Ruhestand vorbei – H-Kennzeichen dran!

1962 stellt der ADAC Südbayern e.V. einen 11,85 Meter langen Sattelauflieger mit Mercedes-Benz Zugmaschine als rollende Geschäftsstelle in Dienst. Der „gelbe Riese“ rollt fast zehn Jahre durch die südbayrischen Gaue. Dann wird er an eine Bettenreinigungsfirma verkauft. Jetzt erstrahlt der historische Betreuungswagen frisch restauriert in neuem Glanz. Die ADAC-Autoren Theo Gerstl und Egbert Schwartz haben seine Geschichte zurück- und die Restaurierung mitverfolgt.

Erster Einsatz bei den Six Days 1962 

Dauerregen in Garmisch-Partenkirchen: Ideale Bedingungen für die 286 Starter der 37. Internationalen 6-Tage-Fahrt vom 17. bis 22. September 1962, einem Lauf zur „Enduro-Weltmeisterschaft für Nationalmannschaften“.

Mittendrin im Geschehen: ein gelber Sattelzug, auf dessen Dach in großen Lettern „SPORTDIENST“ sowie die Buchstaben-Kombination „ADAC“ prangt. Erst wenige Tage zuvor hat der ADAC Gau Südbayern diesen „Informations- und Betreuungswagen“ in Dienst gestellt. Die „Six Days“ in der Marktgemeinde sind der erste Einsatz des brandneuen Fahrzeugs, dessen Aufgabe es in den nächsten Jahren sein wird, die mit rund 700.000 Mitgliedern bereits damals größte „Kraftfahrer-Organisation“ des europäischen Kontinents auf Großveranstaltungen zu repräsentieren und die Service-Leistungen des Automobilclubs auch den Mitgliedern außerhalb der Ballungsräume nahezubringen.

Hersteller des aus komplett aus Leichtmetall gefertigen Aufliegers waren die „Staufen Fahrzeugwerke Eislingen“, die auch das Fahrerhaus der Daimler Benz-Sattelschlepp-Zugmaschine Typ LPS 328/36 bauten. Der vom Regensburger Diplom-Ingenieur Branekar konzipierte Innenraum des zwölf Meter langen und 250 cm breiten Aufliegers ist in verschiedene Funktionsbereiche unterteilt: vorne ein „Conferenz- und Sitzungsraum“, hinten ein „Büroraum“, dazwischen eine kleine Küche sowie ein „Kunden- bzw. Schalterraum“ mit Theke. Eine einhängbare Markise erweitert diesen Raum nach außen.

Der Einsatz als rollende ADAC-Geschäftsstelle erfordert modernste Kommunikationssysteme: „Fernsprechapparate“ von „Standard Elektrik Lorenz“ (SEL) oder „Reflextrichter-Lautsprecher“ auf dem Dach. Gespeist werden sie wahlweise über ein Tonbandgerät (Philips RK 50), einen Plattenspieler (Philips PC / PT 50) oder per Mikrofon. Die Stromversorgung erfolgt über ein 220-Volt-Bordnetz mit Außensteckdose bzw. ein Wechselstromaggregat von SEL. Fünf intern montierte Autobatterien übernehmen die Notstromversorgung.

Daimler-Benz LPS mit Staufen-Frontlenker-Fahrerhaus

Basis der Zugmaschine ist ein Chassis des Daimler-Benz Typs LPS 328/36, auf das die Staufen Fahrzeugwerke Eislingen ein verlängertes „Frontlenker-Fahrerhaus in Fernverkehrsausführung“ montiert haben: Eine zweitürige Doppelkabine mit erhöhtem Dach und zwei Einzelsitzen vorne sowie einer zusätzlichen Rücksitzbank. Unter der Haube arbeitet ein 5,1 Liter-Sechszylinder-Diesel mit 110 PS sowie einem Drehmoment von 30,5 mkg (ca. 300 Nm). Damit erreicht der Sattelzug etwas über 75 km/h.

Zehn Jahre wird der Betreuungswagen im Dienst des Automobilclubs unterwegs sein:„Wo immer sich große Menschenansammlungen ergeben, an den Brennpunkten des Geschehens, bei Messen, Ausstellungen, Sportveranstaltungen…“ beschreiben zeitgenössische Unterlagen sein Einsatzspektrum. Vorrangig tingelt der Sattelzug als „mobile ADAC-Geschäftsstelle“ durch den Gau Südbayern, um die Mitglieder „gewissermaßen vor der Haustüre“ zu betreuen. So tourt er 1968 an 63 Tagen durch 40 Orte. Hier sorgen Seh- und Reaktionstest für Publikumsinteresse und mediale Berichterstattung.

Dienstende und ein neuer Anfang

Das Arbeitsleben als ADAC-Informations- und Betreuungswagen geht im Jahr 1971 zu Ende – mit dem Verkauf an die Firma Betten-Ruf, Moosburg, wo er bis 2001 seinen Zweck erfüllt. Dann wird er vom TÜV in Rente geschickt. Im November 2009 geht der ehemalige Betreuungswagen wieder in den Besitz des ADAC Südbayern zurück, im Februar 2010 beginnen die umfangreichen Restaurierungsarbeiten bei der Firma Erich Appinger in Haunersdorf.

Für die Organisation und regelmäßig Begutachtung sowie Kostenanalyse dieser Arbeiten wird ein Experten-Team zusammengestellt, dem unter anderem auch Konrad Auwärter angehört: Der ehemalige Chef des gleichnamigen Bus-Herstellers Neoplan gilt als Autorität in der Oldtimer-Bus-Szene und verfügt über Kontakte zu den besten Handwerkern für den kompletten Wiederaufbau.

Die Zugmaschine, ein Daimler-Benz LPS 328, befindet sich in beklagenswertem Zustand und muss bis auf das Chassis seziert, sein Reihen-Sechszylinder komplett revidiert werden. Als größte Herausforderung aber wird sich in den folgenden Monaten die Rekonstruktion des Auflieger-Innenraums erweisen: Niemand hat offenbar zu dessen „Lebzeiten“ ein Foto der Einrichtung geschossen. Eine Grundriss-Zeichnung? Ebenfalls Fehlanzeige! Also greift Plan B, die Einrichtung zwar zeitgenössisch im 60er Jahre-Stil, aber zweckorientiert und funktional zu gestalten. Wozu unter anderem auch eine Klimaanlage und ein Multimedia-Terminal gehören sollen.

Bereits im Juni 2010 liegt der Motor wieder überholt und einbaufertig in der Werkhalle in Haunersdorf. Chassis und Fahrerhaus des Zugfahrzeugs aber bedürfen weit mehr Restaurierungsarbeit als angenommen: Tiefgehende Durchrostungen und ein verbastelter Dachschaden bringen den Zeitplan ins Wanken. Im Auflieger geht nach der Entdeckung und Beseitigung eines Wespennestes alles seinen geplanten Gang: Das Holzgerippe ist weitestgehend in Ordnung, nur das Dach zeigt sich leicht verwittert und am rechten Radkasten hat man einen alten Unfallschaden entdeckt. Aber: Alles machbar. Man bestellt neue Kunststoffverglasungen und lässt die Echtglasfenster wieder aufbereiten.

Im November 2010 gibt der eingebaute Motor das erste (Wieder-)Lebenszeichen von sich. Jetzt könnte man schon fahren. Noch aber fehlt die Inneneinrichtung, sowohl im Fahrerhaus, als auch für den komplett zerlegten Auflieger, bei dem drei Schichten alter Lackierungen in Handarbeit abgeschabt werden müssen. Über den Winter werden alle Karosseriekomponenten lackiert. Im Mai 2011 kann endlich die „Hochzeit“ gefeiert werden: Die Montage der Fahrerkabine auf das Fahrgestell. Und beim Auflieger beginnt man mit der technischen Aufrüstung. In den Sommermonaten ist dann viel Detailarbeit angesagt, bevor im Herbst die TÜV-Abnahme erfolgt und sukzessive die Einrichtung des Aufliegers installiert wird.

Im März 2012 ist es dann schließlich soweit: Nach dem Premieren-Rollout in Haunersdorf wird der in voller Blüte wiedererstandene ADAC-Betreuungswagen erstmals auf der Messe Retro Classics in Stuttgart präsentiert. Im Mai steht er bei der ADAC Hauptversammlung vor dem Eingang der neuen Zentrale in der Hansastraße 19 und im Juni im Fahrerlager der Bavaria Historic in Maxlrain. The show must go on!

QUELLE: ADAC