Kleiner Stricher
Als große Neuerung des Jahres 1953 kam der Typ 180 auf den Markt. Der hatte zwar noch den `zigtausendfach bewährten Motor des 170 Sb (der überarbeiteten Version des 170 S) aber er brachte andere drastische Innovationen mit sich. Vor allem ist hier der Abschied von der klassischen rahmengetragenen Bauweise zu nennen. Die neue, für Daimler-Benz gänzlich revolutionäre Karosserieform nannte man auch nach den „selbsttragenden“ Brücken (Pontonbrücke) Ponton-Form. Andere Hersteller hatten dieses Prinzip bereits seit Jahren erfolgreich getestet. Der „Ponton“, wie er fast sofort im Volksmund genannt wurde, war also selbsttragend, besaß einen Vorderachsschemel, den man komplett entfernen konnte. Und seine Bodengruppe war, zusammen mit der Rumpfkarosserie, eine selbsttragende Einheit. Aufgrund der Übernahme des Triebwerks konnte auch die Entscheidung begründet werden, den 170 noch nicht aus dem Produktionsprogramm fallen zu lassen. Allerdings musste dieser erheblich verbilligt werden, damit dieses „alte“ Modell überhaupt noch den Weg zum Kunden fand. Der richtige Club zu diesem Modell ist übrigens der MVC (Mercedes-Benz Veteranen Club) von Deutschland.
Da jedoch die Produktionskosten nicht von alleine sinken, musste man sich schon im Vorfeld der Markteinführung des 180 Gedanken über die Verringerung derselben gemacht haben. Zeit hatte man seitens des Vorstandes sicherlich genug. Bereits seit Mitte 1951 spekulierte die Fachpresse über den neuartigen Mercedes, den 120er. Eine Bezeichnung, die wahrscheinlich aus dem profunden Halbwissen über die werksinterne Bezeichnung W 120 resultierte. Einerseits durften die Kosten nicht den Preis des 180ers überschreiten, andererseits konnte man nicht einfach den 170 Vb weiterbauen, der hinsichtlich Komfort nicht annähernd mit dem Sb konkurrieren konnte. Der 170 Sb war jedoch, wie bereits erwähnt, einfach zu teuer geworden und konnte daher auch nicht alle Seiten befriedigen. Also musste eine andere Lösung her. Die Verschmelzung von 170 S und V (bzw. DS und D) zu einer Einheit sollte das gewünschte Ergebnis bringen.
Zwitter Modell
Heraus kam das „Zwitter-Modell“ mit dem Strich in der Bezeichnung. Die Änderungen wurden sowohl beim Benziner als auch beim Diesel gleichermaßen vollzogen. So wurde aus dem Aufbau des 170 S(b) auf dem Fahrgestell des 170 V ein Modell, dass auf dem Kofferdeckel und der Radioblende den gleichen Schriftzug hatte wie im Prospekt: 170 S-V. Da es sich aber eine Veränderung auf dem Chassis des 170 V handelte, eine Version 170 Va und Vb bereits existierten, haben alle Wagen im Rahmen die Bezeichnung 170 „Vc“ eingeschlagen. In den Originalbriefen stand ebenfalls 170 Vc, welches dann meist handschriftlich in „S-V“ korrigiert wurde. Bei neueren Briefen wurde meist nur die „Korrektur“ übernommen und bei besonderes schwierigen TÜV- Prüfern soll dies auch zu nicht unerheblichen Problemen geführt haben. Die Verwirrung scheint perfekt.
Unterschiede zum Vorgänger
Dabei sind die Abweichungen von außen mit bloßem Auge nicht ohne entsprechenden Kenntnisse zu erkennen. Die Karosserie ist, wie bereits erwähnt, die des Sb, jedoch mit leichten Abstrichen. Auf technischer Seite wurde das synchronisierte Getriebe mit Lenkradschaltung, die auf 1435 mm verbreiterte Hinterachsausführung und der hintenliegende Tank mit Kraftstoffpumpe übernommen. Erst das Fachwissen eröffnet einem die weiteren unterschiedlichen Details. Auf dem Motorhauben-Seitenteilen sind, wie bisher, längslaufende Luftschlitze. Aus Kostengründen hat man aber auf deren Chromunterstützung verzichtet. Auch die Chromrahmen an den Seitenscheiben fielen dem Rotstift zum Opfer. Die Zierrahmen an Front und Heckscheibe sind jetzt auch nur noch aus poliertem Aluminium, statt ehedem verchromt. Die Trittbrettleisten wurden auf der rechten Seite vom 170 V, auf der linken jedoch vom 170 S übernommen. Damit ergeben sich stark unterschiedliche Längen von rechts nach links. Bei den frühen Nachfertigungen war dieses Wissen noch präsent und wurde korrekt erfüllt. Mittlerweile scheint es bei vielen Lieferanten verloren gegangen zu sein. Große Dinge taten sich im Innenraum. Die Türverkleidungen entsprachen in der Machart denen, wie sie der frühe Ponton auch hatte. Gänzlich aus Kunstleder bestehend, hatten sie im oberen Bereich Köpfe und ungefähr in der Mitte eine horizontal verlaufende Aluminium-Zierleiste, die die taschenlose Verkleidung auflockern sollte. Auch die Sitze waren nun nur noch in „Körpernähe“ mit Stoff, ansonsten aber in Kunstleder bezogen. Statt der bisherigen vielen verdeckt genähten Pfeifen, gibt es nun nur noch zwei an den Außenkanten, die einfach von oben durchgesteppt wurden. Allerdings wurde der Platz seitlich um rund zehn Zentimeter vergrößert. Innenleuchte und sämtliche Zugschalter entstammen der 180er Produktion. Die Fensterschlüssel (der Verkleidungsteil, der die Scheiben von innen säumt) war nun, ebenso wie die Radioblende, nicht mehr aus Holz, sondern aus Bakelit. Die Haltetaue wurden geändert und ein als Kleiderbügel bezeichneter Haken an der B-Säule wurde jetzt zum Standard. Hatten die bisherigen 170er zumindest im Fond Teppich, entfiel dieser nun ebenfalls und wurde durch die damals wesentlich preisgünstigeren Gummimatten ersetzt. (Ironie der Zeit: Heute sind diese nicht mehr erhältlich, da die Produktionskosten für eine Nachfertigung einfach zu hoch sind.) Im Kofferraum entfiel anfangs der Zwischenboden, der das Gepäck vom Reserverad trennte. Das war aber nur dann praktisch, wenn man das Reserverad auf der außen montierbaren „Reserverad-Spinne“ transportierte und sich dadurch der Kofferraum erheblich vergrößerte. Da dieses Zubehör jedoch nicht ganz billig war, wurde der Zwischenboden schon im Januar 1954 wieder eingeführt.
Vorweg genommen hatte der S-V freilich das Kofferdeckelschloss, das später auch beim 190 SL zum Einsatz kommen sollte. Auch alle anderen Schlösser erfuhren eine Veränderung. Waren die Außentürgriffe vorher beim 170 S vorn und hinten identisch, mit der Einschränkung, dass vorn Schließzylinder eingelassen waren, wurden sie nun im Bereich des Schlüsselzugangs eckig ausgearbeitet. Die dreigeteilte Stoßstange, vorn sowie hinten, und die Kennzeichenleuchte wurde vom Vb übernommen. Hinten gab es jedoch eine Änderung zur 2-Loch-Befestigung hin zum Mittelteil. Für den Export gab es Stoßstangenhörner, die in Deutschland nur extrem selten zu finden sind. Da alles auf dem Basisfahrgestell des 170 Vb entstand, mit dessen jedoch weicher ausgearbeiteten Blattfeder-Vorderachse und Steigstomvergaser, mussten mehrere Angelegenheiten überarbeitet werden. So verlangte die Heizungs- und Lüftungsverteilung eine komplette Neukonstruktion. Die Vorderfedern wurden übrigens deshalb weicher als beim V ausgelegt, damit man zumindest ungefähr an den Fahrkomfort des S heranreichen konnte. Auch der Anlasser musste modifiziert werden. Betätigt wurde der bekannte Fußtrittanlasser indirekt über einen Seilzug von einem Handgriff unterm Armaturenbrett, statt bisher direkt über das Fußgestänge. Wenn man das Triebwerk in Augenschein nehmen wollte, und die dazugehörige Haube von vorn her öffnete, wurde diese durch eine Strebe in dieser Position gehalten. Gegenüber den bisherigen 170 V gab es also doch einige Vorteile. Ein 170 S-Fahrer hätte sich jedoch enttäuscht abgewendet. All diese Maßnahmen brachten aber den Preis von DM 9.950,— (170 Sb) auf DM 8.300,— für den 170 S-V herunter. Eine zweite Preissenkung erhielt er genau ein Jahr nach der Vorstellung, nämlich im Februar 1954. Ab sofort kostete er nur noch DM 7.950,—. Ob dies durch Abstriche im Gewinn oder durch weitere Sparmaßnahmen ermöglicht wurde, ist selbst aus dem Rechenschaftsbericht von 1953 und 1954 nicht mehr eindeutig zu klären. Alle diese Anstrengungen konnten jedoch das Desaster nicht verbergen. Während sich der neue Typ 180 in der gleichen Zeit mit fast 40.000 Einheiten verkaufte, schlugen beim 170 S-V gerade einmal knapp über 3.000 mal die Verkäufer ihre Auftragsmappe zu. Der Diesel war hierbei noch derjenige, der die Statistik noch einigermaßen zurechtbog. Er brachte es immerhin noch zu knapp 15.000 neuen Besitzern obwohl er rund tausend Mark mehr in der Anschaffung kostete. Dies lag aber Wahrscheinlich daran, dass der 180 anfangs noch nicht mit Ölmotor angeboten wurde, der Diesel aber in Wirtschaftlichkeit dem Benziner deutlich überlegen war. Als nach einem dreiviertel Jahr jedoch der 180 D auf den Markt kam, überholte er in den Produktionszahlen zunächst den 170 S-D und anschließend den 180.
Dieser 170 S-V wurde als sogenannter „Lagerwagen“ von der Daimler-Benz Niederlassung geführt. Bereits am 20.11.1953 wurde er auf die Brotfabrik Kummer, ebenfalls in Dortmund, zugelassen. Offensichtlich war man dort mit dem Fahrzeug sehr zufrieden, denn immerhin 17 Jahre blieb es dort im Erstbesitz. Danach war er dann doch bereits ein altes Auto und daher ist nicht verwunderlich, dass er in den nächsten acht Jahren fünfmal den Besitzer wechselte, bis er 1978 ein neues festes Domizil fand. Die wahrlich glaubhafte Laufleistung von rund 96.000 Kilometern wies er zu diesem Zeitpunkt nach. „Ehrlich – er war der Traum eines jeden Bastlers“, so Theo Sobkowiak. Ein Auto im absoluten Originalzustand ließ schon damals das Herz des späteren Typreferenten des MVC höher schlagen. Nichts desto trotz musste mit umfangreichen Blecharbeiten begonnen werden. Gewissenhaft und unter Berücksichtigung sämtlicher Besonderheiten dieses Modells wurde hier zu Werke gegangen. Leider bedurfte auch das Antriebsaggregat einer gründlichen Überholung. Als der frische Lack das Blech zierte, verlor der Chrom im Vergleich mächtig an Glanz. Also auch noch einen Verchromer des Vertrauens ausfindig machen und um einen guten Preis feilschen. Der Innenraum dagegen ist nach wie vor „jungfräulich“ unverfälscht und von Restauratorenhand unberührt. Wie zuverlässig ein solches Fahrzeug dann auch heute noch ist, beweist die Tatsache, dass der 170 S-V seither über 61.000 Kilometer abgeleistet hat, und dies alles ohne Panne. Genau diesen Eindruck macht der Wagen wenn man ihm irgendwo begegnet. Ein solides, bodenständiges Fahrzeug, dass seinem Besitzer hauptsächlich Freude bereitet . . .