Der VIII. Senat des BGH hat mit Urteil vom 18.01.2017 (Az.: VIII ZR 234/15) entschieden, dass ein Fahndungseintrag im Schengener Informationssystem (SIS) bei einem Gebrauchtwagen einen zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigenden Rechtsmangel darstellen kann (§§ 433 Abs. 1 S. 2, 435 S. 1 BGB).
Einerseits, so der BGH, besteht das Risiko, dass der Käufer aufgrund der SIS-Ausschreibung im gesamten Schengen-Raum jederzeit mit einer Beschlagnahme des Fahrzeuges und großen Anstrengungen zur Wiedererlangung des Besitzes rechnen muss. Des Weiteren wird auch die Weiterverkäuflichkeit des Fahrzeuges erheblich beeinträchtigt, da Kaufinteressierte über die SIS-Eintragung aufgeklärt werden müssen.
Der Kläger kaufte vom Beklagten im Jahr 2012 einen gebrauchten Oldtimer Rolls Royce Corniche Cabrio zum Preis von 29.000 Euro. Beim Versuch des Klägers, das Fahrzeug im Juli 2013 anzumelden, wurde es polizeilich sichergestellt, weil es im Schengener Informationssystem (SIS) von den französischen Behörden als gestohlen gemeldet und zur Fahndung ausgeschrieben worden war. Nachdem im Zuge der Ermittlungen – die auch gegen den Kläger und den Beklagten wegen des Verdachts der Hehlerei geführt wurden – die Vermutung aufkam, der ehemalige französische Eigentümer könnte den Diebstahl des Fahrzeugs zum Zwecke des Versicherungsbetrugs nur vorgetäuscht haben, wurde das Fahrzeug Ende 2013 von der Polizei freigegeben und vom Kläger zugelassen. Bereits kurz darauf wurden die Ermittlungen allerdings auch gegen die Parteien wiederaufgenommen.
Aufgrund der unverändert fortdauernden SIS-Ausschreibung erklärte der Kläger im Mai 2014 schließlich den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte Rückzahlung des Kaufpreises. Die Klage des Käufers hatte in den Vorinstanzen voll umfänglichen Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Der BGH bestätigt die Entscheidungen der Vorinstanzen. Der beklagte Verkäufer muss den Kaufvertrag rückabwickeln. Um seine Leistungspflicht zu erfüllen, müsse ein Verkäufer dem Käufer nicht nur Eigentum an der Kaufsache verschaffen (§ 433 Abs. 1 S. 1 BGB), sondern auch dafür sorgen, dass sie frei von Rechtsmängeln ist, der Käufer sie also unangefochten und frei von Rechten Dritter wie ein Eigentümer nutzen kann.2
Insofern ist laut BGH nicht erst die behördliche Sicherstellung oder Beschlagnahme eines Kraftfahrzeugs, sondern bereits dessen Eintragung in die Fahndungsliste aufgrund einer SIS-Ausschreibung als Rechtsmangel anzusehen. Denn eine solche Eintragung sei für den Käufer mit der konkreten, im gesamten Schengen-Raum bestehenden Gefahr verbunden, dass bei der Zulassung des Fahrzeugs oder einer Halteränderung oder einer polizeilichen Kontrolle die Eintragung festgestellt und ihm das Fahrzeug daraufhin auf unbestimmte Zeit entzogen wird.
Im vorliegenden Fall war dies im Jahr 2013 bereits für die Dauer von einigen Monaten geschehen. Nachdem die SIS-Eintragung weiterhin nicht beseitigt wurde, musste der Kläger auch zukünftig im gesamten Schengen-Raum jederzeit mit einer erneuten Beschlagnahme rechnen. Gerade bei einem Entzug im Ausland wäre dies für ihn nicht nur mit einem erneuten zeitweisen Entzug der Nutzungsmöglichkeit, sondern insbesondere auch mit erheblichen Anstrengungen zur Wiedererlangung des Fahrzeugbesitzes verbunden.
Weiterhin, so der BGH, ist auch die (Weiter-)Verkäuflichkeit eines Pkw durch die, wenngleich mittlerweile ungültige, Fahndungseintragung stark beeinträchtigt, denn der Kläger wäre redlicherweise gehalten, einen potentiellen Käufer über die SIS-Eintragung aufzuklären.
Mit seiner Entscheidung stellt der BGH nun eindeutig klar, dass bereits der drohende, wenn auch nur vorübergehende Verlust des erworbenen Fahrzeuges aufgrund behördlicher Anordnungen (regelmäßig zu Beweiszwecken), nicht als vom Käufer hinzunehmendes, allgemeines Lebensrisiko anzusehen ist, sondern einen rücktrittsrelevanten Rechtsmangel darstellen kann. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei den Verkäufern um Unternehmer oder Privatpersonen handelt. Noch 2004 hatte der BGH für eine Sicherstellung des Fahrzeuges gemäß § 94 StPO offen gelassen, ob tatsächlich ein Rechtsmangel vorliegt (DAR 2004, 349 ff).
Im Zusammenhang mit SIS-Eintragungen erlauben wir uns noch, auf zwei praxisrelevante Entscheidungen für die anwaltliche Beratung hinzuweisen.
Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf (Urteil vom 20.02.2015, Az.: I-22 U 159/14) trifft den gewerblichen Verkäufer von Kraftfahrzeugen eine vorvertragliche Untersuchungs- und Aufklärungspflicht, die auch eine Pflicht zur Herkunfts- bzw. Diebstahlsprüfung umfasst. Das OLG hatte ebenfalls bereits die Existenz eines SIS-Eintrages als Rechtsmangel i. S. v. § 435 S. 1 BGB angesehen und einen Rücktritt bejaht.
Im Rahmen eines B2B-Gebrauchtwagenverkaufs schließt nach Auffassung des OLG München (Urteil vom 02.05.2016, Az.: 21 U 3016/15, BeckRS 2016, 08995) die Klausel „Verkauf an Kfz-Handel wie besichtigt ohne Garantie und Gewährleistung“ insbesondere wegen der Formulierung „besichtigt“ nach §§ 133, 157 BGB nur die Haftung des Autohändlers für Sach-, aber nicht für Rechtsmängel aus.3
Auch in diesem Fall ließ das Gericht bereits eine SIS-Ausschreibung als Rechtsmangel für einen Rücktritt genügen.
Bei den in der Praxis von privaten Verkäufern häufig verwendeten Formularverträgen (z. B. vom ADAC oder von mobile.de) bleibt aufgrund des unmissverständlichen Wortlautes der vorformulierten Sachmängelhaftungsausschlüsse erst recht die Haftung des Verkäufers für Rechtsmängel bestehen.
Dr. Markus Schäpe – ADAC e.V. – Leitung Juristische Zentrale