Aus der Clubzeitung: 540 K Innenlenker – Geschlossene Gesellschaft

von Jörg Enger 
mit freundlicher Unterstützung von www.AxelSchuette.de
aus der MVC Depesche 01/2009

Der Typ 540 K stellt eines der luxuriösesten Automobile der späten Dreißiger Jahre dar. Er ist die Krone der Schöpfung wenn es um Eleganz und Leistung im Hause Daimler-Benz geht. Nur noch übertroffen vom 770 K, dem man alles nachsagen kann, nur keine sportliche Note, ist der Innenlenker vom Typ 540 K der Boulevard-Kreuzer der Mercedes-Familie. Zwar ist er nicht ganz so teuer wie ein Spezial-Roadster, aber genauso
selten. . .

Es brodelte bereits in Europa. Hitler war schon einige Zeit an der Macht in Deutschland und nur wenige hatten erkannt, dass alle größeren Projekte mehr der Kriegsvorbereitung dienten, denn zum Wohle der Menschen. Doch noch war nichts wirklich kritisches passiert. Nur wirklich wache politische Geister betrachteten den technisch überragenden Erfolg der deutschen Rennwagen als eine forcierte Propaganda-Maßnahme des neuen Regimes. Die meisten deuteten dies als erfolg des Schöpfer- und Entwicklungsgeistes im Deutschen Reich. Und Benjamin P. Middleton Jr., seines Zeichens Präsident der „Time Recording Instruments Company“ USA, sah offensichtlich überhaupt nichts verwerfliches darin, ein Spitzenprodukt der Automobilindustrie des Landes zu erwerben, mit dem bald die Welt im argen liegen sollte. Warum auch? Erstens unterstütze er damit nicht vorsätzlich die politischen Machthaber und zweitens, war selber in einer technischen Industrie tätig und daher an allem
fortschrittlichen interessiert. Kompressorfahrzeuge waren dabei nicht nur in Deutschland, sondern auch in England und in den USA wurde mit Gemischladern gearbeitet. Die noch höhere Verarbeitungsqualität
begeisterte den Ingenieur und Geschäftsmann aus New Jersey. In einer Rekordgeschwindigkeit scheinen damals die Fahrzeuge nicht produziert worden zu sein. Schließlich war die Bestellung bei Mitropa Motors Inc. in New York, dem damaligen Hauptimporteur von Mercedes-Benz in den USA schon über ein Jahr alt. Im Dezember 1935
bestellte Mister Middleton Jr. den „Twodor Sedan“ noch als 500 K.

Zwischenzeitlich wurde aber die Produktion umgestellt und als Mitte Januar 1937 der Wagen ausgeliefert wurde, war er bereits zum 540 K „mutiert“. Wer aber bis in die 1980er Jahre ein Auto bestellte war von längeren
Lieferzeiten selten überrascht. Zweifarbig rot war das Fahrzeug als die Limousine am 19.01.1937 unter der Leitung
des Hamburger Unternehmers Alfred Toepfer aufs Schiff Richtung USA verbracht wurde. Zur Innenausstattung gab es leider keine Angaben. Einige Jahre bewegte Mister Middelton Jr. seinen schönen Wagen fast im direkten
Umfeld des Flugplatzes Lakehurst, auf dem es in diesem Jahr zu einer Katastrophe kommen sollte. In seiner Heimat in New Jersey nahm er den Wagen alltäglich und erst mit Ausbruch des Krieges verschwand der Wagen von der Straße. Von hier an liegt die Geschichte dieses Fahrzeugs im Dunkeln.

Die ersten jüngeren gesicherten Erkenntnisse bringt Jan Melin, der dieses Fahrzeug bereits 1965 ordentlich restauriert immer noch in New Jersey ablichtete und dies auch in seinem Buch „The Supercharged 8-Cylinder
Cars of the 1930s“ belegt. Während einer Auktion im amerikanischen Moterey wurde der Wagen an einen
Deutschen verkauft und damit kam der rare Innenlenker Mitte der 1990er erstmals wieder in die Heimat zurück. Die Freude war hier allerdings nur von kurzer Dauer. Bei der zweiten größeren Probefahrt „verabschiedete“ sich
der Motor mit fürchterlicher Geräuschkulisse. Bei einem damals bekannten Restaurator für Kompressorfahrzeuge wurde der Motor zerlegt und begutachtet. Mit trockenem niedersächsischen Humor wurde zunächst die schlechte Nachricht übermittelt: Kolbenfresser. Die gute war, der Motor war noch nie überholt worden und damit konnte man auf die erste Reparaturstufe zurückgreifen. In der Rekordzeit von nur rund zwei Monaten wurde das Triebwerk wieder (und dann in allen Teilen) überholt. Schließlich hatte sich dieser Spezialist seit geraumer Zeit auf die Überholung von Hochleistungsmotoren, und dazu muss man den 540 K Motor zählen auch wenn er aus über fünf Litern Hubraum „nur mickrige“ 180 PS mit Hilfe des Kompressors herausholt, spezialisiert. Ein Volltreffer für den Besitzer. Nicht nur daß alles in vorgesehener Zeit und ohne Probleme zu Stande kam, sondern auch der Preis für die komplette Bearbeitung hielt sich in, für Kompressor-Fahrer, milden Grenzen. Gleichwohl hätten andere für einen solchen DM-Betrag damals eine sehr schöne 170 S Limousine gekauft. Und wie gut diese Motorüberholung war konnten wir feststellen. Anspringen und auch volle Leistungsausbeute war kein Problem mehr und die leicht schwärzliche Rauchfahne war nach einer Minute und zurücksetzen des Chokes sofort vergessen. Heute macht der Innenlenker nicht nur im Stand, sondern auch bei etwas zackigeren Fahrweise eine gute Figur. Mit regelmäßiger Bewegung und etwas Pflege stehen den nächsten 70 Jahren Fahrvergnügen nichts mehr im Wege.

Entwicklungen

Als im Jahre 1933 der Typ 380 auf der IAMA in Berlin vorgestellt wurde, war indes noch nicht abzusehen, dass er, trotz seines Leistungsgewichtes, nur ausreichend motorisiert. Die Karosserievarianten waren mit aus der ersten Serie, die Hermann Ahrens, als DB-Neuzugang des Jahres 1932, entwarf. Die Ingenieure waren aber auch selbst mit dem Potential des W22 nicht zufrieden. Das neue Genre der exklusiven Luxusreisewagen mit leichter sportlicher Note war jedoch geboren und andere Hersteller sprangen auf diesen Zug mit auf. Die Sportlichkeit,
wenn man beim 380 überhaupt davon sprechen darf, wurde auch nicht durch die neuartigen und nie gekannten Fahreigenschaften dieses Luxusautomobils gerettet. Verarbeitung und Styling waren jedoch in erster Klasse ausgeführt. Also war es fast ausschließlich das Triebwerk, welches Grund zur Nachbesserung gab. Bereits im Folgejahr, im Februar 1934, wurde beim gleichen Anlaß ein noch stärkerer und verbesserter Kompressorwagen vorgestellt. Der 500 K (W 29) hatte erstmals das „K“ offiziell in seiner Typenbezeichnung zur Kennzeichnung, dass es sich hier um ein Fahrzeug mit Kompressoraufladung handelt. Wahrscheinlich geschah dies, um Verwechslungen mit dem Typ Nürburg (dessen Motor ebenfalls fünf Liter besaß und der als Verkaufsbezeichnung
seither 500 N hieß) zu vermeiden. Bislang bezeichnete das „K“ immer einen verkürzten Radstand. Dieser Typ 500 K wurde aber ebenfalls mit normalem (langen) oder kurzem Radstand gebaut, der jetzt auch ausführlich beschrieben bestellt werden musste. Verwirrung wird aber bei dem Folgemodell nicht durch die Verkaufsbezeichnung „540 K“, sondern durch die gleiche werksinterne Kennzeichnung W29 gestiftet. Zwar
waren die Veränderungen, bis auf den Motor, der um 400 Kubikzentimeter aufgebohrt war, sehr moderat gehalten. Dem Kenner fallen jedoch sofort die diversen Kleinigkeiten ins Auge. Offensichtliches Merkmal: An den
Seitenteilen der Motorhaube finden sich nicht wie bei fast allen anderen Autos dieser Zeit die üblichen Lufteinlaßschlitze (Louvers) in vertikaler Form, sondern deutlich sichtbare horizontale Luftöffnungen mit üppigem Chrombesatz. Da es aber nicht ganz billig war, ein solches Fahrzeug zu erwerben wurde hier auch auf fast jeden Wunsch des betuchten Kunden eingegangen und so sind andere Varianten durchaus möglich.

Die Formentwürfe lagen bei Hermann Ahrens in der Abteilung Sonderwagenbau im Werk Sindelfingen, das sich seit 1930 zum Markenbegriff im Karosseriebau gemausert hatte. Durch die Kombination von verschiedenen
Teilentwürfen geriet fast jedes Auto anders. Vom „normalen“ 540 K zu reden scheint, angesichts der  Verkaufszahlen für „Normal-Roadster“ (4 Stück) und „Spezial-Roadster“ ( 25 Stück), bereits als absurd. Und obwohl immerhin 33 Fahrzeuge mit der Karosserievariante Innenlenker verkauft wurden, kann man von einer regelrechten Serienproduktion nicht sprechen. Es gab den Innenlenker mit zwei und vier Türen und wahlweise
mit fehlender B-Säule im Fensterbereich. Immerhin drei verschiedene Fahrgestellvarianten standen dazu noch zur Auswahl. Das normale Chassis hatte dabei einen Radstand von 3290 mm und den Kühler in Längsrichtung mittig über der Vorderachse montiert.

Bei gleichem Radstand gab es aber auch den zurückversetzten Motor, bei dem der Kühler mit seiner Vorderkante die Vorderachse nur leicht abdeckte. Und schließlich das verkürzte Fahrgestell welches, nur in wenigen  Exemplaren gebaut, die Motor- Kühlereinheit genauso sitzen hatte wie die Normalversion, aber nur einen Radstand von 2980 mm aufwies. Allein auf der Tatsache, dass sich der Kunde sein Auto sozusagen im Baukastensystem zusammenstellen lassen konnte, beruhen die meisten Unterschiede dieser Fahrzeuge. Ob nun die Speichenräder lackiert oder verchromt waren, spielt eine gänzlich untergeordnete Rolle. Ob man nun ein oder zwei Reserveräder bestellte, flaches oder eckiges Heck, Türen vorn oder hinten angeschlagen haben wollte, nichts war im Sonderwagenbau unmöglich. Sogar Fahrzeuge die nicht einmal mehr durch ihren Kühler und das entsprechende Emblem darauf zu erkennen waren, wurden auf speziellen Wunsch gefertigt.

Daher gibt es immer wieder neue Unterschiede, die sich auch von Fachleuten nicht immer genau eingrenzen lassen. Eines ist jedoch sicher: Jeder dieser Wagen ist hervorragend ausgeführt und in all seinen Optionen nutzbar. Wenn etwas nicht so möglich war, wurde so lange geändert und getüftelt, bis es eine entsprechende Lösung gab. Sitzplätze, auf denen nur Kinder mit angewinkelten Beinen Sitzen könnten, gab es auch bei den ausgefallensten Kundenwünschen nicht. Eher wurde auf eine Option verzichtet, denn etwas ausgeführt,
was anschließend nicht nutzbar gewesen wäre. Auch bei der Gestaltung der Innenausstattungen konnte man zwischen glatten, „spargel-besetzten“, hufeisenförmigen oder modernen Sitzen wählen. Entsprechend dazu kamen die Tür- und Seitenverkleidungen.

Sehr gern wurde mit Farben gestaltet und sogar experimentiert. Anders farbige Käder (auch Käter, Köder oder Biesen) sowie zweifarbige Lackierung gaben jedem Wagen sein ureigenes Aussehen. Auch die Form der Kotflügel (geschweift, gestreckt, gekehlt mit Chromleiste, tief gezogen oder kurz), trug hierzu bei. Interessant ist, dass die Instrumententafel in der Mitte (anders als bei den offenen Varianten) nicht mit Perlmutt besetzt war. Außen gab es jedoch „echte“ Bretter aus feinsten Hölzern aber wahlweise meist in Leder bezogen. Handschuhfächer auf beiden Seiten bieten einen willkommenen Stauraum. Die Windschutzscheibe war immer ausstellbar. Türgriffe, sowohl innen als auch außen waren mit denen identisch, die bei allen anderen Wagen bis runter zum 170 V verbaut wurden. Allerdings gab es auf Sonderwunsch auch andere Außengriffe und Fensterkurbeln, die einen anderen Knopf und eine andere Rosette aufwiesen. Diese individuelle Einzigartigkeit macht im Grunde den
Reiz dieser Fahrzeuge aus und treibt die Fans zu immer neuen Entdeckungsreisen bei jedem einzelnen Wagen. Die handwerklich perfekte Ausführung ist Merkmal und der Reiz eines 540 K.<


Technische Daten zum Typ 540 K Innenlenker

Modell 540 K W 29
Produktionszeit 1936 – 1939
Motor Reihen – Achtzylinder M 24 II
Bohrung x Hub 88 mm x 111 mm
Zylinderinhalt 5401 ccm
Verdichtung 1 : 5,2 – 6,5
Leistung 115 PS, mit Kompressor 180 PS bei 3400 U/min
Ventile, Steuerung hängende Ventile, seitliche Nockenwelle, Antrieb durch Stirnräder
Schmierung Druckumlauf, 10 l Öl
Kühlung Pumpe, 26 Liter Wasser
Gemischaufbereitung ein Steigstrom-Doppelvergaser Mercedes-Benz
Elektrik, Zündung 12 V 60 Ah, Batteriezündung
Kupplung Einscheiben-Trockenkupplung
Getriebe bis 1938 4-Gang, 1939 5-Gang
Lenkung Schraubenspindel
Fußbremse Hydraulisch mit Saugluftunterstützung (Bosch-Dewandre) auf alle Räder, Trommel
Chassis Preßstahl-Kastenniederrahmen
Spur v/h; Radstand 1535/1547 mm; 3290 mm
Maße über alles L/B/H 5350mm/ 1930mm/ 1650mm
Gewicht / Zul. 1800 kg (Fahrgestell)/ ca. 2850 kg Gesamtgewicht
Bereifung 6,50 oder 7,00 oder 7,50 – 17 extra
Tankinhalt 110 Liter
Höchstgeschwindigkeit 170 km/h
Verbrauch pro 100 km 29 l; Öl 0,50 l (alte Angabe)
Stückzahl 419 davon 33 Innenlenker (nur 5 Viertürer)
Listenpreis 22.000,00 ReichsMark für den Innenlenker


Was 1937 noch geschah

Offener Kriegsausbruch in Ostasien zwischen dem angreifenden Japan und China. Die Japaner erobern rücksichtslos große Teile des Landes. General Tschiang Kaischek verlegt den Regierungssitz vom (durch Japan 1938 eroberten) Nanking nach Tschunking. Die Expeditions-Legion Condor zerstört im spanischen Bürgerkrieg die Stadt Guernica. In England wird als Frühwarnsystem entlang der Kanalküste eine Kette von 20 Radarstationen
gebaut. Italien tritt aus dem Völkerbund aus und dem zwischen Deutschland und Japan 1936 geschlossenen Antikominternpakt bei. Die von der britischen Regierung eingesetzte Palästina-Kommission (Peel-Kommission) schlägt eine Teilung Palästinas in Juden-, Araber- und Mandatsbereich vor. Der Vorschlag wird von den Betroffenen zurückgewiesen. Höhepunkt der politischen Säuberungswelle in der UdSSR. In England wird Neville
Chamberlain Ministerpräsident. In Paris findet die Weltausstellung statt. Für den spanischen Pavillon malt Picasso das Bild „Guernica“. Dem Farbkinofilm gelingt der Marktdurchbruch mit dem abendfüllenden Trickfilm „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ des bis dahin unbekannten Walt Disney. Die Xerographie wird erfunden. Das Ende der zivilen Zeppelinluftschiffahrt wird mit der Explosion der HINDENBURG am 6.5. im amerikanischen Lakehurst markiert. Unglaublicherweise können sich 62 der 97 Besatzungsmitglieder und Passagiere aus dem Flammenmeer retten. Das erste funktionierende Düsentriebwerk wird in England von Whittle gebaut. In Deutschland wird unter Leitung von Walter R. Dornberger mit der Konstruktion der V2 Rakete begonnen. Die Golden Gate Brücke über den Sund nördlich von San Francisco überbrückt in der frei hängenden Hauptöffnung 1.280 m. Baubeginn war der 5.2.1933. Pablo Picasso malt eine weinende Frau, Paul Klee die Revolution des Viadukts und Carl Hofer den Mann in den Ruinen. Mussolini kommt zu einem offiziellen Staatsbesuch nach Deutschland und wird mit großem Pomp empfangen. Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht tritt zurück (bleibt aber Präsident der Reichsbank), weil er die inflationäre Finanzierung des im Vorjahr beschlossenen Vierjahresplanes nicht mittragen will. Die Reichsbank wird der Reichsregierung direkt unterstellt. Die Rüstungsausgaben werden mit der Geldpresse und durch Regierungsbürgschaften abgesicherte Wechselbegehungen der Industrie im Ausland finanziert. Die Währungsreserven Deutschlands sind aufgebraucht. Was „Entartete Kunst“ ist, wird in einer in München beginnenden Wanderausstellung deutlich gemacht. Die Zeppelinhalle des  Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg wird eingeweiht.