Auf dickem Eis mit Bosch ABS

von Dietrich Kuhlgatz / Bosch Presse

Die Pionierzeiten der Wintererprobung in Arjeplog, Nordschweden.

Innovationen sind eine gute Sache, wenn sie nützlich sind und Verbesserungen bringen. Aber funktionieren sie auch unter allen Bedingungen? Das ist schon seit langem eine entscheidende Frage bei der Entwicklung von Technik fürs Auto bei Bosch. Schließlich müssen zum Beispiel elektronische Steuerungen im Auto bei 40 Grad Minus im Winter am Polarkreis genauso funktionieren wie bei 100 Grad Plus, die nahe am Motorblock schon mal erreicht werden können.

Härtetest bei Eis und Schnee

Der nordschwedische Ort Arjeplog im Luftbild, 1985. Auf dem zum Ort gehörenden zugefrorenen See, der von schwedischen Spezialisten präpariert wurde, testete Bosch ab Mitte der 1970er Jahre Kraftfahrzeugtechnik unter strengen polaren Winterbedingungen.
Der nordschwedische Ort Arjeplog im Luftbild, 1985. Auf dem zum Ort gehörenden zugefrorenen See, der von schwedischen Spezialisten präpariert wurde, testete Bosch ab Mitte der 1970er Jahre Kraftfahrzeugtechnik unter strengen polaren Winterbedingungen.

Doch was nützen alle gewonnenen Laborergebnisse, wenn die Technik in der Praxis versagt?

Dazu brauchen die Entwickler neuer Technik Platz zum Testen – und für das kalte Extrem den harten winterlichen Frost. Zunächst erprobten Bosch-Entwickler Kraftfahrzeugtechnik in den winterlichen Alpen, wenige Autostunden von der Bosch-Zentrale nahe Stuttgart entfernt. Dazu gehörten neben der Prüfung der Technik auf Kälte im generellen ganz besonders auch die Tests mit dem Antiblockiersystems ABS, das bei Bosch seit 1969 entwickelt wurde. Aber das führte zu Schwierigkeiten: Man konnte keine Pisten für spezielle Erprobungen präparieren, etwa trockenen Belag für die linken, und vereisten Belag für die rechten Räder. Es waren öffentliche Straßen, und die galt es, nicht zu einer lebensgefährlichen Strecke für Fahrer zu machen, die weniger routiniert als die Bosch-Tester waren, und vor allem nicht wussten, was da an einem Streckenabschnitt auf sie zukommen würde.

Die Bosch-Teststrecke auf dem Eis nahe Arjeplog aus im Luftbild, 1977.
Die Bosch-Teststrecke auf dem Eis nahe Arjeplog aus im Luftbild, 1977.

Die Lösung für Bosch war in den frühen 1970er Jahren gefunden: Ein zugefrorener See nahe dem nordschwedischen Arjeplog, einer Gemeinde mit gut 3 000 Einwohnern auf einer Fläche, die größer ist als New York City. Es gab ein kleines Hotel mit 20 Zimmern als Basisstation, findige „Icemaker“ und ebenso improvisationsfähige Ingenieure, die sich auf immer wieder wechselnde Bedingungen einstellen konnten. Jetzt war Platz für ziellos rutschende Testwagen auf zugefrorener Seeoberfläche, bei denen das ABS abgeschaltet war, und keine Felsen oder Abhänge bargen Gefahren. Die Expertencrews konnten somit auch ausführliche Vergleichstests mit ein- und ausgeschaltetem ABS machen, auch bei neuen oder noch nicht in Serie gefertigten Automodellen, den gut getarnten „Erlkönigen“. Und sie konnten ohne größere Risiken verschiedene Parametereinstellungen des Systems erproben. Im schlimmsten Fall zogen Kollegen einen Havaristen mit anderen Fahrzeugen aus einer Schneewehe. Man musste nur darauf achten, dass sich keine zwei Fahrzeuge in die Quere kamen.

Zeitreise nach 1977: Bosch Ingenieure testen das Antiblockiersystem ABS in Nordschweden

Improvisation zählt

Die „Icemakers“ Pelle Andersson (li.) und David Sundström (re.) präparieren eine Stelle der Landstraße N95 nahe Arjeplog für eine ABS-Erprobung mit rechten Rädern auf Eis und linken Rädern auf trockenem Untergrund, um 1975.
Die „Icemakers“ Pelle Andersson (li.) und David Sundström (re.) präparieren eine Stelle der Landstraße N95 nahe Arjeplog für eine ABS-Erprobung mit rechten Rädern auf Eis und linken Rädern auf trockenem Untergrund, um 1975.

Wolf-Dieter Jonner, der zusammen mit Heinz Leiber und Jürgen Gerstenmeier einer der „Väter“ des Antiblockiersystems ABS von Bosch ist, kann davon eindrucksvoll berichten: „Bei den ersten Testfahrten änderten wir die ABS-Parameter noch mit dem Lötkolben und noch nicht mit dem Laptop“. Diese Arbeit war und ist auch heute noch etwas Besonderes, wie die beiden pensionierten Bosch-Ingenieure Erich Bittner und Jürgen Zechmann erzählen, die schon Mitte der 1970er Jahren in Arjeplog Fahrzeuge testeten, um den Blockierschutz serienfähig und alltagstauglich zu machen.

Lange Winter auf dem Eis

Auch Bosch-Technik für Omnibusse und Lastwagen musste sich seit den 1970er Jahren den Tests im nordischen Winter aussetzen. Beide Fahrzeuge waren zur Erprobung mit dem Antiblockiersystem ABS ausgerüstet. Foto von 1985.
Auch Bosch-Technik für Omnibusse und Lastwagen musste sich seit den 1970er Jahren den Tests im nordischen Winter aussetzen. Beide Fahrzeuge waren zur Erprobung mit dem Antiblockiersystem ABS ausgerüstet. Foto von 1985.

„Wir wussten nie, wann wir wieder nach Hause kommen würden“, sagt Bittner, „eine meiner längsten Touren waren sechs Wochen am Stück. Wir dachten immer wieder, wir sind kurz vor dem Durchbruch, noch mal eine Woche dranhängen, noch mal und noch mal – dann waren es sechs Wochen, und wir waren kurz vor dem Zusammenbruch.“

Und Zechmann ergänzt: „Selbst abends beim Essen haben wir weiterdiskutiert. Lasst uns das doch ausprobieren, hieß es. Dann sind wir ins Labor gegangen, um es auszuprobieren. Manchmal haben wir noch morgens um zwei auf dem See getestet – und morgens um sieben standen wir wieder auf dem Eis.“

Seit 2004 hat Bosch ein eigenes Testzentrum ganz in der Nähe, auf der Halbinsel Vaitoudden, mit einer Grundfläche von rund 420 Hektar. Hier erproben in der Winterzeit bis zu 500 Testfahrer vor allem moderne Bremsregelsysteme unter extremen Bedingungen – auf den Strecken auf den Seen muss die Eisschicht mindestens 30 Zentimeter dick sein.