Dossier: Rudolf Caracciola

Heute vor 110 Jahren wurde einer der größten Rennfahrer aller Zeiten, sicher aber der erfolgreichste Rennfahrer Deutschlands zwischen den beiden Weltkriegen geboren: Am 30. Januar 1901 erblickte Rudolf Caracciola in Remagen am Rhein das Licht der Welt.
Woher stammte eigentlich dieser Mann mit dem italienisch klingenden Namen?
Zeit seines Lebens lüftete Rudolf Caracciola niemandem gegenüber dieses Geheimnis: Die Caracciolo di Roccaniola gehörten zu einem uralten Geschlecht des Mezzogiorno. Der Stammbaum läßt sich bis ins Jahr 780 zurückverfolgen, da wurde in Neapel ein gewisser Pietro Caracciolo-Rossi geboren. In der Geschlechterfolge fanden sich Herzöge von Atilla, Orta, Girofalco, Rodi und Sarato. Um 1260 tauchen die Herzöge von Roccaniola auf. Besondere Erwähnung verdient der Kaiserlische Feldmarschall und Generalgouverneur von Genua Tomaso Caracciolo. Im Jahr 1624, also während des Dreißigjährigen Krieges, erhielt er vom König von Spanien den Titel Herzog von Roccanaiola. 1630 vertraute man seinem Neffen Don Bartolomeo ein Infanteriebataillon an, das er zusammen mit Carlo Andrea Caracciolo nach Deutschland in den Krieg führte. Dort wurden sie dann auch seßhaft und in der Folge behielten die Caracciolos in Ehrenbreitstein, Niederberg, Andernach und Remagen ihren ins deutsche veränderten Namen Caracciola bei. Einige Generationen später baute August Otto Caracciola in Remagen das Hotel Fürstenberg und gründete eine Weingroßhandlung. Sein Sohn Otto heiratete 1893 Laurina Rentz und aus dieser Ehe gingen die Kinder Clementine, Otto, Ilse, Rudolf und Egon hervor. Rudolf Caracciola war also ein Herzog von Roccanaiola, hat aber niemals davon Gebrauch gemacht.
Nach dem Besuch des Gymnasiums und anschließender Volontärzeit in einer Kölner Maschinenfabrik wechselte er zu der Aachener Automobilfabrik Fafnir. Er nahm mit seinem Motorrad zunächst an Zuverlässigkeitsfahrten teil. Am 10. Juni 1922 durfte er beim Avus-Rennen in Berlin auf Fafnir starten und beendete dieses auf dem 5. Platz. 1923 zog er nach Dresden, um ein Studium an der Technischen Hochschule zu beginnen. Seinen ersten Rennsieg errang er in diesem Jahr bei einem Bahnrennen im Berliner Stadion mit einem geborgten Ego-Kleinwagen eines Freundes.
Auf Empfehlung eines zufällig kennengelernten Direktors bewarb er sich bei Daimler in Untertürkheim und fing dann in der Dresdner Filiale als Verkäufer an. Bald erhielt er die Gelegenheit, auf dem neuen 6/25/40 PS Kompressor-Sportwagen Rennen zu bestreiten und hing sein Studium an den Nagel. Es folgten Einsätze auf den von 1924-1931 immer weiterentwickelten Kompressorwagen, die im Typ SSKL gipfelten. Als erster Ausländer gewann er auf diesem Typ die Mille Miglia. Im Vergleich zu den konkurrierenden Alfa Romeo und Bugatti waren die Kompressor-Mercedes riesige Ungetüme, die von ihren Fahrern enorm viel Kraft verlangten. Rudolf Caracciola war alles andere als ein Kraftprotz und trotzdem spielte er mit diesen Giganten, wobei sein Fahrstil nach außen hin noch nicht einmal spektakulär wirkte. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise löste Daimler-Benz 1930 den Kontrakt mit Caracciola, aber Alfred Neubauer gelang es Rudi bis 1931 als Privatfahrer zu halten.
1932 zog sich das Werk dann aber gänzlich vom Rennsport zurück und Caracciola ging bei Alfa Romeo unter Vertrag. Seine neuen Teamkollegen Nuvolari, Borzachini und Campari bezweifelten, dass er auf Anhieb mit den leichten Rennwagen zurechtkommt und bestanden darauf, dass er statt in Rosso Corsa mit einem weiß lackierten Wagen an den Start geht. Beim Großen Preis von Monaco bekam der Alfa von Tazio Nuvolari nach langer Führung kurz vor Schluß Kraftstoffprobleme, so dass er auf den Reservetank umschalten mußte. Der bis dahin zweitplatzierte Caracciola sah im Vorbeifahren das verzweifelte Gesicht Nuvolaris, ließ diesen wieder mit noch hustendem Motor in Führung gehen und beendete das Rennen eine Wagenlänge hinter dem Italiener. Darauf nahm ihn die Alfa Romeo-Equipe auf und bestand darauf, dass sein Wagen nun auch in italienischem Rennrot startet.
1933 zogen sich auch Alfa Romeo und Bugatti aus dem Motorsport zurück und Rudi gründete mit dem ehemaligen Bugatti-Fahrer Louis Chiron eine Renngemeinschaft, die zwei private Alfa Romeo einsetzte. Beim Training zum Großen Preis von Monaco erlitt er einen schweren Unfall, bei dem er sich schwerste Beinverletzungen zuzog und der eigentlich das frühzeitige Ende seiner Karriere bedeutet hätte. Nach sieben Monaten in Gips humpelte er mit einem um 5 cm verkürzten linken Bein in eine ungewisse Zukunft. Zudem kam seine Frau Charly im Februar 1934 bei einem Lawinenunglück in Arosa ums Leben, Rudi war am Ende und ließ nur noch Louis Chiron und dessen Gefährtin Alice Hoffmann an sich heran.
Sein Freund sorgte dafür, daß er beim Rennen in Monaco im April eingeladen wurde, eine Ehrenrunde zu drehen. Beim Training zum Avus-Rennen im Mai geschah dann das für unmöglich gehaltene: Rudi fuhr absolute Weltklassezeiten und bekam von Daimler-Benz einen neuen Vertrag! Aufgrund von technischen Problemen nahm das Werk jedoch die Nennung zum Rennen wieder zurück. Eine Woche später beim Eifelrennen verzichtete Caracciola auf einen Start, weil er sein verletztes Bein auf dem mörderischen Nürburgring nicht überstrapaziern wollte. Am 1. Juli 1934 geht er beim Großen Preis von Frankreich sofort in Führung, um dann aber mit defekter Benzinzufuhr auszufallen. Mit Fagioli zusammen gewann er dann den Großen Preis von Italien. 1935 fuhr er insgesamt sieben Siege heraus und wurde Europameister, was er 1937 und auch 1938 wiederholen konnte. Dabei fuhr er stets materialschonend und besonders im Regen war er unschlagbar. Er fuhr zwar keine Rekordrunde nach der anderen, aber er konnte sie fahren, wenn es für den Sieg erforderlich war.
1937 heiratete er Alice Hoffmann. Den Krieg überstanden sie friedlich in ihrem Haus in Lugano. 1946 wurde er zum Indianapolis-Rennen eingeladen. Ein Amerikaner stellte ihm seinen „Thorne Special“ zur Verfügung. Kurz vor Beginn des Trainings bekommt Rudi noch einen alten britischen Panzerhelm gereicht, den er nur unter Protest aufzieht. Die weißen Rennhauben sind doch viel schicker, aber in den USA waren damals Sturzhelme bei Autorennen bereits vorgeschrieben. Das war sein Glück, denn kurz darauf flog er aus dem schleudernden Wagen und zog sich einen Schädelbasisbruch zu. Es dauerte lange bis er die Folgen dieses Unfalls überstanden hatte.
1952 startete er dann nochmal bei der Mille Miglia und erreichte mit dem 300 SL den vierten Platz. Es war eines seiner größten Rennen überhaupt. Man muss sich nur vorstellen: Ein Mann, 51 Jahre alt, mit einer schweren Beinverletzung, fährt fast 13 Stunden lang mit einem Schnitt von 123 km/h auf öffentlichen Straßen eine Strecke von 1600 km ohne Ablösung und ohne Pause! Zwei Wochen später beim Sportwagenrennen in Bern kam er aus der 13. Runde nicht mehr zurück. Beim Anbremsen der Forsthauskurve prallte er mit blockierendem linken Hinterrad gegen einen Baum, wobei er sich das rechte Bein zertrümmert. Dies war das Ende seiner Karriere. Er lag fünf Monate in Gips, im Streckverband. Dann verbrachte er noch zwei Jahre im Rollstuhl, ehe er wieder laufen konnte. 1959 starb er im Alter von nur 58 Jahren in einer Kasseler Klinik an einem plötzlich akut gewordenen Leberleiden.