geringfügig verbessert worden und die Motorleistungen überhaupt nicht. Eine weitere Neuerung wurde jedoch angeboten, nämlich das verkürzte Fahrgestell (24 cm kürzer) als Nürburg 460 K. Das „K“ als Bezeichnung eines Kompressor-Modells hielt erst beim Typ 380 Einzug. Vorher stand bei allen Modellen das „K“ für kurz/verkürztes
Chassis.

Angesichts der relativ schlechten Verkaufszahlen und des geringen Preisunterschiedes verzichtete man auf die Fortführung dieses Angebotes bei der nächsten Überarbeitung. Schließlich war der Nürburg auch als Siebensitzer konzipiert und angetreten den großen Limousinen und Cabriolets Paroli zu bieten. Die sportlichere Kundschaft wurde schließlich von K, S und SS beackert. Dennoch gab es einige Karosseriebauer, die sich an diesem Fahrzeug auch für wenige Passagiere versuchten.

Aber bleiben wir erst einmal beim Nürburg 460.

Vorgestellt auf der Olympia Motor Exhebition in London 1928 wurde er erstmals als Fahrgestell gezeigt. Genauso auf dem Pariser Autosalon im Spätsommer. Als ganzes Fahrzeug (mit Karoserie) wurde der Mercedes mit den acht Zylindern auf der Internationalen Automobil– und Motorrad-Ausstellung (Berlin) im Herbst 1928  vorgestellt. Nicht weniger als 600 Hersteller zeigten hier ihre Erzeugnisse und damit kann man sich die Reizüberflutung der Besucher bereits vorstellen. Trotzdem fand der Nürburg nicht nur bei der Fachpresse Beachtung, sondern es wurden vom Stand weg immerhin 34 Modelle in fast allen Karosserievarianten bestellt.

Vor der Auslieferung der ersten Wagen hatte Ferdinand Porsche bei diesem Wagentyp also monatelange Versuche, Test und Fahrprüfungen durchführen lassen, um bei dieser anspruchsvollen Klientel die Rückläufer-Quote möglichst gering zu halten. Dieser Plan ging auf denn es wird nur von ganz wenig Reklamationen berichtet aber viele äußerten sich sehr positiv über die Bequemlichkeit, die Elastizität des Motors und die Verarbeitungsqualität. Das resultierte nicht zuletzt aus den neun Hauptlagern, die die Laufkultur merklich beeinflussten.

Der Hochrahmen-Nürburg ließ echte Eleganz jedoch vermissen. Daher etablierte man die neuere Niederrahmenkonstruktion ab Mitte 1929. Bei dem Roadster von 1929, den wir hier zeigen, kann man dies deutlich nachvollziehen. Das bedeutet aber nicht, dass man anhand des Rahmens das Baujahr eines Nürburg erkennen könnte. Bis 1935 dauerte es nämlich bis der letzte Hochrahmen verbaut war und das Lager von diesen „Altteilen“ geräumt schien. Doch das war den Kunden offensichtlich häufig gleich. Sie legten zu einem großen Teil mehr Wert auf Fahrleistung denn auf optisches Erscheinen. Diejenigen, denen dies anders war, hatten sich sowieso für einen Horch entschieden. Hier war das Design von Hermann Ahrens klar erkennbar und brachte viele Schönheitswettbewerbe sicher in die Hallen von Horch und damit der Auto Union. Damals gab es noch keine Headhunter wie heute und so mußten die Vorstandsmitglieder Dr. Hans Nibel, Wilhelm Kissel und Dr. Wilhelm Haspel im Jahre 1932 selbst zur Tat schreiten. Sie warben den gerade 28-jährigen Formgestalter von Auto Union ab und verpflichteten ihn in der Konstruktionsabteilung für Sonderaufbauten. Damit war die „Gefahr“ aus dem Osten gebannt und gleichzeitig war der Garant für die eigene Vorreiterrolle auf dem Markt gesichert.

Dennoch war der Vorsprung den die Zwickauer hatten nicht mehr einzuholen. Aber geschlagen geben war und ist
keine schwäbische Eigenschaft und so warb man mit Reisen in ferne Länder, lange Touren, die die Qualitäten dieses Wagens unterstreichen sollten. Ein Plakat aus der Zeit zeigt einen Typ Nürburg vor einem Ozeandampfer.
Die Zylinderzahl alleine reichte aber noch nicht um ein Statussymbol zu bauen. Also die Literzahl sowie die Leistung erhöhen war die einzige logische Konsequenz. Somit wurde ab 1931 Parallel der „Typ Nürburg 500“ zum „Typ Nürburg 460“ angeboten. Der neue, größere Nürburg erfreute sich recht bald größter Beliebtheit. Neben der größeren Bohrung bei gleichem Hub wurde die Leistungssteigerung damit erreicht, dass nun ein Doppel–Flachstromvergaser (Solex 35 MMOV) zum Einsatz kam im Gegensatz zum bisherigen einfachen Flachstromvergaser (Solex 40 MOHRT). Als dann die „sportlicher Linie“ mit den Typen 380 (hier kommt später
das K für Kompressor in die Bezeichnung) auch mit acht Zylindern daher kamen, musste bald für den Nürburg eine andere Bezeichnung her. Spätestens als der Nachfolger des 380 K, der 500 K, vor der Markteinführung stand, tat dies Not.

Von Ortsnamen wollte man sich eh‘ einfach trennen und nur noch auf die Zahlenbezeichnung setzen. Um Verwechslungen zu vermeiden hieß der ehemalige Nürburg ab 1936 Typ 500 N. Andere Neuigkeiten gab es damit aber nicht. Lediglich im letzten Baujahr des nun intern genannten W108 (man beachte die Duplizität!) gab es ein grundlegendes Facelift. Der Keilkühler sowie die Frontscheibe wurden nun schräg gestellt und die Ramenkonstruktion verschwand völlig unter der Karosserie. Alle anderen konstruktiven Merkmale wie die des Motors waren bereits von Anfang an so gut, dass sie nicht wirklich verändert werden mussten. Der neunfach gelagerten Kurbelwelle folgten Nelson-Bohnalite-LM-Kolben und die Nockenwelle wurde über Stirnräder angetrieben. Der abnehmbare Zylinderkopf brachte eine Verdichtung von 5,75:1 (beim 460 5:1). Die Mehrausbeute lieferte immerhin satte 30 PS und das bei einer Drehzahlminderung von 200 Upm, so dass der Wagen mit seinen problemlosen zwei Tonnen auf eine Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h kam. Drei „geräuschlose“ und einen direkten Gang stellte das Getriebe zur Verfügung und zu jedem Gang kann noch das sogenannte Maybach Schnell– bzw. SchongangGetriebe zugeschaltet werden. Dieses ermöglicht im Flachland die tatsächliche Schonung aller relevanten Teile.

Schonung für die Technik interessierte die Käuferschicht dieses Wagens jedoch nicht, sondern geschont werden sollten im wesentlichen die Passagiere (hiervon war der Fahrer nur bedingt eingeschlossen). Wichtig für die Herrschaft war der außerordentliche Komfort eines solchen Reisewagens und selbstverständlich die Representationsfähigkeit.

Dass der Nürburg zu Würde und Amt passte, beweist nicht zu letzt die Tatsache, dass auch der Papst Pius XI. zur Klientel der Nürburg „gefahrenen“ gehörte. Klientel ist dabei nicht das richtige Wort, denn die Daimler-Benz AG schenkte dem Vatikan diesen einmaligen Wagen. In diesem Fall wurde das Fahrzeug nicht nur besonders mit einem extrem ausladenden Sitz im Fond ausgeliefert, sondern der Daimler-Benz  Direktor Dr. Hans Nibel lieferte ihn höchst persönlich ab. Ob man sich dadurch einen höheren Segen sichern wollte, bleibt heute Spekulation. Sicher ist jedoch, dass die positiven Äußerungen des Papstes einen guten Werbeeffekt hatten (darauf hatte man freilich nicht gehofft). Ebenso werbetechnisch eingesetzt wurden Bilder in Publikationen, die andere bekannte Besitzer mit ihren Nürburgs zeigten.

So waren Ernst Valentin oder Rudolf Caracciola und Otto Merz nur die männlichen Vertreter. Noch wirksamer, wenn es darum ging zu beweisen wie einfach diese schweren Biester zu bewegen seien, waren die berühmten Damen der Zeit, als sie ihre Fahrzeuge übernahmen oder vorführten. Und davon gab es auch einige: Claire Romer (Schauspielerin), Gitta Alpar (Sängerin) und besonders die Filmstars Rose Barsony und Lillian Harvey, um nur einige zu nennen. Aber auch der König von Bulgarien und andere Persönlichkeiten des gesellschaftlichen, öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens frönten dem Nürburg eher als dem Horch, weil dieser für manche auch einfach zu wenig Statussymbol war.

Dass es heute nur noch ganz wenige Nürburg (selbst in Museen) gibt, liegt zum Teil daran, dass viele dieser Wagen im bald folgenden Krieg, der auch das Produktionsende derer bewirkte, zerstört oder umfunktioniert wurden. Die anschließenden Erbeutungen richteten sich zudem erst gegen die Cabriolets – Limousinen wurden einfach „verheizt“. Und dennoch – einige haben überlebt. So wurde beispielsweise 1949 der erste gewählte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuß mit seiner Frau Elly Heuß-Knapp, zu seiner Antrittsfahrt im offenen Nürburg durch Bonn chauffiert.

„Unser“ Roadster nimmt bei all der Seltenheit auch nochmals eine Sonderstellung ein. Nicht nur, dass er erst in diesem Jahr (2006) fertig restauriert wurde, ist er auch noch in einer besonderen Perfektion gearbeitet. Außerdem wurde der Roadster auf einem verkürzten Fahrgestell gebaut. Die genaue Bezeichnung ist demnach auch 18/80 PS Typ Nürburg 460 K. Aber die Roadster-Variante findet sich in keinem Prospekt und selbst die (leider schlechten) Werksfotos sind spärlich.

Preise und Produktionszahlen? Ebenfalls Fehlanzeige. Aber sind diese Angaben bei solch einem Klasse-Automobil wirklich entscheidend?

Ich denke nicht.

Schließlich bleiben sie auch in den anderen Karosserie-Varianten selten und gemessen an andern Automobilen ihrer Zeit sind sie doch erheblich unterbewertet.