Sumatra, Java, Borneo, Bali, Batavia, Surabaya….alles Namen, die in meiner Kindheit mehr als nur einen Hauch Exotismus, Erotik, aber auch Gefahr in sich bargen. Schließlich hatte man ja von Borneos Kopfjägern gelesen, in schwarz-weißen Filmen balinesische Tänzerinnen gesehen, auch Lotte Lenya „Surabaya Johnny“ auf einer zerkratzten Platte singen hören, doch nichts blieb mehr in Erinnerung als wenn Opa – wie unzählige andere im Lande – nachmittags zur Feier des Tages seine Sonntagszigarre anzündete, eine echte Sumatra! Ja, „Handelsgold“ hatte noch gute Tage vor sich….
Die Zwanziger und Dreißiger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts waren auch die Blütezeit des Handels zwischen den Inseln der damaligen Holländischen Kolonie Niederländisch Ost-Indien (dem heutigen Indonesien) und Europa. Erdöl, Kautschuk, Kupfer, Kohle, Gold, Silber, Kopra, Holz, Tabak, Kaffee, Reis, das sind nur einige der Bodenschätze und Agrarerzeugnisse, mit deren Handel in Richtung Europa damals die Niederländischen aber auch die Chinesischen Geschäftsleute, ganz besonders in den Zwanziger und in der Aufschwungszeit Anfang der Dreißiger Jahre viel Geld, einige sogar enorm viel Geld verdienten. Zentrum des Treibens und Hauptumschlagsplatz war die Haupt- und Hafenstadt Batavia, das heutige Jakarta, das damals bis zur Besetzung durch die Japaner im März 1942 eine Zeit der Modernisierung und der Expansion erlebte.
Eine seiner Leidenschaften waren sportliche und kraftvolle Autos, auf alle Fälle hatte er eine Vorliebe für die Wagen aus dem Hause Daimler-Benz, und von denen erwarb er einige. In einem Mercedes Sportwagen, einem 380 Cabriolet, ging er mit der Nummer 36 am 21. Juli an den Start der „2000 Km. durch Deutschland“- Fahrt 1934. (Bild 1 u. 2) Im Teilnehmer-verzeichnis findet man aber keinen Tan T. K., es wird ein gewisser Keng als Fahrer angegeben – ein Fehler, den Europäer bei Asiaten oft machten, war es doch – abgesehen mal von den Ungarn – eher ungewöhnlich, dass man zuerst seinen Nachnamen und dann erst seine(n) Vornamen schrieb. Ob, oder an welchem Platz also Herr Tan Tjoan Keng, alias „T.T. Keng – Zugehörigkeit: Holland“, (Bild 3) die Rallye beendete, ist nicht bekannt.
Man könnte also sagen, dass bei diesem Reisewagen nichts dem Zufall überlassen wurde.
An dieser Stelle muss auf ein etwas ungewöhnliches Detail hingewiesen werden, nämlich dass der Wagen auf jeder Seite zwei Pendelwinker besaß: einen in der Radabdeckung, und den zweiten gleich hinter dem kleinen Ausstellfenster hinter der Wagentür.
Eine andere sagen wir mal kleine Vorsichtsmaßnahme waren die Katzenaugen an den Enden der Stoßstangen sowohl vorn wie hinten.
Und wieder bekam der 500K „Spezial Stromlinienwagen“, wie viele der Wagen mit denen Mr. Tan herumfuhr oder gefahren wurde, eine Holländische Zollnummer als Kennzeichen mit einem „IN“ als Landeskennzeichen für Indonesien. Von nun an war der weiß lackierte Mercedes 500K Spezial Stromlinienwagen jedenfalls als X-252 erkennbar (es gab da neben dem Mercedes 380 Cabrio, mit dem Zoll-Kennzeichen X-52, der oben bereits erwähnt wurde, auch noch: X-82, X-83 (ein seltener 380 Innenlenker), X-84, aber auch R-5878 und H-89917 – samt und sonders Wagen aus dem Hause Daimler-Benz!) (Bild 10).
Alles was nun folgt, ist eine Rekonstruktion von Ereignissen, aber mit zum Teil spekulativen Schlussfolgerungen, denn wir stoßen jetzt auf ein bis heute ungelöstes Rätsel. Die bislang ohne Antwort gebliebene Frage lautet ganz einfach: Was ist aus X-252 geworden? Um eine Lösung des Rätsels bemüht sich seit einiger Zeit eine Gruppe von Historikern unter der Führung des Holländers Herman van Oldeneel, bislang noch ohne Erfolg…aber wer weiß??
Doch zuerst gehen wir mal auf Reisen…
Dem Anschein nach holte Herr Tan irgendwann im Frühjahr 1935 seinen 500K Spezial-Stromlinienwagen in Stuttgart ab. Der Wagen war für lange, schnelle Reisen konzipiert und ausgestattet worden, so dass Fahrer und Beifahrer sich am Lenkrad ablösen konnten, und während der eine fuhr, der andere auf dem Beifahrer/Liegesitz die Möglichkeit hatte, zu schlafen.
In einem Brief datiert Juni 1935, den er wohl an die Familie schrieb, beschwerte sich Mr. Tan über den mittelalterlichen Zustand der türkischen Straßen, durch die sein Wagen beschädigt worden sei. Zudem hätte der Wagen beim Verladen (es ist nicht klar, ob auf oder von einem Zug oder auf bzw. von einem Schiff) ebenfalls Schäden erlitten. Insgesamt müssen die Schäden so stark gewesen sein, dass nach der Rückkehr über Ost-Europa Reparaturen notwendig waren, und im Anschluss daran der weiße 500K neu lackiert wurde, und zwar in eine dunklere Farbe, die, wie ich erfuhr, obgleich es auf den zeitgenössischen schwarz-weiß Bildern so aussieht, nicht schwarz war. Wer sich in Farben und deren Wiedergabe etwas auskennt, der weiß, dass nur sehr wenige Optionen möglich sind, um auf schwarz-weiß Bildern ein sattes schwarz zu bekommen: dunkelblau, dunkelgrün, und insbesondere dunkelrot. Übrigens, zu der Zeit wird der 500K noch immer mit dem Zoll-Kennzeichen X-252 gefahren.
Es gibt Quellen, die behaupten, dass er und sein Wagen den Krieg in Indonesien verbrachten, und 1949 wieder nach Holland kamen. Ich glaube, diese Theorie dürfte auszuschließen sein.
Bekanntlich landeten die Japanischen Streitkräfte am 1. März 1942 auf Java und den anderen Inseln Niederländisch Ost-Indiens, und besetzten die Inseln bis zur Kapitulation Japans im August 1945. Es ist auch allgemein bekannt, dass die Japaner die Bevölkerung, wobei die Chinesen keinesfalls zu den Bevorzugten gehörten, gelinde gesagt, nicht gerade zimperlich behandelten. Ich könnte mir eher vorstellen, dass unserem Herrn Tan als bekannter Geschäftsmann, Unternehmer und reicher Kapitalist sein gesamtes Hab und Gut beschlagnahmt wurde, und – um es milde auszudrücken – er zur Arbeit herangezogen worden wäre, zwecks Ausbeutung der für die Japaner kriegswichtigen Bodenschätze und Nahrungsmittel. Und was seinen 500K und etwaige andere seiner Wagen betrifft, die wären sicherlich auch beschlagnahmt worden. Nein, ich glaube Mr. Tan Tjoan Keng war intelligent und sicherlich informiert genug, um rechtzeitig vor der drohenden Gefahr sich, seine Familie und seinen Wagen nach Holland in Sicherheit zu bringen…. um allerdings in eine andere Konfliktzone zu landen.
Eine andere Quelle behauptet hingegen, dass Mr. Tan 1949 von Holland zurück nach Djakarta (nun ex-Batavia) in den gerade gegründeten Staat Indonesien ging. Es war eine höchst instabile Zeit im jungen Staat, mit bewaffneten Konflikten zwischen der Niederländern, die zumindest die wirtschaftliche Kontrolle über das Land behalten wollten einerseits, und den Nationalisten und Kommunistischen Freiheitskämpfern andererseits. Vielleicht hatte Tan schon Kontakte in der neuen Regierung geknüpft, vielleicht glaubte Tan, es gäbe für ihn im neuen Indonesien die Möglichkeit wieder gute Geschäfte zu machen, aber dann wäre er wohl naiv und blind gewesen, zumal die Indonesier den reichen Chinesischen Geschäftsleuten gegenüber genauso schlecht gesinnt waren, wie gegenüber den ehemaligen holländischen Kolonialherren. Außerdem war in den Fünfziger Jahren die indonesische Wirtschaft mangels kompetenter Wirtschaftspolitiker jahrelang in einem völlig chaotischen Zustand.
Dito erwägt diese Quelle, dass Mr. Tan 1949 möglicherweise seinen 500K nach Djakarta mitgenommen hätte. Frage: wenn das der Fall, oder zumindest Tan’s Gedanke gewesen wäre, wieso hätte er dann der Wagen 1949 in Holland zum Verkauf – wegen Umzug ins Ausland, so die Anzeige – angeboten?? Selbst wenn er nach Jakarta umziehen wollte, so sieht es nicht so aus, als ob er seinen Wagen mitnehmen wollte. Diese Erwägung kann man also meines Erachtens völlig außer Acht lassen…
Angenommen, Herr Tan hätte den Krieg tatsächlich in den Niederlanden verbracht, dann ist es wiederum auch ein Wunder, dass der Wagen den Krieg in Holland überlebt hat, und nicht von der Wehrmacht beschlagnahmt wurde. Es gibt genügend Beispiele in Holland, Belgien, Frankreich, und anderen Ländern, wo Luxus-Autos einfach von und für höhere Offiziere requiriert wurden. Der 500K muss wohl sehr gut versteckt gewesen sein…
Im Vergleich kostete 1949 ein nagelneuer Cadillac, Series 62, in der „Coupé de Ville“- Luxusausführung auch „nur“ US$ 3,497.00
Wurde der Wagen nun verkauft oder nicht? Das ist die Frage, und einiges spricht erneut gegen einen Verkauf.
Zum einen wollte nach dem Krieg kein anständiger Holländer in einem deutschen Wagen, und dann noch ausgerechnet in einem Mercedes, gesehen werden. Da waren die Kriegserinnerungen noch zu frisch. Zum zweiten sind die Niederländer per se nicht Leute die unbedingt auffallen wollen, und wer will das schon in der Nachkriegszeit, wo so einiges – inklusive Benzin – noch bis in die frühen Fünfziger Jahre hinein rationiert ist.
Aber selbst wenn wir diese Überlegungen mal außer Acht lassen, wer ganz am Anfang der Fünfziger Jahre das Geld für einen großen Wagen hatte, der wollte keinen nun bereits 16 Jahre alten Gebrauchtwagen, sondern einen ganz neuen, vielleicht mit viel Chrom wenn eben möglich. Und wenn schon ein stattlicher Mercedes, dann doch bitte einen nagelneuen 300 (W186 II) ! Der kostet mich zwar 19.900 DM, das sind umgerechnet US$ 4.738, also nur US$ 527,50 mehr als die US$ 4.210,50 die 1949 für den altmodischen, gebrauchten 500K Stromlinienwagen verlangt wurden. Angenommen, der Preis des 500K im Angebot war 1951 der gleiche als 1949 geblieben, dann lege ich doch lieber die Differenz von US$ 527,50 (d.h. 2.215,50 DM) dazu, und habe den neuesten Mercedes, und keinen 16 Jahre alten Gebrauchtwagen…..denn so in etwa wurde damals gedacht. Nach den dunklen Zeiten des Krieges sollte, für den der’s sich erlauben konnte, alles schön und vor allem neu sein!
Zur Erinnerung, lieber Leser, die Faszination mit den Klassikern und Veteranen begann erst so richtig ab Ende der Siebziger Jahre. Zuvor interessierte sich wenn überhaupt doch kaum jemand für „die alten Rostlauben“. Ich selbst habe als junger Bursche 1963 in einem neuen Renault Dauphine irgendwo auf einer Landstraße zwischen Reims und Metz einen müden Bugatti Atlantic überholt und gedacht, „Was für ein schrulliger lahmer alter Kasten, hat sogar beide Seiten in der Mitte zusammengenietet, und sowas soll ein Auto sein ?“ Seien wir doch ehrlich, so in etwa haben wir damals alle gedacht…
Aus diesen Gründen spekuliere ich, dass wahrscheinlich auch der zweite Verkaufsversuch gescheitert ist. Seit dieser Zeit gibt es dem Anschein nach auch keinerlei Dokumente oder Aufnahmen vom 500K „Spezial Stromlinienwagen“ mehr.
Irgendwann in der ersten Hälfte der Fünfziger Jahre ist Mr. Tan dann tatsächlich wieder ins Ausland gezogen, wenn diesmal auch nur ins benachbarte Belgien, wo er wohl bis zu seinem Tode 1980 den Rest seines Lebens verbrachte. Ob mit oder ohne „Spezial Stromlinienwagen“ ist (bislang zumindest) nicht bekannt.
Vielleicht sah er ein, dass sein alter 500K sich nicht verkaufen lassen würde, und ließ ihn schließlich verschrotten. Dies ist durchaus eine Möglichkeit, ein überraschender Scheunenfund ist zwar nicht völlig auszuschließen, aber doch äußerst zweifelhaft.
Und so suchen Herman von Oldeneel, einige andere Herren aus den Niederlanden und neuerdings auch Tan Tjoan Keng’s Enkelsohn, der sicherlich Informationen aus der Familie beitragen könnte, über Internetforen und persönlichen Kontakten nach dem Wagen weiter….man weiß ja nie!
Das Modell
- Quellennachweis: Herman van Oldeneel (NL), Frits Bakker (NL), Daimler AG., “History of Indonesian Economy”
- Bildernachweis: Archiv Daimler AG, Fotoalbum Familie Tan, prewarcar.com, Bernd. D. Loosen, verschiedene andere.