Eine Tugend aus der Not! Der Wartburg-Mercedes 170 V (DDR, 1956)
Autocult kündigt sein nächstes Modell „mit dem Stern“ an. Ich habe nicht „sein nächstes Mercedes-Benz-Modell“ geschrieben, weil es nicht ganz ein Mercedes ist, sondern eine Mischung, eine Kombination, wenn man so will, aus einem Wartburg 311 aus DDR-Produktion und einem Mercedes-Benz 170V… aber da Mercedes-Fahrzeuge durch ihre Fahrgestellnummern identifiziert werden, sprechen wir von einem Wartburg-Mercedes, oder von einem Mercedes-Wartburg.
Gott sei Dank hatte sich niemand entschieden, es einen „Waredes“ oder einen „Benzburg“ zu nennen, obwohl mir persönlich „Benzburg“ gefällt. Klingt eigentlich ganz nett!
Allerdings habe ich aus gut informierten Quellen gehört, dass der Erscheinungstermin aufgrund unvorhergesehener und unglücklicher produktionsbedingter Umstände in einigen Wochen liegen wird… aber fassen Sie sich ein Herz, bestellen Sie Ihr Modell bei Ihrem Hobby-Händler vor. Das neue Modell dieses einmaligen Wagens ist wirklich ziemlich interessant!
Überlebende in neuem Gewand.
Als sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer weiter der `Eiserne Vorhang` zuzog und in der noch jungen DDR die letzten überlebenden Fahrzeugrelikte der 1930er Jahre ihren Geist nach und nach aufgaben, überzog die vom Staatssystem gewollte Einheitswelle immer weiter das Land. Für die Personenwagen hieß dies, dass der erstmals 1955 produzierte, zweitaktende Wartburg 311 zum Topmodell avancierte. Unabhängig von den politischen Vorgaben und den staatspolitischen Zielen waren auch noch die letzten Exemplare Mercedes des 170 V im Einsatz. Das Besitzen eines jener Mercedes Modelle wurde mit zunehmendem Fortschritt der Sozialisierung zum immer höher gestellten Prestigewert.
In dem privat geführten Werkstattbetrieb der Familie Schwarze in Görlitz keimte die Idee, den 170 V in einem neuen Gewand ein neues Leben zu generieren. Mit viel handwerklichem Geschick und Improvisationskunst passten die versierten Blechhandwerker die Front eines 170 V-Aufbaus in die Karosserie des Wartburg 311 ein. Größtes Augenmerk galt dabei der exakten Integration des markanten Mercedes-Kühlers, der für seine neue Verwendung jedoch gekürzt werden musste. Den Beschäftigten im Unternehmen Schwarze muss dabei auch heute noch attestiert werden, dass sie diese Mischung für ihre begrenzten Verhältnisse sehr gekonnt umsetzten. Unter der Fronthaube arbeitete weiterhin der originale 1,7 Liter große Viertakter aus dem Mercedes 170 V.
Auch hier dürfte viel Erfindungsgeist notwendig gewesen sein, um den damals schon betagten und mit vielen Kilometern gelaufenen schwäbischen Antrieb ein neues Leben einzuhauchen. Mit seinen 38 PS bei 3.200 U/min war der westdeutsche Motor so stark wie der moderne Wartburg-Antrieb, doch bekam der Fahrer die Pferdestärken eben hier aus vier Takten und nicht aus zwei serviert! Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 110 Km/h entsprach der Personenwagen-Mix durchaus den Fahrwerten der damaligen Zeit. Der privat ausgetüftelte Umbau fand ab 1956 vor allem Abnehmer im Görlitzer Taxifahrerbereich.
Wie viele derartige Umbauten das Karosseriebauunternehmen Schwarze letztlich fertigte, ist offenbar nicht genau überliefert. Während manche literarische Quelle die Zahl 20 nennt, wissen andere von `mindestens drei Dutzend`. Der Zeitraum der privaten Umbauaktion reichte bis in die 1960er Jahre.
Hierzu passend noch ein Artikel aus der “Sächsischen Zeitung“ vom 26.06.2016 von Ralph Schermann:
Wer denkt, dass einst auf dem Gebiet der DDR bei der Pkw-Entwicklung nur Zwickau (Trabant), Eisenach (Wartburg) und Dresden (Melkus) eine Rolle spielen, der irrt. Es gibt eine offizielle vierte Automobilbaustadt des deutschen Ostens nach 1945. Und das ist Görlitz. Na gut, was hier entstand, kann man nicht mit den Großen der Branche vergleichen. Schließlich lebte hier nur eine Kleinserie auf. Doch die ist immerhin noch heute in allen Fahrzeuglisten anerkannt. Sie geht zurück auf Klagen Görlitzer Taxifahrer. Deren Vorkriegsmodelle wurden ab 1950 immer maroder, und Ersatzteile waren Mangelware. Durchrostende Karossen ließen die Taxifahrer immer öfter klempnern. Vor allem auf der Konsulstraße 18 in der Firma von Oskar Schwarze.
Der Karosseriebau-Meister war ein begnadeter Tüftler und überlegte, wie man der Taxi-Genossenschaft helfen könnte, zumal diese auch stets Probleme mit zu kleinen Kofferräumen in ihren alten Autos hatte. wei Beobachtungen brachten Oskar Schwarze auf eine geniale Idee: Zum einen fanden sich direkt nebenan auf der Konsulstraße 19 in der Mercerdes-Werkstatt von Richard Rauh immer mehr Fahrgestelle von ausgemusterten Typen 170V. Zum anderen kam aus Eisenach damals der Wartburg 311 als nagelneues Fahrzeug ins Land, dessen Karossen bei Unfallfahrzeugen noch nicht als Ersatzteile benötigt wurden. Schwarze zählte beide Fakten zusammen und entwickelte den Mercedes-Wartburg. Nach einem Muster gab es 1956 die Zulassung und die offizielle Genehmigung für eine Serienfertigung.
Bis 1960 entstanden auf der Konsulstraße so 14 Taxis, überwiegend in grau oder schwarz gehalten, teils mit der einst üblichen schwarz-weißen „Bauchbinde“. Dazu baute Meister Schwarze eine zweifarbige Luxus-Limousine, einen Rundheck-Kombi und sogar eine Cabrio-Version. Dass nach 17 Fahrzeugen dann Schluss war, hatte einen einfachen Grund: Der Meister verließ Görlitz wohl wegen der geforderten PGH-Gründung und zog in „den Westen“.
Andererseits wurden mittlerweile aber langsam auch die benötigten Teile knapp. Das Zubehörteilewerk Meißen stellte 1960 die Produktion von Mercedes-170V-Ersatzteilen ein. Und natürlich sah man in Eisenach die Umbauten mit steigendem Unbehagen. Immerhin als Originale wurden von dort Teile der Bremsanlage und der Innenausstattung geliefert. Für ein Taxi dagegen war die originelle Komposition ideal. Meister Schwarze setzte eine vorn um 25 Zentimeter verlängerte Wartburg-Karosse auf unverwüstlichen, meist um 1938 gebauten, Mercedes-170V-Fahrgestelle. Das ging nur mit viel handwerklichem Geschick, denn alles musste gut passen und ineinander übergehen. Die sehr wuchtig wirkenden 16-Zoll-Räder störten zwar ganz wenig, ließen das Ergebnis stilistisch aber insgesamt recht ausgewogen erscheinen. Entgegen dem originalen Wartburg baute die Görlitzer Firma Knüppelschaltungen und löste wie nebenbei auch das Problem mit dem größer geforderten Heckstauraum: Beim Mercedes-Wartburg verlagerte man den 46-Liter-Tank in den vorderen Bereich, so dass ein für damalige Verhältnisse sehr üppiger Kofferraum zur Verfügung stand. Der große Tank war nötig: Im Stadtverkehr verbrauchten diese Taxifahrzeuge damals um die elf Liter auf hundert Kilometer.
In den Jahren bis etwa 1970 sah man solche Fahrzeuge ständig im Görlitzer Straßenbild. Mancher Polizist mag es schwer gehabt haben – von vorn sah er den Mercedes-Kühlergrill, bei wegfahrenden Autos das typische Wartburg-Heck. Die Wagen fuhren als Taxis noch eine Weile parallel zu den EMW 340 aus Eisenach und wurden dann schrittweise gegen neue Wartburgs und Fahrzeuge sowjetischer Produktion ausgetauscht. Dann verlor sich die Spur der Ergebnisse Görlitzer Automobilfertigung.
W140 Binz-Kombi
Von Matrix kommt die Nachricht, dass irgendwann im Oktober 2020 das 1:43 Modell des Mercedes-Benz W140 in einer Kombi-Umbau-Ausführung von der Firma Binz herauskommen soll.