Sein Name bringt heute noch die Augen älterer Mercedes-Mitarbeiter und Automobilkenner zum Leuchten: Rudolf Uhlenhaut. Er ist der Vater der Silberpfeile und des 300 SL-Flügeltürers und ein begnadeter Ingenieur, ein hervorragender Rennfahrer und vorbildlicher Vorgesetzter. Aus Oldtimer-Fan Sicht war er allerdings ein Graus. Da er ständig auf der Jagd nach Neuem Fahrzeuge entwickelte, hatten „alte“ Dinge in seinem Leben keinen Platz.
Rudolf Uhlenhaut war Sohn einer Engländerin aus gutem Hause und eines Deutschen Bankers. Er kam am 15. Juli 1906 in London zur Welt, wo sein Vater die Filiale der Deutschen Bank leitete. Von dort aus zog die Familie zuerst nach Brüssel, später nach Bremen und danach Berlin. Als Student ging er aufgrund seiner Vorliebe fürs Skifahren nach München, um dort Maschinenbau zu studieren. 1931 kam er als junger Ingenieur zu Daimler-Benz nach Stuttgart und begannt seine Karriere unter Fritz Nallinger in der Versuchsabteilung. Dort experimentierte er an Vergasern und arbeitete unter anderem an der Entwicklung des Mercedes-Benz 170 V mit.
1934 begann die Zeit der Rennsporterfolge der Silberpfeile. Doch 1936 wendete sich das Blatt. Die Mercedes-Benz Rennfahrer sahen häufig nur die Auspuffenden von Alfa Romeo und Auto Union. Nun schlug Uhlenhauts Stunde.
Als neuer Technischer Leiter der Rennabteilung der Daimler-Benz AG, sollte er die Boliden mit dem Stern wieder auf die Erfolgsspur bringen – und schaffte dies auch. Tausende Kilometer saß er bei Versuchsfahrten selbst hinterm Steuer. So bekam er ein Gefühl für die Mängel der Rennwagen und baute entscheidende Verbesserungen ein. Im gleichen Jahr wurde Rudolf Uhlenhaut zum technischen Leiter der Mercedes-Benz-Rennabteilung berufen. Der weltmännisch gebildete junge Mann entpuppte sich im Rennwagencockpit als Naturtalent: „Ich hatte von Rennwagen keine Ahnung“, meinte er später, „ich habe den Rennwagen fahren gelernt“. Mit einschlagendem Erfolg: Das Jahr 1937 wurde prompt das erfolgreichste in der bisherigen Renngeschichte von Mercedes-Benz. Er wirkte maßgeblich daran mit, dass der Silberpfeil W 25 wieder konkurrenzfähig wurde. Nach ausgiebiger Überarbeitung wurde der Silberpfeil W 125 das überlegene Auto der Grand-Prix-Saison 1937 und Fahrer Rudolf Caracciola Europameister. Der Wagen wurde abgelöst vom W 154, der die Saisons 1938 und 1939 dominiert. Der Ausbruch des Krieges unterbrach dann aber die Serie der Rennsporterfolge. Im April 1949 wurde Uhlenhaut zum Leiter der Abteilung Pkw-Versuch ernannt. Hier konnte er seine Talente voll ausspielen. Hatte er schon vor dem Krieg am 170 V mit entwickelt, interessierte ihn diese Baureihe nur in sofern, dass dem Benziner ein Dieselmotor zur Seite gestellt werden sollte. Dabei interessierte ihn weniger die Technik des Selbstzünders, als vielmehr die nötige Einspritzanlage. Fasziniert von dem Gedanken, auch Benzin-Gemisch im Serienauto so aufzubereiten, tüftelte er hier lange.
Am 15. Juni 1951 fasste jedoch der Daimler-Benz-Vorstand den Entschluss, wieder auf die Rennstrecken der Welt zurückzukehren. Die Formel-1 erwartete jedoch eine Reglement-Änderung ab der Saison 1954 und erst dann wollte man einsteigen. In der Zwischenzeit sollte aber ein Sportwagen entwickelt werden, der bei den Langstreckenrennen an die Erfolge der 1930er-Jahre anknüpfen solle. Uhlenhaut nahm den Serienmotor des Mercedes-Benz 300 und baut um ihn herum einen Rohrrahmen mit einer Aluminium-Karosserie. Das Coupé, welches auch in GT Rennen mitfahren sollte, kann aufgrund seiner neuartigen Gitterrohrrahmen-Konstruktion aber keine normalen Türen haben. Schließlich kam man darauf, dass man das Cockpit oben an der Kanzel nach oben öffnen könnte. Viel mehr als ein Dachausschnitt war das jedoch nicht. Er trug die Mercedes-Piloten vom Fleck weg von einem Erfolg zum nächsten. Bei seinem ersten Auftritt bei der Mille Miglia 1952 überquerte der 300 SL als Zweiter das Ziel. Zum Mythos wurde das Coupé durch den grandiosen Doppelsieg bei der gefürchteten Carrera Panamericana in Mexiko im selben Jahr. Dreifache Triumphe in Bern, auf dem Nürburgring und ein Doppelsieg beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans ließen den Stern des SL noch heller erstrahlen. Zunächst war der 300 SL als reiner Rennsportwagen (W 194) auf den Strecken unterwegs. Denn trotz zahlreicher Triumphe bei Rennen dachten die Untertürkheimer zunächst nicht an einen Einsatz im Straßenverkehr. Doch aus den USA meldete sich der Österreicher Maximilian (Maxi) Hoffman. Er war Generalimporteur und wollte 1000 straßentaugliche Exemplare für den nordamerikanischen Markt importieren. Doch er überzeugte den Vorstand von seiner Idee. Und so erblickte die Welt bei der International Motor Sports Show in New York die erste Straßenversion der 300 SL (W198) und den kleineren offenen 190 SL (W121), der die Anmutung das 300 SL und die Technik des 190 „Ponton“ übernahm. Augenblicklich erreichte das Juwel auf Rädern eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Gekrönte Häupter und Stars schmückten sich mit dem Sportwagen. Er war eine Hightech-Konstruktion seiner Zeit. Uhlenhauts Ingenieure entwickelten einen Viertaktmotor mit Benzin-Direkteinspritzung, der es auf immerhin 215 PS bringt. Eine weitere Innovation war der von Uhlenhaut entwickelte und für die Serie modifizierte Gitterrohrrahmen. Der ist in der Serie zwar niedriger als bei der Rennversion, dennoch musste er aus Stabilitätsgründen beim Coupé an den Flanken immer noch hoch gezogen sein. Herkömmliche Türen waren also unmöglich, was zu einer sensationellen Neuerung führte. Damit war der legendäre 300 SL Flügeltürer geboren.
Parallel zu den Personenwagen entwickelte Uhlenhaut auch den neuen Formel-1-Boliden W 196, den Silberpfeil der Nachkriegszeit. Doch mehr als Tests waren für ihn selbst nicht drin: Die Teilnahme an einem Rennen blieb ihm verwehrt, weil der Vorstand nicht das Risiko eingehen wollte, einen seiner fähigsten Köpfe zu verlieren. Dennoch fährt er selbst – nicht im Rennen aber auf allen Rennstrecken der Welt. Uhlenhaut dachte stets an weitere Verbesserungen für die Rennwagen. Und so ließ er es sich bei staubigen Rallyes nicht nehmen, für seine Fahrer eigenhändig am Auto zu schrauben und schonte sich ohnehin nicht besonders. Berühmt sind Begebenheiten, die sich mit Rennfahrern zutrugen: So meinte 1955 der Fahrer Juan Manuel Fangio nach Probefahrten am Nürburgring, dass das Auto noch nicht optimal vorbereitet sei. Uhlenhaut erhob sich sodann nach einem opulenten Mittagessen in Anzug und Krawatte, setzte sich in das Fahrzeug und umrundete den Ring drei Sekunden schneller als der Weltmeister. Zurück bei Fangio sagte ihm Uhlenhaut, dass er doch noch ein wenig üben möge. So gewann der Vater der Silberpfeile den Respekt seiner Mitarbeiter und Fahrer. Um die Rennwagen schnellstens an die Rennstrecken zu bekommen, ließ er einen einzigartigen Renntransporte bauen. Auf dem Rahmen eines 300 Sc mit der Technik eines 300 SL wurde ein futuristisch aussehendes Gefährt gebaut, das erstmals die Lenkachse hinter dem Fahrersitz hatte. In der damaligen Firmenfarbe blau lackiert, war dies der schnellste Renntransporter, den es je gab. Nicht umsonst heißt er bald „Das blaue Wunder“. Nachdem Daimler-Benz keine Rennen mehr bestückte, wurde der einzigartige Renntransporter 1967 verschrottet. Anders die Rennwagen jener Zeit. Sie befinden sich immer noch im Fundus und werden regelmäßig zu Veranstaltungen und Ausstellungen präsentiert.
Rudolf Uhlenhaut besaß zeitlebens nie einen eigenen Pkw. Allerdings machten seine Dienstwagen Furore: Das mythenumwobene Uhlenhaut-Coupé. Mit 290 km/h war es das schnellste Auto, das für öffentliche Straßen zugelassen war, entwickelt auf der Basis des 300 SLR mit reinrassiger Renntechnik.
Als Daimler-Benz 1955 aus dem Grand-Prix-Rennsport ausgestiegen war, kümmerte sich Uhlenhaut als Pkw-Entwicklungschef zunächst ausschließlich um Serienautos die Autos für die Kunden. Er war mitverantwortlich für alle Baureihen bis zu der S-Klasse von 1972 (W116). Auf sein Konto geht auch die Entwicklung das 300 SEL 6.3 (W109) sowie der Nachfolger 300 SEL 6.9 (W116).
Beides zu ihrer Zeit die schnellsten Serien-Limousinen. Er nahm auch einen großen Einfluss auf einen Blickfang aus Sindelfingen: den 230 SL. Wegen seines spektakulären Dachaufbaus tauften ihn Automobilfans Pagode.
Ende der 1960er Jahre kam nochmals ein Projekt auf seinen Schreibtisch, das nicht direkt auf eine Serienfertigung abzielte. Der C111. In diesem reinen Testfahrzeug sollten neue Antriebs– und Fahrwerkstechniken erprobt werden. So experimentierte man hier mit dem damals ganz neuen Wankel-Motor.
Und auch hier griff er selbst mehr mal einmal selber mit an. Mittlerweile Vorstandsmitglied ging er eigens nochmals an Zeichenbrett und auch bei den späteren Testfahrten saß er gelegentlich am Steuer. Deutlich in seinen 60ern war er immer noch von der Geschwindigkeit besessen. Uhlenhaut war der einzige Konstrukteur, der eigenhändig Boliden im Grand-Prix-Tempo über die Bahn jagen konnte. Doch seine charmante Automobilbegeisterung war gepaart mit höchster Ingenieurskunst. Als Chef wurde er wegen seiner Fairness und Kompetenz von seinen Mitarbeitern hoch geschätzt und verehrt. 1972 wird Uhlenhaut pensioniert.
Er verstarb am 8. Mai 1989 im Alter von 82 Jahren in Stuttgart. Doch seine Genialität lebt in den SL-Modellen und im Formel-1 Mercedes-Benz-SLR McLaren weiter und für die Mitarbeiter, die ihn als Chef und als Mensch erlebten, bleibt er unvergessen.