Blitz und Donner
1909 war ein besonderes Jahr in der Geschichte von Benz & Cie.: Das Unternehmen baute einen Rekordwagen, der eines der faszinierendsten Fahrzeuge der Automobilgeschichte werden sollte. Der „Blitzen-Benz“ durchbricht, dank seines gewaltigen Motors mit 200 PS aus 21,5 Liter Hubraum, erstmals die damals magische 200-km/h-Marke. Damit ist er schneller als jedes Flugzeug und die Eisenbahn und setzt einen Rekord für Landfahrzeuge, der acht Jahre ungeschlagen bleiben wird. Von insgesamt sechs Wagen gibt es heute noch zwei: Mercedes-Benz besitzt den einen Blitzen-Benz, der andere ist in Händen eines Sammlers in den USA. Dort hat im Jahr 2004 ein anderer Enthusiast der Marke als Privatprojekt einen Nachbau fertig gestellt, der mehrere Originalteile hat und in enger Zusammenarbeit mit Mercedes-Benz Classic entstand. In Deutschland kümmert sich der MVC um die Fahrzeuge der Marke Benz & Cie.
Der Name Benz klingt fast wie ein Synonym zum Automobil: Schließlich war es Carl Benz, der am 29. Januar 1886 das Patent für seinen Motorwagen erhielt – die Geburtsurkunde des Autos. Gottlieb Daimlers Motorkutsche rollte nur wenige Wochen später das erste Mal. Bis zur Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert schwang sich Benz zum größten Autohersteller der Welt auf. Die Fahrzeuge aus dem Werk in Mannheim genossen einen vorzüglichen Ruf, sie galten als alltagstauglich und zuverlässig.
Das kann man noch lange nicht von jedem Fabrikat sagen, das zu jener Zeit die Straßen bevölkerte. Denn eine Vielzahl von Marken war entstanden. Und Benz musste feststellen, dass in dieser unübersichtlichen Landschaft ein klingender Name allein kein Garant für Markterfolg ist. Die Konkurrenten und nicht zuletzt die Daimler-Motoren-Gesellschaft wussten sportliche Erfolge ihrer Fahrzeuge geschickt für Werbezwecke einzusetzen. Dagegen hatte Benz sich trotz Engagements im Rennsport gewehrt und lieber die Alltagswerte seiner erschwinglichen Fahrzeuge herausgestellt.
Julius Ganss, bei Benz & Cie. im Vorstand, beschäftigte sich intensiv mit der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und war zu dem Schluss gekommen, dass auch Benz sich den modernen Marktmechanismen nicht entziehen dürfe. Er kannte die Qualitäten seiner Mobile und wusste: Das Unternehmen war in der Lage, einen Sportwagen zu bauen, der schneller ist als alle andere Mobile jener Zeit – sogar das Flugzeug eingeschlossen.
Zu Beginn des Jahres 1909 gab der Vorstand die Order, ein Auto zu konstruieren, das mühelos die damals magische Marke von 200 km/h überschreiten könne. Basis war der Motor des Grand-Prix-Fahrzeugs mit 150 PS, doch diese Leistung reichte für das ehrgeizige Vorhaben nicht aus. Zwecks Steigerung griff man zu einer wirksamen Methode: Der Hubraum wurde auf 21,5 Liter vergrößert – mehr sollte nie mehr ein Renn- oder Rekordwagen von Benz & Cie., der Daimler-Motoren-Gesellschaft oder der Daimler Benz AG haben. In der ersten Ausführung leistete der Motor 184 PS bei 1500/min, was durch sorgfältige Feinarbeit schließlich auf 200 PS bei 1600/min gesteigert wurde. Das Gewicht des auch in seiner physischen Erscheinung gewaltigen Motors betrug 407 Kilogramm.
Der Motor mit der Nummer 5100 kam zunächst im Chassis und unter der Karosserie des Benz Grand-Prix-Wagens zum Einsatz, erhielt freilich intern – der üblichen Namenslogik folgend – die Bezeichnung Benz 200 PS. Fritz Erle, Konstrukteur bei Benz und später Leiter der Versuchs- und der Rennabteilung, nahm am 22. August 1909 am Kilometerrennen in Frankfurt/Main teil und siegte prompt mit einem Spitzenwert: Er legte die Distanz nach fliegendem Start in 22,6 Sekunden mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 159,3 km/h zurück und erhielt den Preis der Großherzogin von Hessen.
Zu dieser Zeit hatte der Wagen noch die Karosserie des Grand-Prix-Wagens und tauchte auch unter diesem Namen bei den Wettbewerben auf. Werksfahrer Victor Héméry nutzte den Wagen zum ersten Mal am 17. Oktober bei einem Sprintrennen in Brüssel/Belgien und deklassierte die Konkurrenz deutlich. Am 8. November 1909 präsentierte er den Wagen in England auf der gerade erst eröffneten Rennstrecke von Brooklands und stellte einen neuen Landgeschwindigkeitsrekord auf: Mit fliegendem Start erreichte er über einen Kilometer eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 202,7 km/h, durchbrach damit erstmals in Europa die magische Marke und zeigte vor allem, dass das Fahrzeug das kann, wozu es auf die Räder gestellt wurde. Ein Rekordwagen war geboren. Er erreichte noch weitere Bestwerte, so den Kilometer mit stehendem Start in 31,326 Sekunden und die Meile mit 41,268 Sekunden, womit der bestehende, bis dahin von Darracq gehaltene Rekord eingestellt wurde.
Schon während dieser frühen Rennen arbeiteten die Techniker in Mannheim fieberhaft an einer neuen, strömungsgünstigen Karosserie für den Rekordwagen. Sie war Ende des Jahres 1909 fertig und gab dem Benz sein besonderes Aussehen: Erle und Héméry bauten sie so eng wie möglich, um dem Fahrtwind nur eine geringe Angriffsfläche zu bieten. Deshalb befanden sich die Hebel für Gangschaltung und Handbremse wie auch die Auspuffanlage außerhalb der Karosserie, und nur Ausbuchtungen in der Motorhaube gaben den Auslass-Kipphebeln den notwendigen Raum. Der hohe, schmale Kühlerkern befand sich in einer Messing-Maske, deren oberen Abschluss ein spitz nach vorn gezogener Wasserkasten bildete: dieser „Vogelschnabel“ verhalf dem Wagen zu seinem markanten und zugleich aggressiven Aussehen. Am Heck lief die Karosserie spitz aus. Fahrer und Beifahrer – der die Benzin-Handpumpe betätigt – saßen ganz nah beieinander.
Bereits die ersten Rekordfahrten des modifizierten Benz 200 PS zeigten, dass das Auto alle bis dahin bekannten Grenzen verschieben würde. Eine davon: Sämtliche europäischen Rennstrecken waren für die mit dem überstarken Wagen angepeilten Geschwindigkeiten nicht geeignet. Benz & Cie. wusste, dass es passende Strecken auf der anderen Seite des Atlantiks in den USA gab. Und rasch steht fest, dass die Reise dorthin gehen soll. Dem Geschäft wird es nicht abträglich sein, wenn man dort mit dem Rekordwagen triumphiert, schließlich waren die Vereinigten Staaten schon damals ein wichtiger Markt.
So wurde der neu karossierte Wagen nach einigen Probefahrten rund um Mannheim im Januar 1910 nach Amerika verschifft. Geplant war, dass Georg Robertson mit dem Auto gegen Ralph de Palma antritt, der auf vielen amerikanischen Rennstrecken Rekorde hielt. Doch es sollte anders kommen.
Der Veranstaltungsmanager Ernie Moross erfuhr von der Ankunft des Fahrzeugs beim Benz-Importeur Jesse Froehlich in New York und handelte mit ihm ein Tauschgeschäft aus: Er gab seinen Grand-Prix Benz 150 PS in Zahlung, legte noch unglaubliche 6000 Dollar drauf und wurde Besitzer des Rekordwagens. Dem geschickten Geschäftsmann fiel auch gleich ein werbewirksamer Name ein: Weil das Auto schnell wie der Blitz (Englisch: Lighthing) zu sein schien, nennt er ihn „Lightning Benz“. Dieser Name wurde auch auflackiert.
Sein Fahrer Barney Oldfield trat ohne spezielle Vorbereitung am 17. März 1910 am Strand von Daytona, Florida, USA zur Rekordjagd an, und überliefert ist eine neue Spitzenmarke von 211,97 km/h. Doch die A.I.A.C.R. (Association Internationale des Automobile Clubs Reconnus), das höchste Aufsichtsgremium des Automobilsports und Vorläuferorganisation der heutigen Fédération Internationale de l’Automobile (FIA) erkannte den Rekord nicht an, weil der Benz nicht – wie in den Wettbewerbsbestimmungen festgelegt – die Distanz auch in Gegenrichtung durchfährt und das Mittel aus beiden Läufen den gültigen Wert ergäbe.
Danach organisiert der rege Moross in einer Art Wanderzirkus zahlreiche Showveranstaltungen mit dem „Lightning Benz“.
Doch der Name war ihm schon bald nicht mehr markant genug, und er ändert ihn um in „Blitzen-Benz“ – vermutlich, weil das den Auftritt des Autos deutscher Provenienz noch verstärkte. Zusätzlich wurde auf die rechte Seite der Motorhaube ein kleiner Reichsadler lackiert. Barney Oldfield war ein Draufgänger und er spielte mit den Geschwindigkeiten so, dass trotz der Rekordmeldungen der Presse immer noch eine kleine Steigerung drin war. Dabei betonte er immer sehr glaubhaft, dass Menschen gar nich noch schneller sein könnten.
Ende des Jahres 1910 schloss die American Automobile Association (AAA) Barney Oldfield von sämtlichen Rennaktivitäten aus. Bei seinen letzten Fahrten hatte er den Blitzen-Benz so arg ramponiert, so dass Moross ihn wieder instand setzen lassen musste. Für die nächste Saison verpflichtete er deshalb den früheren Buick-Werksfahrer Bob Burman – zum großen Ärger von Oldfield, der wusste, dass der Wagen immernoch Geschwindigkeitsreserven bot. Burman tratt am 23. April 1911 in Daytona Beach an, der breite und lange Strand eignete sich wunderbar für schnelle Fahrten. Er nutzte jetzt das volle Potential des Fahrzeugs und erzielte auf der fliegenden Meile eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 225,65 km/h, auf dem fliegenden Kilometer von 228,1 km/h – ein neuer Landgeschwindigkeitsrekord, der bis 1919 ungeschlagen bleiben sollte. Damit war der Blitzen Benz doppelt so schnell wie ein Flugzeug der damaligen Zeit, und der Schienenfahrzeug-Rekord (1903: 210 km/h) wurde auch übertroffen. Für den Rest der Saison trat der Blitzen-Benz mit neuer „Kriegsbemalung“ auf: Ihm waren jetzt ein riesiger Reichsadler und breite Zierlinien aufgemalt worden. Zudem hatte man einen Tachometer montiert, dessen Übertragungswelle außen am Fahrzeug vorbei zum rechten Vorderrad führte.
Der Blitzen-Benz tourte durch die USA und war die Attraktion auf vier Rädern. Doch eine Änderung des Reglements im Jahr 1913 beendete das Engagement: Die Hubraumgröße wurde auf 7,4 Liter begrenzt. Der legendäre Blitzen-Benz I ging in den Besitz von Stoughton Fletcher über, der ihn von Burman im Verlauf des Jahres 1914 umbauen ließ. Im Oktober 1915 verkaufte Fletcher den Wagen an Harry Harkness.
Am 2. November 1915 tauchte das Fahrzeug wieder in der Öffentlichkeit auf: Als „Burman Special“ stand er am Start in der Sheepshead Bay/New York, um gegen Ralph de Palma auf Sunbeam zu einem Vergleichsrennen anzutreten. Freilich war der Rekordwagen kaum wiederzuerkennen. Unter anderem hatte er andere Drahtspeichenräder mit einer engeren Speichenfolge, Scherendämpfer statt Federband-Stoßdämpfern, versetzte Sitze, eine Auswölbung des Cockpits als Windabweiser und ein wesentlich längeres und runderes Heck, das nach hinten unten geneigt ist.
1916 verunglückte Burman tödlich in einem Peugeot. Danach kam der Blitzen-Benz wieder nach Europa zurück, möglicherweise über Mannheim nach England. Hier tauchte er Ostern 1922 in Brooklands auf, weißlackiert, geänderte Motorabdeckung und mit einem neuen Kühler. Fahrer war Baron Louis Vorow Zborowski, doch er rollte mit dem Blitzen-Benz zu keinen wahren Erfolgen. 1923 zerlegte er das Auto, um die Antriebsteile für eine eigenes neues Projekt zu verwenden, den Higham Special.
Der zweite Benz 200 PS
Kurz nach der Verschiffung des ersten Rekordwagens nach Amerika im Januar 1910 hatte man im Werk in Mannheim einen weiteren 21,5-Liter-Motor (Nr. 6257) in ein Chassis eingebaut, das mit einem Grand-Prix-Aufbau versehen wurde. Markant war der dreieckige Aufsatztank am Heck. Mit diesem Wagen ging Fritz Erle am 2. Oktober 1910 beim Sprintrennen von Gaillon/Frankreich an den Start, siegte mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 156,5 km/h überlegen in der Rennwagenklasse ohne Begrenzung und setzte gleichzeitig einen neuen Rekord. Gleich nach der Rückkehr ließ Erle Verbesserungen am Auto anbringen: Beispielsweise wurde die Karosserie am Cockpit höher gezogen, um den Fahrer besser zu schützen, es wurden Speichenräder mit Zentralverschluss montiert, die Rahmenausläufer werden verkleidet und die beiden Sitze parallel angeordnet.
Für das Auto existierte eine zweite aerodynamisch günstigere Karosserie im Stil des ersten Blitzen-Benz, sie konnte wahlweise auf das Chassis montiert werden. Erle setzte den Wagen in den Jahren 1911 und 1912 bei verschiedenen Rennen ein, mal mit der einen, mal mit der anderen Karosserie. Doch vom erhofften Wirkungsunterschied war er nicht überzeugt.
Auch dieser zweite Benz 200 PS gelang nach Amerika – unklar ist allerdings, wann das Fahrzeug auf die Reise ging. Fest steht freilich, dass Bob Burman mit ihm am 7. September 1912 an einem Rennen auf dem Brooklyn Brighton Beach teilnahm und dort den Streckenrekord des Blitzen-Benz I verbesserte.
Zu einer ersten besonderen Begegnung kam es am 30. September 1912 in St. Louis: Dort standen beide Benz 200 PS am Start. Etwas zu schmeichelnd bezeichneten die amerikanischen Sportberichterstatter den neuen, zweiten Wagen als „300 PS Jumbo-Benz“ – doch der Motor in beiden Autos ist gleich. Weitere gemeinsame Rekordfahrten absolvierten beide „Blitzen-Benz“ – auch Fahrzeug Nr. 2 trägt nun diesen Namen – kurz vor Weihnachten 1912 am Strand von San Diego. Eins der Fahrzeuge, vermutlich der Blitzen-Benz I, geriet dabei in Brand, doch Burman steuerte es geistesgegenwärtig ins Pazifikwasser und löschte die Flammen. Moross ließ den Schaden mit einem Aufwand von 4000 Dollar wieder beheben.
1914 wurde der Blitzen-Benz II schließlich in Bonneville auf dem Salzsee eingesetzt, wo Teddy Tetzlaff eine Geschwindigkeit von 229,85 km/h erreichte. Danach nahm das Fahrzeug bis 1917 an verschiedenen Veranstaltungen teil. Das weitere Schicksal ist nicht sicher belegt: Wohl noch im Jahr 1917 kaufte Ralph Hankinson, ein „Dirt-Track“-Veranstalter, den Benz 200 PS. Doch sein Unternehmen ging in Konkurs, und das Auto gelangte vermutlich 1919 an einen Karnevalsverein. Von da an verliert sich jede Spur.
Die Nummer 3
Der dritte Benz 200 PS wurde 1912 fertig gestellt. Mit ihm ging wieder Fritz Erle am 6. Oktober beim Bergrennen in Gaillon/Frankreich an den Start und verbesserte seinen Rekord: Die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug 163,63 km/h. Auch das Bergrennen in Limonest bei Lyon/Frankreich am 25. Mai 1913 gewann er in Rekordzeit. Danach erhielt der Motor (Nr. 9141) im Mannheimer Werk statt der Tauchschmierung eine Umlaufschmierung.
In Mannheim trat L. G. „Cupid“ Hornsted auf den Plan: Der Benz-Repräsentant in England wollte sich nach Erfolgen auf einem älteren Benz-Rennwagen dort nach einem stärkeren Fahrzeug erkundigen, und die Geschäftsleitung stimmte dem Verkauf eines 200-PS-Wagens an ihn zu. Sogleich meldete Hornsted Änderungswünsche an, unter anderem hatte das Auto eine andere Kühlermaske und einen aufgesetzten Windabweiser sowie zahlreiche technische Modifikationen. Im November 1913 erschien der Blau lackierte Wagen erstmals auf der Rennstrecke von Brooklands, und im Dezember übertraf Hornsted den Rekord von Héméry und setzte mit 118,4 km/h einen neuen Bestwert über den stehenden Kilometer. Am 14. Januar 1914 stellte er sieben neue Rekorde auf. Das höchste Mittel aus Hin- und Rückfahrt erzielte er dabei über eine halbe Meile mit fliegendem Start. Hierbei erreichte der Wagen 199,3 km/h. Noch eine Woche zuvor musste er sein ganzes fahrerisches Können unter Beweis stellen, als ihm bei etwa 190 km/h ein Reifen platzte; erst nach einigen Drehern bekam er den Benz 200 PS wieder unter Kontrolle.
Danach gelangte der Wagen zurück ins Werk nach Mannheim und verbrachte den Ersten Weltkrieg in der Versuchsabteilung. Nach Kriegsende machten sich die Mechaniker daran, aus dem vorhandenen Material gebrauchsfähige 200-PS-Wagen zusammenzusetzen. Zwei Fahrzeuge wurden vollendet: Das eine basierte auf dem Chassis des Hornsted-Wagens und hatte einen Aufbau, der dem Blitzen-Benz II nachempfunden war. Markante Details: Die Drahtspeichenräder waren vollständig abgedeckt, das Auto hatte ein Spitzheck und die Sitze waren versetzt angeordnet. 1922 wurde das Fahrzeug nach Brooklands gebracht, wo er als Werkswagen von Horace V. Barlow gefahren wurde und im August 1922 auf Anhieb das erste Rennen gewann. An einem anderen Lauf während der gleichen Veranstaltung war übrigens auch Graf Zborowski auf dem Blitzen-Benz II dabei. Beim „100 MPH”-Kurzstrecken-Handicap-Rennen am 30. September 1922 kam Captain John Duff am Steuer des Wagens Nr. 3 in seiner schnellsten Runde auf 184,21 km/h. Doch plötzlich hatte er Probleme mit den Bremsen – der Wagen geriet über den oberen Rand der Steilkurve hinaus und stürzte ab, dabei wird das Auto fast vollständig zerstört. Das Wrack gelangte zurück nach Mannheim.
Der vierte Benz 200 PS (Motornummer 9143) entstand um 1912. Er hatte einen breiten Kühler, Holzspeichenräder und die Wechselkarosse des 1910/11 von Erle gefahrenen Wagens. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs nahm er an mehreren Rennen teil, unter anderem mit Franz Hörner am Lenkrad, einem von Héméry und Erle geförderten Nachwuchsfahrer. Nach dem Krieg behielt man die Holzspeichenräder bei. Nicht zuletzt damit sah das Fahrzeug etwas altertümlich aus, was ihm bei seinen Auftritten nach dem Ersten Weltkrieg den Beinamen „Großmutter“ einbrachte. Das hielt ihn aber nicht davon ab, durch die gesamten 1920er Jahre hindurch erfolgreich eingesetzt zu werden. Dann begann eine zweite Karriere als Werbeträger für die Marke Benz, denn die Rekordwagen waren immer noch ein Publikumsmagnet. Dazu erhielt das Auto eine spezielle Auspuffanlage: Mittels einer Klappe konnte die Strömung entweder mit ohrenbetäubendem Lärm durch Rohrstummel direkt nach außen geführt werden, oder aber durch das leise System.
Der Blitzen-Benz des Museums
Das Jahr 1935 stand bei Daimler-Benz im Zeichen eines Jubiläums: Vor 50 Jahren begann man, Automobile zu bauen. Als repräsentatives Ausstellungsstück für die Feierlichkeiten entstand dazu aus den noch vorhandenen Teilen ein weiterer Benz 200 PS – das Fahrzeug, das sich heute noch im Besitz des Mercedes-Benz Museums befindet. Einige Teile kommen von der „Großmutter“, andere, beispielsweise die Nabenverschlüsse und vermutlich der Kühler und das Karosseriemittelteil, vom verunfallten Hornsted-Blitzen. Um das Fahrzeug schnittiger aussehen zu lassen, wurden die Holzspeichenräder mit Aluminiumabdeckungen versehen. Damals neu angefertigt wurden die Motorabdeckung, das Heckteil sowie die Abdeckung der Auspuffstummel.
Zwei weitere Benz 200 PS hat es gegeben: Der Benz-Vertreter Treumann, Madrid, verkaufte das Auto Nr. 5 (Motornummer 9145) an einen Herrn J. Ratis in Barcelona. Geliefert wurde es am 20. Februar 1913. Die weitere Geschichte ist unbekannt.
Den Blitzen-Benz Nr. 6 verkaufte die Benz-Vertretung in Antwerpen an einen Herrn M. Heje in Gent, der das Fahrzeug am 24. Dezember 1913 bekam – es dürfte ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk gewesen sein. Als einziger Blitzen (Motornummer 13280) hatte das Auto ein verlängertes Chassis (3200 statt 2800 Millimeter) und eine viersitzige Touring-Karosserie. Auch dieser Blitzen trat häufig in Brooklands zu Rekordfahrten an. Das Fahrzeug verblieb lange Zeit in England, bevor es um das Jahr 2002 ein amerikanischer Sammler erwarbt.
Die Rechnung geht auf
Die Erfolge geben Benz & Cie. Recht, diese besonderen Fahrzeuge auf die Räder gestellt zu haben – wenn ein Rekord über mehr als acht Jahre gehalten wird, ist technisch schon etwas dahinter. Auch mit anderen Rennfahrzeugen brilliert das Unternehmen während jener Jahre. Da wundert es nicht, dass das Interesse an der Marke groß war und der Verkauf blühte. Die Rechnung des Unternehmens war aufgegangen – doch der Glanz, den der Blitzen-Benz ihm verliehen hatte, ist in barer Münze nicht zu kalkulieren. Denn er hält bis zum heutigen Tag an.
Die Geschichte des Blitzen-Benz lebt auf
Im Jahr 2004 rollte der jüngste Blitzen-Benz heran: Ein amerikanischer Sammler hatte sich entschlossen, ein weiteres Fahrzeug bauen zu lassen, ohne Rücksicht auf die Kosten. Als Vorbild für das besondere Privatprojekt stellte ihm das Mercedes-Benz Museum für ein Jahr den eigenen Blitzen-Benz zur Verfügung – ein großer Vertrauensbeweis. Damit der Nachbau so originalgetreu wie möglich würde, erhielt er zudem die im Mercedes-Magazin vorhandenen Teile des Hornsted-Wagens, darunter der Motor Nr. 9141 und einige Nebenaggregate; Teile einer originalen Karosserie existierten noch in den USA.
Gleichzeitig wurde der Museums-Blitzen fachgerecht restauriert und fahrbereit gemacht. Wenn sein Motor erklingt, lebt bebend die Geschichte des Blitzen-Benz wieder auf. Von gewaltigem Klang begleitet, setzt er sich in Bewegung. Schon bei geringen Geschwindigkeiten ist die Achtung groß vor den Fahrern der frühen Jahre: Sie hatten wahrhaft Mut, am riesigen Lenkrad dieses Boliden auf Rekordhatz zu gehen – eine einfache Brille war ihr einziger Schutz bei 228,1 km/h, und die Federung dürfte bei derartig hohen Geschwindigkeiten nicht mehr viel Wirkung gehabt haben. Welche Leistung!