MBMC: Mercedes 24/100/140 PS Roadster >Murphy<

Der Mercedes 24/100/140 PS Roadster von 1925, Fahrgestell Nr. 46901 (Aufbau von Murphy, Pasadena)

Von Matrix aus den Niederlanden kommt die Nachricht, dass im November dieses Jahres das 1:43-Modell des  Mercedes 24/100/140 PS aus dem Jahr 1925 mit Karosserie von Murphy aus Pasadena herauskommen soll, und
zwar in der Originalfarbgebung marineblau mit rotem Innenraum.

Ab 1926, mit der Fusion der Daimler Motoren Gesellschaft und der Benz & Cie. und der anschließenden Umbenennung des Unternehmens in Daimler-Benz, wurde die Bezeichnung u.a. der 24/100/140 PS-Wagen,  einschließlich Roadster, in 630K geändert.

Der künftige Roadster wurde als rollendes Fahrgestell mit der Nummer 46901, ausgestattet mit einem 6 Zylinder- Kompressormotor und Holzspeichenrädern, von Stuttgart aus zum New-Yorker Auto Salon 1925 geschickt.

Archibald Andrews, Besitzer eines Nachtclubs in New York, kaufte ihn vor Ort vom Mercedes-Ausstellungsstand weg und schickte ihn zum Karosseriebauer Murphy nach Pasadena in Kalifornien, wo er die Roadster-Karosserie erhielt, die er heute noch hat.

Ungereimtheiten in Hülle und Fülle!

Gegen Ende der 1920er Jahre war Archibald Andrews nach Hollywood gezogen und hatte seinen Mercedes mitgenommen. Noch vor Ende des Jahrzehnts erwarb die Filmschauspielerin Vivian Leigh den Wagen. Zumindest steht das so im Verkaufskatalog von Christie.

Doch hier gibt es ein Problem: Im Jahr 1932 war die 1913 in Darjeeling, Indien, geborene Vivian Hartley noch ein Teenager von 19 Jahren und lebte in London, England, und nicht in Kalifornien. Im selben Jahr heiratete sie in
London Herbert Leigh, einen Anwalt, und brachte 1933 ihre Tochter zur Welt. Ihre allererste Filmrolle, bestehend aus einer einzigen Zeile in dem britischen Film „Things are looking up“, spielte sie 1935, und erst mit dem Film  „Vom Winde verweht“ von 1939 gelang ihr der Durchbruch in Hollywood.

Eine andere Quelle wiederum nennt eine Vivian Harvey als die Käuferin des 24/100/140 Roadster. Ich konnte nirgendwo einen Hinweis auf eine Schauspielerin namens Vivian Harvey finden.

Es gab jedoch Lilian Harvey, die legendäre deutsch/englische Filmschauspielerin der 1930er Jahre. Lilian Harvey arbeitete jedoch hauptsächlich in den UFA-Studios in Potsdam-Babelsberg bei Berlin, manchmal in England und ein wenig in Frankreich. Obwohl Frau Harvey von der Fox Film Corporation mit einem Vertrag nach Hollywood eingeladen wurde, um mehrere Filme zu drehen – tatsächlich wurden nur 4 zwischen 1932/33 und 1935 gedreht – ist es quasi sicher, dass sie den Roadster nie gekauft hat, denn es ist gut dokumentiert, dass sie ihren Mercedes-Benz 710 SS von Berlin nach Hollywood mitnahm und 1935 ebenfalls mit ihrem Mercedes nach Deutschland zurückkehrte.

Wer wäre denn dann der geheimnisvolle Besitzer gegen Ende der Zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre gewesen?

Um noch einmal Christie’s zu zitieren: „Von 1932 bis 1942 sind keine Einzelheiten über den Besitzer bekannt.“
Dann, 1942, so Christie’s, wurde der Wagen von Jack Forney aus Fort Collins, CO, gekauft. Jack, geboren 1928, wäre zu diesem Zeitpunkt allerdings erst etwa 14 Jahre alt gewesen! Tatsächlich wurde der Roadster von Jacks Vater, James Donovan Forney, aus Fort Collins, Colorado, im Jahr 1942 gekauft. Die Bezahlung bestand aus … Eisenbahnzubehör. Von wem das Auto erworben wurde, wird nicht erwähnt.

James Donovan Forney, der am 27. Januar 1905 geboren wurde, begann als Landarbeiter und besuchte die Landwirtschaftsschule in Fort Collins, um einen Abschluss zu machen. Er beendete sein Studium jedoch nie, lernte
aber auf dem Campus seine zukünftige Frau kennen. Um seine junge Familie zu unterstützen, begann er, Bücher und Enzyklopädien von Tür zu Tür zu verkaufen. Als er in den frühen 1930er Jahren die Farmer der Umgebung besuchte, um seine Bücher zu verkaufen, fiel ihm auf, wie umständlich deren Löt- und Schweißgeräte waren. Er glaubte, dass er Besseres machen könnte. Nachdem er einen „Instant heat“- Schweißgerät erfunden und patentiert hatte, gründete er die „Forney Manufacturing Company“ mit Sitz im Keller seines Hauses in Fort Collins; er begann mit der Herstellung und dem Verkauf seiner Erfindung, indem er von Farm zu Farm ging, später waren es dann von ihm eingestellte Verkäufer.

Im Laufe der Zeit wurde J.D. Forney‘s Unternehmen in den gesamten Vereinigten Staaten als führender Hersteller von Schweißgeräten für die Landwirtschaft und Schweißausrüstung bekannt. Das Unternehmen und seine
Tochtergesellschaften wurden dann zur „Forney Industries“ fusioniert. Die Firma expandierte und nahm Staubsauger, Wasserski und sogar ein kleines zweisitziges Flugzeug, das „Fornaire Aircoupe“, in sein Produktionsprogramm auf.

Schon in jungen Jahren war J.D. Forney von allen Verkehrsmitteln, insbesondere von Autos und Eisenbahnen, fasziniert gewesen. Während der bargeldarmen Zeit der Depression der 1930er Jahre war für J.D. Forney der Tauschhandel nicht fremd, und er konnte der Versuchung nicht widerstehen, von da an, die Autos zu erwerben, für die er sich interessierte. vor allem für die Autos, die die Besitzer loswerden mussten, oder die verschrottet werden sollten. Zahlung erfolgte durch Tauschgeschäft Schweißer gegen Autos und Kutschen. Seine Sammlung begann zu wachsen und umfasste im Laufe der Zeit auch Eisenbahnwagen und -geräte. Auf der Rückseite seiner Fabrik entstand zunächst ein kleines privates Museum.

Im Jahr 1955, als die Geschäftsführung des Unternehmens in die Hände seines Sohnes Jack überging, entwickelte J.D. Forney ein erneutes und wachsendes Interesse an seiner Sammlung. Da er in der Fabrik über qualifiziertes und erfahrenes Personal verfügte, wurden die Fahrzeuge unter J.D.s Aufsicht „im Haus“ restauriert und waren im Umkreis bei örtlichen Veranstaltungen, Paraden usw. sehr gefragt. 1961 wurde die Sammlung in eine  gemeinnützige Gesellschaft umgewandelt, und es entstand das „Forney Museum of Transportation“. Die Sammlung wurde weiterhin umfangreicher, und 2001 wurde ein neues, wesentlich größeres Museums-Gebäude an einem neuen Standort in Denver eröffnet, in dem die gesamte Sammlung, einschließlich der Waggons, der Zugausrüstung und einer Union Pacific „Big Boy“-Dampflokomotive, nun unter einem Dach untergebracht ist.

Über den Wagen sagt das Auktionshaus Christie’s, ich zitiere: „Von 1942- 1986 hatte Forney, der später nach Texas gezogen war, den Wagen bei sich gehabt, dort wo das Auto [auch] gefunden wurde“. Das Problem mit dieser Aussage ist, dass J.D. Forney, wie mir das Museum in einem Telefonat bestätigte, zu keinem Zeitpunkt seines Lebens von Colorado nach Texas gezogen ist, und es ist auch äußerst schwer vorstellbar, dass der Roadster bei seiner Leidenschaft für die Restaurierung und Aufbewahrung von Autos in seinem persönlichen Museum der Roadster in einem verfallenen Zustand in einer Scheune gefunden worden wäre, wie es von Christie‘s in derem Auktionskatalog von 2002 angegeben wurde.

Wenn der Roadster tatsächlich, wie in der Beschreibung von Christie‘s angegeben, von einem Herrn Lüscher „in vollständigem, aber trostlosem Zustand“ in Texas gefunden wurde, dann muss der Wagen definitiv jemand
anderem gehört haben. Wenn irgendetwas an dem Auto, an Forney und an Texas wahr sein sollte, dann könnte das Auto höchstwahrscheinlich in Forney, einer Kleinstadt mit etwa 24.000 Einwohnern, in einem  abgeschlossenen Lagerhaus „gefunden“ worden sein:

„Right Space Storage“ – 9600 Helms Trail – Forney, TX 75126

Das wirft die Frage auf, woher Herr Lüscher vom Standort des Autos wusste. Wie auch immer, ich fand heraus, dass dieser mysteriöse Herr Lüscher in Wirklichkeit Hans Lüscher ist, ein Sammler aus der Schweiz und der neue
Besitzer des Autos. Nach dem Erwerb schickt er den 630K Roadster 1986 zu „Mike Fennell Car Restauration“ in Kalifornien. Dass der Wagen 1986 von Mike Fennell restauriert wurde, ist ein Teil der Geschichte, der zweifelsfrei wahr ist.

Im Jahr 2012 starb Mike Fennell plötzlich an einem Hirnaneurysma, und alles in seiner Garage wurde daraufhin im Dezember des gleichen Jahres verkauft. Doch wie es der Zufall will, fand ich auf Facebook das Bild einer Seite seiner Liste der bis in die frühen 1990er Jahre abgeschlossenen Arbeiten, und dort, in der rechten Spalte, wird unter Punkt 85 ein „1925er Mercedes“ aufgeführt, der einzige Mercedes aus dem Baujahr 1925 unter all den – zum Teil recht interessanten – Mercedes-Fahrzeugen auf der Liste, und obwohl das genaue Jahr der Restaurierung nicht aufgeführt ist, musste es in den Achtzigern liegen, weshalb das Jahr 1986 sich zwar nur – wie die Polizei sagen würde – auf Indizienbeweise stützt, aber dennoch in aller Wahrscheinlichkeit das Richtige ist.

Nach seiner Restaurierung wird der Wagen laut einer Quelle, 1987 von seinem Besitzer Hans Lüscher beim Pebble Beach Concours d’Elégance angemeldet, wo er in seiner Kategorie den 3. Platz belegt, bevor er nach Europa verschifft wird. Laut des Archivs des Pebble Beach Concours taucht er jedoch nicht 1987, sondern 1991 zum ersten Mal beim Pebble Beach Concours d‘ Elegance auf. Auch werden hier keine Auszeichnungen bzw. Preise erwähnt.

Im Jahr 2002 wurde der 630K-Roadster von Christie’s im Rahmen der Versteigerung der „Hans Lüscher Collection“, die am 12. Februar in Paris in Verbindung mit der Rétromobile 2002 stattfand, angeboten. Damals beschrieb das Auktionshaus den Wagen als „in restauriertem Zustand, die Lackierung, Polsterung und
Verchromung sind gut erhalten, zeigen aber ihr Alter“. Der Motorraum befand sich laut Christie’s in einem
guten Zustand, aber „die Aluminiumgussteile müssten professionell poliert werden“. Christie’s wies potenzielle Kunden darauf hin, dass aufgrund des Zeitraums, den der Wagen gelagert worden war, „mit einer Inbetriebsetzung zu rechnen sei, bevor das Auto benutzt werde“.

Diese zusätzlich erforderliche Aufmerksamkeit erklärt zweifellos, warum der 24/100/140 Roadster trotz einer Schätzung von 200.000 € bis 300.000 € für nur 182.750 Euro verkauft wurde. Die mahnenden Worte von Christie’s an die potenziellen Käufer scheinen auch darauf hinzuweisen, dass sich der Zustand des Wagens zwischen 1986
und 2002, einer Zeitspanne von nur 16 Jahren, verschlechtert hatte, oder er nicht besonders gepflegt worden war. Dies könnte auch bedeuten, dass die Restaurierung von 1986 hauptsächlich kosmetischer Natur war, und nicht von Grund auf durchgeführt wurde.

Dieses Mal wurde der Wagen offensichtlich von seinem neuen Eigentümer gründlich restauriert und nahm 2015 an der Concours d’Elégance Veranstaltung in Pebble Beach teil, angemeldet von „Arthur Bechtel Classic Cars“ aus Böblingen, Deutschland. 2015 nimmt der Wagen, von Arthur Bechtel ausgestellt, an der Retro Classics teil. In der Folge wird der Roadster von „Arthur Bechtel Classic Cars“ verkauft.

Wo der Wagen sich heute befindet, konnte ich leider nicht erfahren.