Aus der Clubzeitung: Deutsch-Amerikaner

aus der MVC Depesche 03/2002 
Clubzeitung des Mercedes-Benz Veteranen Club von Deutschland e.V.
von Jörg Enger  mit starker Unterstützung von Berverly Rae Kimes

Wer hat es nicht gewußt?

Der größte Exportmarkt für Automobile ist/war der US-Amerikanische. Das trifft nicht nur für die Fahrzeuge mit Stern zu. Andererseits haben die Amerikaner einen enorm ausgeprägten Nationalstolz. „Buy American“ prangt es von Aufklebern, Wahlplakaten, Zeitungsanzeigen und ähnlichem. Also ist es eigentlich nur logisch, beides miteinander zu vereinen: Einerseits die eigenen Produkte zu exportieren und gleichzeitig „vor Ort“ die gleichen Gegenstände zu produzieren. Genau diese Politik verfolgte Daimler-Benz beim Zusammenschluss mit Chrysler.  Dass das Projekt DaimlerChrysler nicht das erste seiner Art war, möchte ich in diesem Artikel erläutern. Auch wenn der Ur-Plan scheiterte . . .

Schon früh sah Gottlieb Daimler in der aufkeimenden Motorisierung Amerikas auch für die Daimler-Motoren-Gesellschaft geschäftliche Chancen und knüpft enge Kontakte, die auch nach seinem Tode im Frühjahr 1900 weiter bestehen bleiben sollten. Ende Oktober 1893 schloss die Weltausstellung in Chicago ihre Pforten. Nur wenigen der Millionen Besucher war unterdessen klar geworden, dass eine neue Epoche angebrochen war. Angesichts von „Buffalo Bill‘s Wild West Show“ und der Manegerie von Hagenbeck war der Fortschritt auch nicht so deutlich. Andererseits war das Leitthema der World‘s Columbian Exposition, wie die Weltausstellung offiziell hieß, Elektrizität. Alle möglichen elektrischen Geräte wurden vorgestellt und gut verkauft. Außerdem wurde erstmals dem amerikanischen Publikum das gezeigt, was es bisher nur aus Zeitschriften aus Europa kannte: Das Automobil!

Gottlieb Daimler hingegen vertiefte die Kontakte zu einem Nachkommen eines Deutschen Einwanderers aus Wolfshagen. Sein Vater, Engelhard Steinweg hatte bereits 1835 eine Klavierfabrik in Brunswick gegründet. Und als er 1850 sein Geschäft in die USA verlegte, hatte er seinen Namen amerikanisiert und nannte sich nun Steinway. Sein Sohn William Steinway war bereits gestandener Geschäftsmann im Jahre 1893, da er ja schon seit dem Tod seines Vaters 1871 die Piano-Fabrik leitete. Der erste Kontakt kam über einen Bruder von Wilhelm Maybach zu Stande, der in der Piano-Fabrik arbeitete. Nach einem Besuch Steinways in Cannstatt 1888 kam es schon im gleichen Jahr zur Gründung der Daimler Motor Co. in USA. Ersten Teile- und Motoren-Lieferungen für unterschiedliche Zwecke folgten bald auch komplette Daimler-Wagen. Steinway hatte auch die Idee zur Teilnahme in Chicago: Ein voller Erfolg!

Allmählich wurden Daimlers Motorwagen durch maßgeblichen Einsatz von Steinway in immer größeren Stückzahlen verkauft. Später kam es zur Gründung der „Daimler Manufacturing Company, Long Island City, New York“. Allerdings starb Steinway bereits 1896 und dadurch wurde das schwunghafte Geschäft in eine tiefe Krise gestürzt. Es hätte ein neuer Vorstoß gemacht werden müssen, doch auch um Daimlers Gesundheit stand es nicht gut. Der einzige, der die Fahne weiter hoch hielt, war Daimlers und Steinways vertrauter Friedrich Kübler. Der  einzige aus dem US-Unternehmen, der wirklich daran interessiert war, weiterhin Daimler-Fahrzeuge zu bauen. Seine erste Tat war es, die Lastwagenproduktion der Daimler Manufactury Co. wieder auf eine profitable Basis zu stellen.

Als dann Emil Jellinek bei den Rennwochen in Nizza seinen Daimler-Wagen unter dem Namens-Pseudonym
„Mercedes“ anmeldete und auch noch gewann, lebte auch Gottlieb Daimler schon nicht mehr. Doch es gab einen neuen Namen. Und Jellinek‘s Wunsch war es nicht nur den Namen mit zu bestimmen, sondern er schleuste auch  Carl Lehmann als den Vertreter seiner Interessen in der Überseefirma ein. Monsieur Charley, wie er sich dort nennen ließ, sprach in englisch immer mit betont französischem Akzent, obwohl er zuvor deutscher Radrennfahrer war. Charley sollte hinterm großen Teich dafür sorgen, dass die Daimler Manufacturing Company nur noch mit einer Abgabe von $100 an ihn Mercedes Fahrzeuge aus Europa importieren kann. Sie hatten schließlich nur das Recht Daimler-Wagen zu vertreiben und diese gab es seit dem neuen Namen Mercedes nicht mehr.

Von den Renneinsätzen in der alten Welt schwer beeindruckt kaufte der amerikanische Industrielle William K.
Vanderbuild jr. 1902 einen Mercedes und brachte ihn in seine Heimat. Zuerst seine Brüder Reginald und Alfred Gynne und danach viele reiche Freunde taten es ihm gleich und dadurch bekam der Export von ganzen Fahrzeugen aus Deutschland eine neue Dimension. Doch die ehemaligen Vertragspartner waren drüber natürlich nicht so glücklich. Im Februar 1904 kündigte dann die Daimler Manufacturing Company (DMC) an, eine eigene Konstruktion zum American Mercedes Tourer zu beginnen. Die Daimler-Motoren-Gesellschaft sagte dazu die volle Unterstützung zu – gegen eine Lizenzgebühr von US$ 10.000 pro Jahr.

Also war die New York Autoshow von 1905 das zu erreichende Ziel. Eine Entwicklung die so vom Monsieur  Charley nicht gewollt war. Erstens hatte er jetzt einen weiteren Konkurrenten, und zweitens musste er sich jetzt schnellstens um einen neuen Vertriebsweg kümmern. Ein Umstand, den er sowenig sah wie alle anderen europäischen Hersteller, war, dass die Motorshow 1905 als „National Motor Show“ angekündigt war, und damit ausländische Produkte auf ihr keinen Platz finden würden. Ein Sieg für den amerikanischen Nationalstolz.

Allerdings konnte in der Long Island Factory nur das Chassis rechtzeitig zur Ausstellung gebaut werden und so wurden schließlich erst zum Ende Januar des Jahres 1905 die ersten in den USA produzierten Mercedes als „The American Mercedes“ ausliefert. Viele Pessimisten sahen sich nicht bestätigt, die geglaubt hatten, dass die Daimler Manufacturing Company allein mit den Zeichnungen nicht würde arbeiten können. Hier in dieser Firma waren  aber so viel Immigranten aus Deutschland beschäftigt, und das nicht nur in Führungspositionen, dass die Arbeiter direkt von den Blaupausen arbeiten konnten. Nur die ungewöhnlichen Maße der Schrauben und Schlüssel  bereitete anfangs noch Probleme bei der Beschaffung, die aber bald behoben wurden. Kurz vor der Motorshow erklärte man dann, dass man den Geschäftszweig Gewerbefahrzeuge nicht mehr weiter verfolgen werden wollte, zugunsten der völligen Konzentration auf „das ebenbürtige famose Produkt der Untertürkheimer Fabrik“.

Die Werbung begann und das Magazin MoTor zeigte als erstes die Werbeanzeige. Der Adler, sowohl ein deutsches als auch ein amerikanisches Nationalsymbol, hielt hier in seinen Krallen die deutsche und die amerikanische Flagge. Dazwischen wehte ein Banner mit dem Schriftzug AMERICAN. Die späteren Werbekampagnen waren vom Text her noch wesentlich aggressiver. Beispielsweise wies man auch auf die wegfallenden Zölle hin, obwohl es die „gleichen“ Fahrzeuge waren, indem man titelte: „Pariser Preis $7.500 – New Yorker Preis $ 7.500“. Und wie dicht sie am „Original“ waren konnte man daran erkennen, dass die Teile der Fahrzeuge mit den gleichen Toleranzen getauscht werden konnten, wie bei dem deutschen Produkt. Im Vergleich hierzu war der Vorstoß von DeDion in Brooklyn ein echtes Desaster. Der Erste Schlag war also erfolgreich, aber C.L. Charley war nicht untätig und bekam Hilfe von Außerhalb. Im Zusammenschluss mit den anderen Importeuren gelang es ihm, mit der Konkurrenz der Madison Square Garden Company, nun das zu Steuer übernehmen.

Und die Show bekam einen neuen Veranstalter, der eher den Importeuren zuarbeiten sollte. Charles Clifton, Präsident der A.L.A.M. (Associatin of Licensed Automobil Manufactures) wollte „einen natürlichen Auswahlprozess der Fahrzeuge um Experimentierer vom Veranstaltungsgelände fern zu halten“ durchsetzen. Die Lizenzgeber einigten sich darauf, einem gewissen George Selden die Erfindung des Benzinautomobils als Patent zu zusprechen. Aus Ingenieurssicht war dies natürlich ein Witz, aber es hatte einige Auswirkungen auf die Industrie. Auf einmal störten seltsame Lizenzverhandlungen den Ablauf in allen Produktionen. Letztlich willigten die  meisten in das Selden-Patent ein außer einem Rebellen namens Henry Ford. Er klagte durch alle Instanzen und das dauerte fast ein Jahrzehnt.

Aufgrund der genauen Nachbildung eines Daimler-Wagens konnte man aus Stuttgart diesem Patent durch die amerikanische „Tochter“ nicht zustimmen. Schließlich entsprach der Wagen weitestgehend dem in Untertürkheim gebauten Typ 45 PS mit 6,8 Liter – 4 Zylindermotor, 4 Ganggetriebe und ca. 80 km/h Höchstgeschwindigkeit.  Doch damit waren die American Mercedes letztlich ungesetzlich in USA. C.L. Charley fand aber ein Schlupfloch, so dass ein deutscher Mercedes nicht ungesetzlich wäre und bildete mit der Hilfe eines Wall-Street-Trios die  Mercedes Import Company. Er überzeugte dazu noch Smith & Mabley, die seit geraumer Zeit eine Kopie des Mercedes Simplex unter dem Namen S&M Simplex produzierten. Bei ihrem Umzug in neue Räumlichkeiten im Oktober 1905 auf den Broadway stellte Charley ihnen das Fahrzeug von John B. Warden in die Ausstellung, der den Vanderbilt Cup gewonnen hatte. Willie K. Vanderbilt brachte sein Fahrzeug aus Paris mit und stiftete viele seiner Freunde nachher an, bei Smith und Mabley ihre Fahrzeuge zu kaufen. Die Kundschaft war gebunden, ohne großen Aufwand zu betreiben und ohne dass ein Cent als Werbemaßnahme ausgegeben wurde.

Einen Monat später eröffnete auch die Daimler Manufacturing Company ihre Vertretung an der Automobilmeile am Broadway. Es war ein gesellschaftliches Großereignis. Der Verkauf ging gut voran und es wurde eine Verkaufsorganisation mit Hilfe eines Holzgrossisten gegründet, auf dessen Vertriebswege und Stützpunkte zugegriffen werden konnte. Die Bestellungen erreichten 1906 eine Zahl von einem halben Dutzend pro Woche. Zur National Auto Show 1907 brachte die DMC ein kleines Kundenheftchen heraus, dass die Motoristen über ihr Fahrzeug und andere Dinge informieren sollte. Auch hierin versäumte man nicht den Preisunterschied eines importierten Mercedes gegen den eines American Mercedes darzustellen: „Ein Mann könnte sich täglich mit einem 10 $ Schein eine Zigarre anzünden und das beinahe ein Jahr lang für das Gesparte beim Kauf eines American Mercedes“ heißt es da. Und weiter: „Er könnte eine Farm kaufen und Hühner züchten oder gestrauchelten Künstlern helfen oder Bilder kaufen!“
Alles schien besser, als 10.500 $ statt 7.500 $ für einen Mercedes ausgeben zu wollten. Diese Argumente zogen.

Gleichzeitig war es Edward B. „Ned“ Blakely, der einen American Mercedes im Rennen bewegte. Der modifizierte
Motor leistete 70 PS und damit nahm er an vielen Veranstaltungen wie dem Florida Speed Carnival oder dem 10-Meilen Rennen in Point Breeze teil. Zum Teil war er hierbei sehr erfolgreich. Leider konnten aber während dieser Hochphase einige der leitenden Mitarbeiter von anderen Firmen abgeworben werden. Das Wissen nahmen sie natürlich mit und deren Nachfolger mussten sich vieles neu erarbeiten. All dies kostete Zeit und  unglücklicherweise auch Qualität. Auf einmal fanden sich viele der Produktionsmethoden und Problemlösungen auch bei der Konkurrenz.

Dann, an einem frühen Donnerstagmorgen am 13. Februar 1907 rückte die Feuerwehr von Long Island mit 2 Feuerwehrfahrzeugen der Marke American Mercedes aus – um ihr Herstellungswerk zu löschen. Doch kräftige Winde hatten die Flammen bereits auf die umliegenden Häuser überspringen lassen und so hatten sie keine Chance, des Feuers Herr zu werden, sondern konnten nur noch ein weiteres Ausdehnen des Flammenmeeres verhindern. Die Fabrikationshallen waren gänzlich vernichtet. Alle Halbzeuge, Werkzeuge, fertigen Fahrzeuge,
Unterlagen, Verträge und so weiter waren der Feuersbrunst zum Opfer gefallen. Zwar zahlte die Versicherung den Schaden in Höhe von 500.000 $, aber ein Versuch damit die Firma wieder aufzubauen, wie es die Long Islander Bevölkerung gern gesehen hätte, startete man nicht. Schließlich mussten erst mal aller Lieferanten und Kunden ausbezahlt werden und der Rest gab nicht viel her. Dazu kam noch, dass die Indexe der New Yorker Börse im März schwer abstürzten. Eingetragen blieb die Firma zwar noch bis 1913, aber tätig wurde man hier nicht mehr. Eins steht fest: Es war das beste amerikanische Automobil dieser Zeit!