Nachruf: Der Waxenberger wusste sich immer zu helfen

Erich Waxenberger ist ist am 18. Juli im Alter von 86 Jahren verstorben. Der Ingenieur war top in Theorie und dabei stets auch ein Mann der Praxis. Im Mercedes-Benz Fahrzeugversuch war er, beginnend in den 1950er-Jahren, mit mehreren SL-Baureihen befasst. Später betreute er unter anderem die Sportaktivitäten des Unternehmens.

Erich Waxenberger wird am 9. April 1931 in eine ausgesprochene Autofamilie hineingeboren. Der Vater betreibt mit seiner Schwester im oberbayrischen Miesbach eine DKW-Vertretung. Und er vererbt seinem Sohn den Bazillus des unerschrockenen Racers, denn Waxenberger senior fährt von Frühjahr bis Herbst Motorradrennen und im Winter Eisrennen auf zugefrorenen Seen seiner oberbayrischen Heimat. Aber eben auch das Schrauben und Ringen um optimale technische Lösungen nimmt den Sohn schon früh gefangen. Der Vater und die Familie sind ihm nicht nur Vorbild, sie schaffen auch die nötigen Freiräume für seine Entwicklung, denn die Begabung für Bewegungsabläufe wird früh gefördert und geschult. Skifahren, das er mit vier Jahren lernt, weckt die Freude an der Geschwindigkeit. Sie lässt ihn nie mehr los.

Nach dem Abschluss der Schulausbildung besucht Waxenberger in München die Akademie für angewandte Technik und beendet dort sein Studium als zweitjüngster und zugleich zweitbester Absolvent. Am 11. Juni 1953, es ist ein Freitag, legt der Maschinenbaustudent seine letzte Prüfung ab. Am darauf folgenden Montag beginnt der frisch gebackene Ingenieur bei Daimler-Benz in Stuttgart-Untertürkheim im Pkw-Versuch als Sachbearbeiter für Aggregate. Daimler-Benz bleibt für den Bayer in Schwaben dann während 43 Jahren der einzige Arbeitgeber, rückblickend auch eine Parallele zu seinem späteren Chef Rudolf Uhlenhaut, aber es ist nicht die einzige; schnelles Autofahren, Skifahren und Segeln sind weitere.

3. ADAC-1000-Kilometer-Rennen

Zwei Jahre nach seinem Eintritt tritt er in die großen Fußstapfen von Versuchsleiter Arthur Mischke, der einer höheren Berufung im Konzern folgt. Offiziell wechselt Waxenberger 1956 in die Fahrgestell-Entwicklung. Tatsächlich ist er schwerpunktmäßig mit den drei SL-Typen jener Jahre beschäftigt, dem 190 SL, dem 300 SL als Flügeltürer und dem sich gerade in der Entwicklung befindenden 300 SL Roadster. Nahtlos schließt sich ein weiterer SL an, die Baureihe W 127 – ein 190 SL mit 2,2-Liter-Sechszylindermotor und Benzineinspritzung, der dann aber nicht auf den Markt kommt. Weitere interessante Fahrzeuge gehören zu Waxenbergers Probanden, etwa ein 190 SL mit Dreiliter-Einspritzmotor oder der W 104, ein Typ 220 S mit einem Dreiliter-Einspritzmotor und Getriebeautomat. Erprobungsfahrten auf das Stilfser Joch oder den Großglockner gehören zum Standardprogramm während der Sommermonate und sind ganz nach dem Geschmack des jungen Ingenieurs. Aber auch so trockene Untersuchungen wie Gewichtsvergleiche und Achslastverteilungen unterschiedlicher SL-Typen sind Teil des Aufgabenportfolios.

Mit dem Werden des SL der Baureihe W 113 („ Pagode“), die 1963 auf den Markt kommt, gelangt der vierte Serien-SL in Waxenbergers Karriere zum Tragen. Dieses Modell betreut er in der Versuchsabteilung auch für die Rallye-Einsätze der Jahre 1963 und 1964 und bereitet sie speziell auf diese Wettbewerbe vor.

Unter Waxenbergers Ägide entsteht auch die aufregendste „Pagode“: ein 230 SL mit dem 6,3-Liter-V8-Motor M 100 des Mercedes-Benz 600 (W 100). Waxenberger, „Erfinder“ des 300 SEL 6.3 (W 109) mit ebenfalls diesem Motor, begreift es als große Herausforderung, den Achtzylinder auch dem SL einzupflanzen. Auf der alten Nordschleife des Nürburgrings erreicht er mit Rennreifen eine Bestzeit von 10:30 Minuten. Die Chance der Serienrealisierung bleibt diesem Projekt allerdings verwehrt. Denn die hohe Vorderachslast durch den schweren Motor und die bereits auslaufende Eingelenk-Pendelachse stehen dem im Wege.

Erich Waxenberger bei der 50.000km-Rekordfahrt in Nardo 1983

Er ist kein ausschließlicher Theoretiker, sondern ein stark praxisorientierter Ingenieur – eine Tatsache, mit der er schnell auf sich aufmerksam macht. Als einmal während einer Erprobungsfahrt ein Versuchsfahrzeug mit einem Defekt liegen bleibt, legt Waxenberger sich unter den Wagen und macht das Fahrzeug wieder fahrbereit. Unter den in der Zwischenzeit Herumstehenden wartet auch Chefingenieur und Vorstandsmitglied Professor Fritz Nallinger. Als kritische Fragen laut werden, ob der Wagen denn wieder zum Laufen käme, meint Nallinger trocken: „Lassen sie mal, der Waxenberger weiß sich immer zu helfen.“ Dieses Lob vom obersten Chef freut seinen damals noch jungen Mitarbeiter und ärgert die Zahlreichen, die schon lange mit Argwohn den direkten Zugang des jungen Kollegen zum unmittelbar Nallinger unterstellten Versuchschef Rudolf Uhlenhaut beobachten. Dieser allerdings schätzt seinen jungen und temperamentvollen Mitarbeiter wegen seiner engagierten Art des Autofahrens, aber auch wegen seiner technischen Begabung und seiner unkonventionellen, direkten Art, Dinge anzugehen und beim Namen zu nennen. Erich Waxenberger ist als Urbayer mit all jener herzlich-kantigen Direktheit ausgestattet, die die Bayern eben auszeichnet. Mit direktem Engagement begleitet und betreibt er auch die Ende der 1970er-Jahre beginnenden Rallyeaktivitäten von Mercedes-Benz mit den Baureihen 123 und 107 und führt sie zu Erfolgen.

Björn Waldegaard und Erich Waxenberger bei der Rallye Akropolis 1980

Speziell bei den materialmordenden Veranstaltungen in Afrika glänzt der Stern. Unvergessen die Episode bei der Safari 1980, als Hannu Mikkolas Beifahrer Arne Hertz bei einer Reparatur auf der Strecke von einem anderen Auto gerammt und an der Hand verletzt. Also sprang Erich Waxenberger als Beifahrer ein und wollte Mikkola

Immer gut gelaunt!

zunächst bis ins Etappenziel navigieren: „Kommen’s, Herr Mikkola, fahren wir!“ Gesagt, getan. Mikkola fährt, Waxenberger navigiert und dirigiert zeitgleich seine Service-Mannschaft. Doch natürlich ist die Mühe vergeblich. Beifahrertausch ist illegal und wird auch in Afrika mit der Disqualifikation bestraft.

Als in den 1980er-Jahre die Konkurrenz auf Allrad und Turbomotoren setzt, setzt auch bei Mercedes ein Umdenken ein. Man verpflichtet mit Walter Röhrl den besten Rallyefahrer und plante einen Mittelmotor-Renner, der 1983 debütieren sollte. Doch die Ehe hielt nur kurz. Röhrl beschied kurz vor der Monte 1981 dem 500 SL wenig Siegchancen, Mercedes stoppte daraufhin die Rallyeaktivitäten und zog sich zurück.

Erich Waxenberger blieb seiner Firma treu und verabschiedet sich erst am 1. Juli 1996 in den Ruhestand. Seiner Marke bleibt er weiterhin verbunden und nimmt regelmäßig an Club-Treffen teil. Am 18. Juli 2017 verstirbt der inzwischen 86-jährige im Kreise seiner Familie. 

Fotos Daimler