Dossier: Rennfahrer Dick Seaman

Komet am Sternenhimmel

John Richard Beattie "Dick" Seaman

John Richard Beattie "Dick" Seaman

Fast könnte man es überschreiben mit dem Titel des Hemmingway-Klassikers: „Das kurze glückliche Leben des M.  . . .“

Geboren am 4. Februar 1913 als Sohn wohlhabender Eltern, war Richard Seaman schon in seiner Kindheit von Autos begeistert. 1938 steuerte Richard Seaman seinen Mercedes-Benz W 154 3-Liter-Formelrennwagen zum Sieg beim Großen Preis von Deutschland. Damit steht sein Ruf als erfolgreichster britischer Rennfahrer seiner Zeit fest. In Deutschland ein Liebling des Publikums, wurde Seamans Rolle als Repräsentant des nationalsozialistischen Motorsports kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in seiner Heimat allerdings kritisch betrachtet. Den Krieg erlebte Seaman nicht mehr: Elf Monate nach seinem Triumph auf dem Nürburgring endete seine Karriere beim Großen Preis von Belgien tragisch. Er kam von der Strecke ab, raste in einen Baum und starb noch am selben Abend an seinen schweren Verletzungen. Den kometenhaften Aufstieg und das tragische Ende dokumentiert der MVC hier.

Großer Preis von Deutschland auf dem Nürburgring, 24. Juli 1938. Richard Seaman, der Sieger des Rennens mit Mercedes-Benz Formel-Rennwagen W 154 beim Tanken und Reifenwechsel.

Großer Preis von Deutschland auf dem Nürburgring, 24. Juli 1938. Richard Seaman, der Sieger des Rennens mit Mercedes-Benz Formel-Rennwagen W 154 beim Tanken und Reifenwechsel.

Der 24. Juli 1938 sollte der größte Tag in Richard Seamans Karriere werden. Neben Hermann Lang und Manfred von Brauchitsch stand der 25 Jahre alte Engländer in der ersten Startreihe beim Großen Preis von Deutschland. Iim Training hatte er seinen Mercedes-Benz W 154 auf den dritten Platz gefahren. Hinter den drei Silberpfeilen wartete in der zweiten Reihe Rudolf Caracciola als weiterer Mercedes-Benz Pilot neben Auto-Union-Fahrer Tazio Nuvolari auf den Beginn des Rennens.

Noch 30 Sekunden. Überwältigend dröhnten die Zwölfzylindermotoren der sieben Silberpfeile, als die Mechaniker des Mercedes-Benz Rennstalls die Maschinen starteten. Rennleiter Alfred Neubauer, den sie „Don Alfredo“ riefen, signalisiert den Werksfahrern: „Noch 10 Sekunden.“

Dann endlich kommt der Start. Mit einem gewaltigen Crescendo heulten die Triebwerke zum wilden Kreischen auf – Lang ging in Führung.

Seaman aber lag bereits nach einer Runde auf dem zweiten Platz, in der sechsten Runde führte er erstmals das Feld an. 300.000 Zuschauer am Nürburgring wurden zu Zeugen eines „Race with a capital R“ (eines „Rennens, bei dem das R großgeschrieben wird“), wie Seamans Biograf Chris Nixon diesen Grand Prix auf dem Nürburgring später bezeichnete. Zwar schied Lang mit technischen Problemen aus, doch zwischen Manfred von Brauchitsch und Seaman entwickelte sich in den nächsten Runden ein faszinierendes Duell – bis der Wagen von Brauchitschs in der 16. Runde während des Boxenstopps Feuer fing.

Beim Boxenstop gab es noch Informationen: Richard Seaman wurde beim Vanderbilt-Cup in den USA  am 3. Juli 1937 zweiter Sieger

Beim Boxenstop gab es noch Informationen: Richard Seaman wurde beim Vanderbilt-Cup in den USA am 3. Juli 1937 zweiter Sieger

Neubauer zog seinen Piloten geistesgegenwärtig aus den Flammen und schickte Seaman, den zweiten Fahrer in der Box, auf die Strecke zurück. Jetzt führte Richard „Dick“ Seaman das wichtigste Rennen der Grand-Prix-Saison. Im W 154 mit der Startnummer 16 und seiner grünen Windhaube gut zu erkennen, baute der 25 Jahre alte Engländer die Führung kontinuierlich aus und siegte schließlich mit einem Vorsprung von 3 Minuten, 20 Sekunden auf Hermann Lang, der Caracciolas Wagen übernommen hatte.

Wer war dieser junge Mann, dessen kometenhafter Aufstieg und tragischer Tod 1939 an Bernd Rosemeyer erinnern? Der sich im Alter von gerade einmal 25 Jahren mit den besten Piloten des Mercedes-Rennstalls maß und als erster Brite seit dem Sieg von Sir Henry Segrave 1923 den Großen Preis von Deutschland gewann?

Geboren wurde John Richard Beattie Seaman am 4. Februar 1913 als Sohn einer vermögenden Familie der britischen Oberschicht. William John Beattie Seaman und seine 21 Jahre jüngere Frau Lilian Mary lebten standesgemäß mit Landsitz und einem Haus in London.

My heart belongs to Mummy John Richard Beattie Seaman mit seiner Mutter Lilian Mary Seaman

My heart belongs to Mummy John Richard Beattie Seaman mit seiner Mutter Lilian Mary Seaman

Zur Familie gehörte auch eine britische Daimler-Limousine mit Chauffeur, die den jungen Richard schon früh faszinierte. Daran, dass sich sein Leben später um die Rennwagen des deutschen Stammhauses der Marke drehen würde, dachte niemand im seamanschen Haushalt – auch wenn „Dick“ als Kind begeistert Entwürfe von Rennwagen zeichnete. Eine Karriere im diplomatischen Korps oder Erfolg im Wirtschaftszentrum der City of London waren nach Meinung der Eltern angemessen für einen Sohn aus gutem Hause. Nicht aber ein Leben als Rennfahrer.

1921 begann Richards Schulzeit im Internat von Hildersham House. Diese „Preparatory School“ bereitete den Jungen auf die renommierte „Public School“ in Rugby und das anschließende Studium (Französisch und Italienisch) in Cambridge vor. Zum Schulabschluss schenkten ihm die Eltern das erste Auto – einen Riley Brooklands Nine.

John Richard Beattie Seaman (1913-1939)

John Richard Beattie Seaman (1913-1939)

1931 begann Seaman (er fuhr mittlerweile MG Magna) sein Studium am Trinity College in Cambridge. Er ruderte für das College, wurde aber auch Mitglied im Automobilclub der Universität (CUAC) und nahm an Motorsportwettbewerben teil. Dabei traf er den Amerikaner Whitney Straight, ebenfalls Student in Cambridge. Straight begeisterte Seaman weiter für den Autorennsport und mit dem 1933 von seinen Eltern geschenkten 2-Liter-Bugatti (bald ersetzt durch einen Lagonda) fuhr Seaman erste ernsthafte Rennen. Erfolge verzeichnete der junge Brite, der mittlerweile in Straights Rennstall eingetreten war, aber erst mit seinem schwarz lackierten MG Magnette im Jahr 1934: Er wurde Klassensieger beim „Prix de Bern“ und entschied das Bergrennen am Mont Ventoux für sich.

Seine Eltern sahen Seamans teure und gefährliche Rennbegeisterung kritisch. Insbesondere dem Vater missfiel das Hobby, das sich Richard nur erlauben konnte, weil ihn seine Mutter ständig mit hohen Geldsummen unterstützte. Sogar ein Flugzeug kauften ihm die Eltern, um ihn vom Autorennen abzubringen. Aber Seaman nutzte das neue Verkehrsmittel nur für die schnellere Anreise zu Autorennen, um somit seinem Ziel, ein international renommierter Rennfahrer zu werden, näher zu kommen.

Straight zog sich aus dem Rennsport zurück, und Seaman schloss mit ERA (English Racing Automobiles) einen Vertrag ab. Die Werksfahrzeuge erwiesen sich aber als unzuverlässig, Seaman verabschiedete sich aus der Werksmannschaft und fuhr als Privatier Siege in Pescara, Bern und Freiburg ein. Als sein Mechaniker Giulio Ramponi zum Wechsel auf einen bereits zehn Jahre alten Delage von Francis Curzon, 5th Earl Howe, riet, kaufte Dick den Wagen des rennbegeisterten Aristokraten. Ramponi baute das Fahrzeug neu auf, und Seaman verzeichnete prompt Rennerfolge mit dem anachronistischen Gefährt.

Seiner Mutter zog er derweil immer mehr Geld aus der Tasche – in diesen Jahren entstand auch das widersprüchliche Bild zwischen einem „spoilt brat“ (verzogenem Balg) und dem „vielleicht größten Fahrer von Straßenrennen, den England jemals hervorgebracht hat“. Letztere Einschätzung stammt von Prinz Chula Chakrabongse von Thailand, Freund Seamans und Konkurrent auf Europas Rennstrecken sowie 1941 sein erster Biograf.

Wie es sich für einen Briten gehört: Dick Seaman rauchte leidenschaftlich gern Pfeife

Wie es sich für einen Briten gehört: Dick Seaman rauchte leidenschaftlich gern Pfeife

Während er seine Siege mit dem Delage genoss, träumte der junge Mann trotzdem davon, für einen der großen deutschen Rennställe zu fahren. Moderne Technik und professionelle Organisation begeisterten ihn, wenn er die Teams der Silberpfeile von Mercedes-Benz und Auto Union beobachtete. Der Traum rückte in greifbare Nähe, als der Brite zum Saisonende 1936 ein Telegramm Alfred Neubauers erhielt. Der Rennleiter lud zur Testfahrt im November ein. Seaman konnte es kaum fassen: Ausgerechnet Mercedes-Benz war auf ihn aufmerksam geworden. Die Marke, von der er im selben Sommer sagte: „If I ever get a drive for Mercedes, I shall never drive for anybody else.“ („Wenn ich jemals für Mercedes fahren darf, dann fahre ich nie wieder für jemand anders.“).

Die politischen Implikationen, die ein mögliches Engagement mit sich brächte, waren Seaman bewusst. Doch alle Freunde rieten ihm zuzugreifen, falls es nach dem Test ein Angebot aus Stuttgart geben sollte – der Sport kenne schließlich keine Grenzen. Für den geschäftstüchtigen Briten zählte neben der technischen Überlegenheit der Rennwagen von Mercedes-Benz auch die gute Verdienstmöglichkeit gegenüber britischen Rennställen. Doch noch war es nicht an der Zeit, über Preisgelder nachzudenken. 30 junge Rennfahrer waren zu den Testfahrten auf dem Nürburgring eingeladen. Nach Proberunden mit Sportwagen blieben zehn Anwärter auf die begehrten Plätze im Grand-Prix-Rennwagen übrig. Nur zwei von ihnen wählte Neubauer aus: Christian Kautz und Richard Seaman. Das Lob des Rennleiters für den Engländer („dieser junge Mann hatte echtes Talent“) stach von Neubauers Meinung über Kautz („er fuhr gut“) bereits im Spätherbst 1936 hervor.

Großer Preis der Schweiz bei Bern, 21. August 1938. Start im strömenden Regen. Die Mercedes-Benz W 154 Rennfahrzeuge setzten sich sofort an die Spitze und fuhren einem Dreifach-Sieg entgegen. Den ersten Platz belegte Rudolf Caracciola (rechts im Bild) gefolgt von Richard B. Seaman und Manfred von Brauchitsch.

Großer Preis der Schweiz bei Bern, 21. August 1938. Start im strömenden Regen. Die Mercedes-Benz W 154 Rennfahrzeuge setzten sich sofort an die Spitze und fuhren einem Dreifach-Sieg entgegen. Den ersten Platz belegte Rudolf Caracciola (rechts im Bild) gefolgt von Richard B. Seaman und Manfred von Brauchitsch.

Im Februar des folgenden Jahres schloss Seaman seinen Vertrag mit Mercedes-Benz und startete bereits am 9. Mai 1937 beim Großen Preis von Tripolis zum ersten Rennen in einem Silberpfeil. „Dick“ ging im neuen W 125 750-kg-Formelrennwagen an den Start – einer Konstruktion des gerade erst ernannten Technischen Direktors der Rennabteilung von Mercedes-Benz, Rudolf Uhlenhaut. Der Reihenachtzylinder mit 5,8 Liter Hubraum lieferte 540 PS (397 kW) und erwies sich als formidabler Gegner für die Auto-Union-Rennwagen mit ihren mächtigen 16-Zylinder-Motoren. Seaman erreichte zwar nur den siebten Platz, lag während des Rennens aber über mehrere Runden an zweiter Position hinter Lang und vor Caracciola. Erst durch Motorprobleme wurde der Brite bei seiner Premiere nach hinten durchgereicht.

Bei seinem zweiten Renneinsatz am 30. Mai in Berlin kam er immerhin auf einen fünften Platz. Vor dem Großen Preis der Eifel auf dem Nürburgring musste der Engländer seinen W 125 dann Manfred von Brauchitsch überlassen, dessen Fahrzeug beim Training beschädigt worden war. Obwohl Mercedes-Benz einen Renntransporter mit einem Ersatzfahrzeug losschickt, kam Seamans W 125 erst in der Nacht zum Sonntag am Ring an. Nach wenigen Trainingsrunden am frühen Morgen schied er im Rennen mit einem Schaden an der Zündung in der zweiten Runde aus.

Großer Preis der Schweiz, 21. August 1938. Personen von links: Rudolf Uhlenhaut, Manfred von Brauchitsch, Rudolf Caracciola, John Richard Beattie Seaman, Direktor Max Sailer und Rennleiter Alfred Neubauer.

Großer Preis der Schweiz, 21. August 1938. Personen von links: Rudolf Uhlenhaut, Manfred von Brauchitsch, Rudolf Caracciola, John Richard Beattie Seaman, Direktor Max Sailer und Rennleiter Alfred Neubauer.

Dann aber erfüllte der jüngste Fahrer im Team, der mittlerweile in Deutschland wohnte, die in ihn gesetzten Erwartungen. Rudolf Caracciola und Seaman reisten mit der „Bremen“ in die Vereinigten Staaten, um Mercedes-Benz beim Vanderbilt Cup am 4. Juli in New York zu vertreten. Nach ersten Testfahrten auf dem umgestalteten Roosevelt Raceway veränderte Uhlenhaut noch vor dem Rennen in anstrengenden Nachtschichten das Ansaugsystem des Kompressors. Eine lohnende Anstrengung, denn am Unabhängigkeitstag verfolgte ein großes Publikum, wie der junge Brite in seinem vierten Rennen für Mercedes-Benz mit dem großen Bernd Rosemeyer auf Auto Union um den ersten Platz kämpfte. Seaman führte nach einem Boxenstopp Rosemeyers, kam aber schließlich mit 31 Sekunden Abstand als Zweiter ins Ziel, gefolgt von Rex Mays auf Alfa. In den Vereinigten Staaten waren übrigens   mittlerweile Sturzhelme für Autorennen vorgeschrieben. Doch Seaman hielt diese rudimentären Protektoren für überflüssig – wie viele seiner Kollegen auch. 1939 soll ihm diese Haltung zum Verhängnis werden.

Richard Dick Seaman machte Wasserski am Starnberger See populär

Richard Dick Seaman machte Wasserski am Starnberger See populär

Mittlerweile hatte sich der Brite eingelebt im Team. In Dambach am Starnberger See bezog er ein Haus, ruderte und erstaunte die Anlieger mit einem bisher in Deutschland unbekannten Sport: Wasserski. Ganz freiwillig fiel die Entscheidung für einen Wohnort in Deutschland allerdings nicht. Denn 1937 durfte Seaman kein deutsches Geld ausführen, und das zunehmend schlechtere Verhältnis zu seinen Eltern ließ ihn auf Gehalt und Prämien als Rennfahrer angewiesen sein.

Das nächste Rennen, in dem Seaman für Mercedes-Benz antrat, war der Große Preis von Deutschland auf dem Nürburgring. Nach einem schlechten Start lagt der Brite am 25. Juli 1937 zunächst auf dem zehnten Platz, kämpfte sich aber in nur fünf Runden auf die Position vier vor. Ernst von Delius (Auto Union) wollte Seaman seine Position wieder abnehmen und versuchte zu überholen. Von Delius verlor die Kontrolle über seinen Wagen, geriet ins Schleudern, blockierte die Fahrbahn und riss den W 125 von Seaman mit ins Verderben – die beiden Fahrzeuge prallten aufeinander. Der Deutsche wurde bei dem Unfall so schwer an Kopf und Hüfte verletzt, dass er wenige Stunden später starb.

Großer Preis von Masaryk bei Brünn, 26. September 1937. Manfred von Brauchitsch (2. Platz) gefolgt von Richard Seaman (4.Platz), beide auf Mercedes-Benz W 125.

Großer Preis von Masaryk bei Brünn, 26. September 1937. Manfred von Brauchitsch (2. Platz) gefolgt von Richard Seaman (4.Platz), beide auf Mercedes-Benz W 125.

Seaman, der vor dem Crash aus dem Wagen geschleudert wurde, brach sich Daumen und Nase. Aus dem Krankenhaus von Adenau schrieb Seaman am 1. August in der runden, jungenhaften Handschrift des Oxbridge-Sportlers an den Daimler-Benz Aufsichtsratsvorsitzenden Emil Georg von Stauss: „I am leaving here in a few days, and hope to drive again in the ‘Grosser Preis der Schweiz’ on the 22nd August.” („In wenigen Tagen werde ich von hier abreisen und hoffe, am Großen Preis der Schweiz am 22. August teilzunehmen.“) – der Brite ließ keinen Zweifel daran, dass ihm der Crash nichts von seiner Begeisterung für den Rennsport genommen hatte.

Aus dem Einsatz in der Schweiz wurde aber nichts. Zwar gab Neubauer bereits am 15. August in Pescara bei der Coppa Acerbo Seaman eine nächste Chance, als Hermann Lang wegen Grippe auf den Start verzichten musste, doch diesmal schien sich die abergläubige Abneigung des Fahrers gegen die Zahl 13 zu bestätigen: Am Freitag vor dem Rennen, dem 13. August, kollidierte Seaman bei Kilometer 13 und einem Tempo von 160 km/h mit einer Wand. „Dick“ blieb unverletzt, doch der W 125 war zu schwer beschädigt, um noch repariert werden zu können.

Großer Preis der Schweiz bei Bern, 21. August 1938. Die Mercedes-Benz W 154 Rennfahrzeuge setzten sich sofort an die Spitze des Feldes und fuhren einem Dreifach-Sieg entgegen. Den ersten Platz belegte Rudolf Caracciola (Foto) gefolgt von Richard B. Seaman und Manfred von Brauchitsch.

Großer Preis der Schweiz bei Bern, 21. August 1938. Die Mercedes-Benz W 154 Rennfahrzeuge setzten sich sofort an die Spitze des Feldes und fuhren einem Dreifach-Sieg entgegen. Den ersten Platz belegte Rudolf Caracciola (Foto) gefolgt von Richard B. Seaman und Manfred von Brauchitsch.

Nach zwei Totalschäden innerhalb von nur drei Wochen hatte Neubauer keinen Wagen mehr für den Juniorfahrer bereit. Auch beim Schweizer Grand Prix sollte Seaman sich auf einige Trainingsrunden beschränken müssen. Es war „Dicks“ dritter schwerer Unfall mit einem der Mercedes-Benz Rennwagen: Schon bei Testfahrten in Monza vor seinem offiziellen Einstieg in den Rennstall hatte der Angelsachse einen Rennwagen Baujahr 1936 zu Schrott gefahren. Neubauer rügte die riskante Fahrweise, die zu diesen Unfällen geführt hatte, und führte dem jungen Briten den vorsichtigeren Lang als Vorbild vor Augen: Während Richard Seaman das Risiko suche, den Nervenkitzel der technischen Grenzerfahrung genieße, lotete auch Hermann Lang die Möglichkeiten des Fahrzeugs aus, erwies sich aber bei mindestens ebenso hohem Tempo als der sicherere und vernünftigere Fahrer.

Das Buch „Dick & George — The Seaman – Monkhouse Letters 1936 - 1939“ von Doug Nye ist bei Palawan Press erschienen und enthält den Briefwechsel des Rennfahrers Dick Seaman mit seinem Freund und Fotografen George Monkhouse und kostet 135,- britische Pfund. Palawan Press Limited 11 Royal Crescent Mews, London, W11 4SY, United Kingdom Telephone +44 (0)20 7371 3060 Fax +44 (0)20 7371 4080

Das Buch „Dick & George — The Seaman – Monkhouse Letters 1936 - 1939“ von Doug Nye ist bei Palawan Press erschienen und enthält den Briefwechsel des Rennfahrers Dick Seaman mit seinem Freund und Fotografen George Monkhouse und kostet 135,- britische Pfund. Palawan Press Limited 11 Royal Crescent Mews, London, W11 4SY, United Kingdom Telephone +44 (0)20 7371 3060 Fax +44 (0)20 7371 4080

Allerdings imponierte dem Rennleiter Seamans Einsicht in seine Fehler. Wie vor einem Jahr in Monza gab Seaman auch in Pescara nicht der Technik die Schuld, sondern nam die Verantwortung auf sich. Vielleicht auch deshalb bekam der Engländer mitten im Rennen doch noch eine Chance: Caracciola übergab seinen Rennwagen mit Motorproblemen an den Juniorfahrer. In der 13. Runde schlugen sogar Flammen aus dem Motor des W 125, doch Seaman zeigte sich als kaltblütiger Profi. Er bremste auf einem stark abschüssigen Teil der Strecke und schaltet den Motor ab. Als die Flammen erstickt waren, startete er den Wagen wieder und kam immerhin als fünfter ins Ziel. — In seinem letzten Rennen 1937 hatte Seaman weniger Glück.   Ausgerechnet beim englischen Grand Prix von Donington wurde Seaman von Hermann Müller (Auto Union) touchiert und musste das Rennen mit beschädigten Stoßdämpfern abbrechen. Das war besonders bitter für den Briten, der allein 1936 drei Klassensiege in Donington errungen hatte und dem Publikum jetzt sein Können auf den schweren deutschen Rennwagen demonstrieren wollte, für deren Teilnahme eigens der Kurs erweitert und umgebaut wurde. Donington war der letzte Wettbewerb Seamans in diesem Jahr.

Großer Preis der Schweiz bei Bern, 21. August 1938. Start im strömenden Regen. Die Mercedes-Benz W 154 Rennfahrzeuge setzten sich sofort an die Spitze und fuhren einem Dreifach-Sieg entgegen. Den ersten Platz belegte Rudolf Caracciola (rechts im Bild) gefolgt von Richard B. Seaman und Manfred von Brauchitsch.

Großer Preis der Schweiz bei Bern, 21. August 1938. Start im strömenden Regen. Die Mercedes-Benz W 154 Rennfahrzeuge setzten sich sofort an die Spitze und fuhren einem Dreifach-Sieg entgegen. Den ersten Platz belegte Rudolf Caracciola (rechts im Bild) gefolgt von Richard B. Seaman und Manfred von Brauchitsch.

Der Engländer fühlte sich zunehmend unbehaglich in Deutschland, zog im Freundeskreis während der Auto-Ausstellung in Berlin sarkastische Vergleiche zwischen Hitlers Pomp und den Kulissen amerikanischer Hollywood-Regisseure. Und ein Cockpit im neuen W 154 war in den ersten Monaten von 1938 auch nicht frei für ihn. Die Enttäuschung des Rennfahrers wurde allerdings wettgemacht, als er im Juni Erika Popp kennen lernte, die Tochter des BMW-Vorsitzenden Franz-Josef Popp und seiner Frau Christine. Die 18-jährige Deutsche und der sieben Jahre ältere Engländer verliebten sich ineinander und verbrachten immer mehr Zeit zusammen. Während Richard sich hervorragend mit Erikas Eltern verstand, brachten die Beziehung zu dem schönen Mädchen und die Heirat im selben Jahr den endgültigen Bruch mit seiner mittlerweile verwitweten Mutter. Die Romanze zwischen Erika und Richard entwickelte sich aber noch, als Seaman im Juli endlich wieder ein Rennen fahren durfte.

Mercedes-Benz hatte rechtzeitig zum Großen Preis von Deutschland die Flotte der neuen W 154-Rennwagen fertig gestellt. Mit der Startnummer 16 ging Seaman in sein erstes Rennen der Saison und fuhr im Training sofort auf einen Platz in der ersten Startreihe. Er sollte diesen Grand Prix in 3 Stunden, 51 Minuten und 46 Sekunden vor seinem Team-Kollegen Lang gewinnen. Dabei half dem Briten auch der Zufall. Denn die Teamorder Neubauers, dass nach dem Start kein Fahrer seine eigenen Kollegen anzugreifen habe, löste sich buchstäblich in Rauch auf, als der Wagen von Brauchitschs in Brand gerät. Beim Betanken mit dem leicht entflammbaren Alkohol-Treibstoff floss die explosive Flüssigkeit aus dem Tankstutzen, und schnell stand der W 154 in Flammen. Jetzt sollte niemand mehr den Briten einholen, der bereits in seiner sechsten Runde die schnellste Zeit des Rennens vorgegeben hatte.

Großer Preis von Masaryk bei Brünn, 26. September 1937. Richard Seaman (Startnummer 6) belegte auf Mercedes-Benz W 125 den vierten Platz in diesem Rennen.

Großer Preis von Masaryk bei Brünn, 26. September 1937. Richard Seaman (Startnummer 6) belegte auf Mercedes-Benz W 125 den vierten Platz in diesem Rennen.

Neubauer setzte Seaman trotz dessen Triumphs auf dem Nürburgring in den nächsten beiden Rennen nicht ein. In Bremgarten, wo der Brite von 1934 bis 1936 dreimal den Titel seiner Klasse in Folge gewann, war er aber wieder mit dabei. Gleich zwei schnellste Runden legte Richard beim Training für den Großen Preis der Schweiz hin und startete aus der Pole Position. In strömendem Regen lag Seaman nach dem Start an erster Stelle und führte vor Hans Stuck und Caracciola. Doch mit den Fahrkünsten des „Regenmeisters“ konnte der junge Engländer noch nicht mithalten. Rudolf Caracciola gewann den Grand Prix für Rennwagen zum dritten Mal, Seaman wurde Zweiter – als einziger Fahrer, den Caracciola nicht überrundete.

Im September ermöglichte Franz-Josef Popp, Richards künftiger Schwiegervater, ihm die Teilnahme an der britischen Tourist Trophy. Ausnahmsweise startete er nicht für Mercedes-Benz, sondern fuhr einen Frazer-Nash , das sind britische Liezenzbauten von BMW. „Dick“ freute sich auf das britische Rennen, doch die Zuverlässigkeit der BMW-Nachbauten enttäuschte ihn und seine Teamkollegen: Alle vier Werkswagen hatten Probleme während des Rennens in Donington, Seaman kam nur als 21. ins Ziel. Im Herbst des Jahres startete er dann mit einem W 154 beim Grand Prix auf derselben Strecke. Seaman präsentierte das Mercedes-Benz Team dem Duke of Kent, fuhr mit dem Fürsten einige schnelle Runden und holte immerhin einen dritten Platz nach Tazio Nuvolari und Hermann Lang.

John Richard Beattie Seaman (1913-1939)

John Richard Beattie Seaman (1913-1939)

Mit dem Rennen in England endete die Saison 1938. Für Richard Seaman folgten glückliche Monate mit Erika, die er am 7. Dezember 1938 gegen den Willen seiner Mutter in London heiratete. In England, Frankreich und der Schweiz verbrachte das Paar die nächsten Wochen. Statt auf Rennstrecken waren die beiden auf der Skipiste und im Kino unterwegs, besuchten touristische Attraktionen. Zusammen mit seiner jungen Frau genoss Seaman, der seit seiner späten Jugend ein begeisterter Gourmet war, auch die feine Küche der Urlaubsländer.

Kurz nach seiner Hochzeit hatte Seaman einen neuen Vertrag mit Mercedes-Benz unterschrieben, denn in dem Rennstall fühlte sich der junge Brite glücklich und sah gute Chancen auf einen Spitzenplatz unter den Fahrern der Marke. Doch die politische Lage spannte sich immer stärker an. Vor der Berliner Automobil-Ausstellung im Februar, bei der Seaman auf Adolf Hitler treffen sollte, spottete er gegenüber Erika resigniert über seine Situation: Nicht die Hand schütteln solle er dem Diktator, sondern ihn umbringen. Doch „Dick“ sollte nichts dergleichen versuchen, er konzentrierte sich stattdessen auf Ehe und Beruf. Seamans ehemaliger Schulfreund Tony Cliff betonte später das besondere Gewicht von Dicks Sorgen um die politische Lage: Seaman habe sonst eigentlich keine politische Überzeugung gehabt, die ihn für kritische Einschätzungen der aktuellen Politik sensibilisiert hätte.

Aber selbst Earl Howe riet seinem Landsmann im Frühjahr 1939 noch einmal, nicht aus politischen Gründen mit Mercedes-Benz zu brechen – auch wenn das NS-Regime nach Kräften versuche, die sportlichen Leistungen der Silberpfeile für die politische Propaganda auszunutzen: „If you can stick it, it would be much better for you to stay where you are.“ („Wenn Sie es aushalten, wäre es viel besser für Sie zu bleiben, wo Sie sind.“).

Großer Preis von Deutschland, 24. Juli 1938. Die Mercedes-Benz Mannschaft, von links: Manfred von Brauchitsch, Rennleiter Alfred Neubauer, Richard Seaman, Hermann Lang und Rudolf Caracciola.

Großer Preis von Deutschland, 24. Juli 1938. Die Mercedes-Benz Mannschaft, von links: Manfred von Brauchitsch, Rennleiter Alfred Neubauer, Richard Seaman, Hermann Lang und Rudolf Caracciola.

Ein weiteres Argument, das gegen den Bruch mit dem deutschen Rennsport sprach, waren die Finanzen des jungen Paares. Denn die Seamans durften kein Geld aus dem Deutschen Reich ausführen, und Dicks Mutter verweigerte ihnen die Unterstützung aus dem britischen Vermögen der Familie.

Seaman folgte dem Ratschlag des adligen Rennfahrers. Beim Großen Preis in Pau wurde er zwar nur als Ersatzfahrer nominiert, fährt jedoch im Training die schnellste Runde. Auch in Tripolis, wo Mercedes-Benz mit den insgeheim entwickelten 1,5-Liter-Rennwagen vom Typ W 165 einen triumphalen Doppelsieg holte, sitzt er nicht hinter dem Lenkrad. Erst im Mai auf dem Nürburgring fuhr Seaman diesen neuen Wagen bei Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm über die Silberpfeile von Mercedes-Benz und Auto Union. Die Kamera rückte den Briten dabei prominent ins Bild. Bei dem wenige Tage vorher gefahrenen Großen Preis der Eifel allerdings war Seaman ohne Chance auf einen Sieg gewesen, weil er beim Start die Kupplung überbeansprucht und in der ersten Runde ausschied.  In Belgien wollte John Richard Beattie Seaman endlich seinen ersten Titel des Jahres holen. Er wollte er unterstreichen, dass er vor einem Jahr auf dem Nürburgring zu Recht gewann und die silberne Anstecknadel mit Diamanten verdient habe, mit der Mercedes-Benz seine Fahrer bei Grand Prix-Siegen ehrte. Vor allem aber wollte er es dem „Regenmeister“ Caracciola zeigen, denn am Tag des Rennens prasselte schwerer Regen auf die Strecke von Spa-Francorchamps. Nach dem Start lag Dick auf dem sechsten Platz, er kämpfte sich aber Runde für Runde nach vorn. In der achten Runde fuhr er bereits an Position vier und Hermann Lang winkte ihn weiter durch. Müller ging in die Box, und als ausgerechnet Rudolf Caracciola plötzlich auf dem regennassen Kurs von der Fahrbahn abkam und seinen Wagen in einen Graben setzte, führte Seaman das Rennen um den Großen Preis von Belgien. In der zwölften Runde lag er bereits 31 Sekunden vor Lang.

Großer Preis von Belgien, 25. Juni 1939. Richard Seaman auf Mercedes-Benz Rennwagen W 154 mit der Startnummer 26 als er sich H.P. Müller auf Auto-Union nähert.

Großer Preis von Belgien, 25. Juni 1939. Richard Seaman auf Mercedes-Benz Rennwagen W 154 mit der Startnummer 26 als er sich H.P. Müller auf Auto-Union nähert.

Doch trotz des komfortablen Vorsprungs behielt Seaman sein hohes Tempo bei, selbst als der Regen noch stärker wurde. Das sollte ihm zum Verhängnis werden. Sein Wagen geriet ins Schleudern, schoss mit rund 200 km/h von der Strecke und prallte gegen einen Baum. Der Aufprall zerriss die Treibstoffleitungen und binnen Sekunden stand der Wagen in Flammen. Seaman war zu diesem Zeitpunkt nicht schwer verletzt. Doch der Aufprall hatte ihn benommen gemacht, und er konnte sich nicht aus eigener Kraft aus dem Fahrzeug retten. Als die ersten Helfer an dem brennenden Wrack eintrafen und ein mutiger belgischer Offizier den Engländer aus dem Inferno zog, hat Seaman bereits schwerste Brandverletzungen.

Das Rennen wurde trotz des Unglücks fortgesetzt. Ein Krankenwagen erreichte Seaman nur auf großen Umwegen, während sich der Teamarzt von Mercedes-Benz, Dr. Peter Gläser, um den verletzten Fahrer kümmerte. Endlich brachte ihn die Ambulanz in das Krankenhaus von Spa. Seaman scherzte noch gegenüber seiner Frau, dass er sie heute Abend leider nicht ins Kino einladen könne. Und gegenüber Neubauer gab er zu, dass der Unfall Folge des viel zu hohen Tempos und damit sein Fehler gewesen sei. Doch die Einsicht kommt zu spät. Dick Seaman, einer der vielversprechendsten Rennfahrer der 1930er Jahre, starb wenige Stunden nach dem Unfall an seinen schweren Verletzungen.

Ein Opfer der Flammen: Der tragische Unfall beendete beim Großen Preis von Belgien auf der Rundstrecke von Spa-Francorchamps  die Karriere des sympathischen Engländers Richard Beattie Seaman.  Er hatte in der 22. Runde mit einem Vorsprung von 28 Sekunden geführt, als er auf der regenglatten Strecke nach La Source aus der Kurve rutschte und breitseits in die Bäume schleuderte. Der Benzintank platzte und der Wagen fing Feuer. Richard Seaman erlag am nächsten Tag seinen (Brand-) Verletzungen.

Ein Opfer der Flammen: Der tragische Unfall beendete beim Großen Preis von Belgien auf der Rundstrecke von Spa-Francorchamps die Karriere des sympathischen Engländers Richard Beattie Seaman. Er hatte in der 22. Runde mit einem Vorsprung von 28 Sekunden geführt, als er auf der regenglatten Strecke nach La Source aus der Kurve rutschte und breitseits in die Bäume schleuderte. Der Benzintank platzte und der Wagen fing Feuer. Richard Seaman erlag am nächsten Tag seinen (Brand-) Verletzungen.

Für den Rennstall kam Seamans Tod als Schock. Mercedes-Benz erinnerte in der Todesanzeige an seinen kometenhaften Aufstieg in die „Sonderklasse der Rennfahrer“. Auch die internationale Presse berichtete betroffen über „Seamans schweren Sturz“ und seinen Tod am selben Abend. „Nun hat auch ihn das Rennfahrer-Schicksal getroffen“ endete entsprechend der Nachruf auf Seaman im „Kraftverkehrs-Pressedienst“ vom 28. Juni 1939.