Erlkönig Nummer 1 – ein Augenzeuge berichtet

2227Stuttgarter Zeitung, 4.März 2009

Der erste Erlkönig von Daimler – Kann es für einen autobegeisterten jungen Mann etwas Schöneres geben, als einen Prototypen zu fahren? Nein. In diesem Punkt ist sich Manfred Grün sicher. Als 20jähriger hatte er das Glück, den ersten Daimler-Erlkönig nach dem zweiten Weltkrieg, als ein Auto in der Testphase, zu fahren. Und das kam so: Manfred Grün absolvierte nach seinem Abitur eine Lehre zum Maschinenschlosser bei dem Autobauer in Untertürkheim und wurde in der Abteilung Versuch, der Entwicklungsabteilung, eingesetzt.

Der Abteilungsleiter war ein Junggeselle, der jedes Wochenende seine Mutter in Schwäbisch Gmünd besuchte. Zwar habe ihm ein Versuchswagen zur Verfügung gestanden, aber er besaß keinen Führerschein. „Ich habe einen“, sagt Manfred Grün. Und so gehörte es auch zu den Aufgaben des jungen Mechanikers, seinen Chef nach Schwäbisch Gmünd zu kutschieren, wo dieser dann seine Mutter für gemeinsame Ausfahrten abholte.

Am 19.März 1953 stand ein Ausflug zum Schloss Weikersheim an. Dort angekommen stellte der damals 21jährige den Mercedes 180 vor dem zerstörten Gebäude ab und schoss ein Erinnerungsfoto mit der Kamera, die er sich zuvor von seiner Freundin extra geliehen hatte. „Das Auto war das Geheimste vom Geheimen von Daimler“, so Manfred Grün. Der Erlkönig war mit einer falschen Karosserie verkleidet, damit niemand das neue Modell erkennen konnte.

Erst ein Jahr später sollte der 55PS starke Wagen mit dem ersten obengesteuerten Ottomotor in Serie gehen. Der Mercedes-Benz konnte bis zu 125 Kilometer pro Stunde schnell fahren. „Das war für die damalige Zeit atemberaubend“, sagt der 77jährige. „Allerdings waren mein Chef und seine Mutter nicht an einem flotten Fahrstil interessiert.“

Aber auf der Hinfahrt, wenn er alleine am Steuer saß, habe er es laufen lassen können. „Das war ein unglaubliches Gefühl. Nie mehr hatte ich so ein Hochgefühl beimAutofahren empfunden“, sagt der Chronist der Geschichtswerkstatt und freut sich dabei noch heute. Damals konnten noch nicht viele Leute ein Auto ihr Eigen nennen und wenn doch, dann war es oft ein VW Käfer. Der Mercedes 180 war jedoch eine richtige Limousine. Insgesamt vier Fahrten durfte Manfred Grün mit dem Wagen machen: „Jede war ein ganz besonderes Ereignis.“ (msc) Foto Manfred Grün

Dieses Fahrzeug war das erste, das überhaupt mit dem Begriff „Erlkönig“ bedacht wurde. Bislang wurden sie als Prototypen bezeichnet, was sie ja auch eigentlich sind. Der Schnappschuss eines Amateurs genau von diesem Wagen wurde am 19. Juli 1952 in auto, motor und sport abgedruckt und die damaligen Redaktuere H.U. Wieselmann und Werner Oswald ersannen für diese art von Fahrzeugen einen Achtzeiler, der als Remineszens an Goethes gleichnamige Ballade erinnert. Damit war der automobile „Erlkönig“ geboren.