Pininfarina und Mercedes

Der Tod von Sergio Pininfarina ging durch alle Foren, Blogs und Oldtimerzeitungen und hat alle Fans von klassisch schönen Fahrzeugen sehr betroffen gemacht.. Wußten Sie auch um die Bedeutung für die Mercedes-Benz-Freunde ??? Lesen Sie hier einen herausragenden Artikel von Axel Wolf, den er für den MBVCÖ geschrieben hat (die Fotos stammen von Pininfarina S.p.A, Ufficio Storico e Documentazione; Mercedes-Benz):

300 S „Pinin Farina“

Das Jubiläum 75 Jahre Pininfarina nehme ich zum Anlass, dieser weltberühmte Design-Schmiede aus Turin, dem italienischen Zentrum des guten Geschmacks, zu huldigen. Doch was hat Mercedes-Benz mit Pininfarina zu tun? Auf den ersten Blick eigentlich gar nichts… Allerdings gibt es eine Handvoll Einzelstücke, die auf Mercedes-Benz – Basis in den heiligen Hallen Pininfarinas gefertigt wurden. Somit kann ich anhand dieser Einzelstücke als Pininfarina-Fan und Mercedes-Enthusiast dem Haus Pininfarina zum 75-jährigen Jubiläum die gebührende Reverenz erweisen und gleichzeitig die von Pininfarina sehr stark geprägte Autodesign-Entwicklung aus dem Mercesdes-Blickwinkel darstellen.Am 22. Mai 1930 gründete Battista „Pinin“ Farina in Turin „Carrozzeria Pinin Farina“. Der landläufige Ausdruck „Coachbuilder“ = Karosserieschneider beschriebt für diese Epoche noch durchaus zutreffend das Aufgabengebiet des Unternehmens, das sich auf den Aufbau von Karosserien auf von Einzelkunden angelieferte Fahrgestelle spezialisiert hatte. Laut „Catalogue Raisonné Pininfarina“ wurden im ersten Jahrzehnt des Firmenbestehens zwei Mercedes-Benz Fahrzeuge jeweils auf Basis eines Kompressorfahrgestells Typ „S“ auf Kundenwunsch gefertigt.Nach dem 2. Weltkrieg hatte das Unternehmen nicht nur als eine der wenigen Manufakturen in diesem Bereich der Automobilindustrie die Umwälzungen in der Branche überlebt, sondern auch den Sprung von der Quasi-Einzelanfertigung der Fahrzeuge in den hohen und exklusivsten Preisregionen hin zur Massenfertigung „von der Stange“ auch in diesem Bereich der teuren Fahrzeuge geschafft. Das Unternehmen verlagerte seinen Schwerpunkt von der handwerklichen Fahrzeug-Einzelanfertigung, auf Designentwicklung für die Massenhersteller wie z.B. FIAT, Alfa und Peugeot oder exklusivere Marken wie die ohne Pinin Farina fast nicht denkbaren Ferrari.

Andererseits übernahm das Unternehmen auch die Produktion von Klein- und Sonderserien wie z.B. Lancia Gamma Coupé, deren Herstellung in den Stammwerken als wenig effizient angesehen wurde. Anfangs wurden nur Karosserien hergestellt, deren Endmontage dann die Hersteller selbst übernahmen, später gingen die Hersteller dazu über, neben Designaufträgen auch Komplettpakete – von der Fahrzeugentwicklung bis zur Endmontage – an Pininfarina vergeben (Eröffnung des ersten großen Produktionswerkes 1958). Aber auch Stadtbusse, Eisenbahnen, Handys und Ähnliches nahm und nimmt bei Pininfarina im besten Sinne des Wortes Formen an.

Der Name Pininfarina (ab 1961 offiziell in einem Wort) wird aber weiterhin hauptsächlich mit den Showcars und Einzelstücken verbunden, die auf diversen Autosalons den staunenden Autoenthusiasten Ausblicke in die Zukunft des Automobils gewähren. So geschehen auch bei folgenden eher unbekannten Fahrzeugen auf Mercedes-Benz Basis, die ich an dieser Stelle etwas näher beschreiben möchte:

  • Mercedes-Benz 300 Coupe (1955)
  • Mercedes-Benz 300 b Coupé (1956)
  • Mercedes-Benz 300 Sc Coupé (1956)
  • Mercedes-Benz 230 SL Coupé (1964)
  • Mercedes-Benz 300 6,3 Coupé (1970)

Pininfarina hat ausschließlich Coupés auf Mercedes-Benz-Basis gebaut, vielleicht kommt dadurch die Eleganz der Entwürfe besonders zur Geltung. Es lässt sich aber auch anhand dieser Einzelstücke die Entwicklung des Autodesigns von den 50erJahren bis in die 80er verfolgen, die Pininfarina mit seiner Formensprache zu einen guten Teil beeinflusst hat. Und zwar einerseits durch die Entwicklung der sogenannten „Linea Pininfarina“, andererseits aber auch durch die Entwicklung von einzelnen Design-Elementen.

1. Ein Trio in den 50ern:

Mitte der 50er wirkten in der Formensprache von Mercedes-Benz noch immer die Formen der sogenannten Tramwagenepoche der späten 30er Jahre nach: Bauchige Linien und stark herausgearbeitete Kotflügel waren bei der großen „Adenauer“-Limousine und dem davon abgeleiteten Coupé das Maß aller Dinge. Hingegen ist beiden Varianten Pinin Farinas bereits die in den 50ern hochaktuelle Ponton-Form gemeinsam, bei welcher die Kotflügel ohne Ausformung bereits zur Gänze in die Seitenlinie integriert sind. Bemerkenswert ist auch der dementsprechende Breitenzuwachs im Innenraum, wobei das originale Armaturenbrett seitlich mit Holzeinlagen angepasst wurde. Scheibenwischer an der Heckscheibe waren der “ dernier cri “ in den 50ern, aber erst 20 Jahre später fanden Sie Verwendung bei den Kompakten mit Steilheck bzw. bei den Kombis.

Das ungleiche Paar: 300 & 300 Sc (Quelle: Motor Klassik)

Die Rückleuchten der Coupés sind nicht wie ursprünglich horizontal oberhalb der Stossstange montiert, sondern vertikal positioniert und folgen dem Verlauf der Kante der hinteren Kotflügel. Dieses Detail erinnert sehr stark an das Design der Heckleuchten der eleganten französischen Facel Véga HK 500. Durch den filigranen Dachaufbau und die Zweifärbigkeit der beiden Limousinen-basierten Varianten wird deutlich, dass Pinin Farina bemüht war diesem Fahrzeug durch klare, ruhige Linien dem Wagen die optische Behäbigkeit des originalen Entwurfs zu nehmen. Durch die Rahmenbauweise und das Vorkriegs-Layout dieser Baureihe (verhältnismäßig hohe aber schmale Ausmaße) waren diesen Bemühungen allerdings doch ziemlich enge Grenzen gesetzt.

Das typische Pininfarina-Heck der 50er, daneben die typische Mercedes-Front am Schwestermodell (Quelle: Motor Klassik)

Durch das etwas kürzere Fahrgestell des 300 Sc war diese Aufgabe beim zweiten Entwurf auf Basis MB 300 schon etwas leichter zu erfüllen, der Wagen wirkt um einiges graziler und wesentlich moderner, obwohl es sich nahezu um das gleiche Basisfahrzeug handelt. Die damals hoch-modernen Plexiglasabdeckungen der Scheinwerfer des 300 Sc lassen die zukünftigen

Pininfarina-Linie im Bereich der Frontpartie erahnen, Alfa Duetto, diverse Ferrari etc… lassen aus der ferne Grüßen. Insgesamt wirkt der Wagen um einiges sportlicher und harmonischer; die Panorama-Heckscheibe Pininfarinas mit dem charakteristischen Knick in der C-Säule tauchte übrigens später bei den 4-sitzigen Mercedes-Benz Coupés der 60er Jahre (Baureihe W 111/112) wieder auf.

2. Die Pagode ohne Pagode:

Wie bei den Sonderkarosserien aus den 50ern bleibt auch bei Pininfarinas 230 SL Coupé 1964 nur die Motorhaube im Vergleich zum Serien-Modell unangetastet. Alle anderen Blechteile sind verändert, von den Anbauteilen erinnern nur noch der Grill und die Scheinwerfer an die „Pagode“. Das markante, nach innen gewölbte Dach, sowie die etwas stämmige Gesamterscheinung des Karl-Wilfert-Entwurfs, weichen Pininfarinas sehr grazilem, italienischem Stil.

230 SL Coupé (Foto: Pininfarina)

Charakteristisch für die ab den 60ern entwickelte „Pininfarina-Linie“ ist auch die Lichtkante auf etwa halber Höhe der Flanke, die den Wagen im Vergleich zum Serienauto optisch streckt. Ohne Hüftschwung, mit dem fast schwebenden Dach und dem fließenden Heck ein zeitloser Wurf, der meiner Meinung nach zu Unrecht als unscheinbar kritisiert wird, wo doch auch der allseits beliebte Ferrari 250 GT Lusso ganz ähnliche Züge – insbesondere bei Dach und Heck – aufweist. Gerade diese ruhige, schnörkellose Form ist eine herausragende Eigenschaft des Einzelstücks, das übrigens später Axel Springer sein Eigen nennen konnte. Auch dieser Entwurf gab einen Ausblick auf spätere Entwürfe für Großserien aus dem Hause Pininfarina, wie zum Beispiel Peugeots 504 Coupé in den Bereichen Dach und Seitenlinie.

3. Der Sechsdrei im Maßanzug:

Der letzte Solitär in der Reihe stellt bislang das Pininfarina 300 SEL 6,3 Coupé von 1970 (Pariser Autosalon) dar. Die Redaktion von auto motor und sport verstieg sich in einem zeitgenössischen Bildtext sinngemäß zu den Worten „zum Glück nur ein Einzelstück“, offensichtlich waren die Herren mit dem damaligen Mercedes-Vorstand einer Meinung, die sogar verhindern wollten, dass Pininfarina Autos auf Mercedes-Basis entwirft und baut.

Schlichte, puristische Linien für einen Mercedes der Sonderklasse (Werksfoto Pininfarina)

Tatsächlich ist dieser Entwurf für einen privaten Auftraggeber betont spartanisch und hat nur noch auf den ersten Blick Gemeinsamkeiten mit dem Design der 60er, insbesondere wegen der aufrechten Positionierung der Scheinwerfer und der kantig herausgearbeiteten Kotflügel à la Mercedes /8. Damit erschöpft sich aber auch schon der Bezug auf die „traditionellen Werte“, aber das war offensichtlich damals bereits ein Affront. Doch die weitere Design-Entwicklung, auch bei Mercedes-Benz (mit der dort üblichen und gebotenen zeitlichen erzögerung) gab schlussendlich Pininfarinas Weitblick in die 70er und 80er Recht.

Insbesondere bei der Gestaltung der Stoßfänger betritt Pininfarina 1970 Neuland: es wurden nicht mehr die traditionellen Chromstangen auf die Karosserie appliziert, sondern es gibt vom restlichen Karosseriekörper auch farblich abgesetzte Stoßfänger. Aufmerksame Leser ahnen meinen Gedanken schon voraus: Dieses stilistische und auch sicherheitsrelevante Detail taucht erstmals 1979 bei der S-Klasse W 126 auf und zieht sich anschließend vom 190 E über den W 124 bis in die „Neuzeit“. Der damalige Mercedes-Chefdesigner Bruno Sacco hat schlussendlich dieses Leitmotiv bei Mercedes eingeführt. In der Entwicklungsphase wurde übrigens besagter W 126 im Windkanal von Pininfarina getestet.

Zurück aber zum Einzelstück von 1970 mit dem 6,3 Liter-Motor: Neben dem Design-Thema Stoßfänger, vermeine ich auch weitere Details dieses Entwurfs in anderen Autos wieder erkannt zu haben. Insbesondere fällt mir da das 6er Coupé von BMW ein, bzw. dessen Lichtkante an der oberen Flanke und der Dachaufbau ähnlich sind, Fiat 130 Limousine und Coupé, sowie natürlich insgesamt der Rolls Royce Camargue (ebenfalls ungeliebt wie der Mercedes), schlußendlich Kofferdeckel ähnlich Lancia Gamma Coupé.

Pininfarinas Ideen wurden – so stellt es zumindest Sergio Pininfarina kürzlich in Motor Klassik dar – regelmäßig von verschiedenen Herstellern „aufgegriffen“. So auch von Mercedes-Benz, wobei im Unterschied zu den meisten anderen Herstellern auch dafür bezahlt wurde. So sei es zum Beispiel auch bei einem für Mercedes-Benz besonders wichtigen Designelement – den geriffelten Heckleuchten – gewesen. Dieses Designelement kann als „Leitmotiv“ des MB-Designs ab den 70er Jahren bezeichnet werden, das bei der SL-Baureihe W 107 im Jahr 1971 präsentiert wurde und seither das Heck aller Mercedes-Benz-PKW´s in mehr oder weniger abgewandelter Form charakterisiert. Man könnte fast die Wiederholung der Grafik der typischen Mercedes-Kühlermaske in das Design der Heckleuchten hinein interpretieren, doch ist das vielleicht ein bisschen zu weit hergeholt.

Pininfarina zeigte 1967 erstmals ganz ähnliche Rückleuchten bei der Studie BMC 1800 (British Motor Company, später British Leyland, Rover Group etc…) Pininfarina zeigte übrigens bei diesem „serienfertigen“ Prototypen BMC 1800 auch Lamellen in den seitlichen Fenstern, die später dem SLC (1971-1981) die einzigartige Seitenansicht verliehen.

Dr. Ernst vom DaimlerChrysler Archiv hält zum Thema Pininfarina und Mercedes-Benz fest: „Beim Verhältnis von Mercedes-Benz zu Sergio Pininfarina handelt es sich um eine kollegiale und freundschaftliche Beziehung, die aber nicht auf gegenseitige Beeinflussungen in Sachen Design schließen lässt. […] Karl Wilfert stand in einem kollegialen Austausch mit Sergio Pininfarina. Es gab gegenseitige Besuche der Designabteilungen, die aber in der Automobilindustrie durchaus üblich sind […]

  • Die von Karl Wilfert im C 107 eingebrachte Jalousie mag von Pininfarina inspiriert gewesen sein, stellt aber ein für das Fahrzeug ebenso sinnfälliges wie markantes Designmerkmal dar.
  • Die gerippte Heckleuchte war ein originäres Mercedes-Benz Design und wurde mit dem Augenmerk auf die Sicherheit entwickelt. […] Ob aufgrund patentrechtlicher Ansprüche für die Jalousie und/oder die gerippte Heckleuchte womöglich Zahlungen geleistet wurden, wäre unsererseits noch zu recherchieren, doch wenn Pininfarina sich daran erinnert, gehen wir davon aus, dass es so gewesen ist.“

Die gerippten Heckleuchten erstmals beim SL W 107, Lamellen/Jalousien beim SLC

Die endgültige Klärung dieser Frage können wir daher getrost den Historikern überlassen; Psychologen haben jedenfalls als Erklärung für Erfindungen der Menschheit, die an verschiedenen Orten unabhängig voneinander, aber dafür fast zeitgleich passieren, den Fachausdruck „morphogenetische Wolke“ parat… Wichtig ist allerdings die Erkenntnis, dass es sich doch offensichtlich immer lohnt über den eigenen Tellerrand hinauszusehen um frische Entwicklungen zu erkennen und festzumachen, auch wenn es manchmal gar nicht goutiert wird…

Abschließend möchte ich einerseits dem Ufficio Storico e Documentazione, Pininfarina S.p.A. dem DaimlerChrysler Archiv, sowie dem Archiv Buchta für die freundliche Unterstützung danken und andererseits dem Wunsch nach einem Wiederaufleben der Pininfarina-Studien auf Basis von Mercedes-Benz-Fahrzeugen Ausdruck verleihen. Der CLS würde sich da beispielsweise anbieten… In diesem Sinne „Alles Gute zum Geburtstag“; wir freuen uns auf viele weitere Jahre frisches Design von Pininfarina!

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