Aus der Clubzeitung: Wie war das denn nun mit den „Silberpfeilen“ ?

Nach dem Artikel vom 12.02.2021 zur Skulptur Silberpfeil erhielten wir einige Emails… die Frage WOHER denn nun der Name Silberpfeil käme und wie es genau mit der Geschichte vom abgekratzten Lack kam. Da es dazu einen guten Artikel in der Clubzeitung DEPESCHE Ausgabe 1 / 2020 des Mercedes-Benz Veteranen Club von Deutschland e.V. gibt, erlauben wir uns hier diesen zu veröffentlichen:


Deutsche Rennwagen: weiß oder silber?

von Karl Ludvigsen / Prolog von Dieter Ritter

Prolog: Wir alle kennen die Geschichte mit dem Abkratzen des weißen Lacks zur Gewichtsreduzierung beim
Eifelrennen 1934. Einer, der bereits vor Jahren mit diesem Mythos „aufgeräumt“ hat, soll hier noch einmal zu
Wort kommen. Denn trotz der geschilderten und erwiesenen Tatsachen hält sich an diversen Stammtischen
nach wie vor die Geschichte aus dem Jahr 1934.


Die Geschichte des Motorsports assoziiert Silber als die Farbe deutscher Rennwagen. Doch deren traditionelle
Farbgebung war anfänglich Weiß. Die Gepflogenheit, Rennfahrzeuge je nach Nationalität in bestimmten Farben zu lackieren, ist auf eine Anregung des Amerikaners James Gordon Bennett zurückzuführen, Verleger des New York Herald; er hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Pokal ausgeschrieben für Rennen, in denen Vertreter verschiedener Nationen gegeneinander antreten sollten. Ihm ging es um einen Beweis in der damals häufig diskutierten Frage, in welchem Land wohl die besseren Rennwagen gebaut würden.

In Briefen an die bedeutendsten Automobilclubs schlug Bennett im November 1899 vor, der Automobile Club de
France (ACF) als der älteste der Welt möge ein solches Rennen ausrichten. Jeder Nationalclub sollte die Nennung
dreier Wagen abgeben, die zur Gänze in dem betreffenden Land gebaut worden sein sollten. Österreich und die Schweiz ließen erkennen, dass es dort noch keine Fabrikate gab, die einer solchen Voraussetzung entsprechen
würden, während die Italiener sich nicht darüber einigen konnten, welcher ihrer Clubs das Land vertreten sollte.

Mercedes-Mannschaft Targa Florio 1922 – ganz in weiß – vor der Abfahrt in Stuttgart

Nennungen trafen aus Frankreich, Belgien, Deutschland und den Vereinigten Staaten ein. Und im Januar 1900
wurde erwogen, den Wagen jeweils eine Unterscheidungsfarbe zu geben. Die französischen sollten blau, die
deutschen weiß, die belgischen gelb und die amerikanischen rot lackiert werden. Es war dies nur ein Vorschlag:
„Es ist erwünscht, ohne dass es eine zwingende Vorschrift ist, dass die Fahrzeuge in den Farben ihrer Länder gehalten sind“ steht auch später noch im Anhang 1 des Internationalen Reglements. Die Unterscheidungsfarbe Weiß sah man später aber auch bei Rennwagen anderer Nationen. Außerdem standen die Farben in den 1920er-Jahren mitunter nicht für das Land, aus dem das betreffende Auto kam, sondern für die Nationalität seines Fahrers. Jetzt trugen die Fahrzeuge der Amerikaner weiß lackierte Karosserien mit einem blauen Chassis und eine blaue Nummer. Ebenfalls weiß waren Wagen aus Polen oder Monaco, erstere mit einem roten Chassis, letztere mit einem rundum verlaufenden roten Streifen. Gänzlich in Weiß traten nur die Deutschen auf, mit einer in Rot aufgemalten Renn-Nummer.

Die Farbe, mit der die Firma Daimler – sie war bis 1904 der wichtigste Exponent des deutschen Motorsports – ihre
Wagen ins Rennen schickte, wurde vom Werk als „Mattweiß mit einer Nuance von Elfenbein“ bezeichnet. Nach
1904 soll das Weiß eher einen Hauch bläulich gewesen sein. Mit dieser Lackierung traten dann alle deutschen
Autos in internationalen Rennen an, bis der Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Sportaktivitäten – zumindest in
Europa – erst einmal beendete.

Mit seinem (vor Ort in rot umlackierten)
115 PS Mercedes-Grand-Prix-Rennwagen aus dem Jahr 1914
gewann Graf Giulio Masetti die Targa Florio 1922

Weiß blieb auch in den 1920er-Jahren die Rennfarbe der Deutschen, sofern im Anhang der Ausschreibung zu
einem Rennen eine Nationalfarbgebung verlangt wurde. Die 1923 in Indianapolis auftretenden Mercedes waren
weiß lackiert, und die zum Großen Preis von Italien entsandten Benz-Wagen aus Mannheim ebenfalls. Den
Teilnehmern an der Targa Florio 1924 indessen war die Farbgebung freigestellt, so dass sich Mercedes für Rot
entschied, wie es die Italiener verwendeten – in der Erwartung, das Bergvolk Siziliens über die Identität der Wagen
täuschen zu können und von ihnen nicht mit Steinen beworfen zu werden, wie es Nicht-Italiener oft erlebt hatten.
Das Mercedes-Rot war ein dunkles Zinnober.

Mercedes 2-Liter-Targa-Florio-Kompressor-Rennwagen, 1924

In der Zwischenkriegszeit zeichnete sich ein Trend ab, der zu einer Abkehr vom deutschen Renn-Weiß führte. In
Sprint- und Bergrennen verwendete Autos wiesen manchmal überhaupt keine Lackierung auf, sondern traten mit
blanker Metallkarosserie an. Eine automobilhistorisch interessante Tatsache ist, dass Frank Book 1919 in Indianapolis mit einem von Charles Kirkpatrick gemeldeten 1914er Grand-Prix-Mercedes an den Start kam, dessen unlackierter Aufbau offiziell als „silberfarben“ bezeichnet wurde. Und als Daimler im August 1924 drei Wagen für Tests nach Monza schickte, war nur einer weiß lackiert, der neue Achtzylinder GP-Bolide. Der Targa-Florio-Vierzylinder glänzte in Aluminium, ein größerer Sechszylinder erschien in Feldgrau.

1931/32 übte sich Daimler-Benz in Abstinenz und beteiligte sich offiziell nicht an Rennen. Der zum Berliner Avus-Rennen 1932 von Manfred von Brauchitsch gemeldete Mercedes SSK mit einer Stromlinienkarosserie von der Cannstatter Firma Vetter war von ihm privat gemeldet worden – und ebenfalls silberfarben, denn das Auto war
so spät fertig geworden, dass die Zeit für ein Lackieren der Karosserie nicht mehr gereicht hatte. Auf eigener
Achse und ohne Scheinwerfer hatte von Brauchitsch den Wagen von Stuttgart nach Berlin gejagt. Seinen Alfa Romeo abgetrotzten Sieg kommentierte der Radioreporter Paul Laven mit den Worten: „Was für eine Überraschung, meine Damen und Herren! Hier kommt er, hier kommt der silberne Pfeil, der schwere, massive Stromlinienwagen von Manfred von Brauchitsch, der mit Vollgas in die letzte Runde geht … ” Hunderttausende von Berlinern hörten die von dem brillanten Rhetoriker Paul Laven so enthusiastisch vorgetragene Reportage.

Reinhard Freiherr von Koenig-Fachsenfeld am Mercedes-Benz SSKL Rennsportwagen mit Stromlinienkarosserie für das Avus-Rennen in Berlin am 22. Mai 1932.

Es war das erste Mal, dass die von ihm gewählten Worte „silberner Pfeil“ für einen deutschen Rennwagen Verwendung fanden. Kurz danach wurde bekannt, dass mit einer neuen Grand-Prix-Formel zu rechnen sei. Sie
schrieb ein Fahrzeuggewicht von maximal 750 kg vor (ohne Kraftstoff, Öl, Kühlwasser und Reifen). Sowohl
Mercedes-Benz als auch die erst kurz zuvor gegründete Auto Union kündigten an, dass sie entsprechende Rennwagen bauen würden.

Der von Ferdinand Porsche konstruierte und mit einer Karosserie nach Entwürfen seines Mitarbeiters Erwin
Komenda versehene Monoposto sollte einen Aluminium-Aufbau mit Seitenteilen aus Leinwand – wie bei einem Sportflugzeug – bekommen. Das keinem Rostbefall ausgesetzte Leichtmetall würde einen Farbauftrag entbehrlich machen, so überlegte Komenda, und damit eine Gewichtseinsparung bis zu 7,5 Kilogramm bringen. Aber auch die ersten neuen Mercedes-Benz-Rennwagen absolvierten ihre Testfahrten mit blanken Metallkarosserien, lediglich mit einem dünnen, hochglanzpolierten Alubronze-Auftrag versehen. Der Fahrer Rudolf Caracciola
bezeichnete die Anfang 1934 getesteten Fahrzeuge vom Typ W25 als „silbergraue Projektile“. In einer am 1. März 1934 von Mercedes-Benz veröffentlichten, zweiseitigen Pressemitteilung heißt es im Fazit: ,,Wer diesen schlanken Wagen zum ersten Mal wie einen silbernen Pfeil in voller Fahrt gesehen hat, konnte sich davon überzeugen, dass der neue Mercedes-Benz Rennwagen nicht nur ungewöhnlich schnell ist, sondern sich von einem erfahrenen Lenker auch vollkommen sicher beherrschen lässt.“

Silberpfeil W 25 1934

Auch hier war also von einem silbernen Pfeil die Rede, wie schon in Paul Lavens Radioreportage von 1932, und
in der Öffentlichkeit fand der Ausdruck »Silberpfeil« bald so große Verbreitung, dass er in der Rennwagen-Terminologie auch im 21. Jahrhundert noch seinen festen Platz hat. Mindestens ein W25 war allerdings weiß lackiert, wie Fotos beweisen, und um diesen angeblich etwas übergewichtigen Wagen rankt sich die Legende, wonach man die Farbe samt Grundierung wieder abkratzte, um auf die vorgeschriebenen 750 kg zu kommen.

In den 1950er-Jahren wurde vom ehemaligen Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer, dem Rennfahrer Manfred von Brauchitsch und dessen Mechaniker (und späteren Grand-Prix-Europameister) Hermann Lang kolportiert,
die Geschichte mit dem Abkratzen der Farbe bis aufs blanke Metall habe zu dem Begriff »Silberpfeil« geführt.
Ohne diesen Vorgang anzweifeln zu wollen, hat er aber wohl nicht das Wort »Silberpfeil« geprägt, andernfalls
hätte es die Presse auch aufgegriffen. Ganz abgesehen von dem Umstand, dass sich die Geschichte vom Abschaben der weißen Farbe am Abend vor dem Eifelrennen 1934 zugetragen haben soll, für welches im Unterschied zu den Grand-Prix-Rennen die 750-kg-Formel gar keine Anwendung fand.

Ob weiß oder silberfarben – spielte dieser Unterschied eine große Rolle? Der britische Fahrer T. P. Cholmondeley
Tapper schrieb 1934 über den Mercedes: „The white metal bodywork had been polished and left unpainted“,
woraus hervorgeht, dass im internationalen, sprich: englischen Sprachgebrauch der Ausdruck »white« für weißes,
also unlackiertes Metall stand.

Doch die AIACR schien da durchaus einen Unterschied zu sehen. „Es war nicht leicht,“ so erinnerte sich Alfred
Neubauer, „die Internationale Motorsport-Organisation davon zu überzeugen, dass Silber auch als Weiß zu interpretieren ist.“ Am gleichen Strang zog die Konkurrenz: Kein Grand-Prix-Wagen der Auto Union war jemals anders als silberfarben auf die Piste gekommen. Gleichwohl ist das Farben-Reglement zu keinem Zeitpunkt geändert worden, und auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch galt Weiß als die offizielle deutsche Rennfarbe.

Veritas in belgischem Renn-Gelb

Für Porsche und Mercedes-Benz, die nach dem Kriege die bedeutendsten deutschen Vertreter im internationalen
Motorsport waren, schien es ganz selbstverständlich, mit silberfarbenen Fahrzeugen an den Start zu gehen. Das metallische Silber prägte besonders das Renn-Image von Mercedes in entscheidendem Maße, was auch für zeitweilige Partner des Unternehmens wie McLaren galt. Doch in den l960er-Jahren bekannte sich Porsche wieder zur alten deutschen Traditionsfarbe: Von 1966 bis 1970 waren die Carrera-Werkswagen weiß lackiert. Erst als der
Sponsor Gulf Oil mit von der Partie war, lackierte man die Rennautos in dessen Hausfarben Hellblau und Rotorange. Danach war es nur mehr ein einziger weiterer Wettbewerber, der in Weiß antrat: BMW. Die Fahrzeuge der deutsch-britischen Formel-1-Partnerschaft BMW-Williams von 2000 wiesen Weiß als Basisfarbe auf, und man behielt Weiß auch für jene Wagen bei, die ab 2005 gemeinsam mit Sauber entstanden.


Hinweis der Redaktion: Ein spezieller Dank an den Übersetzer Halwart Schrader. Wobei der Begriff Übersetzer
seiner wahren Funktion keinesfalls gerecht wird. Als MVC-Mitglied, vor allem aber Automobil-Historiker erster Güte, erteilte er freundlicherweise die Nachdruckerlaubnis dieses Textes. Quelle ist das – nur noch antiquarisch
erhältliche – Buch „Die Deutsche Rennsport-Geschichte”.

Fotos Daimler, Bentley, Archiv Ritter