Beginnend im Jahr 1959 bis zum Jahr 1964 hat Mercedes-Benz alle neuen Pkw-Modelle serienmäßig oder auf Wunsch mit einer Servolenkanlage ausgerüstet. Das war auch sehr sinnvoll, denn neue Modelle wurden damals immer schwerer und die Lenkungen konnte man nicht endlos ins „Lange“ übersetzen. Verständlich, dass in letzter Zeit immer mehr Fahrer von Oldtimern darüber nachdenken, einen solche Lenkhilfe nachträglich in ihr Fahrzeug installieren zu lassen.
Wer schon mal hinter dem Lenkrad eines schweren Vorkriegswagens, z.B. eines Nürburg 500, gesessen hat, weiß, dass im Stand gar nichts geht, während langsamer Fahrt, etwa beim Abbiegen nach einem Ampelstopp, schon ziemlich Armschmalz nötig ist, um das Fahrzeug elegant dorthin zu bugsieren, wo man es hin haben möchte. Steigt man womöglich von einer aktuellen S-Klasse auf den Nürburg um, ist das ein Unterschied, wie er deutlicher nicht sein könnte. Doch genau das macht ja schließlich den Reiz eines Oldtimers aus.
Auf dem einschlägigen Markt werden nun für alle möglichen Oldtimer Nachrüstservolenkungen angeboten. Dabei versäumt man es offenbar, diese Lenkanlage an den spezifischen Einbaufall zu adaptieren. Es wird einfach ein elektrisches Aggregat dem originalen überlagert. Dieses stammt hauptsächlich aus heutigen Kleinwagen, denn es darf ja schließlich nicht viel kosten. Dazu wird die originale Lenkung auch insofern verändert, als die überlagerte elektrische Lenkung ja auch einen Eingriff benötigt, sprich, eine Verzahnung. Damit schwächt man schon mal das Original in jedem Falle.
Abgesehen davon, dass es für solche Nachrüstlösungen weder Prüfzertifikate gibt und dass nicht klar ist, wie von einer Kleinwagenlenkung die hier auftretenden Kräfte „verdaut“ werden, trägt jeder TÜV- oder DEKRA-Sachverständige die Verantwortung für den Eintrag solcher Umbauten schlichtweg auf seinem eigenen Rücken. Außerdem ist die sowieso schon nicht gerade prickelnde Elektrikausrüstung bei schweren alten Wagen wohl nicht dazu prädestiniert, auch noch die viel Leistung aufnehmende Servolenkung zu „ertragen“. Also braucht es mindestens eine entsprechend stärkere Batterie. Diese wiederum braucht dann eventuell einen anderen Lichtmaschinenregler usw.
Außerdem sind bei vielen Vorkriegsfahrzeugen die Lichtmaschinen noch als Gleichstrom-Lichtmaschinen ausgelegt, was für weitere Schwierigkeiten sorgen dürfte. Auch sind zusätzliche Sicherungen vorzusehen. Wie sieht es dann eigentlich mit der Lenkrückstellung aus?
Als Prüfungsvorgaben steht in der StVZO die Richtlinie für Lenkanlagen aus dem §38 parat. Dort sind bei Ausfall der Servolenkung die dann aufzuwendenden Lenkkräfte auf einen bestimmten Wert limitiert. Dieses Limit können Vorkriegswagen gar nicht erst einhalten. Diese Argumentation scheint auf den ersten Blick den Befürwortern der Nachrüstlösung in die Hände zu spielen, hätte aber zur unvermeidlichen Konsequenz, dass der Gesetzgeber (eigentlich Verordnungsgeber) eine generelle Nachrüstpflicht in die StVZO aufnehmen müßte mit den Bedingungen aus der besagten Richtlinie. Konsequenz daraus wiederum: Stilllegung aller Fahrzeuge, die diese Lenkkräfte nicht einhalten können. Und das wollen wir ja alle sicher nicht!
Doch das Schwierigste ist der Mensch selbst. Wir sind alle Gewohnheitstiere und passen uns nur zu gern angenehmeren Bedingungen an. Haben wir uns schon an die Servolenkung gewöhnt, wollen wir sie auch nicht mehr missen. Fällt sie dann irgendwann mal aus (Gott bewahre!), dann können wir uns nicht mehr vorstellen, wie unfassbar schwer so eine alte Lenkung dann zu bewegen ist. Natürlich tendiert man mit einer Servolenkung zum eher rascheren Fahren, man weiß ja, dass das Fahrzeug jetzt viel „leichter beherrschbar“ ist.
Ein selbst erlebtes Beispiel soll dies verdeutlichen. Ich bin mal in den USA Monate mit einem 1970er Ford LTD unterwegs gewesen (Leergewicht über 2 Tonnen). An einem schönen Morgen fiel der Motor aus und damit auch die unverzichtbaren Servohilfen der Bremse und der Lenkung. Etwa 15 Meilen musste ich (immerhin bergab) ohne diese das Auto bewegen, bis ich endlich schweißgebadet eine Werkstatt erreichte, die mir die Kiste wieder flott machte. Das spricht nicht gerade für die Servolenkung, denn ohne eine solche würde ich mir ein so schweres Fahrzeug wohl nicht gekauft haben.
Für mich steht deshalb fest, dass eine nachzurüstende Servolenkung, zumindest für Vorkriegsfahrzeuge, nicht konform für das H-Kennzeichen sein kann (steht sinngemäß auch so im Anforderungskatalog). Treibt man das Spiel noch weiter, könnte man auch zwecks Erleichterung und Sicherheitsgedanken sowie Umweltschutzgefühlen heraus ja auch Folgendes gutheißen:
Mercedes 400 von 1924 mit vier innenbelüfteten Scheibenbremsen, natürlich mit Bremskraftverstärker, sowie elektrischer Servolenkung, einem Vierliter-V8-Motor aus den 90er-Jahren mit geregeltem Kat, Automatikgetriebe, Klimaanlage und Runflat-Reifen…
Hat das noch irgendwas mit einem Oldtimer zu tun?
Montieren wir an einem Schrank aus dem 14. Jahrhundert ein BKS-Schloss, damit wir unsere wertvolle Briefmarkensammlung darin aufbewahren können?
So und jetzt wünsche ich uns allen eine fröhliche Diskussion über Pro und Contra zu diesem Thema, das ich bewusst sehr polarisierend dargestellt habe.