Typ Mannheim 370 S
von Jörg Enger aus der Clubzeitung 03/2004 des MVC
Kaum ein anderer Wagen aus dem Hause Daimler-Benz wurde so oft geändert und modifiziert und dennoch unter dem gleichen Namen angeboten wie der Typ Mannheim.
Kaum ein anderer Wagen hatte dabei eine so große Spanne an Motor–, Fahrgestell- und Karosserievarianten.
Kaum ein anderer Wagen, der ein solch breites Spektrum bot, wurde so wenig produziert.
Und von kaum einem anderen Wagen in einer gebauten Stückzahl von etwas über 2.000 ist so wenig Information überliefert.
Heute wollen wir mit diesem sehr schönen Typ Mannheim 370 S ein wenig Licht ins Dunkel der Historie bringen …
Größer als der kleine Typ Stuttgart, kleiner als der große Achtzylinder Typ Nürburg, die Optik der Seriensportwagen Typ S/SS und trotzdem in der Technik alles andere als Innovativ, kurzum der Typ Mannheim ist in allen Beziehungen der Vermittler zwischen oben und unten, arm und reich. Heißt das, dass er das Mittelmaß und somit auch mittelmäßig ist? – Leider ja.
Die Geschichte des Typ Mannheim begann bereits unter dem Konstrukteur Ferdinand Porsche. Dieser beschäftigte sich aber nur sehr halbherzig mit dem Projekt Mannheim, so dass der erste Wagen dieses Namens (selten auch als 300 oder 3 Liter bezeichnet) hoffnungslos unausgeglichen war. Untermotorisiert, erzkonventionell in Stilistik und Proportion – nichts von dem, was die anderen Wagen aus dem frisch fusionierten Haus Daimler-Benz auszeichnete traf auch auf den Mannheim zu. Der Name war indes Programm: Alle Fahrzeuge dieses Typs wurden im ehemaligen Benz & Cie.-Werk in Mannheim hergestellt (Woher der Name des Typ Stuttgart kam ist leicht zu erraten; der Typ Nürburg verdankt seinen Namen der neuen Teststrecke auf der er getestet wurde). Zwei Evolutionsstufen (320 und 350) brachten den Mannheim, der zuerst noch unter W 03 geführt, dann W 04 und später zum W 09 mutierte, keinen Schritt weiter. In der Klasse, in der er mitspielen sollte, gab es harte Konkurrenz: Den Horch 8 beispielsweise, der sich fast drei mal so häufig verkaufte!
Erst als Porsche das Unternehmen verließ und Hans Nibel dessen Aufgaben übernahm (die meisten von Porsches Konstruktionen waren schließlich bereits zum „Selbstläufer“ geworden), bekam der Mannheim endlich die Zuwendung die er brauchte. Hans Nibel, ein alter Benz-Mann, bereits seit 1904 in der Firma, war schon einmal Chefkonstrukteur nämlich 1908, bis er 1917 in den Vorstand berufen wurde. Jetzt, zwei Jahre nachdem die Firmen Benz & Cie und Daimler Motoren Gesellschaft vom Stadium der Interessengemeinschaft über die Fusion zur Daimler-Benz AG geworden waren, kam er im Oktober 1928 wieder in diese Position. Wiederum wurde der Werkscode geändert in W 10 und der geänderte Typ 350 Entstand mit geringfügig erhöhter Leistung und geringerem Gewicht. Die Fahrleistungen überzeugten aber weder Konstrukteure, Fachpresse noch Kundschaft. Nur 65 Stück sind in den Produktionslisten zu finden. Hans Nibel griff zum Aufputschmittel und ließ den barock dimensionierten Motor um 25 mm (pro Zylinder!!) aufbohren. Der Hubraum vergrößerte sich so von 3444 ccm auf 3663 ccm. Das Triebwerk bekam nun auch die Bezeichnung M 10 II. Endlich konnte der Mannheim den Vorteil des älteren aber besseren Fahrwerks, wenngleich auch immer noch mit einer sehr konservativen Kraftquelle, gegenüber dem Horch ausspielen.
Der Motor aus Grauguss (sowohl Zylinderblock und Kurbelgehäuse-Oberteil) wurde mit dem erheblich leichteren Aluminium für Untergehäuse und Ölwanne verbunden. Die spezielle Magnesium-Legierung „Nelson-Bohnalite“ stellte das Material für die Kolben. Interessant ist, dass Ein– und Auslassventile allesamt baugleich sind und dadurch an den Produktionskosten gespart werden konnte. Innovativ war der Motor trotzdem nicht, denn die Ventile waren immer noch seitlich stehend angeordnet und durch eine Nockenwelle betätigt, die von schräg verzahnten Stirnrädern gesteuert wurde. Basierend auf der ehemaligen Porsche-Konstruktion ist das Triebwerk aber ästhetisch, rund, glatt und fließend in der Form. Scheinbar ohne Kompromisse ist er von außen so modelliert, dass die Ausgewogenheit der Form mehr Gewicht hat, als der reine Nutzwert. Durch die daraus resultierenden Saugwege hat der Mannheim ein wenig länger zum Starten nötig als andere Modelle, besonders wenn er lange gestanden hat. Um dies ein wenig zu kompensieren hat der Mannheim eine Benzinpumpe, keine Selbstverständlichkeit in dieser Zeit. Auch dass der Mannheim bereits über eine 12 Volt-Elektrikanlage mit einer 90 Watt Lichtmaschine verfügte, ist für damalige Verhältnisse durchaus bemerkenswert. Durch diesen Umstand kann es auch erklärt werden, dass der Mannheim serienmäßig mit einem Fahrtrichtungsanzeiger in Form eines Klappwinkers ausgestattet war. Die Vierradbremse war, selbst bei den kleineren Modellen, nichts besonders spektakuläres mehr, allerdings konnte man beim Mannheim 370 die Bosch-Dewandre-„Servo-Bremse“ bestellen, während sie beim Mannheim 370 S (Sportausführung) und 370 K (kurze Ausführung) bereits zur Serienausstattung gehörten. Die Preise spannten sich bei diesem Modell übrigens von 8.300 Reichsmark (370 Fahrgestell) bis 13.600 Reichsmark für das 4-sitzige Cabriolet D. Der Mannheim Sport hingegen kostete „nur“ 10.800 Reichsmark, wenn man auf den Koffer verzichtete. Das wesentlich zur Fahrkultur beitragende Maybach-Schnellgang-Getriebe schlug allerdings nochmals mit 1.200 Reichsmark zu Buche.
Das Fahrgestell sowie das Fahrwerk bieten keine Überraschungen im Vergleich zu den Vorgängern. Jedoch der kräftige Niederrahmen aus gepresstem U-Profil-Stahl bot die bereits vom Typ SS bekannte Linie und den tiefen Schwerpunkt. Rein optisch wertete dies den Mannheim dermaßen auf, dass nicht wenige Käufer versuchten das Flair eines 40.000 Reichsmarks Wagens (Typ SS) mit den Mitteln eines Mittelklasse-Autos zu erreichen. Und obwohl bei anderen und kleineren Modellen aus gleichem Hause die Fahrwerkstechnik weiter rapide fortschritt, war der Mannheim veraltet geboren und Entwicklungen für die laufende Serie fanden nicht statt. Starrachse hinten und Faustachse vorn mit Halbeliptikfedern, allerdings mit serienmäßiger Federgamasche, lockte nun niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Und die Räder mit den „Hering“-Stahlspeichen waren alles andere als modern. Erst mit dem 370 S kamen dann die Drahtspeichenräder und verliehen dem Wagen etwas mehr optische Leichtigkeit. Der relativ lange Radstand und die stilistische Ähnlichkeit mit den „zivilen“ S– und SS-Modellen können allerdings begeistern.
Wenngleich der Mannheim nicht gänzlich als temperamentlos zu bezeichnen ist, kann er letztlich mit den anderen Genossen seiner Klasse nicht wirklich standhalten. Die Beschleunigung von 0 auf 60 km/h zeichnet ihn nicht als Sprinter aus und die Spitzengeschwindigkeit von 115 km/h ist alles andere als ein Spitzenwert. In diesem Bereich war es der 370 S, der endlich das Steuer herum reißen sollte. Doch die nun angebotene Maschine mit 78 statt 75 PS erhöhte den Absatz kaum – allerdings den Kraftstoffverbrauch! Die Steigerung wurde nämlich mit zwei statt bisher einem Vergaser erreicht. Spitzengeschwindigkeiten bis über 120 km/h sollen erzielt worden sein.
Wie reizvoll der Mannheim 370 S aus heutiger Sicht auch sein mag, in seiner Zeit, in der großen Depression und Weltwirtschaftskrise, konnte er nicht viel Boden gut machen. Und doch war es genau diese Lage, die die Daimler-Benz AG dazu zwang, den teuer erkauften Ruhm der SS und SSK-Modelle für kommerzielle Zwecke zu nutzen.
Während diese jedoch mehr aus der Daimler‘schen Seite des Unternehmens kamen, hatte der Mannheim auch als 370 S eher Benz‘sche Eigenschaften: Solidität, experimentfreie gerade Konstruktion, traditionelles und bewährtes in Verbindung mit gradliniger Erscheinung. Ein ganz markantes Beispiel hierfür ist der Kühler, der, anders als bei den Kompressorwagen, flach gehalten ist und dadurch seine Herkunft verrät. Zwar war auch bei Benz im Vorkriegsbereich einiges sportliche zu verzeichnen gewesen, doch an aller erster Stelle stand für die Benz & Cie. Rheinische Automobil- und Motorenfabrik AG die Langlebigkeit der Produkte. Während bei anderen Firmen eine Komplettüberholung der Motoren bereits nach drei bis viertausend Kilometern anstand, konnte man einen Benz bis zu 10.000 km ohne größere Reparaturen fahren. Ein Vorteil, den man nicht außer Acht lassen sollte. Höchste damalige Präzision war dafür nötig und Carl Benz selbst hatte einen Finanzier für sein erstes Automobil durch eine andere Arbeit mit eben jener Tugend erwirkt. Dieses Credo ging von und vom Mannheim aus. Während alle anderen Mannheim, sogar die Probewagen mit der Bezeichnung W 12 und W 13, tatsächlich aus dem Werk Mannheim kamen, wurde der 370 K und 370 S in Untertürkheim hergestellt.
Der Mannheim war also alles in allem nicht das, was man einen Meilenstein der Historie nennen könnte, denn er war auch in seiner „Sport“ Version beim Erscheinen technisch überlebt, sowohl von der Konkurrenz sowie von anderen Modellen im eigenen Hause. Dennoch ist er ein hübsches Stück Geschichte und in Figur und Ausführung sehr eindrucksvoll. Das werkseitige Cabriolet (wie wir es auf diesen Bildern sehen) ist ein hübsches Automobil, insbesondere dann, wenn es von einer so guten Restaurierungs-Qualität ist wie dieser. Sehr ansehnliche Kleider gab es indes auch von anderen Karossiers, die dann den großen Typen in nichts mehr nach standen. Der Mannheim galt noch als Entwicklungsbasis für den 1934 erschienenen 380 K, der dann mehr Tugenden auf sich vereinigen sollte – doch das ist eine andere Geschichte. Zu erwähnen bleibt jedoch noch, dass Daimler-Benz nach dem Produktionsende des Mannheim immer noch nicht auf ganzer Linie den Kurs zum Fortschritt steuerte; der verwandte Typ Nürburg wurde nämlich noch bis 1939 als Typ 500 N (zur Unterscheidung zum seit 1934 produzierten 500 K) weitergebaut – mit Starrachsen und seitengesteuertem Motor.